BVerwG Beschluss v. - 2 B 63.08

Leitsatz

Die wirksame Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 BDG setzt voraus, dass der Einleitungsvermerk inhaltlich eindeutig ist und dem Dienstvorgesetzten als Verfasser zugeordnet werden kann.

Der Dienstvorgesetzte hat die Dienstpflicht, das behördliche Disziplinarverfahren unverzüglich einzuleiten, sobald ihm ein Verdacht im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG bekannt wird.

Die längere Untätigkeit des Dienstvorgesetzten entgegen § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG ist regelmäßig als mildernder Umstand bei der Bemessung einer pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahme gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG zu berücksichtigen, wenn der Beamte über die disziplinarrechtliche Relevanz seines Verhaltens im Unklaren gelassen wurde und er bei rechtzeitiger Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens voraussichtlich keine weiteren Dienstpflichtverletzungen begangen hätte.

Gesetze: GG Art. 103 Abs. 1; BDG § 17 Abs. 1; BDG § 19 Abs. 1; BDG § 20 Abs. 1; BDG § 34 Abs. 1; BDG § 52 Abs. 1; BDG § 58 Abs. 1; BDG § 60 Abs. 2 Satz 1; BDG § 60 Abs. 2 Satz 2; VwGO § 86 Abs. 1; VwGO § 108 Abs. 1; VwGO § 108 Abs. 2

Instanzenzug: VG Oldenburg, VG 14 A 1238/04 vom OVG Lüneburg, OVG 6 LD 2/06 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

Die Beschwerde des Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO, § 69 BDG an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Das Berufungsurteil beruht auf einem Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, weil das Oberverwaltungsgericht die Disziplinarmaßnahme nicht aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens bestimmt hat.

1. Ohne Erfolg macht der Beklagte geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 69 BDG zuzulassen. Nachdem der Kläger die Disziplinarklage zunächst im Namen der ... des Bundes erhoben hatte, reichte er nach gerichtlichem Hinweis im eigenen Namen die neue Klageschrift vom ein, die mit der alten Klageschrift inhaltlich übereinstimmt. Daran anknüpfend hält der Beklagte die Frage für rechtsgrundsätzlich bedeutsam, ob die Erhebung der Disziplinarklage durch eine sachlich unzuständige Stelle als wesentlicher Mangel des Klageverfahrens geheilt wird, wenn auch die neue, von der zuständigen Stelle erhobene Disziplinarklage schutzwürdige Interessen des Beamten beeinträchtigt, weil sie zu Unrecht auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gerichtet ist.

Hierzu hat der Senat in dem BVerwG 2 B 113.07 - juris, der ebenfalls eine zunächst im Namen der ... des Bundes erhobene Disziplinarklage des Klägers betrifft, unter Rn. 7 ausgeführt:

"Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen des § 34 Abs. 2 Satz 1 und 2 BDG, d.h. die Erhebung der Disziplinarklage durch eine hierfür nicht zuständige Stelle in jedem Fall als heilbarer Mangel im Sinne von § 55 Abs. 1 BDG angesehen werden kann. Ein Mangel im Sinne von § 55 Abs. 1 BDG mit der Folge der Heilungsmöglichkeit gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Klageschrift wie hier vom zuständigen Dienstvorgesetzten zwar unterzeichnet, aber nicht im eigenen Namen, sondern im Namen der von ihm geleiteten Dienstbehörde eingereicht worden ist. Denn bei dieser Fallgestaltung liegt die Verantwortung für die Entscheidung, Disziplinarklage zu erheben, und für den Inhalt der Klageschrift von Anfang an bei dem Dienstvorgesetzten. Sein Auftreten als gesetzlicher Vertreter der Dienstbehörde anstelle des Auftretens als Dienstvorgesetzter stellt allenfalls einen formalen Mangel dar. Der Beseitigung eines solchen Mangels durch Einreichen einer neuen Klageschrift in der Eigenschaft als Dienstvorgesetzter können schutzwürdige Interessen des Beklagten jedenfalls dann nicht entgegenstehen, wenn die neue Klageschrift wie hier mit der alten inhaltlich vollständig übereinstimmt. Unter dieser Voraussetzung spricht auch das Gebot der Beschleunigung gemäß § 4 BDG für die Zulässigkeit des Vorgehens gemäß § 55 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 BDG."

Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt der Beklagte nicht auf. Das Festhalten des Klägers an dem Klageantrag, den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, beeinträchtigt schutzwürdige Interessen des Beklagten nicht. Denn aus der Antragstellung können dem Beamten keine rechtlichen Nachteile erwachsen, weil der Klageantrag die Gerichte nicht bindet. Diese bestimmen die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer eigenen Bemessungsentscheidung gemäß § 13 Abs. 1 und 2 BDG, ohne an die tatsächlichen Feststellungen und die rechtliche Würdigung in der Klageschrift gebunden zu sein. Dementsprechend muss die Klageschrift keinen Antrag enthalten ( BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <255 f.> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1).

2. Der Beklagte hat nicht dargelegt, dass das Oberverwaltungsgericht gegen die Pflicht gemäß §§ 55, 65 Abs. 1 Satz 1 BDG verstoßen hat, auf die Beseitigung wesentlicher Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens oder der Klageschrift hinzuwirken (vgl. BVerwG 2 B 122.07 - Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 2). Zu den Rügen des Beklagten ist zu bemerken:

a) Der Kläger hat das behördliche Disziplinarverfahren formgerecht eingeleitet. Zuständig für die Einleitung ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG der Dienstvorgesetzte des Beamten. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 BDG ist die Einleitung aktenkundig zu machen. Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 BDG ist der Beamte über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unverzüglich zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung der Aufklärung des Sachverhalts möglich ist.

Danach ist der Erlass einer schriftlichen Einleitungsverfügung und deren Zustellung an den Beamten in bewusster Abkehr von der Vorgängerregelung des § 33 Satz 2 und 3 BDO nicht mehr vorgesehen. An deren Stelle tritt die Unterrichtung des Beamten über die Einleitung, die den inhaltlichen Mindestanforderungen gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 und 3 BDG genügen muss. Da auch keine gesetzlichen Formerfordernisse für den Aktenvermerk bestehen, ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass der zuständige Dienstvorgesetzte in der Disziplinarakte vermerkt, wann er die Entscheidung für die Einleitung getroffen hat. Aus dem Vermerk müssen sich die inhaltlich unmissverständliche Entscheidung und die Verantwortlichkeit des Dienstvorgesetzten hierfür ergeben. Dieser muss sich den Einleitungsvermerk jedenfalls zu eigen gemacht haben.

Dies ist hier der Fall: Der Vermerk vom über die Einleitung des Disziplinarverfahrens gegen den Beklagten ist dem Kläger zuzuordnen, weil dessen Paraphe auf der entsprechenden Aktenseite den Vermerk umfasst. Es ist unschädlich, dass der Kläger die Paraphe nicht unmittelbar unter den Vermerk, sondern unter einen handschriftlichen Zusatz über die weitere Veranlassung gesetzt hat.

b) Zwar ist fraglich, ob die Unterrichtung des Beklagten über die Einleitung am noch unverzüglich im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 BDG war. Jedoch würde eine Verzögerung keinen wesentlichen Mangel im Sinne von § 55 Abs. 1 BDG darstellen. Denn es lässt sich ausschließen, dass dem Beklagten durch die Unterrichtung erst am ein Nachteil erwachsen ist.

c) Der Beklagte hat nicht dargelegt, dass der Kläger unter Verstoß gegen § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG unzulässige Vorermittlungen durchgeführt hat. Nach dieser Vorschrift hat der Dienstvorgesetzte die Dienstpflicht, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn der Dienstvorgesetzte Kenntnis von Tatsachen erhält, aufgrund derer die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein bestimmter Beamter schuldhaft seine Dienstpflichten in disziplinarrechtlich relevanter Weise verletzt hat (Weiß, in: GKÖD, Bd. II, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Teil 4 BDG, M § 17 Rn. 37). Ergibt sich danach der Verdacht weiterer Dienstpflichtverletzungen aufgrund eines anderen Sachverhalts, so ist der Dienstvorgesetzte verpflichtet, entweder ein weiteres Disziplinarverfahren einzuleiten oder das laufende Verfahren gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 BDG auf die neuen Vorwürfe auszudehnen (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens BVerwG 1 D 12.05 - BVerwGE 128, 125 <130 ff.> = Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 26).

Die Einleitungspflicht gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG und die Unterrichtungspflicht gemäß § 20 Abs. 1 BDG dienen auch dem Schutz des Beamten. Sie sollen sicherstellen, dass disziplinarische Ermittlungen so früh als möglich im Rahmen des gesetzlich geordneten Disziplinarverfahrens mit seinen rechtsstaatlichen Sicherungen zugunsten des Beamten, insbesondere dem Recht auf Beweisteilhabe gemäß § 24 Abs. 4 BDG, geführt werden. Sobald sich Vermutungen zu dem Verdacht konkretisiert haben, ein bestimmter Beamter habe ein bestimmtes Dienstvergehen begangen, verbietet § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG, von der Verfahrenseinleitung abzusehen und den Sachverhalt außerhalb eines behördlichen Disziplinarverfahrens ohne Kenntnis des Beamten zu ermitteln (Weiß, a.a.O., M § 17 Rn. 32).

Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hat der Kläger vor der Verfahrenseinleitung keine Vorermittlungen veranlasst. Dies hat der Beklagte nicht substanziiert in Frage gestellt. Das von ihm angeführte Schreiben des Klägers an das Bundesversicherungsamt vom diente nicht der Aufklärung der disziplinarischen Vorwürfe, sondern der Prüfung und Klärung der Rechtslage in drei Abgabenvorgängen (S. 41 des Berufungsurteils). Dem Beklagten werden nicht seine abweichenden Rechtsauffassungen, sondern die Missachtung von Dienstpflichten zur Last gelegt, die er auch im Falle der Richtigkeit seiner Rechtsauffassungen zu beachten hatte. Für Ermittlungen außerhalb des behördlichen Disziplinarverfahrens bestand auch kein Anlass, weil die von der Klageschrift erfassten Vorwürfe ausschließlich auf schriftlichen Äußerungen des Beklagten in dienstlichen Angelegenheiten beruhen. Der Beklagte hat die Urheberschaft nicht in Abrede gestellt. Vielmehr hat er sich stets gegen die disziplinarrechtliche Würdigung des Inhalts der Äußerungen gewandt.

d) Die lange Untätigkeit des Klägers trotz seiner Kenntnis vom später beanstandeten Verhalten des Beklagten stellt aus Rechtsgründen keinen wesentlichen Mangel im Sinne von § 55 Abs. 1 BDG dar. Der Beklagte macht insoweit geltend, der Kläger habe ihn nach seinem Dienstantritt als Geschäftsführer ein Jahr lang über die Bewertung seines Verhaltens als disziplinarrechtlich bedeutsam im Unklaren gelassen und Vorwürfe für die Erhebung einer Disziplinarklage gemäß § 34 Abs. 1 BDG gesammelt.

Der Begriff des Mangels im Sinne von § 55 Abs. 1 BDG erfasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die im behördlichen Disziplinarverfahren von Bedeutung sind ( BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <254> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1). Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußeren Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung, betreffen.

Zwar folgt aus der Einleitungspflicht des Dienstvorgesetzten gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG, dass dieser tätig werden muss, sobald er erstmals Kenntnis von dem Verdacht einer disziplinarisch relevanten Verfehlung erhält. Verstöße gegen diese Pflicht haften dem Disziplinarverfahren aber nicht als Mangel an, weil sie ihm zeitlich vorgelagert sind. Sie führen nur dann zur Unzulässigkeit des Disziplinarverfahrens gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 4 BDG, wenn die Voraussetzungen eines Maßnahmeverbots wegen Zeitablaufs gemäß § 15 BDG gegeben sind.

Verzögert der Dienstvorgesetzte die Einleitung des Disziplinarverfahrens entgegen seiner Dienstpflicht gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG, so ist dies bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme gemäß § 13 Abs. 1 und 2 BDG zu berücksichtigen. Ein solches Verhalten kann dem Beamten als mildernder Umstand zugute kommen, wenn es für sein weiteres Fehlverhalten ursächlich war (vgl. unter 4.).

e) Der Beklagte macht zu Recht geltend, der Ermittlungsführer hätte in den Ladungen zu den Zeugenvernehmungen den Namen der Zeugen und die Beweisthemen angeben müssen. Gemäß § 24 Abs. 4 Satz 1 BDG ist dem Beamten Gelegenheit zu geben, an der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen sowie an der Einnahme des Augenscheins teilzunehmen und hierbei sachdienliche Fragen zu stellen (Recht auf Beweisteilhabe). Der Beamte kann das ihm ausdrücklich eingeräumte Fragerecht aber nur dann sachdienlich wahrnehmen, wenn er sich auf die Vernehmung vorbereiten kann. Dies setzt voraus, dass er rechtzeitig erfährt, worum es in der Beweisaufnahme voraussichtlich geht. Hierfür müssen ihm rechtzeitig vor einer Zeugenvernehmung die Namen der Zeugen und die Beweisthemen genannt werden. Dies fordert auch der Anspruch des Beamten auf ein faires Disziplinarverfahren ( BVerwG 2 A 4.04 - Buchholz 235.1 § 24 BDG Nr. 1).

Der Ermittlungsführer hat den Verstoß gegen das Recht auf Beweisteilhabe jedoch im behördlichen Disziplinarverfahren geheilt. Denn er hat dem Beklagten nachträglich durch Schreiben vom angeboten, ihm die Vernehmungsniederschriften zu übersenden. Dadurch erhielt der Beklagte die Gelegenheit, Stellung zu nehmen und ergänzende Beweisanträge zu stellen. Der Ermittlungsführer hätte womöglich Zeugen erneut vernehmen müssen (vgl. Urteil vom a.a.O.). Der Beklagte hat diese Möglichkeiten jedoch nicht wahrgenommen.

f) Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass der Kläger als Dienstvorgesetzter verpflichtet war, den Ermittlungsführer wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 21 VwVfG, § 3 BDG von seiner Tätigkeit zu entbinden.

Der Verstoß des Ermittlungsführers gegen § 24 Abs. 4 Satz 1 BDG konnte diese Besorgnis nicht begründen. Denn die Rechtsauffassung, die Mitteilung der Namen der Zeugen und der Beweisthemen sei nicht geboten, war damals noch rechtlich vertretbar. So hat das Oberverwaltungsgericht dieses Vorgehen als rechtmäßig angesehen (Seite 40 des Berufungsurteils).

Im Übrigen genügt die Beschwerdebegründung insoweit nicht den Darlegungsanforderungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, § 69 BDG. Denn der Beklagte geht nicht auf die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts ein, das die vom Beklagten vorgebrachten Gründe für die Besorgnis der Befangenheit des Ermittlungsführers im Einzelnen erörtert hat (Seiten 35 bis 40 des Berufungsurteils).

g) Der Klageschrift vom haftet kein wesentlicher Mangel im Sinne von § 55 Abs. 1 BDG an; sie genügt den Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG. Danach muss sie die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, müssen aus sich heraus verständlich geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass sich der Beamte gegen die disziplinarischen Vorwürfe sachgerecht verteidigen kann. Auch tragen die gesetzlichen Anforderungen an die Klageschrift dem Umstand Rechnung, dass sie Umfang und Grenzen der gerichtlichen Disziplinarbefugnis festlegt. Denn gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 BDG dürfen nur Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem Beamten in der Klage als Dienstvergehen zur Last gelegt werden ( BVerwG 2 A 3.05 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 4). Nach alledem muss aus der Klageschrift unmissverständlich hervorgehen, welche Sachverhalte angeschuldigt werden. Dagegen fordert § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG nicht, dass sie die erfassten Sachverhalte disziplinarrechtlich zutreffend würdigt.

Den Anforderungen an die Sachverhaltsdarstellung entspricht die Klageschrift vom auch hinsichtlich des sog. dritten Tatkomplexes ("Ungebühr"). Sie lässt auch insoweit keinen Zweifel, welche Sachverhalte dem Verwaltungsgericht unterbreitet werden. Die vom Beklagten beanstandete Darstellung und Würdigung von Äußerungen an verschiedenen Stellen der Klageschrift macht die Ausführungen nicht irreführend. Bei verständiger Lektüre geht aus der Klageschrift eindeutig hervor, welche konkreten Äußerungen dem Kläger aus welchem Grund als Dienstpflichtverletzung zur Last gelegt werden.

3. Ohne Erfolg rügt der Beklagte, das Oberverwaltungsgericht habe gegen die Begründungspflicht gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verstoßen, weil es hinsichtlich des dritten Tatkomplexes ("Ungebühr") gemäß § 130b Satz 2 VwGO auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen habe.

Gemäß § 3 BDG kann das Berufungsgericht seine Begründungspflicht gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO durch Bezugnahme auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung gemäß § 130b Satz 2 VwGO erfüllen. Macht das Berufungsgericht von dieser Möglichkeit Gebrauch, so muss es die in Bezug genommenen Gründe genau bezeichnen. Unter dieser Voraussetzung werden sie Bestandteil der Gründe des Berufungsurteils ( BVerwG 2 C 9.07 - juris Rn. 17 = NVwZ-RR 2008, 711 <712>; BVerwG 2 B 5.05 - Buchholz 235.1 § 66 BDG Nr. 1). Die in Bezug genommene rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts geht von der Rechtsprechung des Senats zu der beamtenrechtlichen Pflicht aus, den Betriebsfrieden zu wahren und sich im Dienst kollegial zu verhalten (vgl. BVerwG 2 A 4.04 - juris Rn. 37, 72). Die hiergegen gerichtete Aufklärungsrüge des Beklagten ist offensichtlich unsubstanziiert. Der Beklagte benennt keine konkreten Umstände, denen das Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang hätte nachgehen sollen.

4. Der Beklagte rügt zu Recht, dass das Oberverwaltungsgericht gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen hat, weil es bei der disziplinarrechtlichen Würdigung des Dienstvergehens den festgestellten Sachverhalt nicht vollständig zugrunde gelegt hat.

Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Daraus folgt auch die Verpflichtung, der Überzeugungsbildung den im Verfahren festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen. Das Gericht darf nicht in der Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen oder Beweisergebnisse nicht in die rechtliche Würdigung einbezieht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts, auch wenn die darauf basierende rechtliche Würdigung als solche nicht zu beanstanden ist ( BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 <339> = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 145 und vom - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <208 f.> = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 174; BVerwG 2 B 35.06 - juris Rn. 4; stRspr).

Das Oberverwaltungsgericht hat nicht in Erwägung gezogen, dass der Kläger nach dem festgestellten Sachverhalt das Disziplinarverfahren nicht bereits bei erstmaligem Verdacht disziplinarischer Verfehlungen des Beklagten einleitete, sondern ein Jahr lang untätig blieb. Dieses Vorgehen hätte nach den Umständen des vorliegenden Falles als mildernder Umstand von einigem Gewicht in die rechtliche Gesamtwürdigung des festgestellten Dienstvergehens einfließen müssen.

Die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme setzt voraus, dass das Verwaltungsgericht die sich aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ergebenden Bemessungskriterien mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht ermittelt und in die Entscheidung einstellt. Dieses Erfordernis beruht auf dem im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot). Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller erschwerenden und mildernden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom - 2 BvR 52/02 - NJW 2005, 1344 <1346> und vom - 2 BvR 1050/07 - ZBR 2008, 173; BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <258 f.> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1). Dieser Gesamtwürdigung kommt vor allem Bedeutung zu, wenn wie hier die Schwere des Dienstvergehens im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG keine Regeleinstufung für die erforderliche Disziplinarmaßnahme vorgibt, weil das Dienstvergehen aus mehreren verschiedenartigen Tatkomplexen besteht (vgl. BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 20). Erschwerende Umstände dürfen in die Gesamtwürdigung nur eingestellt werden, wenn sie zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber sind mildernde Umstände nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" schon dann beachtlich, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (Urteil vom a.a.O. Rn. 17).

Danach kann für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sein, dass der Dienstvorgesetzte trotz des ihm bekannten Verdachts eines Dienstvergehens entgegen § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG längere Zeit untätig bleibt, obwohl der Beamte weitere Pflichtenverstöße begeht. Davon geht auch das Oberverwaltungsgericht im Grundsatz aus (Seite 41 des Berufungsurteils). Ein solches Untätigbleiben verkennt die Zielsetzung des behördlichen Disziplinarverfahrens. Dieses dient für sich genommen der Wahrung des Übermaßverbots gegenüber dem Beamten sowie der Sicherung der Funktionsfähigkeit und der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes. Seine Einleitung soll weiteren Pflichtenverstößen vorbeugen, wenn aufgrund des ersten Pflichtenverstoßes des Beamten nur eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme in Betracht kommt. Der Beamte soll so früh als möglich an seine Dienstpflichten erinnert und zu deren Erfüllung angehalten werden (vgl. Urteil vom a.a.O. Rn. 16). Der Dienstvorgesetzte darf nicht zuwarten, bis die Pflichtenverstöße ein gravierendes Ausmaß angenommen haben, das die Erhebung einer Disziplinarklage gemäß § 34 Abs. 1 BDG rechtfertigen kann.

Danach kann sich eine erhebliche Verzögerung der Verfahrenseinleitung vor allem dann mildernd auf die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme auswirken, wenn der Beamte das beanstandete dienstliche Verhalten bei rechtzeitiger Pflichtenmahnung durch den Dienstvorgesetzten, etwa durch die Verfahrenseinleitung mit dem Ziel des Erlasses einer Disziplinarverfügung, voraussichtlich geändert oder unterlassen hätte. Insbesondere darf ihn der Dienstvorgesetzte nicht längere Zeit darüber im Unklaren lassen, dass er eine bestimmte Verhaltensweise als disziplinarrechtlich relevant ansieht. So liegt der Fall hier:

Aus den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ergibt sich, dass im Rahmen der Vorermittlungen dem Beklagten ausschließlich der Inhalt dienstlicher Äußerungen zur Last gelegt wurde. Daher war das Verdachtsstadium jeweils erreicht, sobald der Kläger Kenntnis von dem einzelnen Vorgang erhielt. Hinsichtlich der Tatkomplexe "Nichteinhaltung des Dienstwegs" und "Ungebühr" hätte der Kläger den Beklagten unverzüglich ermahnen oder ihm eine Missbilligung aussprechen sollen. Spätestens nach Kenntnis vom ersten Verstoß des Beklagten gegen die Befolgungspflicht gemäß § 55 Satz 2 BBG war der Kläger gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG verpflichtet, das behördliche Disziplinarverfahren einzuleiten.

Das Oberverwaltungsgericht hat weiter festgestellt, dass der Beklagte sämtliche Dienstpflichtverletzungen der Tatkomplexe "Nichteinhalten des Dienstwegs" und "Ungebühr" sowie fünf der sieben angeschuldigten Dienstpflichtverletzungen des Tatkomplexes "Ungehorsam" vor der Einleitung des Disziplinarverfahrens beging. Den beiden danach liegenden Vorfällen kommt vergleichsweise untergeordnete Bedeutung zu. So ist bereits fraglich, ob der Beklagte den Auftrag vom nicht bereits durch die Übersendung eines Fachaufsatzes erfüllte, in dem die Rechtsfragen nach seiner Auffassung erschöpfend abgehandelt waren. Daher liegt die Annahme nahe, dass der Beklagte keine weiteren Pflichtenverstöße begangen hätte, wenn ihm die disziplinarischen Konsequenzen frühzeitig vor Augen geführt worden wären.

Das Oberverwaltungsgericht hat diese besonderen Umstände bei seinen Bemessungserwägungen nicht in den Blick genommen. Es hat die erhebliche Verzögerung der Verfahrenseinleitung nur bei der Würdigung des Tatkomplexes "Ungebühr" als mildernden Umstand angeführt. Auch insoweit lassen die Urteilsgründe jedoch nicht erkennen, auf welche Weise diese Bewertung die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme beeinflusst hat (Seite 53 des Berufungsurteils). Dass das Oberverwaltungsgericht dem Verstoß gegen § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG nicht die hier gebotene Bedeutung beigemessen hat, wird auch durch die Ablehnung des Beweisantrags des Beklagten auf Vernehmung des Zeugen ... S. belegt. Durch diesen Antrag hat der Beklagte unter Beweis gestellt, dass der Kläger bewusst untätig blieb, um ihm zu schaden. Das Oberverwaltungsgericht hätte diesen Antrag nicht mit der Begründung ablehnen dürfen, dem Beweisthema komme unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Bedeutung zu.

Die weiteren Verfahrensrügen des Beklagten greifen nicht durch; von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO, § 69 BDG).

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Entgegen seiner Rechtsauffassung hat der Beklagte auch dann gegen die Befolgungspflicht gemäß § 55 Satz 2 BBG verstoßen, wenn die den dienstlichen Anordnungen zugrunde liegende rechtliche Beurteilung rechtsfehlerhaft gewesen sein sollte. Denn Beamte müssen auch rechtswidrige Anordnungen befolgen ( u.a. - NVwZ 1995, 680 f.; BVerwG 1 D 34.98 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 24 S. 29 f.).

Als weiterer mildernder Umstand kommt in Betracht, dass der Beklagte ungefähr 15 Monate zu Unrecht vorläufig des Dienstes enthoben war. Der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat in der Beschwerdeentscheidung vom zutreffend ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 BDG nicht vorgelegen haben.

Fundstelle(n):
DAAAD-02265