Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 349 Abs. 4; StPO § 244 Abs. 2; StGB § 24 Abs. 1; StGB § 177 Abs. 1 Nr. 1; StGB § 184 c Nr. 1
Instanzenzug:
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Aufklärungsrüge Erfolg; auf die weiteren Verfahrensrügen und auf die Sachbeschwerde kommt es deshalb nicht an.
1. Die Revision rügt mit Recht, daß die Strafkammer, die die Verurteilung des die Taten bestreitenden Angeklagten allein auf die Aussage der Geschädigten stützt, ihre Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) dadurch verletzt hat, daß sie die vom Angeklagten getrennt lebende dritte Ehefrau, Beatrix B. , nicht als Zeugin vernommen hat.
a) Der Rüge liegt folgendes Prozeßgeschehen zugrunde:
Am ersten Hauptverhandlungstag () stellte der Verteidiger des Angeklagten den Antrag, Beatrix B. unter anderem dazu zu vernehmen, daß sie zu keinem Zeitpunkt gegenüber der Geschädigten, der Schwiegertochter des Angeklagten, geäußert habe, der Angeklagte habe von ihr den Geschlechtsverkehr mit Gewalt oder Androhung von Gewalt erzwungen. Antragsziel war, die gegenteiligen Bekundungen der Geschädigten bei der Polizei zu widerlegen und damit die Glaubwürdigkeit der Geschädigten zu erschüttern. Das Landgericht lehnte den Beweisantrag mit der Begründung ab, die Zeugin habe in einem Telefongespräch nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht erklärt, sie werde im Falle einer Ladung zur Hauptverhandlung das Zeugnis verweigern.
Am letzten Hauptverhandlungstag stellte der Verteidiger des Angeklagten den Hilfsbeweisantrag, eine Faxmitteilung der benannten Zeugin Beatrix B. vom zum Beweis der Tatsache zu verlesen, daß die Geschädigte ihr gegenüber erklärt habe, sie sei von ihrem Arbeitgeber sexuell belästigt worden. Diesen - vom Landgericht erweiternd als Antrag auf Vernehmung der Zeugin ausgelegten - Hilfsbeweisantrag hat das Landgericht im Urteil mit der Begründung abgelehnt, "auch für den Fall einer umfassenden Aufgabe (des) Zeugnisverweigerungsrechts" seien sowohl die in dem Hilfsbeweisantrag als auch die in dem in der Hauptverhandlung am abgelehnten Beweisantrag unter Beweis gestellten Behauptungen aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung ohne Bedeutung.
b) Bei der durch die Faxmitteilung in Bezug auf die Aussagebereitschaft der Zeugin Beatrix B. geänderten prozessualen Situation hätte sich dem Landgericht jedoch angesichts der hier gegebenen Beweislage die Ladung und Vernehmung der Zeugin aufdrängen müssen:
Zwar lassen Gründe, die zur Ablehnung eines Beweisantrages berechtigen, grundsätzlich auch die Aufklärungspflicht entfallen (vgl. BGH NStZ 1991, 399, 400; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 244 Rdn. 12). Solche Gründe liegen hier aber entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht vor.
Allerdings durfte das Landgericht den am gestellten Beweisantrag auf Vernehmung der Zeugin Beatrix B. zunächst deshalb ablehnen, weil sich die Zeugin (telefonisch) auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen hatte (vgl. BGHSt 21, 12 f.; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Unerreichbarkeit 17; BGH NStZ 1982, 126 f.; 2001, 48). Da sich aber der Faxmitteilung der Zeugin vom , wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist, die Bereitschaft der Zeugin zu einer möglicherweise "umfassenden Aufgabe ihres Zeugnisverweigerungsrechts" entnehmen ließ, war das Landgericht nach § 244 Abs. 2 StPO nunmehr gehalten, aufzuklären, ob dies der Fall war, und - gegebenenfalls - die Zeugin zu vernehmen. Denn die Annahme des Landgerichts, einer Klärung der Aussagebereitschaft der Zeugin habe es nicht bedurft, weil die in den beiden Beweisanträgen in das Wissen der Zeugin gestellten Beweisbehauptungen für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung seien, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Ob die vom Gericht mittels der verwendeten Beweismittel gewonnene Überzeugungsgrundlage ausreicht oder ob zu ihrer Absicherung oder Überprüfung weitere Beweismittel heranzuziehen sind, ist auf der Grundlage von Verfahrensablauf und Beweislage des Einzelfalls zu beurteilen. Je weniger gesichert ein Beweisergebnis erscheint, je gewichtiger die Unsicherheitsfaktoren sind, je mehr Widersprüche bei der Beweiserhebung zu Tage getreten sind, desto größer ist der Anlaß für das Gericht, trotz der erlangten Überzeugung weitere erkennbare Beweismöglichkeiten zu benutzen (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 244 Rdn. 68 m. Nachw.). In besonderem Maße gilt dies dann, wenn - wie hier - Aussage gegen Aussage steht und objektive Beweisanzeichen fehlen. Die Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an die Beweiswürdigung in derartigen Fällen zu stellen sind (vgl. hierzu BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; BGH StV 1992, 556 f.; BGH bei Kusch NStZ 1994, 228; NStZ 2003, 164, 165, jeweils m.w.Nachw.), nämlich alle für die Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen wesentlichen Umstände festzustellen (vgl. auch BGHR StPO § 244 Abs. 2 Zeugenvernehmung 9), gelten auch für den Umfang der Aufklärungspflicht (vgl. BGH StV 1990, 99; 1996, 249).
Soweit das Landgericht der Behauptung, die Geschädigte habe ihrer Schwiegermutter erklärt, sie sei in der Vergangenheit von ihrem Vater und von ihren Arbeitgebern "sexuell belästigt" worden (vgl. Nr. 4 des Beweisantrages vom und den Hilfsbeweisantrag), für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Geschädigten keine Bedeutung zugemessen hat, ist dies zwar für sich genommen rechtlich nicht zu beanstanden. Der Tatrichter ist nicht stets gehalten, Zeugen über mögliche Lügen einer Beweisperson zu vernehmen, wenn die behaupteten Vorgänge mit dem Tatgeschehen in keinem Zusammenhang stehen (vgl. BGHR § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO Bedeutungslosigkeit 21). In das Wissen der Zeugin Beatrix B. sind aber auch Beweistatsachen gestellt worden, die den Angeklagten betreffen und deshalb mit dem Tatgeschehen - wenn auch mittelbar - im Zusammenhang stehen. Dies gilt insbesondere für die in dem Beweisantrag vom aufgestellte Behauptung, die Zeugin habe der Geschädigten - entgegen deren Bekundungen bei der polizeilichen Vernehmung - zu keinem Zeitpunkt erklärt, von dem Angeklagten zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden zu sein. Daß die Geschädigte möglicherweise bei der Anzeigeersttattung hierzu falsche Angaben gemacht hat, ist bei der hier gegebenen Beweislage ein für die Beurteilung der (speziellen) Glaubwürdigkeit der Geschädigten und damit auch der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage zum eigentlichen Tatgeschehen wesentlicher Umstand und hätte deshalb nicht von vornherein als bedeutungslos behandelt werden dürfen.
Der Senat kann nicht sicher ausschließen, daß die Zeugin, wäre sie geladen worden, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch gemacht hätte und daß die Strafkammer angesichts der hohen Bedeutung, die sie der Konstanz und der - soweit es das Kerngeschehen betrifft - gegebenen Widerspruchsfreiheit der Aussagen der Geschädigten bei der Polizei und in der Hauptverhandlung beigemessen hat, die Glaubhaftigkeit deren Aussage anders beurteilt hätte, wenn die Zeugin die Beweisbehauptungen bestätigt hätte. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:
a) Die sexuelle Nötigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist erst mit der Ausführung der durch Gewalt erzwungenen sexuellen Handlung vollendet; Gewalthandlungen, die nur ihrer Vorbereitung dienen, reichen zur Vollendung nicht aus (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 292). Zwar kann bereits eine (äußerlich ambivalente) Gewalthandlung Teil eines sexualbezogenen Gesamtverhaltens sein (); dazu bedarf es allerdings regelmäßig näherer Feststellungen (vgl. auch BGH NStZ 1990, 490; BGHR StGB § 178 Abs. 1 Sexuelle Handlung 2).
b) Sollte der neue Tatrichter zur Annahme (nur) versuchter sexueller Nötigungen kommen, so wird er die Frage etwaigen Rücktritts vom Versuch (§ 24 Abs. 1 StGB) jedenfalls in den Fällen zu prüfen haben, in denen bislang autonome Gründe des Angeklagten, massivere Gewalt nicht anzuwenden, möglich erscheinen.
c) Schließlich wird darauf hingewiesen, daß im Falle eines erneuten Schuldspruchs die Annahme minder schwerer Fälle nahe liegt, wenn die Taten die Erheblichkeitsschwelle des § 184 c Nr. 1 StGB nur unwesentlich überschreiten (vgl. ; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 177 Rdn. 52; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. Rdn. 869).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
PAAAC-08586
1Nachschlagewerk: nein