Beratungstätigkeit eines Rechtsanwalts; Änderungssperre des § 173 AO
Leitsatz
Den Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit eines Rechtsanwalts sind insbesondere die Einnahmen aus Honoraren und Gebühren zuzurechnen, die ihm für die Beratung und Vertretung in fremden Rechtsangelegenheiten zufließen. Bezieht er Einkünfte, die teilweise auf der beruflichen Tätigkeit und teilweise auf einem berufsfremden (Geld-)Geschäft beruhen, sind sie möglichst getrennt zu erfassen. Ist dies nicht möglich und sind die Einkünfte überwiegend das Ergebnis einer in den Anwaltsberuf fallenden Tätigkeit, müssen sie insgesamt der freiberuflichen Tätigkeit zugerechnet werden. Selbst wenn es sich dabei nach dem wirtschaftlichen Gehalt der Absprache um die standesrechtlich unzulässige Vereinbarung eines Erfolgshonorars handelt, steht dies der steuerrechtlichen Einordnung der Einnahmen als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit nicht entgegen. Berät ein Rechtsanwalt einen Bekannten hinsichtlich der Aussichten auf Durchsetzung eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Amtshaftung gegen eine Stadt und erhält er für die Übernahme eines Teils des Kostenrisikos der durchzuführenden Prozesse vereinbarungsgemäß einen Anteil am erstrittenen Betrag, kann dieser seinen Einkünften aus selbständiger Arbeit - und nicht den sonstigen Einkünften - zuzurechnen sein .
Gesetze: EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, AO § 173
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein Rechtsanwalt und Notar, erhielt von einer Bekannten (Frau A) im Streitjahr (1996) einen Betrag von 600 000 DM; dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Frau A hatte den Kläger im Jahre 1993 um Rat gefragt, wie er die Aussichten auf Durchsetzung eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Amtshaftung gegen eine Stadt einschätze. Diesen hatte sich Frau A vom Konkursverwalter einer in Konkurs geratenen offenen Handelsgesellschaft (OHG) abtreten lassen, an der ihr Ehemann und sein Bruder beteiligt waren und gegen die sie (aus einem gewährten Darlehen) eine Konkursforderung in Höhe von 1,4 Mio. DM hatte. Da die übrigen Konkursgläubiger das Prozessrisiko scheuten, vereinbarte Frau A mit dem Konkursverwalter die Abtretung des von ihm auf 6,7 Mio. DM bezifferten Amtshaftungsanspruches, um diesen im eigenen Namen geltend machen zu können. Einen etwaigen Erlös aus der Realisierung der Forderung durfte sie vorab mit ihren Darlehensforderungen verrechnen; darüber hinaus gehende Beträge sollten zu 40 v.H. die übrigen Konkursgläubiger und einen etwaigen Rest Frau A's Ehemann erhalten.
Der Kläger machte Frau A auf die Prozessrisiken aufmerksam, ging aber davon aus, dass die Chancen überwiegen würden. Dies nahm Frau A zum Anlass, den Kläger zu bitten, zum Beleg für seine Einschätzung 25 v.H. der Prozessrisiken zu übernehmen. Im Gegenzug sollte er (nach der mündlich getroffenen Vereinbarung) bei einem Erfolg der Klage am Ergebnis mit 25 v.H. (nach Abzug des Darlehens von 1,4 Mio. DM und des an den Konkursverwalter auszukehrenden Betrages), mindestens jedoch mit 600 000 DM, beteiligt werden. Eine entsprechende —ebenfalls mündlich geschlossene— Vereinbarung traf Frau A mit ihrem Steuerberater.
Die von Frau A im eigenen Namen erhobene Klage auf Schadensersatz in Höhe von 6,7 Mio. DM wies das Landgericht ab. Das Berufungsverfahren endete mit einem Vergleich. Die verklagte Stadt zahlte Frau A 3,5 Mio. DM, die Kosten wurden gegeneinander aufgehoben. Die Schriftsätze im Verfahren der ersten Instanz hatte der Kläger gefertigt und über einen Korrespondenzanwalt eingereicht. Seine Kosten rechnete er nach der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) ab. Das Berufungsverfahren führte ausschließlich ein beim Oberlandesgericht zugelassener Anwalt.
