Nachweis der Bevollmächtigung; Einschränkung des rechtlichen Gehörs durch fehlerhafte Anwendung einer Präklusionsvorschrift als Verfahrensmangel
Gesetze: FGO § 62, FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Bevollmächtigte der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist Steuerberater. Er hat die Klägerin bereits im Einspruchsverfahren gegen die Einkommensteuerfestsetzungen für die Jahre 1996 bis 2000 vertreten und mit Schriftsatz vom in deren Namen beim Finanzgericht (FG) fristgerecht Klage gegen die Steuerbescheide erhoben. Dabei teilte er mit, eine Vertretungsvollmacht sowie die Klagebegründung werde nachgereicht. Mit Schreiben vom forderte das FG den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf, den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen, die Klage zu begründen, einen bezifferten Antrag zu stellen und eine auf ihn lautende Prozessvollmacht im Original nachzureichen. Da der Bevollmächtigte der Klägerin hierauf nicht reagierte, setzte der Berichterstatter des Senats des FG mit Verfügung vom eine Ausschlussfrist bis zum für die Vorlage der Prozessvollmacht sowie für die Bezeichnung des Klagebegehrens.
Am ging beim FG ein Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin ein, mit dem er das Streitverhältnis darstellte. Eine Prozessvollmacht legte er dem Gericht nicht vor. Mit Schreiben vom , dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugegangen am , teilte das FG mit, innerhalb der Ausschlussfrist sei keine Vollmacht vorgelegt worden und die Klage müsse —vorbehaltlich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Versäumung der Frist— als unzulässig abgewiesen werden.
Mit Schriftsatz vom beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dem Hinweis, er habe seiner Mandantin bereits im Oktober 2004 eine vorbereitete Prozessvollmacht mit der Bitte um Unterzeichnung und Weiterleitung auf dem Postwege überlassen. Diese Vollmacht sei seiner Mandantin offenbar nicht zugegangen. Er habe ihr deshalb mit gleicher Post erneut eine Prozessvollmacht zugeleitet mit der Bitte, diese unverzüglich zu unterzeichnen und an das FG weiterzuleiten. Am ging die von der Klägerin unterzeichnete Prozessvollmacht beim FG ein.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Die Vorlage der Prozessvollmacht nach § 62 Abs. 3 FGO sei eine Sachurteilsvoraussetzung. Sie könne nach Ablauf der gesetzten Ausschlussfrist nicht mehr nachgeholt werden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden. Am habe die Frist nach § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für die Stellung des Antrags auf Wiedereinsetzung zu laufen begonnen. Innerhalb der zweiwöchigen Frist sei jedoch die versäumte Rechtshandlung, die Vorlage der Prozessvollmacht, nicht nachgeholt worden. Diese sei erst am und damit nach Fristablauf beim FG eingereicht worden.
Hiergegen richtet sich die von der Klägerin eingelegte Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision im FG-Urteil.
II. Die Beschwerde ist begründet. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegen vor. Das FG hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO) verletzt, indem es die Klage als unzulässig abgewiesen hat.
1. Ausdrücklich gerügt hat die Klägerin keinen der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Zulassungsgründe. Ihrem Vorbringen lässt sich jedoch entnehmen, dass sie die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), nämlich der Verletzung des rechtlichen Gehörs, begehrt.
2. Das FG hat im angefochtenen Urteil die Regelung in § 62 Abs. 3 Satz 6 FGO in der bis geltenden Fassung (a.F.) bzw. nach § 62 Abs. 6 Satz 4 FGO in der ab geltenden Fassung (n.F.) fehlerhaft angewendet. Es hat deshalb zu Unrecht die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Einschränkung des rechtlichen Gehörs durch eine unzutreffende Anwendung einer Präklusionsvorschrift stellt einen Verfahrensmangel dar (, BFHE 198, 1, 3, BStBl II 2002, 306, m.w.N.).
Die dem Prozessvertreter gesetzte Frist zur Vorlage einer schriftlichen Prozessvollmacht im Original hatte keine ausschließende Wirkung (vgl. auch , BFH/NV 2002, 1605). Der Nachweis der Bevollmächtigung durch Eingang der Original-Vollmacht am konnte somit auch noch nach Ablauf der Ausschlussfrist wirksam erfolgen.
Beteiligte am finanzgerichtlichen Verfahren können sich gemäß § 62 Abs. 1 FGO a.F. bzw. § 62 Abs. 2 FGO n.F. durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Bevollmächtigung ist durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO a.F. bzw. § 62 Abs. 6 Satz 1 FGO n.F.). Diese kann nachgereicht werden; hierfür konnte der Vorsitzende oder der Berichterstatter nach § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen. Indes brauchte nach § 62 Abs. 3 Satz 6 FGO a.F. das FG den Mangel der Vollmacht bei Bevollmächtigten i.S. des § 3 Nr. 1 bis 3 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) nicht mehr von Amts wegen zu berücksichtigen. Trat demnach als Bevollmächtigter eine Person i.S. des § 3 Nr. 1 bis 3 StBerG auf, so konnte nach der Rechtsprechung eine Vollmacht unter Setzen einer Ausschlussfrist nur noch bei begründeten Zweifeln an der Bevollmächtigung angefordert werden (vgl. grundlegend , BFHE 201, 409, BStBl II 2003, 606, m.w.N.). Für die Annahme derartiger notwendiger begründeter Zweifel an einer Bevollmächtigung, die bei dem Auftreten von Personen i.S. von § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO n.F. die Anforderung einer Vollmacht rechtfertigen konnten, mussten konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Bloße abstrakte Mutmaßungen reichten insoweit nicht mehr aus. Seit dem kann das Gericht nach § 62 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 FGO n.F. zwar für den Nachweis der Vollmacht eine Frist setzen; eine Ausschlussfrist sieht das Gesetz jedoch nicht mehr vor.
3. Es kann dahinstehen, ob vor dem wirksam gesetzte Ausschlussfristen auch dann zu beachten sind, wenn —wie im Streitfall— die finanzgerichtliche Entscheidung erst nach Inkrafttreten der Neuregelung in § 62 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ergeht (vgl. hierzu Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 62 FGO Rz 65, wonach bis zum gesetzte Ausschlussfristen wirksam sind, wenn sie nach dem ablaufen). Im Streitfall hat die vom FG gesetzte Frist keine ausschließende Wirkung. Das Gericht hat weder in der Verfügung vom noch in der Begründung des Prozessurteils irgendwelche Erwägungen sichtbar werden lassen, welche die Anforderung der Original-Vollmacht infolge etwa begründeter Zweifel an der Bevollmächtigung des Prozessvertreters rechtfertigen könnten (vgl. auch , BFH/NV 2003, 1208). Der Berichterstatter des FG hat vielmehr unmittelbar nach Eingang der Klage routinemäßig die Vollmacht zunächst durch die Geschäftsstelle anfordern lassen und sie sodann mit Verfügung vom mit Ausschlussfrist angefordert.
Weder das angefochtene Urteil enthält Gründe, die zu Zweifeln an der Bevollmächtigung des Prozessvertreters Anlass geben könnten, noch sind solche Gründe aus den beigezogenen Akten ersichtlich. Allein aus dem Umstand, dass der Bevollmächtigte trotz der gerichtlichen Aufforderung vom die Klage nicht begründet und die angekündigte Prozessvollmacht nicht vorgelegt hat, so dass der Eindruck entstehen konnte, die Klage sei nur fristwahrend erhoben worden (Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 62 Rz 48, m.w.N.), ergeben sich keine konkreten Zweifel an seiner Bevollmächtigung.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 782 Nr. 5
OAAAD-17946