Verkündung des FG-Urteils am Schluss des Sitzungstages; Voraussetzungen einer Überraschungsentscheidung
Gesetze: FGO § 104 Abs. 1; GG Art. 103
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine im Bauwesen tätige Kapitalgesellschaft mit Sitz in Kroatien. Ihr Geschäftsführer war in den Streitjahren (2001 und 2002) K.
In den Jahren 1999 bis 2002 schloss die Klägerin, vertreten durch K, wiederholt Verträge über die Durchführung von Bauarbeiten in Deutschland ab. In den Verträgen sind jeweils eine kroatische Anschrift der Klägerin und zusätzlich eine „Anlaufstelle” im Inland angegeben. In den von der Klägerin ausgestellten Rechnungen war ebenfalls die Anschrift der bezeichneten „Anlaufstelle” und zusätzlich eine derselben Stadt zuzuordnende Telefonnummer aufgeführt.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) forderte die Klägerin wiederholt auf, für die Streitjahre Erklärungen zur Körperschaftsteuer und zur Gewerbesteuer abzugeben. Dieser Aufforderung kam die Klägerin nicht nach. Daraufhin setzte das FA gegen sie nach vorheriger Androhung wegen Nichtabgabe der genannten Erklärungen Zwangsgelder fest; zugleich drohte es die Festsetzung weiterer Zwangsgelder an. Die deshalb erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen, ohne die Revision gegen sein Urteil zuzulassen.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die von der Klägerin geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen, soweit sie ordnungsgemäß dargelegt worden sind, nicht vor.
1. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (Nr. 2) oder das Urteil auf einem geltend gemachten und vorliegenden Verfahrensmangel beruht (Nr. 3). Wird hierauf eine Nichtzulassungsbeschwerde gestützt, so muss der geltend gemachte Zulassungsgrund in der Beschwerdebegründung dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Bei der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde können nur die dargelegten Zulassungsgründe berücksichtigt werden.
2. Im Streitfall rügt die Klägerin als Verfahrensmängel, dass das FG seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verletzt und gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen habe. Den von ihr geltend gemachten Sachaufklärungsmangel hat sie indessen nicht i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt, was gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO keiner Begründung bedarf. Ihre Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör greift ebenfalls nicht durch.
a) Die Klägerin beanstandet insoweit zum einen, dass das FG erstmals in der mündlichen Verhandlung auf eine Entscheidung des BFH hingewiesen habe, nach der die bloße Möglichkeit einer Steuerpflicht das FA zur Anforderung einer Steuererklärung berechtige. Insoweit liege eine Überraschungsentscheidung vor, zumal ihr —der Klägerin— Prozessbevollmächtigter im Vorfeld der mündlichen Verhandlung wiederholt um richterliche Hinweise gebeten, darauf aber keine Antwort erhalten habe.
Dieses Vorbringen muss indessen schon deshalb ohne Erfolg bleiben, weil ein Verfahrensbeteiligter stets damit rechnen muss, dass das FG bei seiner Entscheidung die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung berücksichtigen wird. Deshalb kann der Hinweis auf eine Entscheidung des BFH zumindest im Verhältnis zu einem fachkundig vertretenen Beteiligten allenfalls dann überraschend sein, wenn jene Entscheidung der Öffentlichkeit entweder gar nicht oder erst vor kurzer Zeit bekannt geworden ist. Um einen solchen Sachverhalt geht es im Streitfall nicht; das FA hat vielmehr zu Recht darauf hingewiesen, dass die vom FG vertretene Rechtsansicht einer langjährigen und allgemein zugänglichen Rechtsprechung des BFH entspricht (z.B. Senatsurteil vom 18. Dezember 1974 I R 161/73, BFHE 115, 93, BStBl II 1975, 464, m.w.N.). Unter diesen Umständen musste das FG der Klägerin weder im Vorfeld der mündlichen Verhandlung den von der Klägerin vermissten Hinweis erteilen noch der Klägerin einen Schriftsatznachlass gewähren. Ob darüber hinaus die Klägerin durch ihr Verhalten in der mündlichen Verhandlung auf die Wahrung ihres Rechts auf Gehör verzichtet hat (vgl. dazu , BFH/NV 2007, 1171; Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 100 ff., m.w.N.), kann angesichts dessen dahinstehen.
b) Entgegen der Ansicht der Klägerin liegt ein Verfahrensfehler auch nicht darin, dass das FG zunächst die mündliche Verhandlung ohne Verkündung einer Entscheidung geschlossen und sodann ca. drei Stunden später das angefochtene Urteil verkündet hat. Diese Vorgehensweise entspricht der Gesetzeslage, nach der ein Urteil in der Regel in dem Termin verkündet wird, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird (§ 104 Abs. 1 Satz 1 FGO). Danach bedeutet „in dem Termin” nicht, dass das Urteil unmittelbar im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündet werden muss; es genügt vielmehr, dass die Verkündung am Schluss des Sitzungstages erfolgt, an dem die mündliche Verhandlung stattgefunden hat (von Groll in Gräber, a.a.O., § 104 Rz 3; Brandt in Beermann/Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 104 FGO Rz 22, m.w.N.). In dieser Weise ist das FG verfahren, wozu es angesichts der gesetzlichen Ausgangslage auch ohne vorherigen Hinweis berechtigt war. Damit geht zugleich die Rüge der Klägerin fehl, das FG habe einen nachgereichten Schriftsatz nicht berücksichtigt, da bei Eingang dieses Schriftsatzes das angefochtene Urteil bereits verkündet und damit wirksam geworden war.
3. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO hält die Klägerin deshalb für erfüllt, weil das FG die Voraussetzungen für das Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte grob fehlerhaft beurteilt habe und in diesem Punkt sowohl eine Rechtsfortbildung als auch eine Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung geboten seien. Damit kann sie jedoch ebenfalls nicht durchdringen. Sie verkennt zum einen, dass es im Streitfall nicht darauf ankommt, ob sie im Streitjahr tatsächlich eine Betriebsstätte im Inland besessen hat; das FG hat es im Zusammenhang mit der Anforderung der Steuererklärungen vielmehr zu Recht für ausreichend erachtet, dass das Vorhandensein einer solchen Betriebsstätte ernstlich möglich erscheint. Zum anderen macht die Klägerin letztlich nur geltend, dass das FG in diesem Punkt die einschlägige Rechtslage verkannt habe; damit rügt sie aber eine „schlichte” Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Urteils, die nicht zur Zulassung der Revision führen kann (, BFH/NV 2007, 1088). Weitere Ausführungen hierzu hält der Senat für entbehrlich (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
4. Schließlich hat die Rechtssache auch nicht die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung. Die Klägerin hält für klärungsbedürftig, ob —wie das FG angenommen hat— ihr Geschäftsführer K als ihr ständiger Vertreter i.S. des § 13 der Abgabenordnung anzusehen sei und ob seine Tätigkeit zu einer Vertreterbetriebsstätte im abkommensrechtlichen Sinne habe führen können. Diese Frage ist aber im Streitfall nicht entscheidungserheblich, wenn man mit dem FG darauf abstellt, dass die inländische „Anlaufstelle” der Klägerin als deren Betriebsstätte anzusehen ist und dass dies unabhängig von der Vertretereigenschaft des K zur inländischen Steuerpflicht der Klägerin führt. Da jene Erwägung die angefochtene Entscheidung selbständig trägt, könnte die Revision nur dann zugelassen werden, wenn hinsichtlich jedes einzelnen Begründungsansatzes ein Zulassungsgrund geltend gemacht worden wäre und vorliegen würde (, BFH/NV 2007, 720; Ruban in Gräber, a.a.O., § 115 Rz 31, m.w.N.). Daran fehlt es im Streitfall.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 86 Nr. 1
ZAAAC-64328