Leitsatz
[1] Der für die Beurteilung einer marktbeherrschenden Stellung eines Gasversorgers sachlich maßgebliche Markt ist kein einheitlicher Wärmeenergiemarkt, sondern der Markt für die leitungsgebundene Versorgung von Endkunden mit Gas. In räumlicher Hinsicht wird dieser Markt - solange keine Veränderung der bisherigen Wettbewerbsverhältnisse eintritt - durch das Versorgungsgebiet des örtlichen Anbieters bestimmt (im Anschluss an BGHZ 151, 274 - Fernwärme für Börnsen; BGHZ 176, 244 - Erdgassondervertrag).
Gesetze: GWB § 19 Abs. 1
Instanzenzug: OLG Celle, 13 VA 1/07 Kart vom
Gründe
I.
Die Betroffene ist ein Gasversorgungsunternehmen, das in seinem Versorgungsgebiet, der Stadt Uelzen, Endverbraucher mit Erdgas der weitgehend in Deutschland geförderten Kategorie LL beliefert. Die Landeskartellbehörde hat festgestellt, dass die Betroffene in der Zeit vom bis zum von den Endverbrauchern bei den Abnahmemengen bis 20.000 kWh/a, bis 35.000 kWh/a und bis 90.000 kWh/a missbräuchlich überhöhte Jahresgesamtpreise gefordert habe, und hat angeordnet, dass die Betroffene ihren Kunden zuviel erhobene Gaspreise mit der Jahresabrechnung 2006 zurückzuerstatten habe.
Auf die Beschwerde hat das Beschwerdegericht die Verfügung aufgehoben (OLG Celle WuW/E DE-R 2249).
Hiergegen richten sich die vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerden der Landeskartellbehörde und des Bundeskartellamts, denen die Betroffene entgegentritt.
II.
Die Rechtsbeschwerden sind begründet und führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1.
Das Beschwerdegericht hat die Verfügung als rechtswidrig angesehen, da die von der Landeskartellbehörde angeführten Tatsachen keine marktbeherrschende Stellung der Betroffenen auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt belegten. Es hat unter Berufung auf das Urteil des VIII. Zivilsenats des (BGHZ 172, 315) angenommen, die Betroffene sei nicht auf einem auf ihr Versorgungsgebiet beschränkten Markt für die Belieferung von Endkunden mit Erdgas, sondern auf einem räumlich zumindest auf den Bereich Hannover/Hamburg zu erstreckenden Markt für Wärmeenergie tätig. Eine marktbeherrschende Stellung der Betroffenen auf diesem Markt sei nicht ersichtlich und werde von der Landeskartellbehörde auch nicht geltend gemacht.
2.
Diese Beurteilung des relevanten Marktes rügen die Rechtsbeschwerden mit Erfolg als rechtsfehlerhaft.
a)
Die sachliche Marktabgrenzung folgt nach ständiger Rechtsprechung jedenfalls im Ausgangspunkt dem Bedarfsmarktkonzept. Nach diesem sind dem relevanten (Angebots-)Markt alle Produkte oder Dienstleistungen zuzurechnen, die aus der Sicht der Nachfrager nach Eigenschaft, Verwendungszweck und Preislage zur Deckung eines bestimmten Bedarfs austauschbar sind ( 322/81, Slg. 1983, 3461 Tz. 37 = WuW/E EWG/MUV 642 - Michelin; BGHZ 160, 67, 73 - Standard-Spundfass; BGHZ 170, 299 Tz. 18 - National Geographic II; Sen. Beschl. v. , KVR 21/07, WuW/E DE-R 2268 Tz. 15 - Soda Club II, für BGHZ 176, 1 vorgesehen).
Das von Energieversorgern wie der Betroffenen gelieferte Erdgas wird von Endkunden nachgefragt, die Energie für eine Gasheizung (sowie gegebenenfalls andere mit Gas betriebene Geräte wie einen Gasherd) benötigen. Das für den Betrieb einer solchen Heizungsanlage erforderliche Gas kann nicht durch andere Energieträger ersetzt werden, denn für mehr als eine Energieart geeignete Anlagen sind, wie die Rechtsbeschwerdeerwiderung ausdrücklich einräumt, so selten, dass sie für die Bewertung der Marktgegebenheiten außer Betracht bleiben können. Ein Austausch des Energieträgers Erdgas gegen einen anderen kommt mithin nur dann in Frage, wenn der Endkunde zugleich eine Heizungsanlage beschafft, die für den anderen Energieträger geeignet ist. Die für die Marktdefinition entscheidende regelmäßig wiederkehrende Nachfrage ist dies offenkundig nicht. Die typische Nachfragekonstellation ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass für den Endkunden ein Austausch des Energieträgers ausscheidet, sei es, weil er rechtlich überhaupt an der Installation einer anderen Heizungsanlage gehindert ist, sei es, weil die Umstellung auf eine andere Heizenergie nicht nur erhebliche Investitionen und/oder bestimmte sachlich-räumliche Voraussetzungen (z.B. Anschluss an ein Fernwärmesystem; Raum für einen Öltank) erforderte, sondern angesichts der Restnutzungsdauer der vorhandenen Anlage - die Betroffene geht von einer Lebensdauer von rund 15 Jahren aus - auch unwirtschaftlich wäre. Mit dem Bedarfsmarktkonzept ist es folglich nicht zu rechtfertigen, einen einheitlichen Wärmeenergiemarkt als sachlich relevanten Markt anzusehen.
b)
Auch der Gesichtspunkt der Angebotsumstellungsflexibilität kann eine solche Marktdefinition nicht begründen.
Allerdings bedarf das allein auf das Nachfrageverhalten der Marktgegenseite abstellende Bedarfsmarktkonzept gegebenenfalls eines Korrektivs. Die Marktabgrenzung dient dem Ziel, die Wettbewerbskräfte zu ermitteln, denen die beteiligten Unternehmen ausgesetzt sind (BGHZ 156, 379, 384 - Strom und Telefon I; BGHZ 166, 165 Tz. 29 - DB Regio/üstra). Würde ausschließlich auf das vorgefasste, am konkreten Bedarf orientierte Kaufinteresse der Marktgegenseite abgestellt, müssten häufig extrem kleinteilige, auf konkrete Produktausgestaltungen oder -größen reduzierte Märkte gebildet werden, die die Verhaltensspielräume der Anbieter nicht zutreffend abbilden würden. Dem trägt das Konzept der Angebotsumstellungsflexibilität mit der Erwägung Rechnung, dass ein die Verhaltensspielräume kontrollierender Wettbewerb auch von Anbietern ähnlicher Produkte ausgeht, die ihr Angebot kurzfristig umstellen können, um eine bestehende Nachfrage zu befriedigen (BGHZ 170, 299 Tz. 19 - National Geographic II).
Das Beschwerdegericht hat jedoch nichts dafür festgestellt, dass andere Anbieter von Wärmeenergie in der Lage wären, kurzfristig Gaslieferungen anzubieten. Dies liegt auch schon deshalb fern, weil für den hier relevanten Zeitraum nicht einmal ein funktionierender Durchleitungswettbewerb unter den vorhandenen Gasanbietern festgestellt worden ist.
c)
Der Bundesgerichtshof hat demgemäß schon in seiner bisherigen Rechtsprechung den Gasversorgungsmarkt als den für die kartellrechtliche Beurteilung sachlich relevanten Markt angesehen (Sen. Urt. v. - KZR 2/07, WuW/E DE-R 2295 Tz. 12 - Erdgassondervertrag, für BGHZ 176, 244 vorgesehen, im Anschluss an BGHZ 151, 274, 282 - Fernwärme für Börnsen). In Übereinstimmung damit geht jetzt auch der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom (VIII ZR 138/07 Tz. 18) von einer Monopolstellung des örtlichen Gasversorgers aus.
d)
In räumlicher Hinsicht wird der relevante Markt - solange keine Veränderung der konkreten Wettbewerbsverhältnisse eintritt - durch das Versorgungsgebiet des einzigen örtlichen Anbieters leitungsgebundener Versorgung mit Gas bestimmt (vgl. BGHZ 156, 379, 384 ff. - Strom und Telefon I).
e)
Der vom Beschwerdegericht im Anschluss an die Entscheidung des VIII. Zivilsenats vom (BGHZ 172, 315) herangezogene Gesichtspunkt, dass von den Märkten für andere Energieträger ein wettbewerblicher Einfluss auf den Gasversorgungsmarkt ausgehen kann, wird damit für die kartellrechtliche Beurteilung nicht ausgeblendet. Wettbewerbskräfte, die beim Nachfrager Zweifel an der Entscheidung für ein bestimmtes System - wie hier den Betrieb einer Gasheizung - wecken können, sind indessen nicht bei der Bestimmung des relevanten Marktes, sondern bei der Prüfung der Frage zu berücksichtigen, ob ein Anbieter auf dem relevanten Markt ohne Wettbewerber oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat (vgl. BGHZ 82, 1, 5 - Zeitungsmarkt München; BGHZ 170, 299 Tz. 18 - National Geographic II; Sen. Beschl. v. - KVR 21/07, WuW/E DE-R 2268 Tz. 15 - Soda Club II). Im Streitfall ist allerdings nichts dafür ersichtlich, dass dieser Gesichtspunkt die marktbeherrschende Stellung der Betroffenen in Frage stellen könnte.
3.
Da das Beschwerdegericht zu der Frage, ob die Betroffene ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht hat, keine Feststellungen getroffen hat, ist die Sache unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
4.
Für den Fall, dass das Beschwerdegericht bei seiner erneuten
Prüfung einen Missbrauch feststellen sollte, weist der Senat darauf hin, dass nach § 32 Abs. 2 GWB keine grundsätzlichen Bedenken dagegen bestehen, im Rahmen einer Abstellungsverfügung auch Maßnahmen anzuordnen, die der Beseitigung einer geschehenen, aber noch gegenwärtigen Beeinträchtigung diene. Dazu gehört die Anordnung, durch das missbräuchliche Verhalten erwirtschaftete Vorteile zurückzuerstatten (vgl. Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, 10. Aufl., § 32 GWB Rdn. 26).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2009 S. 1212 Nr. 17
ZIP 2009 S. 1927 Nr. 40
IAAAD-10855
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja