BFH Urteil v. - IX R 16/06

Zahlungen, die ein Bauherr nach dem Dritten Förderungsweg erhält, sind als Mieteinnahmen im Jahr des Eingangs zu erfassen; kein Verstoß gegen § 367 Abs. 2 Satz 2 AO bei Änderung der Steuerfestsetzung im Einspruchsverfahren

Gesetze: EStG § 21, EStG § 11, EStG § 8, AO § 367, AO § 174

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die steuerlich nicht vertretenen Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind verheiratet und wurden in den Jahren 1994 bis 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Für ihr in den Jahren 1994 und 1995 errichtetes sowie nach Fertigstellung vermietetes Doppelhaus erhielten sie von der Bayerischen Landesbodenkreditanstalt nach dem sog. Dritten Förderungsweg ein Baudarlehen, dessen erste Rate 1994 und dessen zweite Rate 1995 ausgezahlt wurde.

In der Einkommensteuererklärung für 1994 erklärten die Kläger in der das Doppelhaus betreffenden Anlage V vorweggenommene Werbungskosten aus dessen Vermietung; zu der Zahlung der Bayerischen Landesbodenkreditanstalt machten sie keine Angaben. Der erklärungsgemäß ergangene Einkommensteuerbescheid für 1994 wurde bestandskräftig. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1995 erklärten die Kläger zu ihren Einkünften aus der Vermietung des Doppelhauses in der Anlage V Werbungskosten, darunter u.a. im Rahmen der Schuldzinsen einen Betrag für „Labo”, wiederum ohne weitere Angaben zu der Zahlung der Bayerischen Landesbodenkreditanstalt. Der erklärungsgemäß unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangene Einkommensteuerbescheid für 1995 wurde nach Aufhebung des Vorbehalts bestandskräftig.

Nachdem dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) Ende 1999/Anfang 2000 von der zuständigen Behörde mitgeteilt worden war, dass die Kläger für ihr Doppelhaus Fördermittel nach dem „Dritten Förderweg” erhalten hatten, änderte das FA den für 1995 ergangenen Einkommensteuerbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO), indem es die Bemessungsgrundlage für die Absetzung für Abnutzung (AfA) des Doppelhauses um die Zahlung der Bayerischen Landesbodenkreditanstalt minderte. Entsprechend änderte das FA auch die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1996 bis 1999 und berücksichtigte die geänderte Bemessungsgrundlage ebenfalls in den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2000 und 2001.

Hiergegen legten die Kläger für die Jahre 1995 bis 2001 Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens teilte ihnen das FA mit, es werde die Zahlungen aufgrund einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht mehr durch Kürzung der Bemessungsgrundlage bei der AfA des Doppelhauses, sondern als im Zahlungsjahr 1995 zu berücksichtigende Einnahme aus Vermietung und Verpachtung erfassen und dementsprechend den Einsprüchen gegen die angefochtenen Einkommensteuerfestsetzungen für die Jahre 1996 bis 2001 stattgegeben. Auch für das Jahr 1995 —das Streitjahr— sei erklärungsgemäß der AfA die ungekürzte Bemessungsgrundlage zugrunde zu legen. Allerdings müssten die Zahlungen bei der Einkommensteuerfestsetzung für dieses Jahr zu Ungunsten der Kläger als Einnahme aus Vermietung und Verpachtung erfasst werden. Diese nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO zulässige Verböserung könnten die Kläger auch durch Rücknahme des Einspruchs nicht verhindern, „weil auch im Fall der Einspruchsrücknahme die Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO einschlägig (sei)”.

Nach Erlass der angekündigten Abhilfebescheide für die Jahre 1996 bis 2001 wies das FA den Einspruch für das Streitjahr 1995 als unbegründet zurück und setzte die Einkommensteuer gemäß § 174 Abs. 4 AO unter Berücksichtigung der Zahlungen der Bayerischen Landesbodenkreditanstalt als Einnahme der Kläger bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung höher fest. Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) ungeachtet der materiell-rechtlichen Richtigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzung die Verböserung nach Maßgabe des § 367 Abs. 2 AO wegen unzureichender Belehrung als rechtswidrig ansah.

Mit der Revision gegen das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 622 veröffentlichte Urteil rügt das FA Verletzung des § 367 Abs. 2 AO.

Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die unvertretenen Kläger haben unter zustimmender Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung auf eine Antragstellung verzichtet.

II. Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Zu Unrecht hat das FG den angefochtenen Steuerbescheid in Gestalt der —verbösernden— Einspruchsentscheidung aufgehoben; denn dieser ist rechtmäßig. Der Bescheid erfasst in materiell-rechtlicher Hinsicht zu Recht die Zahlungen der Landesbodenkreditanstalt nach dem Dritten Förderungsweg als Mieteinnahmen im Jahr des Eingangs (vgl. , BFHE 203, 382, BStBl II 2004, 14, und vom IX R 12/02, BFH/NV 2004, 333). Er durfte auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO ergehen.

1. Nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO kann der angefochtene Verwaltungsakt selbst zum Nachteil des Einspruchsführers geändert werden, wenn dieser auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben worden ist, sich hierzu zu äußern. Nach ständiger Rechtsprechung soll der Einspruchsführer damit die Gelegenheit erhalten, den Einspruch zurückzunehmen und dadurch die Verböserung abzuwenden (, BFHE 159, 405, BStBl II 1990, 414; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 367 AO Rz 192, m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt ein Hinweis, der erkennen lässt, in welchem Umfang das FA seine Rechtsauffassung geändert hat (, BFHE 139, 225, BStBl II 1984, 177; vom VIII R 27/91, BFH/NV 1993, 599).

2. Nach diesen Maßstäben war das FA entgegen der Auffassung des FG nicht durch § 367 Abs. 2 Satz 2 AO an der verbösernden Änderung der Steuerfestsetzung gehindert.

Schon mit seinem Hinweis auf die BFH-Entscheidungen in BFHE 203, 382, BStBl II 2004, 14 und in BFH/NV 2004, 333 und seine Absicht, auf deren Grundlage die Fördermittel als Mieteinahmen im Streitjahr —verbösernd— zu berücksichtigen, hat das FA der Anforderung des § 367 Abs. 2 AO Rechnung getragen, weil das Maß der geplanten Änderungen offen gelegt wurde (vgl. BFH-Urteile in BFHE 139, 225, BStBl II 1984, 177, und in BFH/NV 1993, 599).

Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob dieser —ausreichende— Hinweis deshalb entbehrlich gewesen ist, weil die Änderung unabhängig von der Änderungsmöglichkeit nach § 367 Abs. 1 Satz 1 AO auch nach § 174 Abs. 4 AO vorgenommen werden konnte und infolgedessen durch eine Einspruchsrücknahme nicht hätte abgewendet werden können (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 159, 405, BStBl II 1990, 414; vom I R 75/95, BFH/NV 1997, 314, sowie vom II R 10/04, BFH/NV 2006, 228).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 730 Nr. 5
DStZ 2008 S. 429 Nr. 13
HFR 2008 S. 785 Nr. 8
ZAAAC-74489