Nach Abschluss des Vergleiches rechnete Frau A im Streitjahr gegenüber dem Kläger ab und zahlte ihm 600 000 DM. Dieser vertrat bei Abgabe seiner Einkommensteuererklärung die Auffassung, dass es sich um einen nicht steuerbaren Vorgang handele.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) ging zunächst von Einnahmen aus gewerblicher Tätigkeit aus, erfasste den Betrag dann jedoch —nach dem Hinweis des Klägers auf die fehlende Nachhaltigkeit— im Streitjahr als sonstige Einkünfte i.S. von § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 272 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt der Kläger, das FG habe zu Unrecht die Voraussetzungen des § 22 Nr. 3 EStG als gegeben angesehen. Als berufsfremdes Geschäft sei der Vorgang auch nicht seinen Einkünften aus selbständiger Tätigkeit als Rechtsanwalt (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) zuzuordnen.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils und des Einkommensteuerbescheides 1996 vom i.d.F der Einspruchsentscheidung vom die streitigen Einkünfte bei der Festsetzung der Einkommensteuer 1996 außer Ansatz zu lassen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Die streitigen Einkünfte sind nicht —wie vom FG angenommen— nach § 22 Nr. 3 EStG zu versteuern, sondern den Einkünften des Klägers aus selbständiger Tätigkeit zuzuordnen.
1. Nach § 22 Nr. 3 EStG sind sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG) Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 6) noch zu den Einkünften i.S. der Nummern 1, 1a, 2 oder 4 der Vorschrift gehören, z.B. Einkünfte aus gelegentlichen Vermittlungen und aus der Vermietung beweglicher Gegenstände. Im Streitfall fehlt es an dieser Voraussetzung; denn § 22 Nr. 3 EStG tritt hinter die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) zurück (§ 22 Nr. 3 Satz 1 1. Halbsatz EStG).
2. a) Den Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit eines Rechtsanwaltes (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) sind insbesondere die Einnahmen aus Honoraren und Gebühren zuzurechnen, die ihm für die Beratung und Vertretung in fremden Rechtsangelegenheiten (vgl. § 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung —BRAO—) zufließen. Bezieht er Einkünfte, die teilweise auf der beruflichen Tätigkeit und teilweise auf einem berufsfremden (Geld-)Geschäft beruhen, sind sie möglichst getrennt zu erfassen. Ist dies nicht möglich und sind die Einkünfte überwiegend das Ergebnis einer in den Anwaltsberuf fallenden Tätigkeit, so müssen sie insgesamt der freiberuflichen Tätigkeit zugerechnet werden. Selbst wenn es sich dabei nach dem wirtschaftlichen Gehalt der Absprache um die standesrechtlich unzulässige Vereinbarung eines Erfolgshonorars (vgl. dazu § 49b Abs. 2 BRAO) handelt, steht dies der steuerrechtlichen Einordnung der Einnahmen als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit nicht entgegen (z.B. , BFHE 135, 175, BStBl II 1982, 340; Güroff in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 18 Rz 174a).
b) Entgegen der Ansicht des FG ist ein Zusammenhang zwischen den im Streitjahr vom Kläger vereinnahmten 600 000 DM und seinen Einkünften aus selbständiger Tätigkeit gegeben.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist die Tatsachen- und Beweiswürdigung durch das FG, zu der auch die Auslegung von Verträgen gehört, nur dann nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, wenn sie zumindest möglich ist. Daran fehlt es, wenn sie in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder gesichertes Erfahrungswissen verstößt oder ihr zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung zugrunde liegen. Die Prüfung, ob bei der Vertragsauslegung die gesetzlichen Auslegungsregeln, die Denkgesetze und Erfahrungssätze zutreffend angewandt worden sind, betrifft die Rechtsanwendung bei der Auslegung von Verträgen; sie ist vom BFH in vollem Umfang nachprüfbar. Revisionsrechtlich nachprüfbar ist danach auch, ob das FG die für die Auslegung bedeutsamen Begleitumstände, insbesondere die Interessenlage der Beteiligten erforscht und zutreffend gewürdigt hat (z.B. , BFHE 209, 77, BStBl II 2005, 477, unter II. 2. b aa, m.w.N.).
bb) Die Würdigung des FG, die Zahlung der 600 000 DM stehe in keinem Zusammenhang mit der selbständigen Tätigkeit des Klägers, berücksichtigt nicht alle Umstände, die nach der Interessenlage der Beteiligten für die Auslegung der vom Kläger mit Frau A getroffenen Vereinbarung von Bedeutung sind. Das FG schließt den fehlenden Zusammenhang daraus, dass der Kläger seine Tätigkeit als Anwalt im Klageverfahren des ersten Rechtszuges ordnungsgemäß nach der BRAGO abgerechnet habe. Dabei lässt es aber den Zusammenhang der Beratungstätigkeit des Klägers mit der (anteiligen) Prozesskostenfinanzierung unberücksichtigt. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen und damit den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG hat der Kläger Frau A auf deren Wunsch hin außergerichtlich beraten und in der ersten Instanz die (durch einen Korrespondenzanwalt eingereichten) Schriftsätze gefertigt. Selbst wenn der Kläger in der zweiten Instanz nicht mehr tätig geworden ist, hat er durch seine Abschätzung der Chancen und Risiken eines Prozesses mit seinem Frau A erteilten Rat die Grundlage für die gerichtliche Durchsetzung der Schadensersatzforderung gelegt. Dass er seine Leistungen nach der BRAGO abgerechnet hat, schließt eine Beurteilung der weiteren Zahlung als (standesrechtlich unzulässiges, über die BRAGO-Gebühren hinaus gehendes Erfolgs-)Honorar für die Gesamtleistung nicht aus. Dies gilt umso mehr, als nach den unangefochtenen Feststellungen des FG auch die mündlich getroffene Vereinbarung über die anteilige Prozesskostenfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung letztlich ihren Grund in der rechtsberatenden Tätigkeit des Klägers hatte; sie wurde von Frau A als Beleg für seine (zutreffende) Einschätzung der Erfolgsaussichten gefordert.
c) Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragenen Ansicht des Klägers ist die Zuordnung der 600 000 DM zu seinen Einkünften aus selbständiger Tätigkeit auch nicht wegen der vom FA durchgeführten Außenprüfung durch die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) oder nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausgeschlossen. Die in § 173 Abs. 2 AO angeordnete Änderungssperre gilt nur für die in § 173 Abs. 1 AO geregelten Korrekturtatbestände (z.B. , BFH/NV 2005, 322); diese sind im Streitfall nicht einschlägig. Die mit Rechtsbehelfen angegriffene Veranlagung des Streitjahres ist noch offen. Dass noch kein endgültiger Bescheid vorliegt, verhindert regelmäßig auch das Entstehen eines für die Bindung an Treu und Glauben notwendigen Vertrauenstatbestandes. Eine Ausnahme gilt nur, wenn das FA eine bindende Zusage erteilt oder durch sein früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschafften hat (vgl. z.B. , BFH/NV 2006, 371, m.w.N., zum Vorbehalt der Nachprüfung i.S. von § 164 AO). Hierfür ist im Streitfall nichts ersichtlich.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
EStB 2007 S. 170 Nr. 5
HFR 2007 S. 653 Nr. 7
NWB-Eilnachricht Nr. 14/2007 S. 1113
NWB-Eilnachricht Nr. 18/2007 S. 10
NAAAC-39851