Leitsatz
[1] a) Zur Frage der Rechtswidrigkeit des Absehens von einer Anhörung vor dem Erlaß eines Umlegungsbeschlusses, durch den einzelne Grundeigentümer besonders (nachteilig) betroffen werden.
b) Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Anfechtung eines Verwaltungsakts (hier: Umlegungsbeschluß), wenn die erforderliche Anhörung vor dem Erlaß des Verwaltungsakts unterblieben ist (Anschluß an - DVBl. 2001, 1747; gegen BGHZ 144, 210).
c) Der Verbotstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VwVfG betrifft das Aufsichtsratmitglied einer am Verwaltungsverfahren beteiligten juristischen Person (hier: Grundstücksgesellschaft) auch dann, wenn diese zu 100 % der das Verwaltungsverfahren betreibenden Körperschaft (hier: Gemeinde als Umlegungsstelle) gehört.
Gesetze: VwVfG § 28 Abs. 1 Nr. 4; VwVfG § 45 Abs. 3; VwVfG § 20 Abs. 1 Nr. 5
Instanzenzug: OLG Dresden LG Chemnitz
Tatbestand
Der Umlegungsausschuß der Stadt C. (Beteiligter zu 3) beschloß am die Einleitung der Umlegung für das im Westen an die C. angrenzende Gebiet "K. 25", in dem auch das den Beteiligten zu 1 und 2 gehörende Flurstück 468 der Gemarkung Sch. (F. Straße 35) liegt. Der Umlegungsbeschluß wurde am im Amtsblatt der Stadt C. bekannt gemacht.
Im Anschluß an einen Schriftwechsel, wegen dessen Inhalt auf den Tatbestand des ersten Revisionsurteils des Senats vom (III ZR 165/99 - BGHZ 144, 210) verwiesen wird, legten die Beteiligten zu 1 und 2 am Widerspruch gegen den Umlegungsbeschluß vom ein und beantragten vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist. Zur Begründung machten sie unter anderem geltend, sie hätten erst am telefonisch erfahren, daß der Umlegungsausschuß sich über die von ihnen geäußerten Bedenken hinwegsetzen wolle. Das Regierungspräsidium wies den Widerspruch der Beteiligten zu 1 und 2 als unzulässig (verfristet) zurück.
Den hiergegen gerichteten Antrag der Beteiligten zu 1 und 2 auf gerichtliche Entscheidung hat das Landgericht (Kammer für Baulandsachen) zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beteiligten zu 1 und 2 hat das Oberlandesgericht (Senat für Baulandsachen) unter Gewährung von Widereinsetzung in den vorigen Stand den Umlegungsbeschluß aufgehoben. Mit der hiergegen gerichteten Revision erstrebt der Beteiligte zu 3 die Wiederherstellung des Urteils der Kammer für Baulandsachen. Das erste Revisionsurteil des Senats vom , das dem Revisionsantrag des Beteiligten zu 3 entsprach (abgedruckt in BGHZ 144, 210), ist durch Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats des (DVBl. 2001, 1747) aufgehoben worden.
Gründe
Die Revision ist unbegründet.
I.
Zu Recht hat das Berufungsgericht den Widerspruch der Beteiligten zu 1 und 2 gegen den Umlegungsbeschluß vom als zulässig behandelt.
1. Allerdings haben - wie im ersten Revisionsurteil im einzelnen ausgeführt wird - die Beteiligten zu 1 und 2 die Frist für einen Widerspruch gegen den Umlegungsbeschluß versäumt.
2. Indessen hält die Entscheidung des Berufungsgerichts, den Beteiligten zu 1 und 2 wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung des Widerspruchs Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, der rechtlichen Nachprüfung stand. Es hat zutreffend angenommen, daß den Beteiligten zu 1 und 2 die Vorschrift des § 45 Abs. 3 VwVfG zugute kommt.
a) Nach dieser Bestimmung, die auch auf die Wiedereinsetzung für den Widerspruch gemäß § 70 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 60 Abs. 1 bis 4 VwGO anzuwenden ist, gilt unter anderem dann, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlaß eines Verwaltungsaktes unterblieben und dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden ist, die Versäumung als nicht verschuldet (Satz 1); das für die Wiedereinsetzungsfrist ("nach § 32 Abs. 2") maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein (Satz 2).
b) Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht hier einen solchen Anhörungsmangel an. Zwar sieht § 28 Abs. 2 Nr. 4 des in Sachsen gemäß § 1 SächsVwVfG geltenden Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vor, daß (u.a.) vor dem Erlaß einer Allgemeinverfügung, als die sich der Umlegungsbeschluß regelmäßig darstellt (Dieterich, Baulandumlegung 4. Aufl. Rn. 126), von der Anhörung abgesehen werden kann, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist. Bei der betreffenden Beurteilung ist jedoch ein strenger Maßstab anzulegen (Bonk/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG 6. Aufl. § 28 Rn. 47 m.w.N.). Im übrigen ergibt sich für die gegebenenfalls der Verwaltung eröffnete Ermessensentscheidung das Erfordernis, daß zusätzlich eine Abwägung der für und der gegen die Anhörung sprechenden Umstände unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips erfolgen muß (Bonk/Kallerhoff aaO). Im Streitfall stellt das Berufungsgericht bereits einen "Ermessensausfall" des Umlegungsausschusses in bezug auf eine vorherige Anhörung der Beteiligten zu 1 und 2 fest, ohne daß die Revision des Beteiligten zu 3 dies begründet angreift. Darüber hinaus führt das Berufungsgericht besondere (gewichtige) Umstände an, die im Streitfall einer Beurteilung, die vorherige Anhörung der Beteiligten zu 1 und 2 sei nicht geboten, gerade entgegenstanden: Danach lag es für den Umlegungsausschuß auf der Hand, daß die Beteiligten zu 1 und 2 besonders (nachteilig) von der angestrebten Umlegung betroffen sein würden, weil beabsichtigt war, ihr Grundstück im Rahmen des Umlegungsverfahrens mit einer Abstandsflächenbaulast zu belasten, um auf diese Weise das benachbarte Bauvorhaben der Beteiligten zu 4 voranzubringen und es rechtlich abzusichern. Die Revision des Beteiligten zu 3 rügt zwar, die Feststellungen des Berufungsgerichts, aus denen sich - von vornherein - die besondere "Betroffenheit" der Beteiligten zu 1und 2 durch das beabsichtigte Umlegungsverfahren ergab, beruhten auf Rechts- und Verfahrensfehlern, sie vermag aber in diesem Zusammenhang durchgreifende Mängel nicht aufzuzeigen.
c) Dem Berufungsgericht ist weiter darin beizupflichten, daß sich als Folge dieses Anhörungsmangels ergibt, daß die Versäumung der Widerspruchsfrist durch die Beteiligten zu 1 und 2 nach § 45 Abs. 3 Satz 1 VwVfG als nicht verschuldet gilt.
aa) Der Anhörungsmangel war, wie schon im ersten Revisionsurteil des Senats ausgeführt worden ist, (mit)ursächlich dafür, daß die Beteiligten zu 1 und 2 den - durch ortsübliche Bekanntmachung wirksam gewordenen - Umlegungsbeschluß nicht fristgerecht (§§ 41 Abs. 4 Satz 3 VwVfG, 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO) mit einem Widerspruch angefochten haben.
bb) Der Senat hat zwar in seinem ersten Revisionsurteil angenommen, die Vorschrift des § 45 Abs. 3 VwVfG greife nur so lange ein, als ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Anhörungsmangel und dem (weiteren) Unterbleiben der Anfechtung gegeben sei; wer - wie hier die Beteiligten zu 1 und 2 - mit einem Wiedereinsetzungsgesuch wegen der Versäumung der Anfechtung eines öffentlich bekannt gemachten Umlegungsbeschlusses anführe, im Falle einer vorherigen Anhörung wäre ihm der Erlaß des Umlegungsbeschlusses nicht entgangen und er hätte ihn rechtzeitig angefochten, könne von dem Zeitpunkt an nicht mehr als an einer Nachholung der Anfechtung "gehindert" angesehen werden, zu dem ihm der Umlegungsbeschluß und dessen wesentliche Zielsetzung persönlich bekannt gegeben worden sei (BGHZ 144, 210 = LM VwVfG Nr. 18 m. Anm. Manssen = JR 2001, 366 m. Anm. Ennuschat = NJ 2000, 599 m. Anm. Flint). Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch auf die Verfassungsbeschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 ausgesprochen, daß eine solche Auslegung mit dem Wortlaut von § 45 Abs. 3 Satz 2 VwVfG nicht vereinbar sei und gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoße (Beschluß vom - 1 BvR 1061/00 - DVBl. 2001, 1747). Daran ist der Senat gebunden.
II.
Auch die vom Berufungsgericht getroffene Sachentscheidung ist nicht zu beanstanden. Es hat den Umlegungsbeschluß vom mit Recht aufgehoben, denn der Beschluß ist rechtswidrig und verletzt die Beteiligten zu 1 und 2 in ihrem Eigentum.
1. Auf die vom Berufungsgericht geäußerten - jedoch nicht abschließenden - materiellrechtlichen Bedenken gegen den Umlegungsbeschluß unter dem Gesichtspunkt, daß die Baulandumlegung nach den §§ 45 ff BauGB als eine verfassungsrechtlich zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) auf die Neuordnung der Eigentumsverhältnisse in dem betroffenen Gebiet - im Sinne eines Ausgleichs der insoweit gleichgerichteten privaten Interessen, nicht im Sinne der einseitigen Durchsetzung eines "Fremdinteresses" - abzielen muß (vgl. BVerfG ZfIR 2001, 756; Senat BGHZ 113, 139, 143), kommt es nicht an.
2. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, leidet der Umlegungsbeschluß nämlich schon an dem formellen Fehler, daß an ihm eine gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Halbs. 1 VwVfG ausgeschlossene Person mitgewirkt hat, wobei die konkrete Möglichkeit besteht, daß ohne diesen Verfahrensmangel die Entscheidung anders ausgefallen wäre (vgl. § 46 VwVfG; BVerwGE 69, 256, 269 f).
a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der am Umlegungsbeschluß mitwirkende Vorsitzende des Umlegungsausschusses - ein Beigeordneter der Stadt C. - seinerzeit auch Vorsitzender des Aufsichtsrats der Grundstücks- und Gebäudewirtschaftsgesellschaft mbH (G.G. GmbH; Alleingesellschafterin: die Stadt C.), einer (damaligen) Eigentümerin von Grundbesitz in dem als Umlegungsgebiet in Betracht gezogenen Bereich.
b) Mithin war der Verbotstatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Halbs. 1 VwVfG gegeben, wonach in einem Verwaltungsverfahren für eine Behörde unter anderem nicht tätig werden darf, wer bei einem Beteiligten als Mitglied des Aufsichtsrats tätig ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat sich anschließt, stellt die Vorschrift nicht darauf ab, ob der Amtsträger dem Aufsichtsrat einer verfahrensbeteiligten Gesellschaft in privatem Interesse oder in amtlicher Eigenschaft angehört (BVerwGE 69, 256, 263 ff, 265; BVerwG NVwZ 1988, 530). Der für diese Auslegung vor allem maßgebliche Gesichtspunkt, daß Ausschluß- und Befangenheitsregelungen grundsätzlich nicht nur Bedeutung haben, wenn eine Interessenkollision wirklich vorliegt, sondern darauf abzielen, daß schon der "böse Schein" möglicher Parteilichkeit vermieden wird (BVerwGE 69, 256, 266), kommt entgegen der Auffassung der Revision auch im Streitfall zum Tragen, unbeschadet des Umstandes, daß die G.G. GmbH eine 100 %ige Tochter der Stadt C. war.
Der zuletzt erörterte Umstand führt auch im Blick auf den zweiten Halbsatz von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VwVfG zu keiner anderen Beurteilung. Danach gilt das beschriebene Mitwirkungsverbot nicht "für den, dessen Anstellungskörperschaft Beteiligte ist". Mit dieser Ausnahme soll verhindert werden, daß ganze Behörden lahmgelegt werden und ihre Bediensteten und Funktionsträger von einer Aufgabenwahrnehmung gegenüber ihrer Anstellungskörperschaft ausgeschlossen wären (vgl. Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG 6. Aufl. § 20 Rn. 38; Kopp/Ramsauer VwVfG 7. Aufl. § 20 Rn. 30; als Beispiel wird die Bearbeitung eines Baugenehmigungsantrags des Kreises durch den Oberkreisdirektor als Genehmigungsbehörde genannt). Die Ausnahmeregelung ist nach ihrer Zwecksetzung nicht analog auf den Fall anzuwenden, daß ein Amtsträger aufgrund seiner Dienstfunktion zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen Mitglied des Vorstands usw. ist (Bonk/Schmitz aaO; Ramsauer aaO). Nichts anderes gilt für den hier vorliegenden Fall einer 100 %igen Beteiligung der Anstellungskörperschaft des Amtsträgers/Organs an der von dem Verwaltungsverfahren betroffenen Gesellschaft.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
EAAAB-98511
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja