Kein Abzug von Beiträgen zu einer privaten Unfallversicherung, Lebensversicherung, Rentenversicherung und Krankenversicherung zur Minderung der Einkünfte, wenn gesetzliche Mindestversorgung für das Kind besteht; Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung sind bei der Einkünfteermittlung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen
Leitsatz
Bei der Ermittlung der Einkünfte eines gesetzlich sozialversicherten Kindes im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sind Beiträge zur privaten Renten-, Kranken-, Lebens- und Unfallversicherung nicht zu berücksichtigen. Aufwendungen des Kindes für eine steuerlich anzuerkennende doppelte Haushaltsführung sind bei dieser Einkünfteermittlung hingegen zu berücksichtigen.
Gesetze: EStG § 9 Abs. 1 Nr. 5, EStG § 32 Abs. 4, EStG § 62
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Tochter des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) leistete im Streitjahr 2003 ihren juristischen Vorbereitungsdienst. Sie bezog von Januar bis Dezember 2003 einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 12 624 € sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 757,24 €. Die Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung betrugen 1 363,44 €. Zusätzlich leistete die Tochter Beiträge zu einer privaten Krankenversicherung (327,63 €), einer Unfallversicherung (204,13 €), einer Lebensversicherung (55,80 €) und einer Rentenversicherung (613,56 €). Das Finanzamt (FA) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid 2003 folgende Aufwendungen als Werbungskosten:
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Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte | 965 € |
Arbeitsmittel | 543 € |
Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung | 3 640 € |
sonstige Werbungskosten | 2 556 € |
Im März 2004 beantragte der Kläger für die Tochter rückwirkend für den Zeitraum Januar bis Dezember 2003 Kindergeld.
Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte die Festsetzung von Kindergeld ab, weil die Einkünfte und Bezüge der Tochter im Jahr 2003 den Jahresgrenzbetrag von 7 188 € überschritten hätten. Der Einspruch des Klägers war erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage durch Urteil vom 14 K 3294/04 Kg (Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 904) ab. Es ermittelte die Einkünfte und Bezüge der Tochter wie folgt:
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Einkünfte Bruttoverdienst | 12 624,00 € | |
./. Fahrtkosten | 965,00 € | |
./. Arbeitsmittel | 543,00 € | |
./. sonstige Werbungskosten | 2 556,00 € | |
./. Mehraufwendungen für Verpflegung | 342,00 € | |
./. Sozialversicherung | 1 363,44 € | |
./. Krankenversicherung für Zahnersatz | 85,92 € | 6 768,32 € |
Bezüge | ||
Sparerfreibetrag | 709,24 € | |
./. Kostenpauschale | 180,00 € | __529,24 € |
Summe der Einkünfte und Bezüge | 7 297,88 € |
Das FG führte im Wesentlichen aus, selbst wenn man zugunsten des Klägers die erst im Klageverfahren geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 342 € als ausbildungsbedingten Mehrbedarf berücksichtige und die Krankenversicherungsbeiträge, soweit sie Leistungen für Zahnersatz beträfen (85,92 €), absetzte, überschritten die Einkünfte und Bezüge der Tochter den Jahresgrenzbetrag von 7 188 €. Die Kosten für Unterbringung und Verpflegung in Höhe von 3 640 € seien trotz der Berücksichtigung als Aufwendungen einer doppelten Haushaltsführung im Einkommensteuerbescheid 2003 nicht als Aufwendungen für besondere Ausbildungszwecke abziehbar, da nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) solche Kosten bereits durch den Jahresgrenzbetrag abgegolten seien (, BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566, und vom VIII R 74/01, BFHE 199, 283, BStBl II 2002, 695; , BFH/NV 2004, 1260).
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts sowie mangelnde Sachaufklärung durch das FG. Er ist der Auffassung, es seien sowohl die Aufwendungen der Tochter für die privaten Versicherungen als auch die im Einkommensteuerbescheid 2003 berücksichtigten Kosten der Tochter für die doppelte Haushaltsführung abzuziehen. Im Übrigen habe das FG den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt. Da es die doppelte Haushaltsführung nicht anerkannt habe, hätte es prüfen müssen, ob die im Rahmen der doppelten Haushaltsführung geltend gemachten Familienheimfahrten als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu berücksichtigen seien. Außerdem seien Semesterbeiträge der Tochter in Höhe von 220,72 € für ein Promotionsstudium abziehbar. Diese Aufwendungen seien im FG-Verfahren nicht vorgetragen worden, weil angesichts der Vielzahl der geltend gemachten Ausgaben davon auszugehen gewesen sei, dass die Einkünfte und Bezüge der Tochter den Grenzbetrag deutlich unterschritten. Da das FG die Ausgaben jedoch zum größten Teil nicht anerkannt habe, hätte es einen Hinweis geben müssen, weitere Aufwendungen nachzuweisen.
Der Kläger beantragt, das finanzgerichtliche Urteil, den ablehnenden Bescheid sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, ihm Kindergeld für seine Tochter für das Jahr 2003 zu gewähren.
Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Nach § 32 Abs. 4 Satz 2, § 62 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung für das Streitjahr 2003 (EStG) wird ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, für die Festsetzung von Kindergeld nur dann berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind, von nicht mehr als 7 188 € hat.
a) Der Begriff der Einkünfte entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen.
b) Bezüge i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sind in der Regel alle Zuflüsse in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden. Dazu gehört nach § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG auch der Sparerfreibetrag (§ 20 Abs. 4 EStG). Von den Bezügen wird eine Kostenpauschale von 180 € abgezogen.
c) Nach der Rechtsprechung des , BFHE 193, 444, BStBl II 2001, 491, und VI R 52/98, BFHE 193, 453, BStBl II 2001, 489) sind die nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ermittelten Einkünfte und Bezüge des Kindes gemäß § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG um ausbildungsbedingten Mehraufwand zu kürzen. Es handelt sich dabei um solche nachgewiesenen Aufwendungen, die wegen der Ausbildung zu den Kosten der Lebensführung hinzukommen (z.B. Studiengebühren, Aufwendungen für Bücher usw.). Nicht zu den ausbildungsbedingten Mehraufwendungen gehören in der Regel die —mit dem Jahresgrenzbetrag bereits typischerweise abgegoltenen— Kosten für Unterkunft und Verpflegung (, BFH/NV 2001, 1558; in BFHE 199, 283, BStBl II 2002, 695).
d) Darüber hinaus sind nach der Entscheidung des (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Einkünfte —ebenso wie die Bezüge— nur zu berücksichtigen, soweit sie zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind. Nach Auffassung des BVerfG sind daher jedenfalls diejenigen Beträge, die —wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge— von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht zur Verfügung stehen, nicht als Einkünfte anzusetzen.
e) Beiträge des Kindes zu einer freiwilligen gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sowie unvermeidbare Beiträge für eine private Kranken- und Pflegeversicherung hat der Senat den Sozialversicherungsbeiträgen gleichgestellt und nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einbezogen (, BFHE 216, 69, BStBl II 2007, 527, und vom III R 24/06, BStBl II 2007, 530).
Beiträge zu privaten Krankenversicherungen hat der Senat nur insoweit als unvermeidbar angesehen, als sie eine Mindestvorsorge für den Krankheitsfall ermöglichen, nicht dagegen Beiträge für eine private Zusatzkrankenversicherung (Einzelheiten s. Senatsurteil vom III R 4/07, BFHE 219, 112, BFH/NV 2008, 434). Beiträge zu privaten Rentenversicherungen eines gesetzlich rentenversicherten Kindes hat der Senat ebenfalls nicht als unvermeidbare Aufwendungen beurteilt, da sie im Unterschied zu Krankenversicherungsbeiträgen nicht der aktuellen Existenzsicherung des Kindes, sondern einer über das staatliche Mindestmaß hinausgehenden Versorgung für künftige Zeiten dienen (Einzelheiten s. Senatsurteil in BFHE 219, 112, BFH/NV 2008, 434).
2. In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen hat das FG die Beiträge zu der Unfallversicherung, der Lebensversicherung, der Rentenversicherung und der privaten Krankenversicherung (mit Ausnahme des Zusatztarifs für Zahnersatz) nicht von den Einkünften abgesetzt.
3. Zu Unrecht hat das FG dagegen die von der Tochter bei der Einkommensteuerveranlagung 2003 geltend gemachten und vom FA im Einkommensteuerbescheid 2003 als Werbungskosten berücksichtigten Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung nur unter dem Gesichtspunkt ausbildungsbedingten Mehraufwands beurteilt und deren Abzug unter Hinweis auf die BFH-Entscheidungen in BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566, in BFHE 199, 283, BStBl II 2002, 695 und in BFH/NV 2004, 1260 abgelehnt.
a) Die Tochter stand als Rechtsreferendarin in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis und war deshalb gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG als Kind zu berücksichtigen. Aus diesem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis bezog sie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S. von § 19 Abs. 1 EStG. Bei der Ermittlung der Einkünfte hätte das FG daher vorrangig prüfen müssen, ob die bei der Einkommensteuererklärung geltend gemachten Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten zu berücksichtigen sind und zwar unabhängig davon, ob es sich bei dem Betrag von 3 640 € —wie der Prozessbevollmächtigte im finanzgerichtlichen Verfahren schriftsätzlich vorgetragen hatte— nur um Unterkunftskosten handelte oder —wie er nunmehr vorträgt— auch um Kosten für Familienheimfahrten.
b) Mangels tatsächlicher Feststellungen des FG kann der Senat nicht entscheiden, ob im Streitfall die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG oder ggf. auch einer zeitlich beschränkten doppelten Haushaltsführung im Sinne der Rechtsprechung des BFH vorliegen (vgl. , BFH/NV 2006, 2068). Das finanzgerichtliche Urteil war daher aufzuheben und zur Ermittlung der erforderlichen Feststellungen an das FG zurückzuverweisen.
4. Da der Rechtsstreit zurückverwiesen wird, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den Verfahrensrügen des Klägers.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 1664 Nr. 10
NWB-Eilnachricht Nr. 43/2008 S. 13
JAAAC-89495