BFH Beschluss v. - IX B 246/06

Revisionszulassung wegen Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3; FGO § 51

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) wies die —nicht nach § 35 Abs. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) als Steuerberaterin bestellte— Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) als Verfahrensbevollmächtigte in einem Besteuerungsverfahren Dritter nach § 80 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) wegen fehlender Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen zurück. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision mit der Begründung, es seien „vielfach und sich überschneidend alle Zulassungsgründe” des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gegeben.

Die Entscheidung sei willkürlich und unter Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes sowie nach rechtswidriger Zurückweisung ihres Ablehnungsgesuchs verfahrensfehlerhaft ergangen.

Entgegen der Auffassung des FG lägen die Voraussetzungen für eine unbeschränkte Hilfe in Steuersachen durch die —ausschließlich in Belgien und den Niederlanden beruflich ansässige— Klägerin nach Maßgabe des § 3 Nr. 4 Satz 1 StBerG vor, weil sie damit eine Dienstleistung nach Art. 50 des EG-Vertrages (EG) erbringe. Ob sie ihren Wohnsitz in Deutschland habe, sei für diese Befugnis nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ohne Bedeutung; die angefochtene Entscheidung weiche damit von der EuGH-Rechtsprechung ab.

Im Übrigen habe das FG zu Unrecht eine Befugnis der Klägerin zur Steuerberatung nach niederländischem und belgischem Recht verneint; wäre es den in ihren Schriftsätzen gestellten Beweisanträgen nachgekommen, hätte es dem Urteil die zutreffende Rechtslage nach dem Recht dieser beiden Länder zu Grunde legen können.

Schließlich sei das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage vorzulegen, ob die Regelungen des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 und 50 EG mit der Berufsfreiheit vereinbar seien; ebenso sei dem EuGH die Frage vorzulegen, ob § 3 Nr. 4 Satz 2 StBerG mit dem EG-Vertrag vereinbar sei.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gegen das angefochtene Urteil des FG nach § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

1. Die Einwendungen der Klägerin gegen ihre Zurückweisung als Prozessbevollmächtigte gemäß § 80 Abs. 5 AO lassen nicht erkennen, dass die Sache Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO aufwirft. Denn die im Streitfall erhebliche Frage, unter welchen Voraussetzungen eine inländische Steuerberatungstätigkeit von im europäischen Ausland beruflich ansässigen Personen (ohne inländische Zulassung zum Beruf des Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers) durch den Erlaubnistatbestand des § 3 Nr. 4 StBerG für Dienstleistungen i.S. des § 50 EG gerechtfertigt wird, ist durch die Rechtsprechung des EuGH und des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt. Ob im Einzelfall eine Dienstleistung nur vorübergehenden Charakter hat, erfordert eine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse, die in erster Linie dem Tatrichter obliegt und revisionsrechtlich nur eingeschränkt —nämlich hinsichtlich eines Verstoßes gegen die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze sowie gegen Verfahrensrecht— überprüft werden kann (, BFH/NV 2006, 829, m.w.N.).

2. Eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO scheidet ebenfalls aus. Dabei kommt eine Zulassung schon nicht in Betracht, wenn das FG seine Auffassung auf mehrere —selbständig tragende— Begründungen gestützt hat und nur gegen eine der Begründungen eine Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung eingewendet wird (, BFH/NV 2006, 356; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 60, m.w.N.).

Dementsprechend fehlt eine entscheidungserhebliche Abweichung im Streitfall schon deshalb, weil das FG die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zurückweisung (unter III. 3. a seiner Entscheidungsgründe) auch damit begründet hat, dass die Klägerin „dauerhaft, regelmäßig wiederkehrend und kontinuierlich im Inland geschäftsmäßige Hilfe in Steuersachen leistet” und damit die Voraussetzungen einer nur vorübergehenden Tätigkeit i.S. des Art. 50 EG nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom Rs. C-131/01, EuGHE 2003, I-1659) unter Berücksichtigung der danach maßgeblichen Kriterien (Dauer der Leistung, Häufigkeit, regelmäßige Wiederkehr oder Kontinuität) nicht gegeben sind (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 829, m.w.N.). Auf die Frage, ob die Anwendbarkeit des Erlaubnistatbestandes in § 3 Nr. 4 StBerG nur durch eine berufliche Niederlassung im Inland oder auch aufgrund eines inländischen Wohnsitzes ausgeschlossen ist, kommt es danach ersichtlich nicht an.

3. Auch eine Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO kommt nicht in Betracht.

a) Soweit die Klägerin geltend macht, die materiell-rechtliche Entscheidung des FG widerspreche dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen und europarechtlichen Bestimmungen und sei als willkürlich anzusehen, rügt sie (nur) die materielle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Urteils, die mit Verfahrensrügen nicht anzugreifen ist (, BFH/NV 2002, 1476, m.w.N.).

b) Soweit die Klägerin rügt, das FG habe seine Entscheidung zur Ansässigkeit im Inland unter Verstoß gegen § 96 Abs. 2 FGO ohne vorherigen Hinweis auf die Quellen seiner entsprechenden Feststellungen getroffen, fehlt es schon an der nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gebotenen Erheblichkeit der Feststellungen für die Entscheidung. Wie bereits unter 2. dargestellt, ist die Zurückweisung der Klägerin unter Hinweis auf die im Tatbestand des Urteils aufgeführten Aktenzeichen der von ihr betriebenen Verfahren wegen der daraus gefolgerten dauerhaft im Inland ausgeübten steuerberatenden Tätigkeit begründet worden. Insoweit sind die von der Klägerin gerügten Bezugnahmen auf ihr unbekannte Unterlagen ersichtlich nicht von Bedeutung. Vor diesem Hintergrund stellt sich ihr Einwand, die vom FG in Bezug genommenen anderweitigen Rechtsstreitigkeiten beträfen nur Altfälle, als Rüge der materiellen Rechtmäßigkeit der getroffenen Entscheidung dar, die im Rahmen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO —wie ausgeführt— nicht zulässig ist.

c) Eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO kommt auch nicht wegen der Ablehnung des Befangenheitsgesuchs gegen den Berichterstatter des FG in Betracht. Soweit nach der Rechtsprechung die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuches als Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) und damit als Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 1 FGO geltend gemacht werden kann, setzt dies nämlich voraus, dass der Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuches greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich ist (vgl. , BFH/NV 2007, 1330; Gräber/Ruban, a.a.O., § 128 Rz 9). Der im Streitfall erhobene Einwand, das FG hätte dem auf das Befangenheitsgesuch bezogenen Beweisantrag stattgeben müssen, lässt einen solchen Mangel nicht erkennen, zumal im Ablehnungsverfahren nicht Sachverständigengutachten —wie von der Klägerin beantragt—, sondern nur sog. präsente Beweismittel in Betracht kommen (, BFH/NV 1999, 1608: Nur Beweisaufnahme, die sofort erfolgen kann; Gräber/ Stapperfend, a.a.O., § 51 Rz 67).

d) Ebenso kann die Klägerin eine Zulassung der Revision wegen unterlassener Beweisaufnahme zu ihrer Steuerberatungsbefugnis nach belgischem und niederländischem Recht nicht mehr als Verletzung des § 76 Abs. 1 FGO geltend machen, nachdem sie in der mündlichen Verhandlung ohne hinreichende Entschuldigung nicht erschienen und deshalb das Unterlassen einer entsprechenden Beweisaufnahme nicht gerügt worden ist (vgl. , BFH/NV 2006, 341, m.w.N.).

4. Schließlich konnte der Senat ohne Vorlage an den EuGH entscheiden, weil nach der Rechtsprechung des BFH die in Art. 43 ff. EG gewährleistete Niederlassungsfreiheit und die in Art. 49 ff. EG gewährleistete Dienstleistungsfreiheit durch § 3 Nr. 4 StBerG nicht unzulässig beeinträchtigt werden (vgl. , BFH/NV 2004, 827). Ebenso sind Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Berufsfreiheit nach Maßgabe des Art. 12 GG und damit die Notwendigkeit einer Vorlage an das BVerfG nicht gegeben: Weil die mit der Steuerberatung verbundene Berufsaufgabe der Steuerrechtspflege als wichtigem Gemeinschaftsgut dient, darf der Gesetzgeber Anforderungen an die persönliche Eignung des Berufsbewerbers stellen und insbesondere die Berufsausübung als Steuerberater von subjektiven Zulassungsvoraussetzungen —wie sie im Steuerberatungsgesetz geregelt sind— abhängig machen (, Die Information über Steuer und Wirtschaft 1988, 551). Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass es —wie es das BVerfG für den Bereich der Handwerksordnung mit Beschluss vom 1 BvR 1730/02 (Deutsches Verwaltungsblatt 2006, 244) angenommen hat— zweifelhaft erscheinen muss, ob die Voraussetzungen, die § 3 StBerG für die Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen aufstellt, mit Blick auf die Veränderung der wirtschaftlichen und rechtlichen Umstände noch zumutbar sind. Die Anforderungen, die eine zuverlässige Hilfeleistung in Steuersachen stellt, sind in Anbetracht der allseits unbestrittenen Kompliziertheit des deutschen Steuersystems eher gestiegen. Angesichts dieses Umstandes ist nicht ersichtlich, dass sich Steuerberater in Deutschland einer ähnlich ernsthaften Konkurrenz von Dienstleistern aus anderen Mitgliedstaaten im Rahmen grenzüberschreitender, vorübergehender steuerlicher Dienstleistungen gegenübersehen, wie sie das BVerfG für den Bereich des Handwerks angenommen hat (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom VII B 165-167/06, juris; vom X B 179/05, BFH/NV 2007, 1197).

Fundstelle(n):
KÖSDI 2008 S. 15924 Nr. 3
AAAAC-66234