Leitsatz
[1] a) Zur Beurteilung des Zurechnungszusammenhangs zwischen der anwaltlichen Pflichtverletzung und der gerichtlichen Fehlentscheidung ist, anders als bei der Feststellung eines normativen Schadens, die vom Gericht des Vorprozesses getroffene Entscheidung heranzuziehen.
b) Der für die Zurechnung der anwaltlichen Pflichtverletzung notwendige innere Zusammenhang zum Schadensereignis entfällt, wenn ein vertragsgerechtes Verhalten des Anwalts nicht geeignet war, die den Mandanten belastende gerichtliche Fehlentscheidung zu vermeiden.
Gesetze: BGB § 249 Bb; BGB § 675
Instanzenzug: LG Karlsruhe 10 O 440/00 vom OLG Karlsruhe 12 U 227/02 vom
Tatbestand
Die Klägerin, ihre Schwester und ihr Vater waren Miteigentümer eines Hausgrundstücks in Pfinztal. Zugunsten der Ehefrau des Vaters, der Stiefmutter der Klägerin, war im Grundbuch ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht eingetragen. Im Rahmen einer sozialhilferechtlichen Auseinandersetzung zwischen dem Landkreis Karlsruhe und dem Vater der Klägerin ermittelte der Gutachterausschuss der Gemeinde Pfinztal den Verkehrswert des Grundstücks.
Der Vater starb, die Klägerin und ihre Schwester beerbten ihn. Sie kamen überein, dass die Klägerin den Miteigentumsanteil ihrer Schwester am Hausgrundstück und deren Anteil an der Erbengemeinschaft erwirbt. Der Kaufpreis sollte der Hälfte des Verkehrswerts des Grundstücks abzüglich des Werts des Wohnrechts der Stiefmutter entsprechen. Deshalb beauftragte die Klägerin den Gutachterausschuss, den Wert des Wohnrechts festzustellen. Der Ausschuss setzte die Lebenserwartung der Stiefmutter unter Zugrundelegung der Sterbetafel 1970 mit zwölf Jahren an und bestimmte den Wert des Wohnrechts unter Anknüpfung an den Mietwert. Die Klägerin kaufte ihrer Schwester deren Anteile ab; die Stiefmutter verstarb kurz danach. Nach der zum Zeitpunkt der Erstattung des Gutachtens geltenden Sterbetafel lag die Lebenserwartung der Stiefmutter nicht mehr bei zwölf, sondern bei 13,96 Jahren.
Die Klägerin war der Auffassung, der Gutachterausschuss habe eine Pflichtverletzung begangen, indem er den Wert des Wohnrechts unter Heranziehung der alten Sterbetafel 1970 ermittelt habe. Aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung der Stiefmutter hätte das Wohnrecht höher bewertet werden müssen. Der an ihre Schwester zu zahlende Kaufpreis wäre entsprechend geringer gewesen. Wegen des ihr entstandenen Schadens beantragte sie einen Mahnbescheid gegen die Gemeinde Pfinztal über 13.000 DM. Nach Widerspruch beauftragte sie den beklagten Rechtsanwalt mit der Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht wies darauf hin, dass sich wegen der höheren Lebenserwartung der Stiefmutter nur ein deutlich geringerer Schaden errechne. Daraufhin verlangte der Beklagte wegen Verwendung der Sterbetafel 1970 nur noch Schadensersatz in Höhe von 4.875 DM zzgl. Kosten von 215 DM, insgesamt 5.090 DM. Im Übrigen stützte er die Klage, ohne sie zu erweitern, auf eine bislang nicht geltend gemachte Pflichtverletzung: Der Gutachterausschuss habe den Wert des Wohnrechts anhand des Mietwerts der Wohnung ermittelt. Richtig wäre es hingegen gewesen, ihn anhand des Nutzungsanteils am Sachwert festzustellen. Aus dieser weiteren Pflichtverletzung ergebe sich - unter Zugrundelegung einer Lebenserwartung der Stiefmutter von 14 Jahren - ein weiterer Schaden von 37.820 DM. Der Schaden belaufe sich mithin auf insgesamt 42.695 DM sowie Kosten von 215 DM. Das Oberlandesgericht wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, weder in der Verwendung der Sterbetafel 1970 noch in der Anknüpfung an den Mietwert liege eine Pflichtverletzung.
Die Klägerin nimmt den Beklagten unter anderem auf Schadensersatz in Anspruch, weil er den Vorprozess schlecht geführt und die dortige Klage nicht um den auf der falschen Wertermittlungsmethode beruhenden Schaden erweitert habe. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung ist der Beklagte verurteilt worden, der Klägerin den auf der Verwendung der Sterbetafel 1970 beruhenden Schaden von 4.875 DM zu ersetzen. Im Übrigen ist sie ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Senat wegen des weiteren Schadens (Erbauseinandersetzungsschaden) in Höhe von 38.035 DM zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter.
Gründe
Die Revision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, zum Ersatz eines weiteren Schadens sei der Beklagte nicht verpflichtet. Es könne offen bleiben, ob er im Hinblick auf das von ihm selbst für zutreffend erachtete Sachwertverfahren oder den von der Klägerin vorgebrachten Fehler des Gutachterausschusses pflichtgemäß auf eine Erweiterung der Klage hätte hinwirken müssen. Eine etwaige Pflichtverletzung des Beklagten sei für den Schaden der Klägerin nicht ursächlich. Aus den Entscheidungsgründen des Berufungsgerichts im Vorprozess ergebe sich unzweifelhaft, dass es auch eine vom Beklagten erweiterte Klage abgewiesen hätte. Dass möglicherweise die Bewertung des damals erkennenden Gerichts rechtsfehlerhaft und die Einholung eines Gutachtens geboten gewesen sei, habe keinen Belang.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
1. Die Klägerin behauptet, den Beklagten angewiesen zu haben, die Klage zu erhöhen. Von diesem Vortrag ist in der Revisionsinstanz mangels gegenteiliger tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts auszugehen. Der Beklagte war verpflichtet, sich an diese Weisung zu halten (§§ 665, 675 Abs. 1 BGB). Wenn er von ihr abgewichen ist, liegt darin eine Pflichtverletzung, die ihn zum Schadensersatz verpflichten kann.
2. Um die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung eines Rechtsanwalts für den geltend gemachten Schaden festzustellen, ist zu prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten genommen hätten. Ist im Haftpflichtprozess die Frage, ob dem Mandanten durch eine schuldhafte Pflichtverletzung des Rechtsanwalts ein Schaden entstanden ist, vom Ausgang eines anderen Verfahrens (im folgenden: Vor- oder Ausgangsprozess) abhängig, muss das Regressgericht selbst prüfen, wie jenes Verfahren richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre (BGHZ 133, 110, 111; 145, 256, 261; 163, 223, 227). Welche rechtliche Beurteilung das mit dem Vorprozess befasste Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hätte, ist ohne Belang. Vielmehr ist die Sicht des Regressgerichts maßgeblich. Dies gilt selbst dann, wenn feststeht, welchen Ausgang das frühere Verfahren bei pflichtgemäßem Verhalten des Anwalts genommen hätte (Fischer in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung 2. Aufl. Rn. 1063; Ganter NJW 1996, 1310, 1312).
3. Selbst wenn der Klägerin aber ein Schaden entstanden sein sollte, wäre dieser dem Beklagten nicht zuzurechnen.
a) Beruht ein Schaden haftungsrechtlich auf mehreren Ursachen, die von verschiedenen Personen gesetzt worden sind, so haften diese grundsätzlich als Gesamtschuldner (, NJW 1990, 2882, 2883). Zivilrechtlich wird in diesen Fällen nicht danach unterschieden, ob einzelne Ursachen wesentlicher sind als andere. Das gilt grundsätzlich auch, wenn eine Ursache für sich allein den Schaden nicht herbeigeführt hat, es dazu vielmehr des Hinzutretens weiterer Ursachen im Sinne einer kumulativen Gesamtkausalität bedurfte (, aaO S. 2882 f). Demgemäß ist der Schaden ebenfalls zu ersetzen, der letztlich erst durch das Eingreifen eines Dritten, hier des Gerichts des Vorprozesses, eintritt (vgl. , aaO S. 2883).
b) Die Zurechenbarkeit fehlt in derartigen Fällen jedoch, wenn das Eingreifen des Dritten den Geschehensablauf so verändert, dass der Schaden bei wertender Betrachtung in keinem inneren Zusammenhang zu der vom Rechtsanwalt zu vertretenden Vertragsverletzung steht (, NJW 1997, 250, 253; Urt. v. 29. November 2001 - IX ZR 278/00, NJW 2002, 1117, 1120; Fischer, aaO Rn. 1030; Fahrendorf in Rinsche/Fahrendorf/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts 7. Aufl. Rn. 794).
aa) Der Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Anwalts und dem eingetretenen Schaden kann insbesondere dann ausnahmsweise unterbrochen sein, wenn dem Gericht des Vorprozesses ein Fehler unterläuft.
Das Gericht ist für die Beachtung der ihm im öffentlichen Interesse obliegenden Verpflichtung, nach den Regeln der Verfahrensvorschriften möglichst zu einer richtigen Entscheidung zu gelangen, unabhängig von der Leistung des Anwalts verantwortlich (Fischer, aaO Rn. 1024). Der gerichtliche Aufgabenbereich der Rechtsfindung muss in die im Rahmen der Zurechnung gebotene wertende Betrachtungsweise einbezogen werden (Fischer, aaO; Fahrendorf, aaO Rn. 794).
Demgegenüber ist der Anwalt allerdings verpflichtet, seinen Mandanten vor Fehlentscheidungen der Gerichte zu bewahren (vgl. § 1 Abs. 3 BORA). Soweit sich deshalb in der gerichtlichen Fehlentscheidung das allgemeine Prozessrisiko verwirklicht, das darin liegt, dass das Gericht bei ordnungsgemäßem Vorgehen trotz des Anwaltsfehlers richtig hätte entscheiden können und müssen, ist dem Anwalt der Urteilsschaden haftungsrechtlich zuzurechnen (Fahrendorf, aaO Rn. 795). Das gilt erst recht, wenn die gerichtliche Fehlentscheidung maßgeblich auf Problemen beruht, deren Auftreten der Anwalt durch sachgemäßes Arbeiten gerade hätte vermeiden müssen (, WM 1996, 35, 40; v. - IX ZR 294/95, aaO).
bb) Eine Unterbrechung des Kausalverlaufs kommt daher nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen in Betracht: Nur in diesen Fallgestaltungen lässt der Fehler des Gerichts den für die Zurechnung zu fordernden inneren Zusammenhang des Schadens mit der Pflichtverletzung des Anwalts entfallen.
(1) Der Zurechnungszusammenhang ist beispielsweise unterbrochen, wenn der Anwalt seinen Fehler im Verlauf des Prozesses berichtigt, das Gericht die Korrektur aber nicht zur Kenntnis nimmt und den Fehler zur Grundlage seiner Entscheidung macht (vgl. , NJW 1988, 486, 487; Fischer, aaO Rn. 1031). Der ursprüngliche Anwaltsfehler wäre in diesem Fall bei richtiger rechtlicher Beurteilung des letztlich zutreffend unterbreiteten Sachverhalts folgenlos geblieben (Zugehör NJW 2003, 3225, 3228). Bei wertender Betrachtung steht der bereits behobene Fehler des Anwalts in keinem inneren Zusammenhang zu dem aus der Fehlentscheidung des Gerichts resultierenden Schaden.
(2) Gleiches gilt, wenn die Pflichtwidrigkeit des Anwalts nur den äußeren Anlass für ein ungewöhnliches Eingreifen des Geschädigten oder eines Dritten bildet (, aaO S. 2884; v. - IX ZR 204/93, NJW 1994, 2822, 2824; v. - IX ZR 294/95, aaO S. 253; v. - IX ZR 278/00, aaO S. 1120). So kann bei Fehlern des Gerichts die Zurechnung entfallen, wenn der Schadensbeitrag des Gerichts denjenigen des Anwalts soweit überwiegt, dass letzterer ganz dahinter zurücktritt (vgl. , NJW-RR 2003, 850, 854; vgl. auch , NJW-RR 1990, 1241, 1242). In Fortführung dieser Rechtsprechung wird im Schrifttum vertreten, dass der Schaden des Mandanten einem anwaltlichen Erstschädiger dann haftungsrechtlich nicht zuzurechnen sei, wenn ein Gericht als Zweitschädiger unter völlig ungewöhnlicher, sachwidriger und daher grober, schlechthin unvertretbarer Verletzung seiner besonderen Pflichten eine Schadensursache setzt, welche die vorangegangene anwaltliche Pflichtverletzung mit Rücksicht auf Art, Gewicht und wechselseitige Abhängigkeit der Schadensbeiträge so sehr in den Hintergrund rückt, dass bei wertender Betrachtung gleichsam nur der Gerichtsfehler als einzige, endgültige Schadensursache erscheint; in einem solchen Fall habe der Anwaltsfehler nach dem Schutzzweck der verletzten Vertragspflicht keine ins Gewicht fallende Bedeutung gegenüber der vom Gericht zu verantwortenden Schadensursache (Zugehör NJW 2003, 3225, 3230; Fischer, aaO Rn. 1028; Fahrendorf, aaO Rn. 793 f). Entsprechende Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
