Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters wegen des Gesundheitszustands des Antragstellers; Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen Überraschungsentscheidung
Gesetze: FGO § 79, FGO § 142, FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist die Witwe und Erbin des während des Beschwerdeverfahrens verstorbenen Klägers und Beschwerdeführers (Kläger). Dieser hatte zusammen mit der Klägerin beim Finanzgericht (FG) Klage wegen des sie betreffenden Einkommensteuerbescheids 1989 erhoben. In diesem Klageverfahren beantragten sie, ihnen Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen sowie einen Rechtsanwalt und einen Steuerberater, die jeweils von ihnen benannt waren, beizuordnen. Im Hinblick auf die schwere Erkrankung des Klägers führte das FG in dessen Wohnung einen Erörterungstermin durch. Ausweislich der hierüber gefertigten Niederschrift schränkten die Kläger den PKH-Antrag in der Weise ein, dass nunmehr nicht mehr beantragt wurde, ihnen einen Bevollmächtigten im Rahmen des PKH-Verfahrens beizuordnen. Im Anschluss hieran ist in der Niederschrift der Hinweis des FG vermerkt, den Klägern stehe es natürlich frei, einen erneuten erweiterten PKH-Antrag zu stellen, was allerdings voraussetze, dass ein vertretungsbereiter Anwalt benannt werde, der beigeordnet werden solle. Im weiteren Verlauf des Erörterungstermins verzichteten die Kläger und der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Durch Beschluss vom bewilligte das FG den Klägern entsprechend ihrem eingeschränkten Antrag PKH. Durch das ohne mündliche Verhandlung ergangene Urteil vom wies das FG die Klage teilweise ab.
Mit ihrer Beschwerde macht die Klägerin geltend, das angefochtene Urteil beruhe auf einem Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Das FG habe in mehrfacher Weise den Anspruch auf Gewährung von rechtlichem Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG—) verletzt.
Es habe in den Räumlichkeiten der Kläger einen Erörterungstermin durchgeführt. Dieser Termin sei den Klägern aber nicht schriftlich bekannt gegeben worden.
Auch seien für den Prozess relevante Unterlagen des Klägers, welche beschlagnahmt gewesen seien, erst am und damit nach Durchführung des Erörterungstermins zurückgegeben worden. Das FG beziehe sich in seinem Urteil auf die Erkenntnisse der Beschlagnahme. Der Kläger habe keine Möglichkeit gehabt, die Unterlagen selbst zu beurteilen.
Der Kläger sei, was u.a. durch den Beschluss des Amtsgerichts A (AG) vom belegt sei, krankheitsbedingt dauernd verhandlungsunfähig gewesen. Das AG habe daher das gegen den Kläger gerichtete Strafverfahren gemäß § 206a der Strafprozessordnung (StPO) endgültig eingestellt. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör liege daher auch deshalb vor, weil das FG den Rechtsstreit trotz der Verhandlungsunfähigkeit des Klägers durchgeführt habe.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Es trägt insbesondere vor, im Rahmen des Erörterungstermins sei die Frage besprochen worden, ob es noch sinnvoll sei, einen Anwalt oder Steuerberater mit der Angelegenheit zu befassen. Dies hätten die Kläger letztlich nicht für angebracht gehalten, weil ihnen keine geeignete Person bekannt gewesen sei.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Denn der gerügte Verfahrensmangel der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt jedenfalls nicht vor.
1. Soweit der geltend gemachte Verfahrensmangel darauf gestützt wird, das FG habe dem Kläger den Termin für die Durchführung des Erörterungstermins nicht schriftlich mitgeteilt, ist dieser Vortrag nicht schlüssig. Für die Durchführung eines Erörterungstermins (§ 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FGO) schreibt das Gesetz keine schriftliche Ladung vor. Vielmehr kann die Ladung zu einem solchen Termin auch formlos erfolgen (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 79 Rz 5 a.E.). Im Übrigen wird in der Beschwerdebegründung nicht in Abrede gestellt, dass die Kläger an dem Erörterungstermin teilgenommen und Gelegenheit gehabt haben, sich zu äußern.
2. Soweit geltend gemacht wird, das FG habe sein Urteil auf (zunächst) beschlagnahmte Unterlagen gestützt, zu denen der Kläger nicht habe Stellung nehmen können, ist der behauptete Verfahrensmangel jedenfalls nicht gegeben.
Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG sowie gegen § 96 Abs. 2 FGO liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf Tatsachen stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Dies ist dann der Fall, wenn das FG eine Überraschungsentscheidung trifft. Eine solche ist gegeben, wenn das FG seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht hat rechnen müssen (, BFH/NV 2007, 262).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben. Die Klägerin macht geltend, das FG habe in seinem Urteil Unterlagen des Klägers verwertet, die im Zeitpunkt der Durchführung des Erörterungstermins noch beschlagnahmt gewesen seien und daher dem Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht zur Verfügung gestanden hätten. Hierauf kommt es indessen nicht an. Die Tatsache, dass in einem Streitfall ein Erörterungstermin durchgeführt worden ist und die Beteiligten zudem auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben, hindert diese nicht daran, sich bis zur Absendung der Urteilsausfertigungen gegenüber dem FG in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht schriftsätzlich zu äußern. Denn bis dahin eingehende Schriftsätze der Beteiligten hat das FG bei seiner Urteilsfindung zu berücksichtigen (, BFH/NV 2005, 376). Es ist daher entscheidend, dass der Kläger ausweislich der Beschwerdebegründung die beschlagnahmten Unterlagen am und damit fast einen Monat vor Ergehen des angefochtenen Urteils erhalten hat. Die Kläger hatten mithin noch Gelegenheit, sich gegenüber dem FG zu diesen Unterlagen zu äußern. Gegebenenfalls hätten die Kläger beim FG den Antrag stellen können, die Entscheidung des Rechtsstreits zurückzustellen und ihnen Gelegenheit zu geben, zu den bisher beschlagnahmten Unterlagen Stellung zu nehmen.
3. Auch die Rüge, das FG habe den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es das finanzgerichtliche Verfahren trotz der dauernden Verhandlungsunfähigkeit des Klägers durchgeführt hat, ist nicht schlüssig. Für das finanzgerichtliche Verfahren existiert keine § 206a StPO vergleichbare Regelung, wonach das (Straf-)Verfahren wegen dauernder Verhandlungsunfähigkeit (des Angeklagten) einzustellen ist. Eine solche Vorschrift wäre mit dem Ziel des finanzgerichtlichen Verfahrens, Rechtsschutz wegen eines ergangenen Steuerverwaltungsakts zu gewähren, auch nur schwerlich zu vereinbaren.
Der angerufene Senat kann offenlassen, ob das Vorbringen der rechtskundig vertretenen Klägerin in dem Sinne gedeutet werden kann, der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liege im Streitfall darin, dass das FG die gebotene Beiordnung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters nicht vorgenommen habe. Denn ein solcher Verstoß wird nicht schlüssig aufgezeigt.
Zwar können der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie die Garantie des effektiven sozialen Rechtsschutzes und das Prinzip der Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten verletzt sein, wenn das FG zu Unrecht die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen des PKH-Verfahrens (§ 142 Abs. 1 und 2 FGO i.V.m. § 121 Abs. 2 der Zivilprozessordnung —ZPO—) versagt (, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2002, 531; V C 1.75, BVerwGE 51, 277). Eine solche Beiordnung kann nicht nur geboten sein, wenn der Streitfall in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht Schwierigkeiten aufweist. Vielmehr kann es nach Ansicht des angerufenen Senats auch wegen des Gesundheitszustands eines Antragstellers geboten sein, eine solche Beiordnung auszusprechen. Denn die Beiordnung hat dann zu erfolgen, wenn aufgrund konkreter Umstände zu befürchten ist, der Betroffene werde nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht imstande sein, seine Rechte sachgerecht wahrzunehmen (Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 121 Rz 5).
Indes setzt eine solche Beiordnung gemäß § 121 Abs. 2 ZPO voraus, dass der Antragsteller dies beantragt. Die Klägerin behauptet selbst nicht, dass die Kläger beim FG einen solchen Antrag gestellt hätten. Auch ist der Niederschrift über den Erörterungstermin vom zu entnehmen, dass die Kläger ihren zunächst gestellten Antrag, ihnen PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts und Steuerberaters zu bewilligen, in dem Sinne eingeschränkt haben, dass kein Prozessvertreter beizuordnen sei.
Die Klägerin legt schließlich auch nicht schlüssig dar, dass die Einschränkung dieses Antrags auf einer unzutreffenden Belehrung durch das FG und damit auf einem Verstoß gegen § 76 Abs. 2 FGO beruhe (vgl. hierzu , BFH/NV 2007, 1154). Denn in der Beschwerdebegründung wird auf den Ablauf des Erörterungstermins nicht konkret eingegangen. Überdies hat die Klägerin den Vortrag des FA im Beschwerdeverfahren nicht bestritten, die Kläger hätten von sich aus ihren Antrag eingeschränkt.
Soweit das Protokoll im Anschluss hieran den richterlichen Hinweis enthält, den Klägern stehe es frei, einen erneuten erweiterten PKH-Antrag zu stellen, was aber voraussetze, dass ein vertretungsberechtigter Anwalt benannt werde, der beigeordnet werden solle, entsprach dieser Hinweis nicht der Rechtslage. Denn gemäß § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 121 Abs. 5 ZPO ist ein Notanwalt beizuordnen, sofern der Antragsteller substantiiert glaubhaft macht, dass er zumindest eine gewisse Zahl zur Vertretung befugter Personen vergeblich um Übernahme des Mandats ersucht hat (, BFH/NV 1996, 254). Der fehlerhafte Hinweis des FG war indessen nicht ursächlich für die seitens der Kläger erfolgte Antragseinschränkung. Denn ausweislich der Niederschrift über den genannten Erörterungstermin ist dieser Hinweis erst erfolgt, nachdem die Kläger ihren Antrag bereits eingeschränkt hatten.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
UAAAC-67020