BGH Beschluss v. - XII ZB 42/05

Leitsatz

[1] a) Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagenden Beschluss setzt keine gleichzeitige Anfechtung des früheren, die Berufung wegen Versäumung dieser Frist verwerfenden Beschlusses voraus.

b) Das Berufungsgericht verstößt gegen seine richterliche Hinweispflicht aus § 139 Abs. 1 ZPO, wenn es davon ausgeht, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers keine Vorfristen notiert werden, ohne dem Beschwerdeführer, der hierzu nicht vorgetragen hatte, weil es nach seinem Vorbringen darauf nicht ankam, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Gesetze: ZPO § 139 Abs. 1; ZPO § 238 Abs. 2; ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4

Instanzenzug: AG Viersen 33 C 75/03 vom LG Mönchengladbach 2 S 167/04 vom

Gründe

I.

Die Beklagte hat gegen das ihr am zugestellte Urteil des Amtsgerichts am Berufung eingelegt.

Das Berufungsgericht hat auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Beklagten die Frist zur Begründung der Berufung bis zum verlängert. Durch Beschluss vom hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Frist begründet worden sei.

Am hat die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und die Berufung begründet.

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Beschluss vom zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Ihrer Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die Beschwerdeführerin nicht auch den zuvor ergangenen, die Berufung verwerfenden Beschluss des Landgerichts angefochten hat. Denn mit der Stattgabe der Wiedereinsetzung wird der Beschluss über die Verwerfung der Berufung ohne weiteres gegenstandslos (BGHZ 98, 325, 328; BGH Beschlüsse vom - V ZR 78/65 - NJW 1968, 107, vom - IVb ZB 825/81 - NJW 1982, 887; missverständlich insoweit: Zöller/Greger ZPO 25. Aufl. § 238 Rdn. 7 und HK ZPO Saenger § 238 Rdn. 8). Die Rechtsbeschwerde ist auch gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig. Dieser Zulassungsgrund liegt u.a. vor, wenn die Entscheidung des Beschwerdegerichts auf der Verletzung von Verfahrensgrundrechten, namentlich des Anspruchs auf rechtliches Gehör, beruht (BGHZ 151, 221, 226 f.). Einen solchen Verstoß rügt die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.

Das Berufungsgericht hat dadurch, dass es - ohne der Beklagten zuvor einen Hinweis zu erteilen - unterstellt hat, in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten würden keine Vorfristen bei der Eintragung von Berufungsbegründungsfristen notiert, gegen seine richterliche Hinweispflicht aus § 139 Abs. 1 ZPO verstoßen. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hatte zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs ausgeführt, die Berufungsbegründungsfrist sei im Fristenkalender von der sonst zuverlässigen Kanzleikraft K. entgegen seiner ausdrücklichen Anweisung nicht auf den , sondern den notiert worden. Die Akte sei ihm, wie bei roten Fristsachen üblich, einen Tag vor Fristablauf zur Erledigung vorgelegt worden. Dabei habe er festgestellt, dass die Frist bereits am abgelaufen sei.

Dazu, ob in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten Vorfristen notiert werden, hat sich die Beklagte nicht geäußert. Das war nach ihrem Vortrag im Wiedereinsetzungsgesuch auch nicht erforderlich. Denn danach kam es auf die Eintragung einer Vorfrist nicht an, weil auch bei deren Eintragung und einer Vorlage der Akten zum Zeitpunkt der Vorfrist ihr Prozessbevollmächtigter die versehentliche fehlerhafte Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender nicht erkennen und damit diesen Fehler nicht beheben konnte.

Das Berufungsgericht hätte deshalb, wenn es dennoch der Ansicht war, die Eintragung einer Vorfrist hätte zu einer Entdeckung des Fehlers führen können, die Beklagte auf diese Ansicht hinweisen müssen, um ihr Gelegenheit zu geben, hierzu vorzutragen.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Denn sie hat diese Frist weder aus eigenem noch aus ihr zuzurechnendem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) versäumt.

1. Die Beklagte hat mit der Rechtsbeschwerde dargelegt, was sie nach Erteilung des gebotenen Hinweises gegenüber dem Berufungsgericht vorgetragen hätte. Sie hat diesen Vortrag durch Vorlage von Kopien des Fristenkalenders und der Handakte sowie durch eidesstattliche Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemacht. Diese ergänzenden Angaben sind zu berücksichtigen. Zwar müssen nach §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist vorgetragen werden. Jedoch dürfen erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden (st. Rspr. - FamRZ 2004, 1552 m.w.N.).

Nach dem Vortrag der Beklagten war in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts - sichergestellt, dass außer der Rechtsmittelbegründungsfrist regelmäßig auch eine Vorfrist notiert wird. Diese war auch im vorliegenden Fall eingetragen und die Akten sind dem Prozessbevollmächtigten am Tag der Vorfrist vorgelegt worden. Dieser hat die Berufungsbegründungsfrist erneut berechnet und überprüft, ob der Erledigungsvermerk über die Eintragung der Frist im Fristenkalender in den Handakten angebracht war. Der Erledigungsvermerk, wonach die Frist auf den notiert worden war, befand sich in der Handakte. Da der Fall noch mit der Mandantschaft besprochen werden musste und nicht kompliziert erschien, fertigte der Prozessbevollmächtigte die Berufungsbegründung nicht sofort an, sondern ließ sich die Akte einen Tag vor Fristablauf erneut vorlegen. Die Akte wurde ihm - ausgehend von der falsch im Fristenkalender notierten Frist - am , somit nach Ablauf der Frist, erneut vorgelegt. Danach kann dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten kein Organisationsverschulden angelastet werden.

2. Dem Prozessbevollmächtigten gereicht es auch nicht zum Verschulden, dass er die Berufungsbegründung nicht unverzüglich nach Vorlage zur Vorfrist gefertigt hat. Hierzu war er nicht verpflichtet. Vielmehr durfte er im Hinblick darauf, dass die Sache nicht kompliziert war, die in der Kanzlei übliche Wiedervorlage am Tag vor Fristablauf verfügen.

3. Über die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens - zu denen auch die Kosten des für den Beklagten erfolgreichen Beschwerdeverfahrens gehören - ist erst in der Endentscheidung über die Hauptsache zu erkennen (vgl. Zöller/Greger, aaO § 238 Rdn. 11 m.w.N.; - NJW 2000, 3284, 3286).

Fundstelle(n):
BB 2006 S. 1768 Nr. 33
NJW 2006 S. 2269 Nr. 31
NAAAC-06222

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja