BAG Beschluss v. - 1 ABR 2/06

Leitsatz

[1] Jede privatrechtliche Vereinbarung, die einen Arbeitgeber verpflichtet, auf Dauer Mitglied eines Arbeitgeberverbands zu bleiben, verletzt seine durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG garantierte negative Koalitionsfreiheit und ist nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig.

Gesetze: GG Art. 9 Abs. 3 Satz 1; GG Art. 9 Abs. 3 Satz 2

Instanzenzug: ArbG Lübeck 6 BV 12/05 vom LAG Schleswig-Holstein 3 TaBV 20/05 vom

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Arbeitgeberin, wieder Vollmitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband Bayern (KAV) zu werden.

Bis zum betrieb der Kreis S in B eine Klinik sowie zwei Pflegezentren in A und R. Für diese Einrichtungen war ein Personalrat errichtet. Der Kreis S wandte auf die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten die tariflichen Regelungen des BAT/BMT-G an. Zum übernahm die Arbeitgeberin im Wege eines Übernahmevertrags das Krankenhaus sowie die Pflegezentren. Bestandteil des Übernahmevertrags war ein zwischen dem Kreis S, der Arbeitgeberin und dem Personalrat am geschlossener "Personalüberleitungsvertrag" (PÜV). Ziel des PÜV war nach dessen § 1 Nr. 2 Abs. 2 Satz 1, "unter Berücksichtigung der notwendigen Veränderungen die Mitarbeiterinnen so zu stellen, dass sie durch die Überleitung ihres Arbeitsverhältnisses keine nachteiligen Veränderungen in den arbeitsrechtlichen und sonstigen für sie bisher geltenden Regelungen erleiden". Der PÜV enthält außerdem ua. folgende Regelungen:

"§ 4

...

1.

Der Übernehmer steht dafür ein, dass den Mitarbeiterinnen durch die Übernahme der drei Betriebe keine Rechtsnachteile entstehen und es werden die bisherigen gesetzlichen Regelungen, soweit sie auch bisher Anwendung fanden, Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung, Dienstvereinbarungen, Arbeitsverträge und sonstige Regelungen oder Vereinbarungen durch den Übernehmer weiter angewendet. ...

§ 7

Mitgliedschaften

1.

Der Übernehmer verpflichtet sich, bis zum Stichtag gegenüber den anderen Vertragspartnern die Mitgliedschaft in einem kommunalen Arbeitgeberverband und die Beteiligung bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) oder einer anderen Zusatzversorgungskasse des öffentlichen Dienstes (ZVK), welche Überleitungsregelungen mit der VBL abgeschlossen hat, nachzuweisen und sich zu verpflichten, es für die Dauer seines Bestehens zu bleiben. ...

2.

...

Der Übernehmer steht dafür ein, dass die Mitarbeiterinnen weiter nach den Tarifbedingungen des BAT/BMT-G beschäftigt und vergütet werden; das schließt die zukünftige Dynamik entsprechend ein."

Die Arbeitgeberin war bei Abschluss des PÜV Vollmitglied des KAV. Dessen Satzung sieht seit 1999 die Möglichkeit der Gastmitgliedschaft - ohne Tarifbindung - vor. Zum beendete die Arbeitgeberin ihre Vollmitgliedschaft im KAV. Seitdem ist sie Gastmitglied. Sie ist jedoch weiterhin Mitglied der Zusatzversorgungskasse der Bayerischen Gemeinden (ZVK). Auch wendet sie nach wie vor die Regelungen des BAT/BMT-G dynamisch an und sicherte zu, dies auch mit den Bestimmungen des TVöD zu tun.

Nach dem Betriebsübergang auf die Arbeitgeberin wurde ein Betriebsrat gewählt. Dieser hat in dem von ihm eingeleiteten Beschlussverfahren geltend gemacht, die Arbeitgeberin sei verpflichtet, ihre Vollmitgliedschaft im KAV wiederherzustellen. Dies folge aus dem PÜV, der eine Dienstvereinbarung darstelle und nach dem Betriebsübergang als Betriebsvereinbarung weitergelte.

Der Betriebsrat hat beantragt, der Arbeitgeberin aufzugeben, mit Wirkung ab die Vollmitgliedschaft im Kommunalen Arbeitgeberverband Bayern e.V. gemäß § 3 der Satzung wiederherzustellen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Dem Betriebsrat stünden keine Rechte aus dem PÜV zu, da er diesen weder abgeschlossen habe noch aus ihm begünstigt sei. Der PÜV sei keine Dienstvereinbarung. Auch wirke er nicht als Betriebsvereinbarung nach. Die darin vorgesehene Verpflichtung sei außerdem bereits durch ihre Gastmitgliedschaft erfüllt. Im Übrigen verstoße § 7 Nr. 1 PÜV gegen ihre negative Koalitionsfreiheit.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dessen Beschwerde zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Antrag weiter.

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben den Antrag des Betriebsrats zu Recht abgewiesen. Dieser kann von der Arbeitgeberin nicht verlangen, wieder Vollmitglied im KAV zu werden. Die in § 7 Nr. 1 PÜV vorgesehene Verpflichtung ist nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG iVm. Satz 1 GG nichtig.

I. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig. Der Betriebsrat ist antragsbefugt. Er 9 behauptet ein eigenes betriebsverfassungsrechtliches Recht. Das Rechtsschutzinteresse entfällt nicht etwa deshalb, weil die Arbeitgeberin sich bereit erklärt hat, die tariflichen Regelungen des BAT/BMT-G und künftig des TVöD dynamisch weiter anzuwenden, und dementsprechend verfährt.

II. Der Antrag ist unbegründet. Der Betriebsrat hat keinen Anspruch darauf, dass die Arbeitgeberin wieder in den KAV eintritt.

1. Der Senat konnte zu Gunsten des Betriebsrats unterstellen, dass die in § 7 Nr. 1 PÜV enthaltene Verpflichtung zur Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft im KAV eine Vollmitgliedschaft zum Gegenstand hat und durch die Beibehaltung einer Gastmitgliedschaft nicht erfüllt wird. Ferner konnte dahingestellt bleiben, ob der Personalrat die personalvertretungsrechtliche Kompetenz besaß, durch dreiseitige Vereinbarung auch mit dem Betriebsübernehmer für diesen wirksame Verpflichtungen zu begründen, und ob der Betriebsrat als Funktionsnachfolger in vollem Umfang in seine Rechtsstellung eingerückt ist. Selbst wenn all dies zu Gunsten des Betriebsrats angenommen wird, rechtfertigt § 7 Nr. 1 PÜV den geltend gemachten Anspruch nicht.

2. Die Regelung in § 7 Nr. 1 PÜV ist nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig. Sie verstößt gegen Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG.

a) Die durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte Koalitionsfreiheit schließt das Recht ein, einer Koalition fernzubleiben oder aus ihr auszutreten ( - BVerfGE 64, 208, 213, zu B I der Gründe; - BAGE 104, 155, zu B I 3 b bb der Gründe mwN). Zwar stellt nicht jeder tatsächliche Druck, einer Koalition beizutreten oder in dieser zu verbleiben, bereits einen unzulässigen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit dar (vgl. - aaO mwN). Auch können Satzungen von Koalitionen die Möglichkeit der jederzeitigen Beendigung der Verbandszugehörigkeit begrenzen, indem sie Kündigungsfristen vorsehen. Derartigen zeitlichen Beschränkungen der Freiheit zum Verbandsaustritt sind aber durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG enge Grenzen gesetzt. Daher hat der Bundesgerichtshof für die Kündigung der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft wiederholt entschieden, die durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Freiheit, eine Koalition zu verlassen, dürfe nicht unangemessen durch zeitliche Austrittshindernisse erschwert werden. Dementsprechend hat er die nach § 39 Abs. 2 Halbs. 2 BGB für Vereine zulässige Kündigungsfrist von zwei Jahren für den Austritt aus einer Gewerkschaft auf einen Zeitraum von nicht mehr als 6 Monaten begrenzt (vgl. - II ZR 30/76 -AP GG Art. 9 Nr. 25; - II ZR 34/80 - AP GG Art. 9 Nr. 33). Ob diese Rechtsprechung auf Arbeitgeberverbände uneingeschränkt übertragbar ist, bedarf keiner Entscheidung (offengelassen auch in -BAGE 113, 45, zu 1 b der Gründe; vgl. ferner ErfK/Dieterich 6. Aufl. Art. 9 GG Rn. 37 mwN; Däubler/Lorenz TVG 2. Aufl. § 3 Rn. 47; Oetker Anm. AP TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 12). Der dauerhafte Ausschluss der Möglichkeit, aus einer Koalition auszutreten, ist jedenfalls mit der durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG garantierten negativen Betätigungsfreiheit nicht vereinbar (vgl. - aaO).

Privatrechtliche Abreden, die sich auf eine derartige Einschränkung der Koalitionsfreiheit richten, sind nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig. Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit entfaltet insoweit - als einziges Grundrecht - unmittelbare Drittwirkung in den Rechtsverhältnissen privater Rechtssubjekte (vgl. ErfK/Dieterich Art. 9 GG Rn. 42 ff. mwN). Das verfassungsrechtliche Verbot, die Betätigungsfreiheit durch privatrechtliche Vereinbarungen einzuschränken oder zu behindern, gilt für sämtliche privatrechtliche Abreden. Es findet nicht nur Anwendung auf Tarifverträge (vgl. - BAGE 104, 155, zu B I 3 b bb der Gründe), sondern gleichermaßen auch auf schuldrechtliche Vereinbarungen und Betriebsvereinbarungen. Es gibt keinen sachlichen Grund, diese von der Anwendung des Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG auszunehmen.

b) Hiernach ist die in § 7 Nr. 1 PÜV vorgesehene Verpflichtung der Arbeitgeberin, stets Mitglied im KAV zu bleiben, nichtig. Die Vereinbarung beeinträchtigt dauerhaft und nicht etwa nur für eine verhältnismäßig kurze Zeit die grundrechtlich geschützte Freiheit der Arbeitgeberin, den Arbeitgeberverband zu verlassen. Sie ist entgegen der Auffassung des Betriebsrats nicht etwa deshalb wirksam, weil die Arbeitgeberin die Verpflichtung freiwillig eingegangen ist. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG betrifft auch Abreden, die ohne Druck zustande gekommen sind. Die Vereinbarung lässt sich nicht geltungserhaltend teleologisch reduzieren. Soweit sie dazu beitragen soll, dass die Arbeitnehmer auch nach dem Betriebsübergang gemäß den dynamisch anzuwendenden Tarifbedingungen des BAT/BMT-G beschäftigt werden, ist dem bereits durch die Regelungen in § 4 Nr. 1 Satz 1 und in § 7 Nr. 2 Abs. 2 Satz 2 PÜV Rechnung getragen. Entgegen der Auffassung des Betriebsrats ist es der Arbeitgeberin nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich gegenüber seinem Verlangen auf die Verfassungswidrigkeit des § 7 Nr. 1 PÜV zu berufen.

Fundstelle(n):
BB 2007 S. 163 Nr. 3
DB 2007 S. 120 Nr. 2
NJW 2007 S. 622 Nr. 9
ZIP 2007 S. 200 Nr. 4
EAAAC-33464

1Für die amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein