BVerwG Beschluss v. - 4 B 14.03

Leitsatz

Ein Bescheidungsurteil, durch das die Baugenehmigungsbehörde zu einer abschließenden bauplanungsrechtlichen Prüfung eines Vorhabens unter erneuter Beteiligung der Gemeinde verpflichtet ist und das das gemeindliche Einvernehmen nur im Umfang der planungsrechtlichen Entscheidungsreife ersetzt, verletzt die Gemeinde nicht in ihren Rechten aus § 36 BauGB.

Es bleibt offen, ob die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer kerntechnischen Anlage (Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente), deren Errichtung und Betrieb nach Nr. 11.3 der Anlage 1 zum UVPG der Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, erst dann abschließend geprüft werden kann, wenn das UVP-Verfahren förmlich beendet ist.

Gesetze: AtG § 6; BauGB § 35; BauGB § 36; UVPG § 11; UVPG § 12; VwGO § 113 Abs. 5 Satz 1

Instanzenzug: VGH Mannheim VGH 3 S 1689/01 vom

Gründe

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache vorliegt.

Die Fragen,

- ob im Verpflichtungsklageverfahren die Aufhebung der Ablehnung eines Bauantrages, der mit der Bindung an die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens begründet war, und die Verpflichtung zur Neubescheidung ausgesprochen werden dürfen, solange noch keine Bescheidungsreife im Verwaltungsverfahren besteht und nicht sicher ist, ob die Ablehnungsentscheidung von anderen Gründen getragen wird,

- ob das Gericht das versagte Einvernehmen ersetzen darf, solange im Verwaltungsverfahren wegen Unvollständigkeit der bauplanungsrechtlichen Unterlagen (fehlende Umweltverträglichkeitsprüfung) noch keine Bescheidungsreife besteht und nicht sicher ist, ob die Einvernehmensversagung von anderen Gründen getragen wird,

münden in die Frage, ob ein Gericht im Baugenehmigungsverfahren das gemeindliche Einvernehmen ersetzen und ein Bescheidungsurteil erlassen darf, ohne die Ergebnisse der noch für erforderlich gehaltenen Prüfungen (hier: der bauordnungsrechtlichen Prüfung, der atomrechtlichen Vorprüfung durch das Bundesamt für Strahlenschutz und der Umweltverträglichkeitsprüfung) abzuwarten. Diese Frage nötigt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie sich auf der Grundlage des Gesetzes und der hierzu ergangenen Rechtsprechung ohne weiteres beantworten lässt.

Gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spricht das Gericht, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Ist dies namentlich bei Ermessensentscheidungen und bei Einräumung eines Beurteilungsspielraums nicht möglich, spricht das Gericht nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung seiner Rechtsauffassung zu bescheiden. Steht der Erlass des beantragten Verwaltungsakts nicht im Ermessen der Behörde, wie das bei der Erteilung einer Baugenehmigung der Fall ist (§ 58 Abs. 1 Satz 1 LBO), so ist das Gericht grundsätzlich verpflichtet, selbst die Sache spruchreif zu machen (vgl. BVerwG 6 C 16.02 - NVwZ 2003, 603). Nur in Ausnahmefällen, etwa bei komplexen technischen Sachverhalten, darf das Tatsachengericht von der Herstellung der Spruchreife absehen (vgl. BVerwG 4 C 52.87 - Buchholz 406.11 § 9 BBauG/BauGB Nr. 36; BVerwG 4 B 197.97 - NVwZ-RR 1999, 74). Das gemeindliche Einvernehmen darf sowohl im Falle eines Verpflichtungsurteils als auch im Falle eines Bescheidungsurteils dann ersetzt werden, wenn das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Vorhaben mit den §§ 31, 33, 34 oder 35 BauGB vereinbar ist (vgl. BVerwG 4 C 43.83 - NVwZ 1986, 556 <557>); denn die auf der Planungshoheit der Gemeinden beruhende Mitwirkungsbefugnis nach § 36 BauGB beschränkt sich nach dessen Absatz 2 Satz 1 auf die Prüfungskompetenz, ob das Vorhaben in Anwendung der genannten bauplanungsrechtlichen Vorschriften zulässig ist oder nicht (Roeser in: Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl., § 36 Rn. 13).

Dem Beschwerdevorbringen lässt sich nicht entnehmen, dass in dem erstrebten Revisionsverfahren über diese in der Rechtsprechung geklärten Grundsätze hinaus weitere grundsätzlich bedeutsame Rechtsfragen zu beantworten wären. Soweit es um die noch durchzuführende bauordnungsrechtliche Prüfung des Vorhabens und um die gleichfalls von der Baugenehmigungsbehörde noch vorzunehmende prognostische atomrechtliche Beurteilung im Sinne des BVerwG 4 C 1.88 (BVerwG 4 ER 300.88) - RdE 1988, 194 geht, stellen sich die beiden aufgeworfenen Fragen nicht. Denn Streitgegenstand der erhobenen Verpflichtungsklage ist allein die Rechtsbehauptung des Klägers, sein Vorhaben sei bauplanungsrechtlich (§ 35 BauGB) zulässig mit der Folge, dass das von der Beigeladenen mithin zu Unrecht verweigerte Einvernehmen (§ 36 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 BauGB) durch die gerichtliche Entscheidung ersetzt werden müsse. Hingegen ist die Gemeinde bezüglich der bauordnungsrechtlichen und der atomrechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Baugenehmigung nicht nach § 36 BauGB zu beteiligen. Folgerichtig hat sich der Kläger von vornherein auf einen Bescheidungsantrag (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) beschränkt.

