Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: InsO § 135; GmbHG § 32a; ZPO § 138 Abs. 2; ZPO § 531 Abs. 2; ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 3; ZPO § 314
Instanzenzug: LG Siegen 8 O 277/06 vom OLG Hamm 2 U 215/06 vom
Gründe
I.
Der Kläger ist der Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der S. GmbH; die Beklagte ist die Verwalterin in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der W. GmbH & Co KG (im Folgenden: W. ).
Am schloss die unter Zahlungsschwierigkeiten leidende W. mit der S. GmbH als Factor einen schriftlichen Factoring-Vertrag. Die W. verkaufte danach ihre nach Abschluss des Vertrages entstehenden Forderungen aus Warenlieferungen und Dienstleistungen gegen ihre Kunden (Debitoren) an den Factor, trat sie diesem ab und zog sie für diesen ein. Das Risiko der Zahlungsunfähigkeit der Debitoren trug die W. . Was hinsichtlich der von dem schriftlichen Vertrag nicht erfassten "Altforderungen" vereinbart wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Am 15. und überwies der Factor unter Angabe des Verwendungszwecks "Abschlag Factoring - Vereinbarung vom " zunächst 1 Mio. € und sodann 0,5 Mio. € auf das Konto der W. . Zu diesem Zeitpunkt waren G. und Dr. W. zugleich Gesellschafter der S. GmbH und Kommanditisten der W.
Am wurde die Beklagte zur vorläufigen Insolvenzverwalterin über das Vermögen der W. bestellt. In der Folgezeit zog die Beklagte von Debitoren insgesamt 270.345,52 € auf ein von ihr geführtes Anderkonto ein. Davon entfallen 106.507,91 € auf "Altforderungen".
Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger von der Beklagten - gestützt auf ein Ersatzaussonderungsrecht - die Auskehr der von ihr eingezogenen Beträge. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Verurteilung der Beklagten in Höhe von 106.507,91 € ("Altforderungen") bestätigt und die weitergehende Klage abgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde begehrt die Beklagte letztlich die vollständige Klageabweisung.
II.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der schriftliche Vertrag sei auf ein unechtes Factoring gerichtet gewesen und von der Beklagten gemäß § 135 InsO, § 32a GmbHG wirksam angefochten worden. Soweit die Beklagte Beträge auf die "Altforderungen" eingezogen habe, hätten jene jedoch der S. GmbH aufgrund eines unanfechtbaren Forderungskaufs zugestanden.
III.
Die Revision ist zuzulassen (§ 543 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 ZPO); auf die Revision ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 7 ZPO), weil das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Art. 103 Abs. 1 GG).
1. Das Berufungsgericht ist von dem Vortrag des Klägers ausgegangen (§ 138 Abs. 3 ZPO), wonach die S. GmbH die in der "OPOS-Liste" vom aufgeführten Forderungen ("Altforderungen") aufgrund eines - neben dem schriftlichen Vertrag vom , der ein unechtes Factoring zum Gegenstand gehabt habe - am selben Tage mündlich zustande gekommenen echten Factoring-Vertrages erworben habe. Das Bestreiten der Beklagten sei nach § 138 Abs. 2 ZPO unerheblich. Denn nachvollziehbare Erklärungen zum Rechtsgrund der unstreitig erfolgten Zahlung von insgesamt 1,5 Mio. € habe die Beklagte "nicht dargetan". Der Vortrag der Beklagten in zweiter Instanz sei zwar über das einfache Bestreiten hinausgegangen. Sie habe nunmehr behauptet, dass der genannte Betrag darlehenshalber gezahlt worden sei. Dieser Vortrag sei jedoch neu gewesen und somit nicht zu berücksichtigen (§ 531 Abs. 2 ZPO).
2. Mit dieser Begründung hat das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt.
a) Bereits in der Klageerwiderung hat die Beklagte ausdrücklich bestritten, die W. und die S. GmbH hätten am zusätzlich zu dem schriftlichen Factoring-Vertrag über die "Altforderungen" eine Vereinbarung des vom Kläger behaupteten Inhalts geschlossen. Die Beklagte hat weiter darauf hingewiesen, dass der von ihr zu Beginn der Insolvenzverwaltung befragte Zeuge B. , der nach den Angaben des Klägers für die W. die mündliche Vereinbarung getroffen habe, keine Angaben dazu habe machen können, was die rechtliche Grundlage für die Überweisung der insgesamt 1,5 Mio. € (der angeblichen Kaufpreissumme) gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht hat die Prozessbevollmächtigte der Beklagten nochmals zu der Überweisung Stellung genommen. Sie hat hierzu vorgetragen, bei den Zahlungen handele es sich ebenfalls um ein (eigenkapitalersetzendes) Darlehen. Die dafür erforderlichen Geldmittel hätten von G. und Dr. W. gestammt - was der Prozessbevollmächtigte des Klägers sogleich unstreitig gestellt hat - und seien nur formal über die S. GmbH erfolgt. Der Zusatz auf den Überweisungsträgern "Vereinbarung vom " sei mit dem klägerischen Vortrag zu einem Forderungskauf nicht in Einklang zu bringen.
Dieses Vorbringen war - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - erheblich. Aus ihm wurde hinreichend deutlich, dass die Beklagte den Abschluss eines abweichend von dem schriftlichen Factoring-Vertrag (nämlich als echtes Factoring) zu qualifizierenden Kaufs der "Altforderungen" bestritten hat. Der Rechtsgrund für die Überweisung der 1,5 Mio. € war nach dem Vortrag der Beklagen derselbe wie für die späteren Zahlungen der W. an S. , nämlich ein unechtes Factoring und somit ein (kapitalersetzendes) Darlehen (vgl. BGHZ 58, 364, 367; 69, 254, 257; 82, 50, 61).
Das Vorbringen der Beklagten gewann zusätzlich Substanz durch ihren Hinweis auf den Vermerk auf den Überweisungsträgern "Abschlag Factoring - Vereinbarung vom ". Das Wort "Abschlag" passt zu dem Vortrag der Beklagten, wonach die Überweisungen das Factoringgeschäft in Gang gesetzt haben und rechtlich nicht anders zu bewerten sind als die späteren Zahlungen der S. GmbH. Ob es sich mit der klägerischen Behauptung vereinbaren lässt, die 1,5 Mio. € seien der Kaufpreis aus einem mit den Überweisungen vollständig abgewickelten Forderungskauf gewesen, erscheint demgegenüber fraglich.
Die Annahme, die Beklagte habe sich nicht, wie von § 138 Abs. 2 ZPO gefordert, zu dem Vortrag des Klägers erklärt, ist noch aus einem weiteren Grund unzutreffend. Wie eingehend der Beklagte sich zu der Klage äußern muss, hängt auch von dem Inhalt des Klagevortrags ab (, NJW 1991, 2707, 2709; v. - II ZR 301/95, NJW-RR 1996, 1211). Der Kläger hat vorgetragen, die W. habe "sämtliche Kundenforderungen" im eigenen Namen auf eigene Konten eingezogen, die zuvor "eigens für das Factoring eingerichtet worden" seien. Da diese Darstellung im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Vortrag zu dem angeblich mündlich abgeschlossenen echten Factoring-Vertrag gegeben worden ist, liegt nahe, den Klägervortrag so zu verstehen, dass in der praktischen Handhabung nicht zwischen "Alt-" und "Neuforderungen" unterschieden worden ist.
b) Der Vortrag der Beklagten in der Berufungsbegründung war deshalb nicht "neu" im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO.
Dort hat die Beklagte lediglich ergänzend - ihren Vortrag bekräftigend, wonach auch die "Altforderungen" im Wege eines unechten Factoringgeschäfts angekauft worden seien - ausgeführt, die Überweisung von 1,5 Mio. € habe gerade den Teil der insgesamt mehr als 2,3 Mio. € betragenden Forderungen abgedeckt, mit deren Ausgleich innerhalb von drei Monaten zu rechnen gewesen sei. Das zeige, dass auch insoweit der Factor (S. GmbH) nicht das Delkredererisiko gehabt habe.
Selbst wenn das Verteidigungsmittel "neu" gewesen wäre, hätte das Berufungsgericht die Vorschrift des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO in Betracht ziehen müssen. Das Landgericht hatte das Vorbringen der Beklagten nicht als unsubstantiiert angesehen, wobei es freilich wegen seines abweichenden rechtlichen Ansatzes nicht darauf ankam.
c) Allerdings ist der Beschwerdeerwiderung des Klägers im Ansatz insofern Recht zu geben, als Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht nur verpflichtet, die Anträge und die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er schützt nicht davor, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des materiellen oder formellen Rechts unberücksichtigt lässt (BVerfGE 69, 145, 148 f; 96, 205, 216; 105, 279, 311). Anders verhält es sich jedoch, wenn eine Partei mit ihrem Vorbringen aus Gründen ausgeschlossen wird, die im Prozessrecht keine Stütze mehr finden (BVerfGE 50, 32, 36; 69, 141, 143 f; 105, 279, 311; BVerfG NJW 2001, 1565). Art. 103 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn die Anwendung einer Präklusionsvorschrift durch den Tatrichter offenkundig unrichtig ist (vgl. BVerfGE 69, 145, 149; BVerfG NJW 2001, 1565). So verhält es sich hier.
d) Der Berücksichtigung des Gehörsverstoßes steht - entgegen der Ansicht der Beschwerdeerwiderung - die Beweiskraft des Tatbestandes (§ 314 ZPO) nicht entgegen. Diese bezieht sich darauf, von den insgesamt eingezogenen 270.345,52 € sei ein Anteil von 106.507,91 € auf die "Altforderungen" entfallen und auch diese Forderungen habe die S. GmbH von W. erworben. Darauf, ob dieser Erwerb im Rahmen eines echten Factorings erfolgt ist, bezieht sich die Beweiskraft nicht.
e) Der Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich. Dies ist bereits dann der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei verfahrensfehlerfreiem Vorgehen anders entschieden hätte (BVerfGE 60, 247, 250; 89, 381, 392 f; , NJW 2003, 3205). Vorliegend erscheint dies nicht als ausgeschlossen, weil das Berufungsgericht das zweitinstanzliche Vorbringen der Beklagten - für sich genommen - als erheblich angesehen hat; andernfalls hätte es dieses nicht als verspätet zurückgewiesen.
Allerdings hat die Beschwerdeerwiderung zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beklagte für den Vortrag, die von der S. GmbH zur Verfügung gestellten Mittel hätten auch insoweit, als damit "Altforderungen" bezahlt wurden, eigenkapitalersetzenden Charakter gehabt, darlegungs- und beweisbelastet ist. Denn sie ficht das bei Annahme eines unechten Factorings gegebene (Ersatz-) Absonderungsrecht (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 47 Rn. 266) nach den Vorschriften über eigenkapitalersetzende Darlehen (§ 135 InsO, § 32a GmbHG) an, macht also ein Gegenrecht geltend. Indes durfte die Beklagte nicht ohne vorherigen gerichtlichen Hinweis wegen Beweisfälligkeit verurteilt werden. Sie ist davon ausgegangen, darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen eines Forderungskaufs sei der Kläger, der auch Beweis angeboten hat. Diesen Irrtum hatte das Berufungsgericht richtig zu stellen (§ 139 Abs. 2 ZPO). Die Beklagte hat sich in ihrer Beschwerdebegründung darauf berufen, sie hätte im Falle eines gerichtlichen Hinweises ihren Vortrag durch die Zeugen B. und S. sowie gegebenenfalls die Zeugen G. und Dr. W. unter Beweis gestellt.
Fundstelle(n):
KAAAC-69362
1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein