Leitsatz
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet es nicht, dass das Rechtsmittelgericht auf seine vom erstinstanzlichen Gericht abweichende Auffassung in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage hinweist, wenn die angefochtene Entscheidung in diesem Punkt vom Rechtsmittelführer mit vertretbaren Ausführungen angegriffen wird.
Gesetze: NWPersVG § 79; ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 3
Instanzenzug: VG Düsseldorf, VG 34 K 1033/05 .PVL vom OVG Münster, OVG 1 A 278/06 .PVL vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 NWPersVG i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg. Die allein erhobene Gehörsrüge nach § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift nicht durch. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht dadurch den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör verletzt, dass es über den in der Beschwerdeinstanz weiterverfolgten Antrag (Antrag zu 2 des erstinstanzlichen Verfahrens) entschieden hat, ohne zuvor auf Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrages hinzuweisen.
1. Art. 103 Abs. 1 GG gibt den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem für die jeweilige gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern, und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei kann es in besonderen Fällen geboten sein, die Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legen will. Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht. Allerdings ist zu beachten, dass das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen daher die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190> und vom - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.>; - BVerfGE 98, 218 <263>).
Danach gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht, dass das Rechtsmittelgericht auf seine vom erstinstanzlichen Gericht abweichende Rechtsauffassung in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage hinweist, wenn die angefochtene Entscheidung in diesem Punkt vom Rechtsmittelführer mit vertretbaren Ausführungen angegriffen wird. In einem solchen Fall muss der Rechtsmittelgegner in Betracht ziehen, dass das Rechtsmittelgericht den Ausführungen des Rechtsmittelführers folgt, so dass es nahe liegen wird, diesen Ausführungen zwecks Verteidigung der erstinstanzlichen Entscheidung entgegenzutreten. Namentlich kann von einer Überraschungsentscheidung keine Rede sein, wenn das Rechtsmittelgericht abweichend vom erstinstanzlichen Gericht zu einer Rechtsfrage Stellung nimmt, die zwischen den Prozessbeteiligten von Anfang an umstritten war und bis zuletzt kontrovers erörtert wurde (vgl. a.a.O. S. 145; BVerwG 6 PB 5.07 - juris Rn. 9, insoweit bei Buchholz 251.3 § 66 BrPersVG Nr. 2 nicht vollständig abgedruckt; - AP Nr. 7 zu § 72a ArbGG 1979 Rechtliches Gehör sowie Urteil vom - 4 AZR 28/06 - juris Rn. 37 ff.; - LM Nr. 126 zu § 823 BGB sowie vom - VIII ZR 349/82 - LM Nr. 16 zu § 139 ZPO). Freilich kann es in bürgerlich-rechtlichen Rechtsstreitigkeiten, die vom Beibringungsgrundsatz geprägt sind, nach Lage der Dinge geboten sein, dass das Berufungsgericht der in erster Instanz siegreichen Partei rechtzeitig einen Hinweis gibt, wenn es der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und deswegen eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält (vgl. - NJW 1992, 678; - NJW 1981, 1378 und vom - XII ZR 16/93 - LM Nr. 19 zu § 286 ZPO; ebenso zur Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungsbetreuers: - MDR 2006, 1250).
2. In der vorliegenden Sache war Gegenstand des Beschwerdeverfahrens das Begehren des Antragstellers nach Feststellung, dass sein Mitbestimmungsrecht in Angelegenheiten, die nach der internen Kompetenzordnung der Hochschule nicht in die Zuständigkeit des beteiligten Rektors, sondern eines anderen Hochschulorgans fallen, nicht aufgrund dieser anderweitigen Zuständigkeit entfällt. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Antrag als unzulässig abgelehnt, und zwar zum einen mangels hinreichender Anknüpfung an den Anlass gebenden Vorgang - hier den in erster Instanz noch streitigen Erlass einer Datenschutzordnung durch den Senat der Hochschule -, zum anderen weil die mit dem Antrag aufgeworfenen abstrakten Rechtsfragen einer verallgemeinerungsfähigen Feststellung nicht zugänglich seien. Diese Behandlung seines Begehrens musste der Antragsteller, der von Anfang an von einem in personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren erfahrenen Rechtsanwalt vertreten wird, in Betracht ziehen, so dass es nahe gelegen hätte, diejenigen enger gefassten Anträge, die er nunmehr in seiner Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde präsentiert hat, vorsorglich - jedenfalls hilfsweise - bereits vor Ergehen des angefochtenen Beschlusses zu stellen.
a) Der Antragsteller selbst hat die Zulässigkeit des hier streitigen Antrages nicht als außer Frage stehende Selbstverständlichkeit behandelt, sondern bereits in der Antragsschrift vom (S. 8) dazu Ausführungen gemacht. Dem ist der Beteiligte in seiner Antragserwiderung vom (S. 1 f.) mit der Begründung entgegengetreten, bei dem Antrag mangele es an jeglicher Bezeichnung einer ihm, dem Beteiligten, zuzuordnenden Maßnahme, so dass der Antrag der Sache nach auf die gerichtliche Erstattung eines Gutachtens gerichtet sei. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag stattgegeben und ist bei der Bejahung seiner Zulässigkeit im Wesentlichen der Argumentation des Antragstellers gefolgt. Dem ist der Beteiligte in seiner Beschwerdebegründung vom (S. 2) entgegengetreten und hat dabei das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag weiterhin verneint. Der Antragsteller wiederum hat in seiner Beschwerdeerwiderung vom (S. 2) den erstinstanzlichen Beschluss auch in Bezug auf die Bejahung der Zulässigkeit des Antrages ausdrücklich verteidigt. Schließlich hat der Beteiligte in seinem Schriftsatz vom (im Original versehentlich: 2007) die Problematik erneut aufgeworfen (S. 1 ff.). Er hat namentlich beanstandet, für die abstrakte Feststellung des Gerichts fehle es insoweit am konkreten, überschaubaren Sachverhalt, als "das Mitbestimmungsrecht des Personalrats bei Entscheidungen aller existierenden zentralen und dezentralen Hochschulorgane (des Senats, des Rektorats, der Fakultätsräte sowie der Geschäftsführungen der wissenschaftlichen Einrichtungen, etc.) festgestellt werden" solle. An alledem wird deutlich, dass die Zulässigkeit des streitigen Antrages im Rahmen des vorliegenden Beschlussverfahrens zwischen den Beteiligten von Anfang an umstritten war und folgerichtig kontrovers diskutiert wurde und dass darüber hinaus die wesentlichen Gesichtspunkte, auf welche sich das Oberverwaltungsgericht bei der Abweisung des Antrages als unzulässig gestützt hat, in der Argumentation des Beteiligten bereits angelegt waren.
b) An einer rechtzeitigen Reaktion - insbesondere durch Formulierung enger gefasster Hilfsanträge der in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bezeichneten Art - war der Antragsteller nicht mit Blick auf den zuletzt genannten Schriftsatz des Beteiligten vom gehindert. Da dieser Schriftsatz per Fax am nächsten Tage an den Antragsteller weitergeleitet wurde, verblieb diesem bis zum Ergehen des angefochtenen Beschlusses noch hinreichend Zeit für eine Stellungnahme. Da der Beschluss im schriftlichen Verfahren nach § 83 Abs. 4 Satz 3, § 90 Abs. 2 ArbGG ergangen ist, hätte ein bis zu seiner Absendung (Zustellungsdatum: ) eingehender Schriftsatz des Antragstellers unter dem Gesichtspunkt rechtlichen Gehörs noch Beachtung finden müssen.
c) Darauf, dass das Oberverwaltungsgericht seinen Antrag als zulässig betrachten würde, konnte der Antragsteller nicht etwa mit Rücksicht auf einschlägige Senatsrechtsprechung vertrauen. Dort ist - im Sinne des angefochtenen Beschlusses - durchaus anerkannt, dass abstrakte Feststellungsanträge künftige Sachverhalte betreffen müssen, die in ihren Grundzügen dem Sachverhalt des Anlass gebenden konkreten Vorgangs entsprechen und im Wesentlichen dieselben Rechtsfragen aufwerfen (Beschlüsse vom - BVerwG 6 P 10.97 - BVerwGE 108, 347 <354 f.> = Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 98 S. 6 f. sowie vom - BVerwG 6 PB 6.04 - Buchholz 251.7 § 79 NWPersVG Nr. 5 S. 1). Dagegen ist die Zulässigkeit von Globalanträgen - also von Anträgen, die eine Vielzahl von denkbaren Fallgestaltungen umfassen - in der bisherigen Senatsrechtsprechung nicht generell, sondern nur für solche Fälle anerkannt, in denen der Dienststellenleiter das Fortbestehen zuvor zugestandener und beachteter Mitbestimmungsrechte nunmehr rundweg bestreitet (vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 6 P 12.00 - Buchholz 251.4 § 83 HmbPersVG Nr. 1 S. 6 f. und vom - BVerwG 6 P 8.04 - Buchholz 251.2 § 13 BlnPersVG Nr. 3 S. 10). Auch mit Blick auf die zitierte Senatsrechtsprechung hätte es daher für den Antragsteller nahe liegen müssen, den gestellten Antrag näher einzugrenzen, wie dies nunmehr in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde geschehen ist. Dem Antragsteller musste bewusst sein, dass er mit einer - jedenfalls hilfsweise vorzunehmenden - Konzentration seines Begehrens auf den Erlass und die Änderung von Ordnungen der Hochschule durch den Senat (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HG-NRW) - gerade mit Blick auf den Anlass gebenden Vorgang, den Erlass einer Datenschutzordnung durch den Senat - allen etwaigen Zulässigkeitsbedenken am besten gerecht werden konnte.
d) Der angefochtene Beschluss ist ferner nicht mit Rücksicht darauf eine Überraschungsentscheidung, dass der Antragsteller - ebenso wie der Beteiligte - auf mündliche Verhandlung verzichtet hat. Die für die erste und zweite Instanz des personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahrens grundsätzlich vorgesehene mündliche Anhörung bietet - unabhängig vom Bestehen verfassungsrechtlich gebotener Hinweispflichten - tatsächlich nicht selten Gelegenheit, die Auffassung des Gerichts kennenzulernen und darauf z.B. durch eine Modifikation der bisher angekündigten Anträge zu reagieren. Wer auf mündliche Verhandlung verzichtet, muss wissen, dass er sich eines dahingehenden Vorteils begibt. Ein umsichtiger und gewissenhafter Prozessbeteiligter wird daher prüfen, ob er die Verzichtserklärung vorsorglich mit einer ergänzenden Stellungnahme verbindet. Demgemäß hätte der Antragsteller noch vor Ergehen des angefochtenen Beschlusses seine Antragstellung in dem bereits beschriebenen Maße vorsorglich eingrenzen können.
Darauf, dass das Oberverwaltungsgericht die Zulässigkeit des Antrages bejahen würde, konnte der Antragsteller nicht deswegen vertrauen, weil - seinen Darlegungen zufolge - der Verzicht auf mündliche Verhandlung auf eine fernmündliche Anregung des Fachsenatsvorsitzenden zurückgeht. Dass dieser dabei eine Würdigung der Zulässigkeitsproblematik im Sinne des Antragstellers ausdrücklich oder sinngemäß in Aussicht gestellt hat, wird in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht behauptet. Die Anregung als solche war angesichts dessen, dass die Zulässigkeit durch die Gegenseite von Anfang an nachdrücklich in Abrede gestellt wurde, nicht geeignet, beim Antragsteller einen derartigen Eindruck hervorzurufen.
e) Eine gesteigerte Hinweispflicht des Oberverwaltungsgerichts bestand nicht etwa deswegen, weil dem Antragsteller mit der Abweisung seines Antrages ein unwiederbringlicher Rechtsverlust drohte. Letzteres ist nicht der Fall. Dem Antragsteller ist es unbenommen, die in der Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde formulierten, auf den Erlass von Hochschulordnungen durch den Senat begrenzten Anträge in einem neuen personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren zur gerichtlichen Entscheidung zu stellen. Die Rechtskraft des angefochtenen Beschlusses erstreckt sich darauf nicht, weil darüber nicht entschieden wurde (vgl. zum Globalantrag als Aliud im Verhältnis zum näher eingeschränkten Antrag: Beschluss vom a.a.O. S. 7 und 12).
f) Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, hat das Oberverwaltungsgericht nicht gegen § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO verstoßen. Ein etwaiger Verstoß gegen § 139 Abs. 3 ZPO wäre nicht mit einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gleichzusetzen, weil Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrages - wie ausgeführt - den Prozess von Anfang an begleitet haben. Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht verletzt, wenn der Richter einer durch einfaches Verfahrensrecht begründeten Hinweispflicht nicht nachkommt (vgl. - juris Rn. 7). Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Sache von demjenigen Fall, welcher dem - (juris) zugrunde lag; dort hatte der Kläger Probleme bei der Zulässigkeit seiner Berufung offensichtlich übersehen (a.a.O. Rn. 17).
Fundstelle(n):
YAAAC-88816