(3) Über diese Fallgruppen hinaus fehlt es bei wertender Betrachtung an dem für die Zurechnung der anwaltlichen Pflichtverletzung notwendigen inneren Zusammenhang, wenn der Fehler des Anwalts schlechthin ungeeignet war, die gerichtliche Fehlentscheidung hervorzurufen. War die ordnungsgemäße Erfüllung der dem Anwalt obliegenden Pflicht bei lebensnaher Betrachtung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet, die den Mandanten belastende gerichtliche Fehlentscheidung zu vermeiden, entfällt der Zurechnungszusammenhang. Rein hypothetische Erwägungen vermögen den Zurechnungszusammenhang dabei nicht auszuschließen. Der Fehler des Gerichts des Vorprozesses muss aus der von ihm tatsächlich getroffenen Entscheidung ersichtlich sein. Nur anhand ihrer kann beurteilt werden, ob die Vermeidung der anwaltlichen Pflichtverletzung geeignet war, den dem Gericht unterlaufenen Fehler zu verhindern. Zur Beurteilung der Zurechnung ist mithin - anders als bei der normativen Schadensfeststellung - die vom Gericht des Vorprozesses getroffene Entscheidung heranzuziehen.
cc) Diese Einschränkung des Zurechnungszusammenhangs ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der vom Anwalt verletzten Pflicht. Bei wertender, nicht rein kausaler Betrachtung kann die Erfüllung der Pflicht hinzugedacht werden, ohne dass der Schadenseintritt entfiele. Wenn deren Erfüllung den letztlich schadensbegründenden Fehler des Gerichts jedoch nicht hätte verhindern können, ist der dem Mandanten entstandene Schaden nur ihre zufällige Begleiterscheinung. Es fehlt an dem notwendigen inneren Zusammenhang zwischen dem Fehler des Anwalts und der Fehlentscheidung des Gerichts (vgl. Heinemann, Festgabe für Vollkommer S. 427, 443). Diese die Zurechnung begrenzende Betrachtung kommt allerdings ausschließlich bei einem im konkreten Fall feststehenden tatsächlich eingetretenen Fehler des Gerichts in Betracht. Hinter eine nur gedachte - hypothetische - Fehlentscheidung tritt die anwaltliche Pflichtverletzung nicht zurück.
c) Vorliegend ist der Zurechnungszusammenhang unterbrochen. Das pflichtwidrige Fehlverhalten des Beklagten, die unterlassene Erhöhung der Klage, war schlechthin ungeeignet, den Fehler des Gerichts des Vorprozesses, die Abweisung der Klage als unschlüssig, hervorzurufen. Der Beklagte hat die Klage in der Begründung, aber nicht im Antrag erweitert. Das Gericht hätte den neuen Klagegrund berücksichtigen müssen. Mittels der Erhöhung der Klage hätte der Beklagte nach dem konkreten Verlauf des Vorprozesses nicht erreichen können, dass das Gericht eine andere Entscheidung als die Klageabweisung trifft. Das Versäumnis, die Klage zu erweitern, hat der Klägerin auch nicht ein Rechtsmittel genommen, das ihr ansonsten zur Verfügung gestanden hätte. Die Klage hätte nur auf 42.695 DM erhöht werden können. Das Berufungsurteil des Vorprozesses erging am ; die Voraussetzungen des § 546 Abs. 1 Satz 1 ZPO a. F. lagen daher auch dann nicht vor.
Auch das vom Beklagten nach dem Klägervortrag pflichtwidrig unterlassene Beweisangebot für die Richtigkeit der von ihm dargelegten Berechnungsmethode hat zu keinem dem Anwalt zuzurechnenden Schaden der Klägerin geführt. Da das Gericht die Klage bereits als unschlüssig abgewiesen hat, war das Beweisangebot nicht geeignet, eine andere Entscheidung herbeizuführen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DB 2008 S. 178 Nr. 4
NJW 2008 S. 1309 Nr. 18
WM 2008 S. 317 Nr. 7
ZIP 2008 S. 225 Nr. 5
VAAAC-68048
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja