Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 349 Abs. 4; StPO § 349 Abs. 2; StPO § 154 Abs. 2; StPO § 349
Instanzenzug: LG Chemnitz, vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Brandstiftung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Angeklagte wendet sich mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts vor allem gegen den Strafausspruch; sein Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte zündete in drei Fällen Kraftfahrzeuge an. Am hielt er aus Langeweile sein Feuerzeug an einen auf der Straße abgestellten Lastkraftwagen. Als Teile des Fahrzeugs selbständig brannten, alarmierte er die Feuerwehr und half beim Löschen. Am zündete er, einer spontanen Idee folgend, ein Personenkraftfahrzeug auf dem Gelände eines Autohändlers an. Während dieses Auto ausbrannte, half er bei der Bergung eines daneben stehenden Fahrzeugs. Abermals aus Langeweile entzündete der Angeklagte am Kunststoffteile an einem auf der Straße parkenden Personenkraftfahrzeug, die schließlich brannten. Der hinzukommende Eigentümer konnte eine weitere Ausbreitung des Feuers verhindern. Ferner setzte der Angeklagte am einen an ein Gartenhaus angebauten Schuppen in Brand, da er sich über die Eigentümer geärgert hatte und ihnen Schaden zufügen wollte. Wie von ihm gewollt, brannten Schuppen und Gartenhaus nieder. Zuvor hatte sich der Angeklagte versichert, dass sich dort keine Menschen aufhielten.
2. Der Rechtsfolgenausspruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Revision hat mit einer letztlich zulässig erhobenen Verfahrensrüge Erfolg, mit der sie eine Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht geltend macht.
Sie beanstandet zu Recht, dass das Landgericht bei der Bemessung der Einzelstrafen ohne vorherigen Hinweis strafschärfend Sachverhalte berücksichtigt hat, hinsichtlich derer in der Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 StPO verfahren wurde (vgl. BGHSt 31, 302, 303; BGHR StPO § 154 Abs. 2 Hinweispflicht 1, 2 und 3; BGH StV 2000, 656). Durch die Verfahrenseinstellung wird regelmäßig ein Vertrauen des Angeklagten darauf begründet, dass ihm der ausgeschiedene Prozessstoff nicht mehr angelastet werde. Deswegen gebieten es die faire Verfahrensgestaltung, aber auch der Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs, vor einer dennoch beabsichtigten nachteiligen Verwertung einen Hinweis zu erteilen, um den Vertrauenstatbestand wieder zu beseitigen (BGHSt 30, 197; BGHR § 154 Abs. 2 Hinweispflicht 4; BGH StV 2004, 162). Ein solcher Hinweis ist aber nicht erfolgt.
Er war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Im Hinblick auf den von der Staatsanwaltschaft am ersten Hauptverhandlungstag gestellten Antrag nach § 154 Abs. 2 StPO beschränkte das Landgericht bereits vor dem stattgebenden Beschluss zumindest teilweise die Beweisaufnahme auf die nicht von dem Antrag betroffenen Taten. Vor diesem Hintergrund durfte der Angeklagte nach Erlass des Einstellungsbeschlusses darauf vertrauen, dass die eingestellten Taten nicht verwertet werden würden. Zwar hat der Angeklagte die Taten - wie das Urteil ausweist - gestanden. Deshalb konnte das Verteidigungsverhalten des Angeklagten zu den Tatvorwürfen durch die Beschränkung nicht beeinflusst werden. Doch war der Hinweis erforderlich, um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, durch Anträge auch zum Schuldgehalt der von der Einstellung betroffenen Taten auf die Strafhöhe Einfluss zu nehmen (vgl. BGH StV 2000, 656).
Auf dem Verfahrensverstoß beruht der Strafausspruch auch. Anders als der Generalbundesanwalt sieht der Senat in der Begründung der Strafzumessung keinen nur überflüssigen, aber letztlich unschädlichen Verweis auf die eingestellten Taten (vgl. hierzu ). Das Landgericht stellt vielmehr ausdrücklich die strafschärfende Wirkung von fünf der eingestellten Taten fest, die es auch hinsichtlich des verursachten Sachschadens gewichtet. Hieran anknüpfend wertet es sodann nachteilig, dass der Angeklagte in einem Zeitraum von über einem Jahr Unruhe und Angst verbreitet hat (UA S. 7). Dies stützt sich nicht nur auf die abgeurteilten Taten, wie schon deren nur acht Monate umfassender Zeitraum belegt, sondern bezieht auch die eingestellten Taten mit ein.
Da der Strafausspruch schon insoweit keinen Bestand haben kann, bedarf es eines Eingehens auf die weiteren, gegen den Strafausspruch gerichteten Verfahrensrügen nicht.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Begründung der vom Landgericht angenommenen uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten revisionsrechtlicher Prüfung nicht standgehalten hätte. Da eine Aufhebung der Schuldfähigkeit sich nach den Feststellungen jedoch sicher ausschließen lässt, berührt dieser Mangel den Schuldspruch nicht.
Das Landgericht geht im Anschluss an den vom Gericht hinzugezogenen Sachverständigen vom Vorliegen einer dissozialen Persönlichkeitsstörung bei dem nicht vorbestraften Angeklagten aus, die nur in Verbindung mit "massiven konstellativen Faktoren wie starker Trunkenheit" das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit begründen könne. Diese Wertung und die Einordnung der starken Trunkenheit als schwere andere seelische Abartigkeit sind bereits für sich genommen zweifelhaft. Darauf kommt es aber nicht an, da die Anknüpfungspunkte für die Wertung lückenhaft sind. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Entwicklung findet nicht statt (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 4, 9, 16, 24, 29). Angesichts der aus der Darstellung der persönlichen Verhältnisse ersichtlichen Besonderheiten - der nicht minderbegabte Angeklagte besuchte eine Förderschule und steht seit Jahren unter Betreuung, die während des Tatzeitraums erweitert worden ist - hätte es einer eingehenderen Erörterung bedurft, ob die Schuldfähigkeit aufgrund einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erheblich vermindert war. Hierbei wären auch das Tatbild, die darin zum Ausdruck kommende Affinität des Angeklagten zu Feuer sowie das unmittelbare Nachtatverhalten des Angeklagten besonders in den Blick zu nehmen gewesen. Soweit das Landgericht hierzu im Anschluss an den Sachverständigen lediglich ausführt, dass "Gefühle der Wut oder des Hasses ... keine Kriterien der Pyromanie" seien, gehen diese Ausführungen hinsichtlich der drei Brandstiftungen an den Kraftfahrzeugen ins Leere. Denn solche Motive oder auch andere offensichtliche und erkennbare Motive im Sinne der Nr. 1 der diagnostischen Leitlinien des ICD-10 zu F 63.1 sind hierzu jedenfalls nicht festgestellt (vgl. hierzu ).
Zudem lässt sich den Urteilsgründen nicht nachvollziehbar entnehmen, wieso das Landgericht dem im Ermittlungsverfahren beauftragten, hinsichtlich der Diagnose abweichenden psychiatrischen Gutachten nicht zu folgen vermochte. Es hat ausführlich unter Aufzählung der Anknüpfungstatsachen dargestellt, dass dieses frühere Gutachten von einer "testpsychologisch nachweisbaren kombinierten Persönlichkeitsstörung" ausgegangen sei, die zu einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit bei den Taten geführt habe. Das Landgericht erkennt zwar zutreffend, dass dies eine Wertung der abweichenden Anknüpfungspunkte und Darlegungen der Sachverständigen erfordert hätte, wird diesen Anforderungen aber nicht gerecht. Vielmehr beruft es sich auf die Zuverlässigkeit und Erfahrung des vom Gericht hinzugezogenen Gutachters und negiert im Anschluss an ihn lediglich die Diagnose des früheren Gutachtens ohne Darstellung oder Auseinandersetzung mit den hierfür ausschlaggebenden Kriterien.
Sollte das neue Tatgericht - was ungeachtet des bisherigen Ergebnisses nicht fern liegt - zur gesicherten Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit gelangen, wird es auch § 63 StGB in den Blick zu nehmen haben.
Fundstelle(n):
QAAAD-02252
1Nachschlagewerk: nein