Einreihung eines durch Glukoseverbindung geschützten Vitamin C-Derivats
Gesetze: KN Pos. 2936, KN Pos. 2940
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Streitig ist die zolltarifliche Einreihung einer chemischen Verbindung mit dem Namen L-Ascorbinsäure-2-glucosid (AA-2G). Mit ihrem Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) beschrieb die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) die Ware als ein stabilisiertes Vitamin C und begehrte die Einreihung in die Unterpos. 2936 27 00 der Kombinierten Nomenklatur (KN). Die Beklagte und Revisionsklägerin (die Bundesfinanzdirektion —BFD—) war dagegen der Ansicht, dass es sich um ein synthetisch hergestelltes Zuckeracetal von Ascorbinsäure (Vitamin C) handele, bei dem die Ascorbinsäure durch Maskierung der Hydroxylgruppen mit Glucose gegen Oxidation geschützt sei, und reihte die Ware mit der unter dem erteilten vZTA unter Anwendung der Anm. 3 zu Kap. 29 KN in die Unterpos. 2940 00 90 KN in der seinerzeit maßgeblichen Fassung der Änderungs-Verordnung (EG) Nr. 1832/2002 der Kommission vom (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 290/1) ein.
Auf die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage stellte das Finanzgericht (FG) fest, dass die vZTA vom rechtswidrig gewesen sei. Die vZTA sei gemäß Art. 12 Abs. 5 Buchst. a Ziff. i des Zollkodex ungültig geworden, weil die Unterpos. 2940 00 90 KN ab dem mit dem Inkrafttreten der Änderungs-Verordnung (EG) Nr. 1789/2003 der Kommission vom (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 281/1) entfallen sei. Die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der erteilten vZTA gerichtete Klage sei aber als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, weil die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung habe, denn an die Stelle der damaligen Unterpos. 2940 00 90 KN sei nunmehr die Unterpos. 2940 00 00 KN getreten, ohne dass dies zu einer materiellen Änderung der Tariflage geführt habe, weshalb davon auszugehen sei, dass die BFD bei einem erneuten Antrag auf Erteilung einer vZTA an ihrer Tarifauffassung festhalten werde.
Die angefochtene vZTA sei rechtswidrig gewesen, weil AA-2G ein Vitamin C-Derivat sei, das in die Unterpos. 2936 27 00 KN einzureihen sei. Nach dem in der mündlichen Verhandlung erstatteten Sachverständigengutachten handele es sich bei AA-2G nach seiner chemischen Struktur sowohl um ein Zuckeracetal als auch um ein Vitamin C-Derivat. Neben der Struktur eines chemischen Stoffes sei aber auch seine Funktion zu betrachten; insoweit spielten bei AA-2G ausschließlich seine Eigenschaften als Vitamin C-Derivat eine Rolle, während das Zuckeracetal nur als Schutzgruppe diene. Nach den Ausführungen des Gutachters handele es sich um ein „chemisch verpacktes Vitamin C”. Auch habe AA-2G unstreitig besondere dermatologische Effekte und werde, wie es sich aus den von der Klägerin vorgelegten Gutachten und Stellungnahmen ergebe, zum Schutz vor UV-Strahlung sowie zur Vorbeugung von Melaninpigmentierung und bei der Herstellung von Kosmetika verwendet. Die zolltarifliche Einreihung müsse dieser ausschließlichen Funktion Rechnung tragen, so dass AA-2G nicht der Pos. 2940 KN zugewiesen werden könne, weil die Ware nach ihrer Funktion nicht die objektiven Merkmale und Eigenschaften eines Zuckeracetals aufweise.
Mit ihrer Revision macht die BFD unter Hinweis auf die Allgemeine Vorschrift für die Auslegung der KN (AV) 1 geltend, dass nach der maßgebenden objektiven Beschaffenheit der streitigen Ware die Einreihung sowohl in die Pos. 2936 KN als auch in die Pos. 2940 KN in Betracht komme, weil der Wortlaut der Pos. 2940 KN Zuckeracetale, die vorwiegend als Vitamin verwendet würden, nicht ausschließe. Die vom FG vorgenommene Würdigung des Verwendungszwecks der Ware zur Abgrenzung der konkurrierenden Positionen sei nicht zulässig. Die Konkurrenz zwischen den Pos. 2936 und 2940 KN sei ausschließlich über die Anm. 3 zu Kap. 29 KN zu lösen.
Die BFD beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass die streitige Ware nach dem in der mündlichen Verhandlung vor dem FG abgegebenen Sachverständigengutachten nicht in die Pos. 2940 KN eingereiht werden könne, sondern dass sie nach ihrer Struktur und ihrem Verwendungszweck eindeutig der Pos. 2936 KN zuzuweisen sei.
II. Die Revision der BFD ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).
1. Gegen die vom FG angenommene Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage wendet sich die Revision nicht. Es gibt auch keinen Grund, der Ansicht des FG insoweit nicht zu folgen. Durch den Wegfall der Untergliederung der Unterpos. 2940 00 KN in die Unterpos. 2940 00 10 KN und die Unterpos. 2940 00 90 KN mit dem Inkrafttreten der Änderung der KN zum ist keine für die im vorliegenden Fall streitige Tariffrage maßgebliche Änderung der Rechtslage eingetreten, weshalb davon auszugehen ist, dass die BFD einen erneuten Antrag auf Erteilung einer vZTA in entsprechender Weise bescheiden und AA-2G in die Unterpos. 2940 00 KN einreihen würde.
2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die angefochtene vZTA vom war rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO).
Nach den Feststellungen des FG, die auf den Angaben des in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gehörten Sachverständigen beruhen, ist AA-2G nach seiner chemischen Struktur sowohl ein Vitamin C-Derivat als auch ein Zuckeracetal. Somit kann AA-2G sowohl in die Pos. 2936 KN als auch in die Pos. 2940 KN eingereiht werden.
Der Ansicht des FG, dass nach der chemischen Funktion von AA-2G die Einreihung in die Pos. 2940 KN ausscheidet, ist nicht zu folgen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen, auf die sich das FG stützt, lässt sich eine chemische Verbindung zwar sowohl nach ihrer Struktur als auch nach ihrer Funktion betrachten und chemisch beurteilen. Für die tarifliche Einreihung des Produkts AA-2G ist die vom FG bevorzugte funktionelle Betrachtungsweise jedoch nicht maßgebend. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob AA-2G dermatologische Effekte hat und zum Schutz vor UV-Strahlung, zur Vorbeugung von Melaninpigmentierung und bei der Herstellung von Kosmetika verwendet wird.
Das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist nämlich nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen der KN und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften —EuGH— vom C-208/06 und C-209/06, BFH/NV 2008, Beilage 1, 52; Senatsurteil vom VII R 33/03, BFH/NV 2004, 849, jeweils m.w.N.). Auf den Verwendungszweck einer Ware darf nur dann abgestellt werden, wenn er ihr nach ihren objektiven Merkmalen und Eigenschaften innewohnt und wenn im Wortlaut der Bestimmungen oder in den Erläuterungen dazu ausdrücklich auf dieses Kriterium Bezug genommen wird (vgl. , EuGHE 1991, I-1895; Senatsurteil vom VII R 42/98, BFHE 190, 501, m.w.N.). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, kann der Verwendungszweck auch kein Kriterium sein, um eine Ware, die —wie im Streitfall— nach ihren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zwei unterschiedlichen Tarifpositionen zugeordnet werden kann, aus einer dieser Positionen auszuweisen.
Nach den auf dem Sachverständigengutachten beruhenden und zwischen den Beteiligten nicht streitigen Feststellungen des FG handelt es sich bei AA-2G nach seiner chemischen Struktur um ein Vitamin C-Derivat. Insoweit bedarf es nicht des Abstellens auf den Verwendungszweck der Ware, um sie in die Pos. 2936 KN einzureihen. Außerdem handelt es sich aber —was ebenfalls feststeht— nach der chemischen Struktur der Ware um ein Zuckeracetal, welches in die Pos. 2940 KN einzureihen ist. Auch insoweit ist der Verwendungszweck des Produkts AA-2G, bei dem seine Funktion als Vitamin im Vordergrund stehen mag, nicht geeignet, diese Einreihung auszuschließen, weil —worauf die Revision zu Recht hinweist— der Wortlaut der Pos. 2940 KN keine Zuckeracetale von der Einreihung in diese Position ausschließt, die hauptsächlich oder ausschließlich wegen ihrer Eigenschaft als Vitamin verwendet werden.
Die tatsächlichen Feststellungen des FG erlauben seine Schlussfolgerung, AA-2G könne „mangels entsprechender chemischer Eigenschaften” nicht unter die Pos. 2940 KN fallen, nicht, denn dass AA-2G nur die Eigenschaften eines Vitamin C-Derivats hat, lässt sich nicht vertreten. Die Glucoseverbindung ist hergestellt worden, um die Ascorbinsäure zu „verpacken” und sie dadurch vor Oxidation zu schützen, und diese chemische Eigenschaft der Glucoseverbindung ist nicht etwa verschwunden, sondern immer noch vorhanden, sonst wäre die Verbindung der Ascorbinsäure mit dem Zuckermolekül zwecklos gewesen. Daher weist AA-2G entgegen der Ansicht des FG die chemischen Eigenschaften sowohl eines Vitamin C-Derivats als auch eines Zuckeracetals (Schutz vor Oxidation) auf. Dass —wie das FG unter Berufung auf das Sachverständigengutachten angenommen hat— bei dem Einsatz von AA-2G und dementsprechend bei seiner Beschreibung in wissenschaftlichen Veröffentlichungen nur seine Eigenschaft als Vitamin C eine Rolle spielt, betrifft allein die Frage seines Verwendungszwecks, der —wie ausgeführt— bei der zolltariflichen Einreihung grundsätzlich nicht maßgebend ist.
Kommen aber nach alledem für die Ware AA-2G zwei Positionen des Kap. 29 KN in Betracht, so ist sie nach der Anm. 3 zu Kap. 29 KN der Letzten dieser Positionen, also Pos. 2940 KN zuzuweisen.
Gestützt wird diese Tarifauffassung durch die Erläuterung zum Harmonisierten System zu Kap. 29 KN Rz 52.0: Danach gehört die Ascorbinsäure, die sowohl ein Lacton der Pos. 2932 KN als auch ein Vitamin der Pos. 2936 KN ist, nur zur Pos. 2936 KN, weil es sich um die letztgenannte Position handelt, und nicht etwa deshalb, weil die Funktion als Vitamin im Vordergrund steht.
Unter Anwendung der maßgebenden sich nach den objektiven Merkmalen und Eigenschaften der Ware richtenden Tarifierungskriterien hält der Senat die Einreihung des streitigen Produkts für zweifelsfrei und sieht daher keine Verpflichtung, die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung gemäß Art. 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vorzulegen (vgl. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 1560 Nr. 9
DAAAC-86049