Leitsatz
[1] Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Entfernung einer dienstlichen Beurteilung aus seiner Personalakte, wenn sich ein Fehler im Beurteilungsverfahren auf das Beurteilungsergebnis auswirken kann.
Gesetze: GG Art. 33; BGB § 12; BGB § 241; BGB § 611; BGB § 862; BGB § 1004; BATV § 13; TVöD § 3; Dienstvereinbarung zur Beurteilung der Angestellten in der Zollverwaltung und der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein zwischen dem Bundesminister der Finanzen und dem Hauptpersonalrat beim § 1; Dienstvereinbarung zur Beurteilung der Angestellten in der Zollverwaltung und der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein zwischen dem Bundesminister der Finanzen und dem Hauptpersonalrat beim § 3; Richtlinien für die Beurteilung der Beamten und Beamtinnen der Zollverwaltung, der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, des Zollkriminalamtes und der Bundesvermögensverwaltung Nr. 32; Richtlinien für die Beurteilung der Beamten und Beamtinnen der Zollverwaltung, der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, des Zollkriminalamtes und der Bundesvermögensverwaltung Nr. 33
Instanzenzug: LAG Rheinland-Pfalz, 4 Sa 228/07 vom ArbG Koblenz, 2 Ca 1625/06 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Entfernung einer Regelbeurteilung aus der Personalakte der Klägerin, hilfsweise über eine neue Beurteilung.
Die mit einem Grad von 50 schwerbehinderte Klägerin ist seit 1974 als Angestellte bei der beklagten Bundesrepublik beschäftigt. Seit dem Jahr 2002 ist sie im Hauptzollamt Koblenz eingesetzt. Der Arbeitsvertrag der Parteien sieht vor, dass sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen bestimmt.
§ 13 BAT lautet auszugsweise (vgl. heute § 3 Abs. 5 TVöD):
"Personalakten
(1) Der Angestellte hat ein Recht auf Einsicht in seine vollständigen Personalakten. ...
(2) Der Angestellte muss über Beschwerden und Behauptungen tatsächlicher Art, die für ihn ungünstig sind oder ihm nachteilig werden können, vor Aufnahme in die Personalakten gehört werden. Seine Äußerung ist zu den Personalakten zu nehmen."
Im Verwaltungszweig, in dem die Klägerin tätig ist, gilt eine Dienstvereinbarung zur Beurteilung der Angestellten in der Zollverwaltung und der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein zwischen dem Bundesminister der Finanzen und dem Hauptpersonalrat beim (DV). Sie lautet in Auszügen:
"§ 1
Regelung
(1) Die Angestellten werden in die Regelbeurteilung der Beamtinnen und Beamten der Zollverwaltung einbezogen.
...
(3) Die Beurteilung erfolgt zu den Stichtagen und für die Beurteilungszeiträume, die für die jeweils vergleichbaren Zollbeamtinnen und -beamten festgesetzt werden bzw. gelten.
Abweichend von Satz 1 beginnt der Beurteilungszeitraum für die erstmalige Regelbeurteilung einheitlich am .
(4) Im Übrigen gelten die Richtlinien für die Beurteilung der Beamten und Beamtinnen der Zollverwaltung, der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, des Zollkriminalamtes und der Bundesvermögensverwaltung (BRZV) und deren Anlagen in der zum jeweiligen Beurteilungsstichtag geltenden Fassung sowie die Regelungen des Bundesgleichstellungsgesetzes.
...
§ 3
Schlussbestimmungen
(1) Diese Dienstvereinbarung tritt am in Kraft und ergänzt die BRZV und ihre Anlagen. ..."
