Änderung eines vom FG bestätigten Steuerbescheids durch das Finanzamt
Gesetze: AO § 174 Abs. 4, FGO § 69 Abs. 3, FGO § 110
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob Änderungsbescheide zum Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens geworden sind oder ob dieses Verfahren bei Erlass der Änderungsbescheide bereits abgeschlossen war.
Die Antragstellerin, eine GmbH, hatte an sie gerichtete Steuerbescheide für die Jahre 1995 bis 1999 mit einer Klage angefochten. Im Februar 2008 fand in dem Klageverfahren (Aktenzeichen: 6 K 722/02) eine mündliche Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) statt. Im Verlauf der Verhandlung wurde hinsichtlich einiger angefochtener Bescheide der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Das galt u.a. im Hinblick auf einen Gewerbesteuermessbescheid für 1996, nachdem der Antragsgegner (das Finanzamt —FA—) eine Änderung dieses Bescheids zugesagt hatte; dem lag eine Einigung zwischen den Beteiligten darüber zu Grunde, dass ein Teil des in jenem Bescheid angesetzten Gewerbeertrags nicht im Veranlagungszeitraum 1996, sondern im Veranlagungszeitraum 1998 (Streitjahr) zu erfassen sei. Zudem wurde hinsichtlich einzelner angefochtener Bescheide die Klage zurückgenommen.
Streitbefangen blieben danach die Körperschaftsteuerbescheide 1997 und 1998, der Gewerbesteuermessbescheid für das Streitjahr sowie Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG), über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes, jeweils zum oder auf den und . Die Verfahrensbeteiligten stellten in Bezug auf diese Bescheide Sachanträge. Am Ende des Sitzungstages verkündete das FG die Entscheidung: „Die Klage wird auf Kosten der Klägerin abgewiesen”.
Das daraufhin gefertigte schriftliche Urteil des FG weist als Verfahrensgegenstand „Feststellung gem. § 47 KStG 1997 und 1998” aus. Sein Tatbestand gibt nur die Anträge der (damaligen) Klägerin zu diesen Streitgegenständen sowie den Klageabweisungsantrag des FA wieder. Die Entscheidungsgründe betreffen ebenfalls ausschließlich die genannten Feststellungsbescheide. Eine gegen das Urteil gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg (Senatsbeschluss vom I B 50/07, BFH/NV 2008, 616).
Am beschloss das FG zum Aktenzeichen 6 K 722/02, das Verfahren wegen Körperschaftsteuer 1997 und 1998, Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs 1997 und 1998, gesonderter Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes 1997 und 1998 sowie Gewerbesteuermessbetrags 1998 abzutrennen. Das abgetrennte Verfahren erhielt das Aktenzeichen 6 K 78/07.
In der mündlichen Verhandlung zum Verfahren 6 K 78/07 überreichte das FA, der Zusage in der Verhandlung vom entsprechend, einen geänderten Gewerbesteuermessbescheid für 1996. Zugleich übergab es einen auf § 174 der Abgabenordnung (AO) gestützten Gewerbesteuermessbescheid für das Streitjahr. Dieser Bescheid enthält —ebenso wie weitere vom FA erlassene Änderungsbescheide— den Hinweis, dass er gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens werde.
Die Antragstellerin legte gegen die Änderungsbescheide Einspruch ein. Zur Begründung machte sie geltend, dass das FA örtlich nicht zuständig sei und dass die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen einer Bescheidänderung nicht vorgelegen hätten. Das Einspruchsverfahren wurde bis zum Abschluss des Klageverfahrens 6 K 78/07 zum Ruhen gebracht.
Das FG führte daraufhin das Verfahren 6 K 78/07 fort und wies die Klage nach erneuter mündlicher Verhandlung ab. In den Gründen seines Urteils heißt es, die Klage sei weiterhin anhängig und betreffe nunmehr die vom FA erlassenen Änderungsbescheide. Das Urteil vom beziehe sich ausweislich seiner schriftlichen Ausfertigung nur auf die dort genannten Feststellungsbescheide; der am Sitzungstag verkündete Tenor sei im Lichte der schriftlichen Urteilsfassung auszulegen. Die streitgegenständlichen Änderungsbescheide seien rechtmäßig.
Die Antragstellerin hat das Urteil 6 K 78/07 mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angefochten, welcher der beschließende Senat mit Beschluss vom heutigen Tage (I B 171/08) stattgegeben hat. Das Urteil des FG 6 K 78/07 wurde aufgehoben, da es einen Rechtsstreit betraf, der schon durch das Urteil 6 K 722/02 abgeschlossen worden war. Im Verlauf des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin ferner beantragt, die Vollziehung des von der Entscheidung 6 K 78/07 umfassten geänderten Gewerbesteuermessbescheids für das Streitjahr auszusetzen. Diesen Antrag hat das FG abgelehnt. Daraufhin begehrt die Antragstellerin nunmehr eine Aussetzung der Vollziehung des Bescheids durch den Bundesfinanzhof (BFH); ihr dahin gehender Antrag ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Die Antragstellerin beantragt, die Vollziehung des geänderten Gewerbesteuermessbescheids 1998 vom bis einen Monat nach der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde im Verfahren I B 171/08 auszusetzen.
Das FA beantragt, den Antrag abzulehnen.
II. Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet und deshalb im Ergebnis abzulehnen.
1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist die in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO bestimmte Zulässigkeitsvoraussetzung im Streitfall erfüllt, da der Antrag auf eine gerichtliche Aussetzung der Vollziehung erst gestellt worden ist, nachdem das FA einen entsprechenden Antrag abgelehnt hatte. Für die Entscheidung über den Antrag ist der BFH als Gericht der Hauptsache (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO) zuständig, da zum Zeitpunkt der Antragstellung die Nichtzulassungsbeschwerde bereits bei ihm anhängig war (vgl. , BFH/NV 2008, 1498; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 132).
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Denn bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist.
a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Das wiederum ist, wenn der Bescheid Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde ist, unter Berücksichtigung dieser Verfahrenssituation zu beurteilen. Deshalb kommt in einem solchen Fall eine Aussetzung der Vollziehung nur dann in Betracht, wenn ernstlich mit einer Zulassung der Revision zu rechnen ist (Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 69 Rz 98, m.w.N.).
Das bedeutet aber nicht, dass die Vollziehung eines Verwaltungsakts stets auszusetzen ist, wenn eine den Verwaltungsakt betreffende Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg hatte. Vielmehr ist in dieser Situation darüber hinaus zu prüfen, ob sich der Verwaltungsakt unabhängig von den Gründen für die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde als zweifelsfrei rechtmäßig erweist (, BFH/NV 2007, 868). Ist diese Frage zu bejahen, so ist für eine Aussetzung der Vollziehung unter dem Gesichtspunkt der zweifelhaften Sach- oder Rechtslage kein Raum.
b) Im Streitfall liegt ein solcher Sachverhalt vor. Denn die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde der Antragstellerin beruht auf der Erwägung, dass das FG nicht berechtigt war, im Anschluss an die Verkündung seines ersten Urteils (6 K 722/02) das Verfahren wegen eines Teils des ursprünglichen Streitgegenstands abzutrennen (§ 73 FGO) und sodann das abgetrennte Verfahren fortzusetzen. Vielmehr ist jenes Urteil mit seiner Verkündung wirksam geworden, womit es zum Abschluss des gesamten ursprünglich geführten Rechtsstreits geführt hat. Daraus folgt, dass der vom FA erlassene Änderungsbescheid nicht zum Gegenstand eines weiterhin beim FG anhängigen Verfahrens werden konnte. Doch sind diese Überlegungen nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit jenes Bescheids zu begründen.
Denn da das FG-Urteil 6 K 722/02 (auch) den Rechtsstreit wegen des seinerzeit streitbefangenen Gewerbesteuermessbescheids für das Streitjahr erfasst hat, ist dieser Bescheid zwar mit der Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil bestandskräftig geworden. Dessen ungeachtet durfte er aber nach Maßgabe der verfahrensrechtlichen Vorschriften geändert werden. Die Voraussetzungen für eine solche Änderung sind im Streitfall erfüllt: Das FA hat im Anschluss an das gerichtliche Verfahren den Gewerbesteuermessbescheid 1996 zu Gunsten der Antragstellerin geändert, da es zu der Einsicht gelangt ist, dass der zunächst dem Jahr 1996 zugeordnete Gewerbeertrag richtigerweise bei der Besteuerung für 1998 zu erfassen sei. Es durfte daraufhin den Gewerbesteuermessbescheid 1998 entsprechend ändern (§ 174 Abs. 4 Satz 1 AO), wovon es mit dem hier in Rede stehenden Bescheid Gebrauch gemacht hat. Jener Bescheid ist binnen eines Jahres nach der antragsgemäßen Änderung des Bescheids für 1996 ergangen, so dass der Ablauf der Festsetzungsfrist seinem Erlass nicht entgegenstand (§ 174 Abs. 4 Satz 3 AO). Anhaltspunkte dafür, dass der Änderungsbescheid inhaltlich fehlerhaft sein könnte, sind weder von der Antragstellerin bezeichnet worden noch dem sonstigen Akteninhalt zu entnehmen.
c) Für die Beurteilung des Streitfalls ohne Bedeutung ist der Umstand, dass das FG-Urteil 6 K 722/02 rechtskräftig geworden ist. Zwar erstreckt sich die Rechtskraft, da das Urteil sich auf sämtliche ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakte bezogen hat, u.a. auf den seinerzeit streitbefangenen Gewerbesteuermessbescheid für das Streitjahr. Die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung wirkt aber nur vorbehaltlich der verfahrensrechtlichen Änderungsvorschriften (§ 110 Abs. 2 FGO); sie hindert daher nicht die spätere Änderung eines von der Entscheidung umfassten Verwaltungsakts nach Maßgabe des § 174 AO (, BFHE 192, 207, BStBl II 2001, 89). Dieser ist zwar aus Rechtskraftgründen unanwendbar, wenn das FG unter Hinweis auf das „Verböserungsverbot” davon abgesehen hat, den ursprünglich angefochtenen Bescheid zu Lasten des Klägers zu ändern; dann bietet § 174 Abs. 4 Satz 1 AO keine Handhabe dafür, dass das FA jene Änderung in einem weiteren Bescheid vornimmt (, BFHE 168, 231, BStBl II 1992, 867). Um einen solchen Sachverhalt geht es aber im Streitfall nicht, da das FA mit der Änderung des Bescheids für das Streitjahr nicht auf die Entscheidung des FG für dieses Jahr reagiert, sondern die Konsequenz aus der für die Antragstellerin günstigen Änderung des Bescheids für 1996 gezogen hat. Das lässt § 174 Abs. 4 Satz 1 AO unabhängig von der Rechtskraft des FG-Urteils zweifelsfrei zu.
d) Im Ergebnis ergibt sich mithin daraus, dass das erste Urteil des FG (6 K 722/02) den seinerzeit anhängigen Rechtsstreit wegen des Gewerbesteuermessbetrags für das Streitjahr abgeschlossen hat, zwar eine Fehlerhaftigkeit des zweiten Urteils (6 K 78/07). Im Hinblick auf den hier in Rede stehenden Bescheid folgt daraus aber nur, dass dieser nicht zum Gegenstand des Klageverfahrens beim FG werden konnte, sondern über ihn in dem von der Antragstellerin eingeleiteten Einspruchsverfahren zu entscheiden ist. Die Rechtmäßigkeit des Bescheids würde davon hingegen nicht berührt.
3. Anhaltspunkte dafür, dass die sofortige Vollziehung für die Antragstellerin eine unbillige Härte i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO zur Folge haben könnte, sind nicht erkennbar. Eine Aussetzung der Vollziehung kann daher auch auf diesen Gesichtspunkt nicht gestützt werden, weshalb der Antrag letztlich keinen Erfolg haben kann.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NAAAD-18483