Die somit allein entscheidungserhebliche Frage, ob das Vorhaben bauplanungsrechtlich nach § 35 BauGB zulässig ist, hat der Verwaltungsgerichtshof, wie die Beschwerde zu Recht hervorhebt, nicht abschließend beantwortet. Er hat vielmehr ausgeführt und im Einzelnen begründet, dass dem (nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegierten) Vorhaben "nach derzeitiger Sach- und Rechtslage" keine öffentlichen Belange im Sinne von § 35 Abs. 2 und 3 BauGB entgegenstehen (UA S. 12). Diese Einschränkung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erklärt sich daraus, dass der Verwaltungsgerichtshof (vgl. UA S. 15/16) noch eine zusätzliche bauplanungsrechtliche Prüfung durch die Baugenehmigungsbehörde für erforderlich hält, wenn das - nach Nr. 11.3 der Anlage 1 zum UVPG erforderliche - Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung förmlich abgeschlossen ist (vgl. §§ 11, 12 UVPG). Ob diese Rechtsansicht zutrifft und, wenn das zu bejahen wäre, ob dann ein derartiges Bescheidungsurteil hätte ergehen dürfen, kann hier offen bleiben. Denn jedenfalls ist durch den Entscheidungsausspruch des Berufungsurteils das erforderliche Einvernehmen der Beigeladenen noch nicht endgültig ersetzt. Vielmehr bedarf es einer erneuten Beteiligung der Beigeladenen nach § 36 BauGB, sobald die Baugenehmigungsbehörde nach Vorliegen der Ergebnisse der förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung in die abschließende Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen eintritt. Die Beigeladene ist also durch das mit der Beschwerde angegriffene Urteil in der ihr durch § 36 BauGB eingeräumten Rechtsstellung nicht verletzt. Angesichts dessen besteht keine Veranlassung, die Revision im Hinblick auf die zur Problematik von Bescheidungsurteilen aufgeworfenen Fragen zuzulassen.

Ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision nötigt die Frage, ob bei der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens im Außenbereich auch künftige tatsächliche Entwicklungen der Umgebung berücksichtigt werden müssen. Sie ist ohne weiteres zu verneinen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass bei der Entscheidung über Verpflichtungs- und Bescheidungsklagen grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz maßgeblich ist (vgl. BVerwG 7 C 71.83 - BVerwGE 74, 115 <118>). So ist es mangels einer abweichenden materiellrechtlichen Regelung auch hier. Zutreffend hat daher der Verwaltungsgerichtshof geprüft, ob im Zeitpunkt seiner Entscheidung die Genehmigungsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 und 3 BauGB vorlagen, und nicht gefragt, ob das Zwischenlager auch noch nach der Stilllegung und/oder Beseitigung des Kernkraftwerks Neckar genehmigungsfähig wäre. Dies steht im Einklang mit dem von der Beschwerde zitierten Urteil des Senats vom - BVerwG 4 C 9.77 - (BVerwGE 55, 369 ff.), wonach bei der Bildung des Maßstabes nach § 34 Abs. 1 BauGB 1976 auf das Vorhandene und nur auf das Vorhandene abzustellen ist (a.a.O. <380>). Für § 35 BauGB gilt nichts anderes.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Rechtsgrundlage für die Festsetzung des Streitwerts sind § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Danach ist der Streitwert auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bei der Ausübung des Ermessens orientiert sich der Senat regelmäßig an dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 1996 (NVwZ 1996, 563).

Das den Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens bildende Zwischenlager ist eine sonstige Anlage im Sinne des Abschnitts II Nr. 7.1.7 des Streitwertkatalogs. Als Streitwert ist mithin ein Bruchteil der für die Errichtung des Lagers veranschlagten Rohbaukosten in Ansatz zu bringen. Für die Bestimmung des Bruchteils bietet Abschnitt II Nr. 4.1.2 des Streitwertkatalogs einen Anhalt. Danach beträgt der Streitwert für die Klage des Errichters oder Betreibers einer Anlage, die wie der Betrieb des geplanten Zwischenlagers einer Aufbewahrungsgenehmigung nach § 6 AtG bedarf, auf Erteilung dieser Genehmigung 1 v.H. der für die Anlage getätigten Investitionssumme. Da die Baugenehmigung und die Aufbewahrungsgenehmigung letztlich auf dasselbe Ziel gerichtet sind, nämlich auf die Zulassung der kerntechnischen Anlage, ist es sachgerecht, die Streitwerte aufeinander abzustimmen. Wegen der im Vergleich zu der Investitionssumme niedrigeren Rohbaukosten erscheint es geboten, den Bruchteil nach Abschnitt II Nr. 7.1.7 auf mehr als 1 v.H. festzusetzen. Bei prognostizierten Rohbaukosten in Höhe von 15 Mio. € und dem vom Verwaltungsgerichtshof ausgeworfenen Streitwert von 200 000 € beträgt er hier 1,33 v.H. Das erscheint unter Berücksichtigung der Regelung in Abschnitt I Nr. 6 des Streitwertkatalogs, die für eine Bescheidungsklage eine Absenkung des Streitwerts bis zur Hälfte des Wertes der entsprechenden Verpflichtungsklage erlaubt, nicht unangemessen niedrig. Der Senat schließt sich daher der vorinstanzlichen Streitwertentscheidung an.

Fundstelle(n):
LAAAC-12600