Besetzungsrüge gemäß § 119 Nr. 1 FGO; Verwertung der dienstlichen Äußerung eines abgelehnten Richters
Gesetze: FGO § 119 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 51
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Klägerin und Antragstellerin (Antragstellerin) ist Alleinerbin ihres im Jahr 1994 verstorbenen Ehemannes, der als Rechtsanwalt und Notar in einer Anwaltssozietät freiberuflich tätig war. Nach dem Gesellschaftsvertrag sollte der Anteil des durch Tod ausgeschiedenen Gesellschafters den verbleibenden Gesellschaftern zu gleichen Teilen zuwachsen. Entsprechend den gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen wurden der Antragstellerin nach dem Tod ihres Ehemannes die Versicherungssummen einschließlich der Gewinnanteile aus verschiedenen Teilhaberversicherungen in Höhe von insgesamt . DM ausbezahlt.
Der Beklagte (das Finanzamt —FA—) wertete die Versicherungszahlungen als Veräußerungspreis für die Übertragung des Mitunternehmeranteils und setzte insoweit in der Einspruchsentscheidung vom einen Veräußerungsgewinn in Höhe von . DM an.
Im Rahmen des Klageverfahrens wurden die für den 29. August und anberaumten Termine zur mündlichen Verhandlung auf Antrag des Prozessbevollmächtigten aufgehoben.
Mit Gerichtsbescheid vom wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab. Die Antragstellerin beantragte mündliche Verhandlung. Der Termin zur mündlichen Verhandlung wurde auf den , 10.00 Uhr bestimmt. Die Ladung wurde dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am zugestellt.
Mit Schreiben vom beantragte er, den Termin zu verlegen und einen neuen Verhandlungstermin mit ihm abzustimmen oder „weiträumig” anzuberaumen. Zur Begründung trug er vor, dass er am bereits Mandantengespräche mit einem Vorlauf von bis zu acht Wochen vereinbart habe. Eine Umdisponierung dieser Termine sei nicht möglich. Nach gerichtlicher Aufforderung, die Verhinderungsgründe zu konkretisieren und glaubhaft zu machen, gab der Prozessbevollmächtigte an, am Terminstag bereits drei Besprechungstermine für 10.00 Uhr, 11.30 Uhr und 14.30 Uhr vereinbart zu haben. Diese Angaben würden anwaltlich versichert. Weitergehende Angaben hierzu könnten aufgrund der anwaltlichen Schweigepflicht nicht gemacht werden. Eine Vertretung durch einen Kollegen der Kanzlei sei nicht möglich, da allein Rechtsanwalt X in das Verfahren und das Fachgebiet des Steuerrechts eingearbeitet sei.
Die Terminsverlegung wurde mit dem von der Senatsvorsitzenden S gefertigten Schreiben vom mit der Begründung abgelehnt, dass keine erheblichen Gründe i.S. des § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht worden seien. Es fehle an einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch die betroffene Mandantschaft (unter Hinweis auf den , BFH/NV 2002, 515). Im Übrigen sei auch nicht erkennbar, wieso der anberaumte Termin nicht durch ein anderes Mitglied der Sozietät sachgerecht wahrgenommen werden könnte.
Das an den Prozessbevollmächtigten am gleichen Tag per Fax abgesandte Ablehnungsschreiben, das von einer Justizangestellten beglaubigt war, enthielt als Absender im Briefkopf „... Senat Die Vorsitzende” und als Unterzeichner „Z”.
Mit Schriftsatz vom , der beim FG um 9.31 Uhr einging, lehnte die Antragstellerin die Vorsitzende Richterin des ... Senats sowie den Richter am FG Z wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trug sie vor, dass für sie nicht erkennbar sei, ob die Entscheidung über ihren Antrag auf Terminsverlegung nur durch die Senatsvorsitzende oder/und durch den Berichterstatter Z getroffen worden sei. Die Richter hätten bei ihr, der Antragstellerin, den Eindruck erweckt, dass sie sich bei dieser Entscheidung von sachfremden Erwägungen hätten leiten lassen. Denn sie hätten für das Bestehen bereits zuvor vereinbarter Termine die anwaltliche Versicherung nicht genügen lassen, sondern eine Glaubhaftmachung durch die betroffenen Mandanten verlangt. Eine Vertretung durch einen anderen Kollegen der Sozietät sei nicht möglich gewesen, weil es um spezielle Rechtsfragen aus dem Steuerrecht gegangen sei.
Der Befangenheitsantrag wurde ohne Mitwirkung der Senatsvorsitzenden S und des Berichterstatters Z mit Beschluss vom abgelehnt. Der Beschluss wurde noch am gleichen Tag um 15.06 Uhr an den Prozessbevollmächtigten per Fax übersandt.
An der mündlichen Verhandlung nahm für die Antragstellerin niemand teil. Die Klage wurde unter Mitwirkung der abgelehnten Richter abgewiesen.
Die Antragstellerin hat für eine beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des FG Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Zur Begründung trägt sie vor, dass die Revision (auch) gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen sei. Das Ablehnungsgesuch sei als unbegründet zurückgewiesen worden, ohne eine dienstliche Äußerung der abgelehnten Richter einzuholen, ohne Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben und ohne die zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufenen Richter zu benennen. Dieses in mehrfacher Hinsicht grob gesetzwidrige Verhalten des FG verletze ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Ihr sei die Möglichkeit genommen worden, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, weil die abgelehnten Richter trotz des Enthaltungsgebotes gemäß § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 47 Abs. 1 ZPO in der Sache verhandelt und entschieden hätten. Sie sei dadurch i.S. von § 119 Nr. 4 FGO gehindert worden, ihre Rechte im Verfahren geltend zu machen. Die Entscheidung verletze auch in schwerwiegender Weise ihr Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), weil abgelehnte Richter an der Entscheidung mitgewirkt hätten.
II. Der Antrag auf PKH ist abzulehnen.
1. Nach § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Nichtzulassungsbeschwerde ist gegeben, wenn bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung zum Erfolg führen kann. Das ist der Fall, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des jeweiligen Klägers nach dessen Sachdarstellung und den vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist und deshalb bei summarischer Prüfung für den Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. (PKH), BFH/NV 2006, 801, m.w.N.).
Im Streitfall hat die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde bei der gebotenen überschlägigen Prüfung keine Aussicht auf Erfolg. Dabei lässt der erkennende Senat offen, ob der Schriftsatz, mit dem der PKH-Antrag begründet wurde, den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechen muss bzw. entspricht (vgl. hierzu BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 801).
2. Verfahrensfehler i.S. der §§ 115 Abs. 2 Nr. 3, 119 FGO sind nicht ersichtlich.
a) Die Rüge, das angefochtene Urteil verletze das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, weil abgelehnte Richter an der Entscheidung mitgewirkt hätten, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG greift nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften ein. Deshalb hat eine Besetzungsrüge gemäß § 119 Nr. 1 FGO nur Aussicht auf Erfolg, wenn sich dem Vorbringen entnehmen lässt, dass der Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich ist (vgl. , BFH/NV 2007, 1330). Die Ausführungen der Antragstellerin lassen indes nicht erkennen, aus welchen Gründen der Ablehnungsentscheidung des derart schwerwiegende Mängel anhaften würden. Hierfür genügt es nicht, wenn die Antragstellerin vorträgt, dass das Verhalten der Richter nach Anbringung des Ablehnungsgesuchs gesetzwidrig und willkürlich gewesen sei. Dem Vorbringen lässt sich nicht einmal die bloße (einfache) Fehlerhaftigkeit der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch entnehmen.
b) Der Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) ist nicht deshalb i.S. von § 119 Nr. 3 FGO verletzt worden, weil das kurz vor Beginn der mündlichen Verhandlung am gestellte Befangenheitsgesuch mit Beschluss vom gleichen Tag als unbegründet abgelehnt worden ist, ohne der Antragstellerin Gelegenheit zu geben, zur dienstlichen Äußerung der abgelehnten Richter Stellung zu nehmen, und ohne die zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufenen Richter zu benennen.
aa) Der abgelehnte Richter hat sich zwar über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern (§ 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO). Das bedeutet, dass er zu den für das Ablehnungsgesuch entscheidungserheblichen Tatsachen Stellung nimmt, soweit ihm das notwendig und zweckmäßig erscheint (vgl. , BFH/NV 2007, 753). Die in § 44 Abs. 3 ZPO vorgesehene Einholung einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters dient der vollständigen Aufklärung des für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch erheblichen Sachverhalts (vgl. , BFH/NV 2001, 176). Auf die dienstliche Äußerung kann deshalb verzichtet werden, wenn der Sachverhalt keiner weiteren Aufklärung bedarf (, juris). Streitige Tatsachen und Beweisergebnisse, die das Gericht einer dienstlichen Äußerung entnommen hat, dürfen jedoch nur dann verwertet werden, wenn der ablehnende Beteiligte zu der dienstlichen Äußerung Stellung nehmen konnte (, 2 BvR 677/67, BVerfGE 24, 56).
bb) Im Streitfall sind bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch keine streitigen Tatsachen einer dienstlichen Äußerung entnommen worden. Soweit die Richter in dem Beschluss über das Ablehnungsgesuch vom ohne Weiteres davon ausgehen, dass die Ablehnung der Terminsaufhebung durch die Vorsitzende Richterin S erfolgt ist, kam es auf eine dienstliche Äußerung nicht an, weil sich diese Tatsache zweifelsfrei aus der entsprechenden Verfügung der Vorsitzenden vom (Bl. 158R der FG-Akten) ergibt.
cc) Die Ablehnung des Befangenheitsantrags ist nicht deshalb rechtswidrig, weil die zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch zuständigen Richter nicht vor der Entscheidung der Antragstellerin mitgeteilt wurden. Denn diese können regelmäßig ohne Weiteres dem Geschäftsverteilungsplan des FG entnommen werden.
c) Soweit die Antragstellerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) und des Rechts auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung (§ 119 Nr. 4 FGO) rügt, weil die abgelehnten Richter trotz des Enthaltungsgebotes gemäß § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 47 Abs. 1 ZPO in der Sache verhandelt und entschieden hätten, liegt kein Grund für die Zulassung der Revision vor.
Ein abgelehnter Richter hat zwar vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten (§ 47 Abs. 1 ZPO). Die Wartepflicht des § 47 ZPO kann jedoch nicht mehr gerügt werden, wenn das Ablehnungsgesuch —wie im Streitfall— im Ergebnis erfolglos bleibt (vgl. , Deutsches Steuerrecht 2005, 389, m.w.N.). Ist ein Ablehnungsgesuch zu Recht zurückgewiesen worden, wird ein eventueller Verstoß des abgelehnten Richters gegen die Wartepflicht geheilt (vgl. , Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1988, 174). Denn in diesem Fall steht fest, dass der verfassungsmäßig garantierte Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) die Entscheidung getroffen hat.
3. Ferner bestehen auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen der anderen in § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO genannten Zulassungsgründe.
Fundstelle(n):
QAAAC-59264