In den BRZV heißt es:
"Bekanntgabe der Beurteilung
32. Die Beurteilung ist dem Beamten so schnell wie möglich - wenn nicht besondere Gründe vorliegen, nicht später als sechs Monate nach der Gremiumsbesprechung - durch Aushändigung einer Ausfertigung gegen Unterschrift bekanntzugeben und mit ihm zu besprechen. Er kann auf die Besprechung schriftlich verzichten. Das gilt auch für eine nachträglich geänderte Beurteilung. Auf Wunsch ist dem Beamten eine Bedenkzeit zwischen Bekanntgabe und Besprechung der Beurteilung bis zu einem Monat zu gewähren. Anläßlich der Besprechung der Beurteilung sollen ggf. auch etwaige Förderungswünsche besprochen werden.
33. Das Beurteilungsgespräch führt der Beurteiler. Er kann seinen Vertreter oder den Berichterstatter damit beauftragen, sofern dieser keine abweichende Stellungnahme abgegeben hat ..."
In Anlage 3 der BRZV ist auszugsweise geregelt:
"Die dienstliche Beurteilung Schwerbehinderter
Der Schwerbehinderte steht in seiner Dienststelle in einem ständigen Leistungswettbewerb mit den Nichtbehinderten. Im Beurteilungsverfahren gelten für ihn die allgemeinen Beurteilungsrichtlinien; Schwerbehinderung und Behinderungsfolgen - auch in Verbindung mit dem natürlichen Alterungsprozeß - sind in folgender Weise zu berücksichtigen:
...
4. Vor jeder Beurteilung hat der in der Gremiumsbesprechung als Berichterstatter tätig werdende Vorgesetzte nicht nur mit dem Schwerbehinderten, sondern auch mit der zuständigen Schwerbehindertenvertretung und dem Beauftragten des Arbeitgebers über den Umfang der Schwerbehinderung und die Auswirkungen auf die Arbeits- und Verwendungsfähigkeit ein Gespräch zu führen.
...
Über das Gespräch ist ein schriftlicher Vermerk aufzunehmen. ..."
Ein Vermerk des Berichterstatters M für die Beurteilung der Klägerin vom lässt die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nicht erkennen. Die Gremiumsbesprechung fand nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts spätestens am statt. Die zum Stichtag des erstellte Beurteilung der Klägerin wurde unter dem von der Beurteilerin T und dem Berichterstatter M unterschrieben. Sie umfasst den Beurteilungszeitraum vom bis und endet mit dem Gesamturteil "Entspricht noch den Anforderungen". Die Beurteilung wurde der Klägerin am ausgehändigt. Eine früher ausgehändigte Fassung hatte die Klägerin zurückgegeben, weil die erste Fassung ihre Schwerbehinderung nicht ausgewiesen hatte. Die Beurteilerin T war im Verlauf des Beurteilungsverfahrens an die Oberfinanzdirektion Hamburg abgeordnet worden.
Die Klägerin meint, die Regelbeurteilung müsse entfernt werden, weil die Beklagte gegen zwingendes Verfahrensrecht verstoßen habe. Jedenfalls könne sie eine neue Beurteilung verlangen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die Beurteilung vom aus ihrer Personalakte zu entfernen; die Beklagte hilfsweise zu verurteilen, eine Neubeurteilung zu erstellen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, die Abordnung der Beurteilerin T an die Oberfinanzdirektion Hamburg habe die Fristüberschreitung gerechtfertigt. Werde die Beurteilung aus der Personalakte entfernt oder die Klägerin erneut beurteilt, verlängere sich die Fristüberschreitung in noch weiterem Umfang.
Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag auf Entfernung der Beurteilung aus der Personalakte stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert, den Hauptantrag abgewiesen und dem Hilfsantrag auf Neubeurteilung stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält die Beklagte an ihrem Antrag auf Abweisung der gesamten Klage fest. Die Klägerin verfolgt mit der Anschlussrevision das Ziel, das Urteil des Arbeitsgerichts wiederherzustellen.
Gründe
A. Die Anschlussrevision ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch darauf, dass die Beklagte die dienstliche Beurteilung vom aus der Personalakte entfernt. Der Hilfsantrag auf Neubeurteilung, der Gegenstand der Revision der Beklagten ist, fällt deshalb nicht zur Entscheidung des Senats an.
