BFH Beschluss v. - III B 50/07

Kein Kindergeld für Kinder mit Wohnsitz im außereuropäischen Ausland

Gesetze: EStG § 63

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist deutscher Staatsangehöriger und mit einer gebürtigen Türkin verheiratet, die ebenso wie der im Jahr 1997 geborene gemeinsame Sohn C die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Der Kläger ist Frührentner und unterhält im Inland eine ca. 80 qm große Dreizimmerwohnung sowie in der Türkei eine etwa 100 qm umfassende Dreizimmerwohnung.

C besucht seit Oktober 2003 eine Grundschule in der Türkei. Für die Zeit nach dem Sommer 2007 ist der Besuch eines Gymnasiums im Inland geplant. Während der Schulferien in der Türkei ist C Gastschüler an einer Grundschule im Inland bzw. nimmt an den Sommerferienprogrammen einer deutschen Gemeinde teil. Seit Januar 2005 ist er ferner Mitglied eines deutschen Fußballvereins.

Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hob mit Bescheid vom die Festsetzung des Kindergeldes für C ab Oktober 2003 nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf und forderte das für die Monate Oktober 2003 bis einschließlich Juni 2004 bezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 1 386 € nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zurück. Der Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, weil C keinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend, beruft sich auf das Erfordernis einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 und Alt. 2 FGO und rügt Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.

Die Rechtssache sei grundsätzlich bedeutsam, da der bislang in der Rechtsprechung entwickelte Wohnsitzbegriff im Streitfall zu präzisieren sei. Es stelle sich die Frage, ob eine Familie mit minderjährigem Kind ihren Inlandswohnsitz verliere, weil später eine andere Wohnung im Ausland mitbenutzt werde. Ferner sei zu klären, in welchem Umfang eine Wohnung mindestens zu nutzen sei, um einen Wohnsitz im Inland zu begründen. Darüber hinaus sei klärungsbedürftig, ob ein Wohnsitz im Ausland anzunehmen sei, wenn die betreffende Wohnung höchstens an 90 Tagen pro Kalenderjahr genutzt werden dürfe. Weiterhin sei ungeklärt, ob ein sechsjähriges Kind einen eigenen Wohnsitz in der ausländischen elterlichen Wohnung habe, wenn der inländische Wohnsitz der Eltern mit ihm zur unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 EStG führe. Insofern sei fraglich, ob die im Einkommensteuerrecht und Kindergeldrecht geltenden Wohnsitzbegriffe deckungsgleich seien. Die Revision sei darüber hinaus nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 und Alt. 2 FGO zuzulassen, weil klärungsbedürftig sei, ob der Mittelpunkt der Lebensinteressen ein Begriffsmerkmal des steuerlichen Wohnsitzes sei. Der Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO sei auch erfüllt, weil das FG-Urteil auf einem erheblichen Rechtsfehler beruhe, der geeignet sei, das Vertrauen auf die Rechtsprechung zu beschädigen.

Das FG habe ferner die ihm nach § 76 Abs. 1 FGO obliegende Sachaufklärungspflicht verletzt und damit einen zur Zulassung der Revision führenden Verfahrensfehler begangen. Das FG habe nur einseitig Tatsachenermittlung betrieben und eine Reihe von Anmerkungen des Klägers schlicht übergangen bzw. überhaupt nicht beantwortet. Das FG habe den Tatbestand unrichtig gefasst und auf einen entsprechenden Berichtigungsantrag nach § 108 FGO nicht reagiert. Auch hätten nicht alle Richter bei der Urteilsfindung mitgewirkt, die an den beiden mündlichen Verhandlungen teilgenommen hätten. Ferner habe das FG den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

Schließlich sei das Recht des Klägers auf Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt worden. Das FG habe im Übrigen gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen, indem es zur Abgrenzung des Wohnsitzes Begriffsmerkmale anwende, die sich nicht aus dem Gesetz ergäben.

II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 132 FGO).

1. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache oder zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 Alt. 1 FGO) kommt nicht in Betracht, weil die für den Streitfall entscheidungserheblichen Rechtsfragen bereits höchstrichterlich geklärt sind.

Der BFH hat mehrfach die Rechtsgrundsätze dargelegt, nach denen zu entscheiden ist, ob ein Kind, das sich zum Zwecke des Schulbesuchs mehrere Jahre im Ausland aufhält, seinen inländischen Wohnsitz (§ 8 AO) beibehält (z.B. , BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887; vom III R 57/93, BFH/NV 1995, 967; vom VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, und VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294, jeweils m.w.N.; , BFH/NV 1999, 285).

Ob im Einzelfall bei Anwendung dieser Grundsätze davon auszugehen ist, dass ein Kind seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, hat das FG unter Berücksichtigung der Umstände des Falles im Wege der Tatsachenwürdigung zu beurteilen. Der Entscheidung des FG als Tatsacheninstanz kommt insoweit keine grundsätzliche Bedeutung zu (, BFH/NV 2006, 1255).

Der Kläger hat keine Gesichtspunkte vorgetragen, die in der Rechtsprechung noch nicht gewürdigt worden wären. Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Wohnsitz des Klägers und seiner Ehefrau im Inland und dem Umfang der Nutzung ihrer Wohnung in der Türkei sind entgegen seiner Auffassung nicht entscheidungserheblich, da es für die Kindergeldberechtigung im Streitfall ausschließlich auf den Wohnsitz des Kindes ankommt, der bei einem mehrjährigen Schulbesuch im Ausland auch vom Wohnsitz der Eltern abweichen kann (vgl. Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 8 AO Rz 11, m.w.N.). Ferner hat der BFH bereits entschieden, dass der Mittelpunkt der gesamten Lebensinteressen einer natürlichen Person auch ein zulässiges —wenn auch untergeordnetes— Kriterium für die Beurteilung des Wohnsitzes ist (, BFHE 182, 296, BStBl II 1997, 447; vgl. auch Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 8 AO Rz 1, m.w.N.). Das FG hat im Streitfall sämtliche Umstände erwogen und seiner Entscheidung die vorgenannte höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt. Eine Abweichung ist nicht erkennbar. Eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO kommt daher gleichfalls nicht in Betracht.

2. Auch die vom Kläger behaupteten Verfahrensrügen greifen nicht durch.

a) Hinsichtlich der vom Kläger behaupteten Verletzung der Sachaufklärungspflicht i.S. von § 76 Abs. 1 FGO ist die Beschwerde unzulässig, da der Kläger die Rüge insoweit nicht schlüssig dargelegt hat (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

Für eine schlüssige Verfahrensrüge wären Ausführungen dazu erforderlich gewesen, welche Tatsachen das FG hätte aufklären müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können und aus welchen Gründen sich dem FG unter Berücksichtigung seines Rechtsstandpunkts die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2005, 43, m.w.N.).

Diesen Anforderungen genügt der Vortrag des Klägers in seiner Beschwerdeschrift nicht. Insbesondere ist nicht vorgetragen oder erkennbar, aus welchen Gründen sich dem FG eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen. Der Kläger beschränkt sich insofern auf die Behauptung, das FG habe teilweise seinen Vortrag übergangen und ihm zu Unrecht einseitig Auflagen erteilt, ohne die Familienkasse in gleicher Weise mit entsprechenden Informationspflichten zu belasten. Diese allgemein gehaltenen Ausführungen begründen keine schlüssige Verfahrensrüge.

b) Auch der Hinweis des Klägers auf den seines Erachtens unrichtigen Tatbestand des FG-Urteils und seinen Berichtigungsantrag nach § 108 FGO vermag die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht zu rechtfertigen.

Das Verfahren zur Berücksichtigung des Tatbestandes eines FG-Urteils ist ein von der Nichtzulassungsbeschwerde unabhängiges Verfahren, das nur vom Instanzgericht durchgeführt werden kann, nicht aber durch die höhere Instanz. Die Behauptung der Unrichtigkeit des Tatbestandes ist daher in dem hier zu beurteilenden Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision unbeachtlich (, BFH/NV 2003, 1196).

c) Der Vortrag des Klägers, das FG habe die Entscheidung nicht in derselben Besetzung der Richterbank getroffen wie in einem früheren Verhandlungstermin, vermag gleichfalls keinen Verfahrensfehler wegen Verstoßes gegen § 103 FGO zu begründen.

Das FG hat seinerzeit die mündliche Verhandlung vertagt. In einem derartigen Fall ist ein Wechsel auf der Richterbank —im Streitfall der ehrenamtlichen Richter— jedenfalls zulässig (, BFH/NV 2004, 350).

d) Schließlich ist auch keine Verletzung rechtlichen Gehörs gegeben.

aa) Rechtliches Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 GG wird den Beteiligten dadurch gewährt, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden soll. Das rechtliche Gehör bezieht sich vor allem auf Tatsachen und Beweisergebnisse (vgl. § 96 Abs. 2 FGO); darüber hinaus darf das FG seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtpunkt nur stützen, wenn die Beteiligten zuvor Gelegenheit hatten, dazu Stellung zu nehmen (, BFH/NV 2005, 1329).

bb) Das FG hat das rechtliche Gehör des Klägers nicht verletzt. Der Kläger hat selbst vorgetragen, dass er umfangreich Gelegenheit hatte, sich zu allen aufgeworfenen Fragen zu äußern. Er beanstandet lediglich, dass das FG sich gleichwohl seiner Rechtsauffassung nicht angeschlossen hat. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs umfasst aber nicht das Recht auf „Erhörung”.

3. Soweit der Kläger Verfassungsverstöße durch das FG rügt, ist die Beschwerde unzulässig, da sie den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO auch in diesem Zusammenhang nicht genügt.

a) Wird ein Verfassungsverstoß geltend gemacht, so ist zur substantiierten Darlegung eine an den Vorgaben des GG sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BFH orientierte inhaltliche Auseinandersetzung erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom III B 59/04, BFH/NV 2005, 1081).

b) Daran fehlt es im Streitfall. Die Beschwerdegründung gibt keinen Hinweis auf bereits ergangene Rechtsprechung des BVerfG zu den behaupteten Verstößen gegen Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG.

4. Im Kern wendet sich der Kläger mit seinen Ausführungen gegen die materielle Rechtmäßigkeit des FG-Urteils. Dies vermag die Zulassung der Revision nicht zu begründen.

Schließlich bestehen entgegen der Auffassung des Klägers auch keine Anhaltspunkte für offensichtliche Rechtsanwendungsfehler des FG von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung, die ausnahmsweise zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO führen könnten (z.B. Senatsbeschluss vom III B 135/05, BFH/NV 2006, 1285).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1907 Nr. 10
FAAAC-51998