BFH Beschluss v. - I B 82/05

Voraussetzungen einer Urteilsberichtigung

Gesetze: FGO § 107

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Beteiligten streiten in der Sache über die steuerliche Behandlung von Zinsen für Darlehen, welche die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) zu 1. von der Klägerin zu 3. erhalten hat. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Finanzgerichts (FG) hat die Klägerin zu 1. im Streitjahr (1990) ihr Handelsgewerbe ausschließlich in einer Niederlassung in Großbritannien ausgeübt. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) ist in einem Steuerbescheid für das Streitjahr davon ausgegangen, dass in dem Jahresabschluss für die englische Betriebsstätte der Klägerin zu 1. für das Streitjahr eine Zinsverpflichtung zu passivieren und ein entsprechender Zinsertrag von der Klägerin zu 3. zu versteuern sei. Wegen dieser Sachbehandlung erhoben die Klägerinnen nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage.

Das FG lud zunächst verschiedene Personen zum Klageverfahren bei (Beschluss vom , nicht veröffentlicht). Sodann erließ es nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am ein Urteil, durch das die Klage abgewiesen wurde. Im Tatbestand dieses Urteils heißt es im Hinblick auf die erwähnten Darlehen u.a.: „Im Jahresabschluss 1990 der englischen Betriebsstätte wurden die Darlehen nicht als Verbindlichkeiten passiviert.”

Die Klägerinnen haben das Urteil des FG mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen, über die noch nicht abschließend entschieden worden ist. Darüber hinaus beantragten sie beim FG, das Urteil in mehreren Punkten zu berichtigen. Der Berichtigungsantrag bezog sich u.a. auf eine Passage in den Entscheidungsgründen (S. 36 des Urteils), die nach ihrer Darstellung mit der zitierten Feststellung im Urteilstatbestand nicht vereinbar war.

Das FG lehnte den Antrag auf Urteilsberichtigung ab. Zugleich beschloss es, den Urteilstatbestand dahin zu berichtigen, dass es an Stelle der zitierten Passage heißen sollte: „Im Jahresabschluss 1990 der englischen Betriebsstätte wurden die Darlehen als Verbindlichkeiten passiviert.” Gegen diese Berichtigung wenden sich die Klägerinnen mit ihrer Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat.

Die Klägerinnen machen geltend, dass die ursprüngliche Fassung des FG-Urteils in dem genannten Punkt das Ergebnis der mündlichen Verhandlung zutreffend wiedergebe. In dem voraufgegangenen Beiladungsbeschluss des FG habe es geheißen, dass die Darlehensverbindlichkeiten im Abschluss der englischen Betriebsstätte passiviert worden seien. Dasselbe habe der Berichterstatter des FG im Rahmen seines Sachberichts in der mündlichen Verhandlung vorgetragen. Daraufhin sei dieser Punkt im weiteren Verlauf der Verhandlung erörtert worden; dabei sei Einigkeit darüber erzielt worden, dass die Verbindlichkeiten in der Betriebsstättenbilanz nicht passiviert worden seien. Die dies wiedergebende Passage des Urteils sei deshalb richtig, jedenfalls aber nicht i.S. des § 107 der Finanzgerichtsordnung (FGO) offenbar unrichtig.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Der angefochtene Beschluss des FG ist rechtmäßig.

1. Nach § 107 Abs. 1 FGO sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in einem finanzgerichtlichen Urteil enthalten sind, jederzeit zu berichtigen. Über die Berichtigung entscheidet das FG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (§ 107 Abs. 2 FGO).

2. Der in § 107 FGO verwendete Begriff „offenbare Unrichtigkeit” umfasst nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), ähnlich wie derjenige in § 129 der Abgabenordnung (AO 1977), alle bei der Abfassung des FG-Urteils unterlaufenen „mechanischen” Fehler (BFH-Beschlüsse vom III B 122/93, BFH/NV 1996, 682; vom V B 71/99, BFH/NV 2000, 66; vom VII B 239/02, BFH/NV 2004, 1114). Ein solcher liegt vor, wenn eine in dem Urteil enthaltene Aussage die vom FG getroffenen Feststellungen oder die von ihm angestellten Überlegungen nicht zutreffend zum Ausdruck bringt und dies aus dem Urteil selbst heraus erkennbar wird (BFH-Beschlüsse vom XI B 239/02, BFH/NV 2004, 67; vom I B 47/03, BFH/NV 2004, 515; vom X B 75/03, BFH/NV 2004, 663). § 107 FGO greift dagegen nicht ein, wenn die ernstliche Möglichkeit besteht, dass die in Rede stehende Wendung auf einer unvollständigen Ermittlung oder einer unrichtigen Würdigung des Sachverhalts oder auf einem Rechtsirrtum des FG beruht (BFH-Beschlüsse vom VIII B 53/93, BFH/NV 1994, 112; vom VI B 261/00, BFH/NV 2004, 364; vom III B 2/05, BFH/NV 2006, 910, m.w.N.).

3. Im Streitfall ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang des FG-Urteils, dass die später vom FG berichtigte Passage des Urteilstatbestands i.S. des § 107 FGO „offenbar unrichtig” war.

a) Die genannte Passage besagt, dass im Jahresabschluss der englischen Betriebsstätte der Klägerin zu 1. eine Darlehensverbindlichkeit gegenüber der Klägerin zu 3. „nicht passiviert” gewesen sei. Diese Aussage steht in unmittelbarem Gegensatz zu den Entscheidungsgründen des Urteils, in denen es (auf S. 36) heißt, dass die der englischen Betriebsstätte überlassenen Kredite in deren Bilanz passiviert seien. Die letztgenannte Wendung verdeutlicht, dass das FG bei seiner Entscheidungsfindung von einer Passivierung der in Rede stehenden Verbindlichkeit ausgegangen ist. Schon dieser Umstand weist darauf hin, dass die abweichende Formulierung im Urteilstatbestand den Erklärungswillen des FG unrichtig wiedergibt.

b) Die Klägerinnen machen geltend, dass der ursprüngliche Urteilstatbestand in dem genannten Punkt dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem FG entspreche und dass das FG es lediglich versäumt habe, der von ihm getroffenen Feststellung in den Entscheidungsgründen Rechnung zu tragen. Es ist einzuräumen, dass der dem Urteil anhaftende Widerspruch auf den ersten Blick auf diese Weise erklärt werden könnte. Bei genauerer Betrachtung erscheint diese Möglichkeit aber fernliegend. Denn nach den vom FA vorgelegten Unterlagen waren die in Rede stehenden Darlehensverbindlichkeiten in der Betriebsstättenbilanz tatsächlich ausgewiesen. Selbst wenn es sich bei dieser Bilanz —wie die Klägerinnen vortragen— nicht um eine Steuerbilanz gehandelt haben sollte, bestand angesichts dessen für das FG keine Veranlassung, die Verbindlichkeiten ohne jede Erläuterung als „nicht passiviert” zu bezeichnen. Zudem wäre, wenn das FG in Abweichung von dem seinerzeitigen Vortrag des FA und von den ihm vorliegenden Unterlagen bewusst von einem Fehlen der Passivierung ausgegangen wäre, dieser Umstand bei der Abfassung der Entscheidungsgründe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht übersehen worden. Das rechtfertigt die Überzeugung, dass die in den Entscheidungsgründen enthaltene Formulierung den Erkenntnissen des FG entspricht und dass die davon abweichende Wendung im Urteilstatbestand eine irrtümlich unrichtige Wiedergabe jener Erkenntnisse darstellt.

c) Schließlich kann auch der Vortrag der Klägerinnen, der ursprüngliche Urteilstatbestand entspreche in dem genannten Punkt einer in der mündlichen Verhandlung erzielten Verständigung, der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Das FA hat das Zustandekommen einer solchen Verständigung bestritten; die Richter des FG haben sie in dem Beschluss, durch den der Beschwerde nicht abgeholfen wurde, ebenfalls verneint. Entscheidend gegen das Vorliegen der von den Klägerinnen behaupteten Verständigung spricht aber der Inhalt der Sitzungsniederschrift, die im Zusammenhang mit § 107 FGO herangezogen werden kann (vgl. , BFHE 142, 13, BStBl II 1984, 834).

Denn in dieser Niederschrift ist die Frage nach der Passivierung der Darlehensverbindlichkeiten in der Betriebsstättenbilanz nicht erwähnt. Dagegen finden sich dort eingehende Ausführungen dazu, aus welchen Gründen die aus den Darlehensverträgen erwachsenen Zinsverbindlichkeiten in der vom FA verwerteten Betriebsstättenbilanz nicht passiviert waren. Die Beteiligten hatten dazu im Kern übereinstimmend vorgetragen, dass der Ausweis von Zinsverbindlichkeiten deshalb unterblieben sei, weil die Klägerin zu 3. schon vor der Erstellung der in Rede stehenden Bilanz auf ihren Zinsanspruch verzichtet hatte; sie sind mithin erkennbar davon ausgegangen, dass bis zur Erklärung des Zinsverzichts eine Zinsverbindlichkeit bestand, die zumindest in der Handelsbilanz der englischen Betriebsstätte passiviert werden musste. Das spricht nachhaltig gegen die Annahme, dass sie zuvor eine Verständigung erzielt haben, nach der die der Zinsverbindlichkeit zu Grunde liegende Darlehensverbindlichkeit ebenfalls nicht passiviert war. Erst recht hält der Senat es für ausgeschlossen, dass eine solche Verständigung in der Sitzungsniederschrift unerwähnt geblieben wäre, während die Ausführungen der Beteiligten zur bilanziellen Behandlung der Zinsverbindlichkeit dort ausdrücklich abgehandelt sind.

d) Im Ergebnis geht der Senat deshalb davon aus, dass die Einfügung des Wortes „nicht” in dem Urteilstatbestand auf einem Versehen des FG beruht. Dieses Versehen liegt augenscheinlich darin, dass das FG bei der Abfassung des Urteils den zuvor erstellten Entwurf um die Erkenntnisse aus der mündlichen Verhandlung ergänzen wollte, dabei aber die (unstreitig nicht bilanzierte) Zinsverbindlichkeit mit der Darlehensverbindlichkeit verwechselt hat. Hierdurch erklärt sich auch der von den Klägerinnen hervorgehobene Umstand, dass der (ursprüngliche) Urteilstatbestand von dem zuvor ergangenen Beiladungsbeschluss und dem Sachvortrag des Berichterstatters in der mündlichen Verhandlung abweicht. Angesichts der Gesamtumstände des Falles hält der Senat es für „offenbar” i.S. des § 107 Abs. 1 FGO, dass nur hier die Ursache für die den Urteilsgründen widersprechende Sachdarstellung liegen kann. Damit aber gibt die ursprüngliche Fassung des Tatbestands die vom FG gewonnenen und der Entscheidungsfindung zu Grunde gelegten Erkenntnisse nicht zutreffend wieder, weshalb sie im weiteren Verlauf berichtigt werden durfte.

4. Der Senat kann über die Beschwerde entscheiden, ohne zuvor die von den Klägerinnen angebotenen Beweise zum Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem FG zu erheben. Denn die Voraussetzungen des § 107 FGO sind —ebenso wie diejenigen des § 129 AO 1977— einer Beweiserhebung nur eingeschränkt zugänglich. So kann einerseits das Vorliegen eines „mechanischen” Fehlers nicht „offenbar” im Sinne der Vorschrift sein, wenn die Fehlerursache erst durch Abfrage subjektiver Einschätzungen der seinerzeit Beteiligten ermittelt werden kann (Senatsurteil vom I R 20/02, BFH/NV 2003, 1139, m.w.N.). Andererseits kann, wenn nach dem gesamten Urteilsinhalt das Vorliegen eines solchen Fehlers offenkundig ist, dies nicht durch die Behauptung möglicher anderer Fehlerursachen in Frage gestellt werden. Eine solche Gestaltung liegt im Streitfall vor, so dass die von den Klägerinnen beantragte Beweiserhebung entbehrlich ist.

Fundstelle(n):
KÖSDI 2007 S. 15425 Nr. 2
JAAAC-25533