I. Der Anspruch der Klägerin auf Entfernung der Regelbeurteilung aus ihrer Personalakte beruht auf §§ 611, 241 Abs. 2 BGB iVm. § 1 Abs. 1, 3 und 4 DV, Nr. 32 Abs. 1 Satz 1 BRZV. Die Beklagte ist schuldrechtlich verpflichtet, die unter Verstoß gegen ihre Nebenpflichten aus der DV iVm. den BRZV nicht fristgerecht bekannt gegebene Beurteilung aus der Personalakte zu entfernen. Es kann offenbleiben, ob die Beklagte auch ihre Nebenpflicht aus § 13 Abs. 2 Satz 1 BAT verletzt hat (dazu Senat - 9 AZR 110/07 - Rn. 26, AP BGB § 241 Nr. 3 = EzA BGB 2002 § 241 Nr. 1; - zu II 2 der Gründe, BAGE 63, 240). Dahinstehen kann ferner, ob der Klägerin darüber hinaus ein quasinegatorischer Beseitigungsanspruch entsprechend §§ 12, 862, 1004 BGB zusteht (zu den denkbaren Anspruchsgrundlagen Senat - 9 AZR 110/07 - Rn. 30, aaO.; - 9 AZR 271/06 - Rn. 19 ff., BAGE 119, 238; - zu III 2 der Gründe, BAGE 71, 110; - 5 AZR 537/86 - zu I der Gründe, AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 100 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 47; - 5 AZR 101/84 - zu I 3 a und b der Gründe, BAGE 50, 202; - 1 AZR 322/71 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 24, 247; offengelassen von Senat - 9 AZR 208/00 - zu I der Gründe, EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 60; - zu I 3 b der Gründe, AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 22 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 41).
II. Dienstliche Beurteilungen sind grundsätzlich zulässig.
1. Der Arbeitgeber darf Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer beurteilen und die Beurteilungen in die Personalakten aufnehmen. Auch formalisierte Regelbeurteilungen können erstellt werden. Beurteilungen sollen ein möglichst objektives und vollständiges Bild der Person, der Tätigkeit und der Leistung des Beurteilten vermitteln (Senat - 9 AZR 208/00 - zu I 1 der Gründe, EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 60; vgl. schon - zu II 2 der Gründe, BAGE 38, 141; - 5 AZR 80/77 - zu II der Gründe, AP BPersVG § 75 Nr. 3 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 24; 2 C 8.79 - zu 1 der Gründe, DVBl. 1981, 1062).
2. Dem Arbeitgeber kommt bei der Beurteilung ein Beurteilungsspielraum zu. Dienstliche Beurteilungen sind gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Sie können darauf kontrolliert werden, ob der Beurteiler allgemeine Beurteilungsmaßstäbe beachtet, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und ein fehlerfreies Verfahren eingehalten hat (Senat - 9 AZR 208/00 - zu I 1 der Gründe mwN, EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 60; - zu III 1 b und 2 der Gründe, AP BPersVG § 75 Nr. 3 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 24). Ein beachtlicher Verfahrensfehler und keine sanktionslose Verletzung einer bloßen Ordnungsvorschrift liegt vor, wenn sich der Mangel auf das Beurteilungsergebnis auswirken kann. Ein solcher Verfahrensverstoß führt zur Rechtswidrigkeit der Beurteilung und zu einem schuldrechtlichen Entfernungsanspruch des Arbeitnehmers.
III. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Regelbeurteilung vom rechtswidrig. Sie ist das Ergebnis eines fehlerhaften Verfahrens. Der Verfahrensfehler indiziert, dass eine sachlich unzutreffende Beurteilung zur Personalakte gelangt ist. Der Verfahrensverstoß ergibt sich aus dem zeitlichen Abstand von über sechs Monaten zwischen der Gremiumsbesprechung, die nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts spätestens am stattfand, und der Bekanntgabe der geänderten Regelbeurteilung am . Nach Nr. 32 Abs. 1 Satz 1 BRZV ist die Beurteilung dem Beamten so schnell wie möglich - wenn nicht besondere Gründe vorliegen, nicht später als sechs Monate nach der Gremiumsbesprechung - durch Aushändigung einer Ausfertigung gegen Unterschrift bekannt zu geben und mit ihm zu besprechen. Der Verfahrensfehler kann hier wegen des zu weiten zeitlichen Abstands zwischen der Gremiumsbesprechung und der Bekanntgabe der nachträglich geänderten Beurteilung Auswirkungen auf das Beurteilungsergebnis haben.
1. Der Regelung in Nr. 32 Abs. 1 Satz 1 BRZV kommt iVm. § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 und Abs. 4 DV sog. Außenwirkung auf die im Angestelltenverhältnis beschäftigte Klägerin zu. Nach der DV werden die Angestellten in die Regelbeurteilung der Beamtinnen und Beamten der Zollverwaltung einbezogen. Die BRZV gelten auch für sie.
a) Erlasse und Verwaltungsvorschriften haben regelmäßig nur verwaltungsinterne Bedeutung. Der Dienstherr richtet sich mit ihnen an nachgeordnete weisungsabhängige Organe, Ämter oder Dienststellen. Den Regelungen fehlt der normative Charakter. Sie sind daher nicht geeignet, Ansprüche Dritter zu begründen (Senat - 9 AZR 208/00 - zu I 2 a aa der Gründe, EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 60; - zu I 2 der Gründe, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 45 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 16).
b) Eine Bindung im Außenverhältnis zu Dritten tritt jedoch ein, wenn sich die Vorschriften inhaltlich nicht nur an nachgeordnete Dienststellen, sondern auch an Arbeitnehmer richten (vgl. Senat - 9 AZR 208/00 - zu I 2 a aa der Gründe, EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 60). Diese Außenwirkung führt § 1 Abs. 4 der Dienstvereinbarung vom zwischen dem Bundesfinanzminister und dem beim Bundesfinanzministerium gebildeten Hauptpersonalrat herbei. Mit der DV übte der Hauptpersonalrat sein Mitbestimmungsrecht nach § 75 Abs. 3 Nr. 9 iVm. § 53 Abs. 1, § 82 Abs. 1 BPersVG aus.
2. Revisionsrechtlich ist nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Überschreitung der Sechsmonatsfrist sei nicht durch besondere Gründe iSv. Nr. 32 Abs. 1 Satz 1 BRZV gerechtfertigt.
a) Der Begriff der besonderen Gründe nach Nr. 32 Abs. 1 Satz 1 BRZV ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Bei seiner Anwendung kommt dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zu. Das Revisionsgericht darf überprüfen, ob der Rechtsbegriff selbst verkannt worden ist, bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter diesen Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind, nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt worden sind oder das Ergebnis widersprüchlich ist (st. Rspr., vgl. zB Senat - 9 AZR 36/07 - Rn. 29, AP TzBfG § 8 Nr. 25 = EzA TzBfG § 8 Nr. 20).
b) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält der betroffene Teil der angefochtenen Entscheidung stand. Das Landesarbeitsgericht hat bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts alle wesentlichen Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt. Es hat die überwiegende Ortsabwesenheit der Beurteilerin T wegen ihrer Abordnung nach Hamburg und die nötige Ergänzung der Beurteilung um die Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin gewürdigt. Die Schlussfolgerung des Landesarbeitsgerichts, diese beiden Umstände rechtfertigten die Fristüberschreitung nicht, ist insbesondere wegen der geringen gewöhnlichen Postlaufzeiten und der verhältnismäßig weiträumig bemessenen Regelfrist von sechs Monaten in sich schlüssig.
3. Die Formulierung in Nr. 32 Abs. 1 Satz 1 DV "... ist ... bekanntzugeben und ... zu besprechen" zeigt, dass es sich um eine sog. Mussvorschrift handelt. Die Bestimmung liegt im Interesse der zu beurteilenden Person und begründet eine Nebenpflicht der Beklagten iSv. § 241 Abs. 2 BGB.
4. Nr. 32 Abs. 1 Satz 1 BRZV enthält keine Regelung der Rechtsfolgen eines Verstoßes. Die Verletzung der Nebenpflicht zur Einhaltung der Sechsmonatsfrist begründet dennoch einen Anspruch auf Entfernung der Beurteilung aus der Personalakte.
a) Der Entfernungsanspruch folgt nicht schon daraus, dass Beurteilungen darauf überprüft werden können, ob der Beurteiler ein fehlerfreies Verfahren eingehalten hat (vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab Senat - 9 AZR 208/00 - zu I 1 der Gründe mwN, EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 60; - zu II der Gründe, AP BPersVG § 75 Nr. 3 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 24). Das unter Missachtung von Verfahrensvorschriften zustande gekommene Beurteilungsergebnis darf nur dann nicht gegen den Willen des Arbeitnehmers in den Personalakten verbleiben, wenn der Verfahrensverstoß Auswirkungen auf das Beurteilungsergebnis haben kann. In einem solchen Fall hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Entfernung der Beurteilung aus der Personalakte (im Ergebnis ebenso zu einem Verstoß gegen § 13 Abs. 2 Satz 1 BAT - zu II 4 und 5 der Gründe mwN zu der Kontroverse, BAGE 63, 240; zu den nötigen Folgen für das Beurteilungsergebnis in Abgrenzung zu Ordnungsvorschriften - juris Rn. 40).
b) Die fristgerechte Bekanntgabe und Besprechung der Beurteilung ist hier keine reine Formalität. Nr. 32 Abs. 1 Satz 1 BRZV enthält keine bloße Ordnungsvorschrift (zu sanktionslosen Ordnungsvorschriften 2 B 40.86 - juris Rn. 3, NVwZ 1987, 893; - juris Rn. 53; - juris Rn. 34; - juris Rn. 40 und 42). Sie dient vielmehr dem Schutz des Beurteilers und des Beurteilten vor Erinnerungslücken.
aa) Die Anknüpfung des Fristbeginns an die Gremiumsbesprechung macht diesen Schutzzweck deutlich. Wird die Sechsmonatsfrist zwischen der Gremiumsbesprechung und der Bekanntgabe der - hier im Lauf des Beurteilungsverfahrens geänderten - Beurteilung überschritten, kann sich der Beurteilte nicht mehr darauf verlassen, dass die Beurteilung das Ergebnis der Gremiumsbesprechung richtig wiedergibt. Die Fristüberschreitung erschwert sowohl seine Stellungnahme in der von Nr. 32 Abs. 1 Satz 1 BRZV geforderten Besprechung als auch die Auseinandersetzung des Beurteilers, seines Vertreters oder des Berichterstatters mit den Argumenten des Arbeitnehmers. Je länger der Beurteilungszeitraum zurückliegt, desto schwieriger wird es für den Arbeitnehmer, zu der Tatsachengrundlage der Beurteilung Stellung zu nehmen und substanzielle Einwände vorzubringen. Auf diesem Umstand beruht die Sechsmonatsfrist. Der Arbeitnehmer ist nur dann in der Lage, sich sachgerecht gegen unzutreffende Sachverhaltsdarstellungen zu wehren, wenn er sich an die jeweiligen Tatsachen erinnern kann (vgl. schon - zu III 2 der Gründe, AP BPersVG § 75 Nr. 3 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 24).
bb) Die Möglichkeiten, die Besprechung nach Fristablauf nachzuholen oder eine Gegendarstellung abzugeben, werden den Interessen des Arbeitnehmers nicht gerecht. Beide Alternativen sind nicht geeignet, den Mangel der Fristüberschreitung und seiner möglichen Auswirkungen auf das Erinnerungsvermögen des Beurteilers und des Beurteilten zu heilen. Ohne einen Entfernungsanspruch bestünde die Gefahr, dass der Arbeitnehmer durch die formell fehlerhaft zustande gekommene Beurteilung in seiner beruflichen Entwicklung beeinträchtigt würde (vgl. - zu III der Gründe, AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 100 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 47).
5. Der Grundsatz der Vollständigkeit und Kontinuität der Personalakten steht einem Entfernungsanspruch der Klägerin nicht entgegen.
a) Die Aufnahme der Beurteilung in die Personalakte dient der Personalverwaltung und -bewirtschaftung. Der Arbeitgeber hat grundsätzlich das legitime Anliegen, dass die von ihm geführten Personalakten vollständig sind. Sie sollen möglichst lückenlos über die Person des Arbeitnehmers und seinen betrieblichen Werdegang Aufschluss geben (vgl. Senat - 9 AZR 110/07 - Rn. 35 f., AP BGB § 241 Nr. 3 = EzA BGB 2002 § 241 Nr. 1; - 9 AZR 271/06 - Rn. 23, BAGE 119, 238; - zu II 5 a der Gründe, BAGE 63, 240; - 1 AZR 322/71 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 24, 247). Im öffentlichen Dienst gewinnt der vollständige und lückenlose Aufschluss über den beruflichen Werdegang besondere Bedeutung, weil sich Einstellung und Beförderung von Arbeitnehmern und Beamten nach dem Prinzip der Bestenauslese des Art. 33 Abs. 2 GG richten (Senat - 9 AZR 110/07 - Rn. 36, aaO.).
b) Gelangen Beurteilungen nicht nur formell zu Unrecht in die Personalakten, sondern kann der Verfahrensfehler - wie hier der Verstoß gegen Nr. 32 Abs. 1 Satz 1 BRZV - zudem Auswirkungen auf das Beurteilungsergebnis haben, tritt das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an der Vollständigkeit und Kontinuität der Akten jedoch zurück. In einem solchen Fall heilt eine nachträgliche Besprechung den formellen Fehler durch Fristüberschreitung nicht. Der Arbeitnehmer kann mit Blick auf den von Nr. 32 Abs. 1 Satz 1 BRZV beabsichtigten Schutz seines Erinnerungsvermögens auch nicht auf sein Recht zur Gegendarstellung aus § 13 Abs. 2 Satz 2 BAT verwiesen werden (vgl. zu einer Verletzung von § 13 Abs. 2 Satz 1 BAT - zu II 5 der Gründe, BAGE 63, 240).
c) Einem Entfernungsanspruch steht nicht entgegen, dass die Beklagte wegen der Fristüberschreitung daran gehindert ist, die Regelbeurteilung in Zukunft nachzuholen (vgl. - zu II 5 b der Gründe, BAGE 63, 240; - 5 AZR 80/77 - zu III 3 b der Gründe, AP BPersVG § 75 Nr. 3 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 24; - 1 AZR 322/71 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 24, 247). Die Unvollständigkeit der Personalakte ist hier die notwendige Folge des mit dem Fristerfordernis verfolgten Regelungsziels in Nr. 32 Abs. 1 Satz 1 BRZV, das die Grenzen der Erinnerung des Beurteilers und des beurteilten Arbeitnehmers schützt. Das grundsätzlich berechtigte Interesse des Arbeitgebers an einer vollständigen und durchgehend geführten Personalakte tritt ausnahmsweise zurück (abweichend zu nicht bindenden Durchführungshinweisen für Beurteilungsrichtlinien Senat - 9 AZR 208/00 - zu I 2 a bb (2) der Gründe, EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 60; zu einer Ordnungsvorschrift - juris Rn. 53).
6. Da bereits die Fristüberschreitung der Beklagten zu einem Anspruch auf Entfernung der Regelbeurteilung der Klägerin aus der Personalakte führt, kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte außerdem gegen die Pflichten zur Förderung schwerbehinderter Arbeitnehmer aus Anlage 3 der BRZV verstoßen hat.
B. Die Beklagte hat neben den ihr bereits auferlegten Kosten erster Instanz die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DB 2009 S. 458 Nr. 9
NJW 2009 S. 1627 Nr. 22
LAAAD-07997
1Für die amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein