Leitsatz
[1] Der Pflichtteilsanspruch kann, wenn er auf den Sozialhilfeträger übergeleitet worden ist, von diesem auch geltend gemacht werden, ohne daß es insoweit auf eine Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten selbst ankäme.
Zur Auslegung einer an die Ausübung des Pflichtteilsrechts anknüpfenden Verwirkungsklausel in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament, wenn ein Sozialhilfeträger den Pflichtteilsanspruch des behinderten Kindes nach dem erstversterbenden Ehegatten auf sich überleitet und geltend macht.
Gesetze: BGB § 2084; BGB § 2317; BSHG § 90 Abs. 1
Instanzenzug: LG Konstanz vom
Tatbestand
Der klagende Sozialhilfeträger nimmt die Beklagten als Erben ihres am verstorbenen Vaters auf den Pflichtteil (einschließlich eventueller Ausgleichung und Ergänzung) ihrer behinderten Schwester am Nachlaß des Vaters in Anspruch. Die Mutter der Beklagten und der Behinderten starb am . Der Kläger hat die Pflichtteilsansprüche nach beiden Eltern durch Bescheid vom gemäß § 90 BSHG auf sich übergeleitet.
Die Eltern hatten ein gemeinschaftliches Ehegattentestament errichtet, in dem sie sich gegenseitig als alleinige Erben einsetzten. Als Erben des Letztversterbenden wurden die acht Kinder bestimmt; Nacherben der Kinder sollten deren Abkömmlinge, beim Fehlen von Abkömmlingen die übrigen Geschwister oder ersatzweise deren Kinder sein. Für den Fall, daß eines der Kinder beim Tod des erstversterbenden Elternteils den Pflichtteil verlangen sollte, wurde dieses Kind (einschließlich seiner Abkömmlinge) beim Tod des letztversterbenden Elternteils ebenfalls auf den Pflichtteil gesetzt. Bezüglich des Erbteils der behinderten Tochter wurde auf deren Lebenszeit Testamentsvollstreckung angeordnet. Der Testamentsvollstrecker sollte nach seinem Ermessen Sachleistungen und Vergünstigungen erbringen, die geeignet sind, dem behinderten Kind Erleichterung und Hilfen zu verschaffen. Diese Verpflichtung sollte aber entfallen, wenn die Leistungen auf die Sozialhilfe angerechnet würden.
Das Vormundschaftsgericht bestellte der Behinderten eine Ergänzungsbetreuerin für den Aufgabenkreis Durchsetzung bestehender Erbansprüche, insbesondere Pflichtteilsansprüche, aus den Nachlässen der Eltern. Die Betreuerin lehnte eine Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen mit Schreiben vom ab, weil sie in vollem Umfang vom Kläger vereinnahmt werden würden, die Behinderte davon also selbst keinen Nutzen hätte.
Das Landgericht hat die Stufenklage insgesamt abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger seine erstinstanzlichen Ansprüche auf Auskunft und Wertermittlung gemäß § 2314 BGB weiter verfolgt. Das Berufungsgericht hat der Klage nur zum Teil stattgegeben (ZEV 2004, 26 f.). Mit den beiderseitigen Revisionen begehren die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils und der Kläger die volle Durchsetzung der bisher geltend gemachten Ansprüche.
Gründe
Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg; die Revision des Klägers führt zum vollen Erfolg seiner Anträge.
I. Das Berufungsgericht vertritt die Auffassung, durch die Überleitung gemäß § 90 BSHG seien die Pflichtteilsansprüche der behinderten Tochter, die durch das elterliche Testament nach dem Tod des Vaters enterbt worden sei, auf den Kläger übergegangen und könnten von diesem auch geltend gemacht werden. Daß ein Pflichtteilsanspruch nach § 852 Abs. 1 ZPO der Pfändung nur unterworfen ist, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist, und daß ohne diese Voraussetzungen nach §§ 400, 412 BGB auch kein gesetzlicher Forderungsübergang möglich ist, stehe wegen der gesetzlichen Regelung in § 90 Abs. 1 Satz 4 BSHG einem Übergang des Pflichtteilsanspruchs auf den Kläger hier nicht entgegen. Vielmehr gehe der Pflichtteilsanspruch auf den Sozialhilfeträger ohne jede Einschränkung über; insbesondere bleibe dem Pflichtteilsberechtigten nicht persönlich vorbehalten, ob er den Pflichtteilsanspruch geltend machen wolle oder nicht. Die Entschließung der Ergänzungspflegerin vom , den Pflichtteilsanspruch nicht geltend zu machen, habe das durch den Bescheid vom auf den Kläger übergeleitete Pflichtteilsrecht nicht mehr beeinträchtigen können.
Die Verwirkungsklausel im Testament könne entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht dazu führen, § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechend anzuwenden. Wenn das Ausschlagungsrecht des Erben, der im Fall des § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB trotz Ausschlagung den Anspruch auf den Pflichtteil behält, nicht nach § 90 BSHG auf den Sozialhilfeträger übergeleitet werden könne, lasse sich daraus nichts gegen eine Überleitung des wie hier auf Enterbung beruhenden Pflichtteilsanspruchs herleiten, auch wenn die Geltendmachung dieses Pflichtteilsanspruchs aufgrund einer testamentarischen Verwirkungsklausel die Enterbung des Pflichtteilsberechtigten in einem anderen Erbfall zur Folge habe. Die Übereinstimmung in den Rechtsfolgen ändere nichts an den Unterschieden in den Voraussetzungen beider Regelungen. Im vorliegenden Fall komme es auf diese Rechtsfragen aber schon deshalb nicht an, weil eine Auslegung des Testaments ergebe, daß die Eltern bei seiner Errichtung der behinderten Tochter nicht das Erbrecht nach dem letztversterbenden Elternteil hätten versagen wollen, wenn nicht die Tochter selbst, sondern der Sozialhilfeträger beim ersten Erbfall Pflichtteilsansprüche geltend mache. Zwar hätten die Eltern den überlebenden Teil sichern und ihre acht Kinder gleich behandeln wollen. Durch die Geltendmachung des Pflichtteils nach dem erstverstorbenen Elternteil würden die anderen Beteiligten hier aber nicht wesentlich benachteiligt. Vor allem hätten die Eltern mit ihren testamentarischen Regelungen erreichen wollen, daß der behinderten Tochter über die Sozialhilfe hinaus Vorteile zufließen; sie hätten ihr das durch Testamentsvollstreckung gegenüber dem Sozialhilfeträger abgeschirmte Erbrecht nach dem letztversterbenden Elternteil auch dann nicht vorenthalten wollen, wenn der Sozialhilfeträger den Pflichtteil nach dem erstversterbenden Elternteil in Anspruch nehmen würde.
Damit sei die behinderte Tochter Miterbin nach ihrer zuletzt verstorbenen Mutter und also auch Erbeserbin nach ihrem Vater geworden. Deshalb stehe ihr und folglich auch dem Kläger aus übergeleitetem Recht kein Anspruch aus § 2314 BGB zu. Dieser Anspruch setze nämlich die Nichterbenstellung des Pflichtteilsberechtigten voraus. Einen Anspruch auf Wertermittlung auf eigene Kosten auf der Grundlage von § 242 BGB wolle der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht klargestellt habe, nicht geltend machen. Auskunft über den Bestand des Nachlasses sei bereits durch den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten im vorliegenden Verfahren erteilt worden. Damit stehe dem Kläger lediglich noch Auskunft über ausgleichspflichtige Zuwendungen und Schenkungen sowie über den Güterstand der Eltern der Behinderten zu. Nur insoweit sei der Klage auf die Berufung stattzugeben. Im Hinblick auf die Stufenklage werde der Rechtsstreit im übrigen in entsprechender Anwendung von § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO an das Landgericht zurückverwiesen.
II. 1. Demgegenüber machen die Beklagten mit ihrer Revision geltend, die Überleitung des Pflichtteilsanspruchs der Behinderten berechtige den Kläger für sich genommen noch nicht dazu, diesen Anspruch auch geltend zu machen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei zwischen dem Bestand des Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchs einerseits und dem Recht zur Geltendmachung dieser Ansprüche andererseits zu unterscheiden. Nur unter besonderen Umständen komme etwa im Unterhaltsrecht eine Obliegenheit des Pflichtteilsberechtigten in Betracht, den Pflichtteilsanspruch geltend zu machen. Eine derartige Obliegenheit sei hier nicht festgestellt worden. Der Kläger sei an die Entscheidung der Ergänzungspflegerin, Pflichtteilsansprüche nicht geltend zu machen, gebunden.
2. Dem folgt der Senat nicht.
a) Nach der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs ist Sinn und Zweck des § 852 Abs. 1 ZPO, mit Rücksicht auf die familiäre Verbundenheit von Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem allein diesem die Entscheidung zu überlassen, ob der Pflichtteilsanspruch gegen den Erben durchgesetzt werden soll; Gläubiger des Pflichtteilsberechtigten sollen diese Entscheidung nicht an sich ziehen können (BGHZ 123, 183, 186; Urteil vom - IX ZR 147/96 - NJW 1997, 2384 unter 2). Daran anknüpfend hat der früher für das Familienrecht zuständige Senat des Bundesgerichtshofs entschieden, auch wenn sich ein Pflichtteilsberechtigter im allgemeinen Rechtsverkehr frei für oder gegen die Realisierung eines Pflichtteilsanspruchs entscheiden könne, bedeute dies nicht, daß für den Bereich des Unterhaltsrechts notwendig dieselben Grundsätze zu gelten hätten; hier könne eine Obliegenheit bestehen, den Pflichtteilsanspruch zur Befriedigung von Unterhaltsbedürfnissen geltend zu machen ( IVb ZR 738/80 - NJW 1982, 2771 unter 2 b). In Abgrenzung zu diesem Urteil hat der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs dann jedoch ausgesprochen, von den Vermögensbestandteilen, deren Verwertung dem Unterhaltsberechtigten zuzumuten sei, könne ein Pflichtteilsanspruch nicht von vornherein ausgenommen werden; der Verpflichtung zu dessen Verwertung könne sich eine Unterhaltsberechtigte grundsätzlich weder mit dem Argument, zur Befriedigung des Pflichtteilsanspruchs müsse die Erbin unwirtschaftliche Veräußerungen vornehmen, entziehen noch mit der Besorgnis, eine Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs gefährde die Aussicht der Pflichtteilsberechtigten, von der Pflichtteilsschuldnerin später als deren Erbin eingesetzt zu werden. Allerdings blieben Zumutbarkeitsgesichtspunkte von Bedeutung (Urteil vom - XII ZR 248/91 - NJW 1993, 1920 unter II 1 und 2 b).
b) Ähnlich wie die Revision der Beklagten vertritt auch Muscheler (Universalsukzession und Vonselbsterwerb, 2002, S. 235) die Auffassung, die bloße Überleitung des Anspruchs des Pflichtteilsberechtigten auf den Sozialhilfeträger nehme dem Pflichtteilsberechtigten nicht die allein ihm vom Gesetzgeber zugedachte Freiheit, über die Geltendmachung dieses Anspruchs autonom und ohne wirtschaftlichen Druck zu entscheiden. Nur wenn der Pflichtteilsberechtigte den Anspruch (im Sinne von § 852 Abs. 1 ZPO) geltend mache, führe die vorhergehende oder nachträgliche Überleitung nach § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG dazu, daß der Sozialhilfeträger (endgültig) auf den Pflichtteilsschuldner zugreifen könne. Auch das Bayerische Oberste Landesgericht hat entschieden, der Sozialhilfeträger könne Pflichtteilsansprüche erst dann für sich verwerten, wenn die Pflichtteilsberechtigte, vertreten durch ihre Ergänzungsbetreuerin, sich zur Geltendmachung dieser Ansprüche entschlossen habe und die in § 852 Abs. 1 ZPO genannten Voraussetzungen vorlägen; die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen sei nämlich allein vom Willen des Berechtigten abhängig, wie auch die Formulierung "kann" in §§ 2303 Abs. 1 Satz 1, 2325 Abs. 1 und 2329 Abs. 1 Satz 1 BGB zeige (FGPrax 2003, 268, 270).
c) Nach herrschender Meinung kann der auf Enterbung beruhende Pflichtteilsanspruch dagegen, wenn er auf den Sozialhilfeträger übergeleitet worden ist, von diesem geltend gemacht werden, ohne daß es insoweit auf eine Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten selbst ankäme (vgl. etwa Soergel/Dieckmann, BGB 13. Aufl. § 2306 Rdn. 29; MünchKomm-BGB/Lange, 4. Aufl. § 2317 Rdn. 10; MünchKomm-BGB/Roth, 4. Aufl. § 412 Rdn. 24; Staudinger/Busche, BGB [1999] § 412 Rdn. 16; Bamberger/Roth/J. Mayer, BGB § 2317 Rdn. 7; Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. § 35 IV 6 a Fn. 90 S. 832; Nieder, NJW 1994, 1264, 1265 m.w.N.; Krampe, AcP 191 (1991) 526, 529).
d) Mit dem Berufungsgericht sieht der Senat einen Anhaltspunkt dafür, daß bei Pflichtteilsansprüchen zwischen der Inhaberschaft an einem solchen Anspruch einerseits und der Befugnis zur Geltendmachung andererseits zu unterscheiden sei, lediglich in § 852 Abs. 1 ZPO. Welche Bedeutung dieser Vorschrift über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus zukommt, bedarf hier keiner allgemeinen Entscheidung: Denn § 90 Abs. 1 Satz 4 BSHG bestimmt ausdrücklich, der Übergang eines Anspruchs auf den Sozialhilfeträger werde nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Anspruch nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden kann. Damit läßt sich aus § 852 Abs. 1 ZPO keinerlei Einschränkung zum Nachteil des Sozialhilfeträgers herleiten. Die Vorschrift des § 90 Abs. 1 Satz 4 BSHG würde ihres Sinnes beraubt, wenn man sie einschränkend dahin verstehen wollte, daß der Pflichtteilsanspruch nur vorbehaltlich einer persönlichen Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten zur Geltendmachung übergeleitet werden könne (so aber Muscheler, aaO; wie hier dagegen van de Loo, NJW 1990, 2852, 2856; OLG Frankfurt ZEV 2004, 24). Der Sozialhilfeträger wird als Helfer des Sozialhilfeempfängers gerade anders behandelt als andere Gläubiger des Pflichtteilsberechtigten. Strikter als ein Unterhaltsberechtigter muß der Sozialhilfeempfänger auch Pflichtteilsansprüche infolge von § 90 Abs. 1 Satz 4 BSHG vorrangig einsetzen.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sozialhilfeträger den Pflichtteilsanspruch - wie hier - schon vor einer Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten oder seines Betreuers übergeleitet hat. Ebenso wenig wie der Pflichtteilsberechtigte selbst an seine Entscheidung, den Pflichtteil nicht geltend zu machen, gebunden ist, steht es auch dem Sozialhilfeträger frei, nach einer Überleitung über die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs unabhängig von einer etwa schon vorliegenden Äußerung des Pflichtteilsberechtigten oder dessen Betreuers zu entscheiden.
Dem steht nicht entgegen, daß der Sozialhilfeträger in den Fällen des § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB - folgt man der herrschenden Meinung - das Recht zur Ausschlagung einer etwa durch Nacherbfolge und Testamentsvollstreckung beschränkten Erbschaft des Sozialhilfeempfängers nicht auf sich überleiten und ausüben kann (vgl. MünchKomm-BGB/Leipold, § 1942 Rdn. 14; Bamberger/Roth/Seidl, § 1942 Rdn. 12; AnwKomm/Ivo, § 1942 Rdn. 20; Muscheler, aaO S. 231; OLG Stuttgart ZEV 2002, 367, 369 m. Anm. J. Mayer; OLG Frankfurt ZEV 2004, 24, 25 m. Anm. Spall; offengelassen in BGHZ 123, 368, 379). Denn für das Pflichtteilsrecht hat der Gesetzgeber - anders als etwa für das Erbrecht (§§ 1942 ff. BGB) - kein besonderes Ausschlagungsrecht geschaffen.
III. Der Kläger wendet sich mit seiner Revision unter Bezug auf §§ 133, 157, 2084 BGB gegen die Auslegung der Verwirkungsklausel durch das Berufungsgericht. Er rügt, durch eine derartige Klausel solle nicht nur auf einen bewußten Ungehorsam eines Erben reagiert, sondern vor allem die im Testament vorgesehene Vermögensverteilung gesichert werden. Die Auslegung des Berufungsgerichts führe aber zu einer von den Eltern nicht gewollten wirtschaftlichen Bevorzugung des behinderten Kindes.
Das Berufungsgericht entnimmt dem gemeinschaftlichen Testament jedoch mit Recht den Willen der Eltern, über eine Sicherung des überlebenden Ehegatten und eine Gleichbehandlung aller Kinder im Schlußerbfall hinaus das Erbe der behinderten Tochter möglichst vor dem Zugriff des Sozialhilfeträgers zu bewahren. Das ist insbesondere aus der Anordnung einer Testamentsvollstreckung für den Erbteil der behinderten Tochter sowie aus den für die Testamentsvollstreckung getroffenen näheren Regelungen des Testaments zu schließen. Mit diesen Zielen ist die vom Kläger vertretene Auslegung der Verwirkungsklausel unvereinbar: Anders als die pflichtteilsberechtigten Geschwister konnte der Sozialhilfeträger von der Geltendmachung des dem behinderten Kind zustehenden Pflichtteilsanspruchs nach dem erstversterbenden Elternteil hier von vornherein nicht durch die Aussicht abgehalten werden, den im Schlußerbfall der Behinderten zugedachten Erbteil zu verlieren. Denn auf den Erbteil der behinderten Tochter nach dem letztversterbenden Elternteil hätte der Sozialhilfeträger ohnehin nicht zugreifen können (§ 2214 BGB). Die Verwirkungsklausel würde bei wortgetreuer Anwendung zu dem geradezu widersinnigen Ergebnis führen, daß der Zugriff auf den Nachlaß des erstverstorbenen Elternteils dem Sozialhilfeträger den sonst versperrten Zugriff auf den Nachlaß des letztversterbenden Elternteils überhaupt erst eröffnen würde.
Die Verwirkungsklausel muß danach unter Berücksichtigung ihres Sinns im Gesamtzusammenhang des Testaments einschränkend ausgelegt werden. Wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, hätten die Eltern, wenn sie bei Testamentserrichtung die ihren Vorstellungen widersprechenden Folgen der Verwirkungsklausel im Hinblick auf die sich daraus für den Sozialhilfeträger ergebenden Möglichkeiten erkannt hätten, den Fall der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nach dem erstverstorbenen Elternteil durch den Sozialhilfeträger vom Anwendungsbereich der Verwirkungsklausel ausgenommen. Damit wird das behinderte Kind zwar gegenüber seinen Geschwistern bevorzugt, weil es trotz Inanspruchnahme des Pflichtteils nach dem erstverstorbenen Elternteil den ihm im Schlußerbfall zugedachten Erbteil nicht verliert. Diese Konsequenz hätten die Eltern aber nach Auffassung des Berufungsgerichts in Kauf genommen. Diese tatrichterliche Auslegung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; sie ist auch überzeugend.
IV. Auf der Grundlage dieser Auslegung gelangt das Berufungsgericht zutreffend zu dem Ergebnis, daß die behinderte Tochter Mit(vor)erbin nach der zuletzt verstorbenen Mutter geworden ist. Da die Mutter Alleinerbin des vor ihr verstorbenen Vaters war, ist die behinderte Tochter auch dessen (Mit-)Erbeserbin geworden. Daraus hat das Berufungsgericht geschlossen, daß der behinderten Tochter und damit auch dem Kläger die Ansprüche aus § 2314 BGB nicht zustünden, weil sie einen Pflichtteilsberechtigten voraussetzen, der nicht Erbe geworden ist (vgl. - NJW 1993, 2737 unter I).
Ob dies auch dann gilt, wenn der Pflichtteilsberechtigte wie hier zunächst nicht Erbe war und erst durch einen weiteren Erbfall Erbeserbe geworden ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Der Kläger kann jedenfalls im vorliegenden Fall die dem behinderten Kind als Erben der zuletzt verstorbenen Mutter etwa nach §§ 2027, 2028, 2038, 2057 BGB zustehenden Rechte, sich über Bestand und Wert ihres Nachlasses und des darin enthaltenen Nachlasses des vorverstorbenen Vaters zu informieren, nicht auf sich überleiten. Dem steht die für den Erbteil des behinderten Kindes nach der Mutter angeordnete Testamentsvollstreckung entgegen (§ 2214 BGB). Der Kläger hat also, auch wenn er den Pflichtteilsanspruch erst übergeleitet hat, als das behinderte Kind bereits Erbeserbin des Vaters geworden war, lediglich die Rechte eines pflichtteilsberechtigten Nichterben erlangt, wie sie dem behinderten Kind vor dem Tod der Mutter zustanden. Deshalb kann der Kläger auch den der Verwirklichung des Pflichtteilsanspruchs nach dem Vater dienenden Auskunftsanspruch aus § 2314 BGB geltend machen.
Danach war das Berufungsurteil aufzuheben, soweit es die Abweisung von Ansprüchen des Klägers aus § 2314 BGB bestätigt hat, und den insoweit gestellten Anträgen des Klägers zu entsprechen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
OAAAB-99160
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja