Inhalt der Klage; Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung; Fehlen von Entscheidungsgründen; Prozessurteil statt Sachurteil als Verfahrensmangel
Gesetze: FGO § 65, FGO § 96, FGO § 115, FGO § 119 Nr. 6
Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg Urteil vom 6 K 271/01
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat vier Kinder. Das jüngste, nichteheliche Kind G lebte nicht im Haushalt des Klägers, sondern bei der Mutter des Kindes. Die Mutter erhielt für G Kindergeld, das dem Kläger zur Hälfte auf den Unterhalt angerechnet wurde.
Der Kläger begehrte von der Beklagten und Beschwerdegegnerin (der zentralen Bezügestelle des Landes Brandenburg —Beklagte—) Gehaltsnachzahlungen in Form von Kindergeld sowie Orts- bzw. Familienzuschlägen gemäß der Entscheidung des u.a. (BVerfGE 99, 300), welche die Beklagte ab dem Jahr 1999 gewährte.
Mit seiner Klage vom Januar 2001 beantragte der Kläger zunächst, die Beklagte zu verurteilen „auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG einen Bescheid über Kindergeld sowie über kindbezogene Gehaltsbestandteile zu erlassen, der die dem Kläger seit zustehenden Ansprüche für drei Kinder und seit November 1998 für vier Kinder neu festlegt”.
Mit Schriftsatz vom führte der Kläger aus, auch ab den Jahren 1996 ff. sei zu wenig Kindergeld bezahlt worden, da G nicht als sog. Zählkind berücksichtigt worden sei. Dieser in zahlreichen Schriftsätzen bzw. Stellungnahmen geltend gemachte Anspruch sei in Ablehnungs- und Widerspruchsbescheiden zumindest konkludent abgelehnt worden. Falls das Finanzgericht (FG) eine solche Ablehnung nicht erkennen könne, werde hilfsweise beantragt, die Beklagte zu verurteilen, einen Bescheid über die Kindergeldansprüche seit 1996 zu erlassen, die den Kindergeldanspruch in Bezug auf die nichteheliche Tochter G „in Ansehung der Rechtsprechung des BVerfG entsprechend der Gesetzeslage erfasst”.
In einem weiteren Schriftsatz vom legte er dar, er habe für G Anspruch auf die Hälfte des Kindergeldes, das für das vierte Kind zu zahlen sei. Da auf seinen Unterhalt bisher nur die Hälfte des für das erste Kind geltenden Betrages angerechnet worden sei, habe er Anspruch auf Zahlung der Differenz.
In der mündlichen Verhandlung vor dem FG erklärte der durch einen Rechtsanwalt vertretene Kläger, es gehe nur noch um den Zählkindvorteil für G ab 1996. Laut Protokoll über die mündliche Verhandlung beantragte er, „unter Aufhebung etwaiger entgegenstehender Bescheide insbesondere des Widerspruchsbescheids vom unter Berücksichtigung des Zählkindvorteils für sein Kind G ab dem Jahr 1996 Kindergeld zu gewähren”.
Das FG wies die Klage ab. Es führte aus, soweit der Kläger die Aufhebung etwaiger entgegenstehender Bescheide begehre, sei die Klage unzulässig, da er die Verwaltungsakte bzw. Entscheidungen über außergerichtliche Rechtsbehelfe nicht gemäß § 65 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hinreichend bezeichnet habe. Soweit der Kläger die Aufhebung des angefochtenen Widerspruchsbescheids vom beantrage, sei die Klage ebenfalls unzulässig, da dieser Bescheid nicht mehr Gegenstand des Verfahrens sei. Dieser Bescheid habe nicht die nunmehr begehrte Gewährung von Kindergeld unter Berücksichtigung eines Zählkindvorteils für G betroffen, sondern ausschließlich die Nachzahlung von Orts- und Familienzuschlägen für dritte und weitere Kinder. Das Verfahren gegen den Widerspruchsbescheid sei daher an das Verwaltungsgericht verwiesen worden.
Darüber hinaus wäre die Klage aber auch unbegründet. Der Kläger habe für die drei älteren Kinder —soweit die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorgelegen hätten— Kindergeld erhalten. Für die Höhe des Kindergeldes seien diese Kinder zu Recht als erstes, zweites und drittes Kind behandelt worden. G habe als viertes Kind nicht berücksichtigt werden können.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger Verfahrensfehler und grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Er trägt im Wesentlichen vor:
Entgegen den Ausführungen im FG-Urteil sei der Anspruch auf Zahlung von Kindergeld für das Kind G Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gewesen, da er in zahlreichen Verfahren gegenüber der Beklagten und dem FG seinen Anspruch auf Kindergeld für G geltend gemacht habe. Er habe gerade nicht —wie das FG unterstellt habe— Ablehnungsbescheide angegriffen, „sondern als Verpflichtungsklage den Antrag gestellt, auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG einen Bescheid über Kindergeld und kindergeldbezogene Gehaltsbestandsteile zu erlassen”.
Außerdem sei vom „Fehlen von Entscheidungsgründen” (§ 119 Nr. 6 FGO) auszugehen, da Entscheidungsgründe zum mehrfach geäußerten Verpflichtungsbegehren fehlten.
II. Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 132 FGO).
1. Die Revision ist nicht wegen fehlerhafter Abweisung der Klage als unzulässig zuzulassen.
Zwar liegt ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor, wenn das FG zu Unrecht statt eines Sachurteils ein Prozessurteil erlässt (, BFH/NV 2004, 1670, m.w.N.). Die Ausführungen des Klägers ergeben aber keinen solchen Verfahrensmangel.
Das FG hat entgegen der Darstellung des Klägers nicht entschieden, dass der Zählkindvorteil für G nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen sei. Es hat lediglich ausgeführt, dass der angefochtene Widerspruchsbescheid wegen der Verweisung an das Verwaltungsgericht nicht mehr Gegenstand des Verfahrens sei. Im Übrigen hat das FG die Klage als unzulässig beurteilt, weil der Kläger die Verwaltungsakte bzw. Entscheidungen über außergerichtliche Rechtsbehelfe nicht gemäß § 65 Abs. 1 FGO hinreichend bezeichnet habe. Er hätte darlegen müssen, gegen welche hoheitlichen Maßnahmen er sich wende.
Nach dem Wortlaut des § 65 Abs. 1 Halbsatz 2 FGO bezieht sich die Pflicht, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zu bezeichnen, zwar auf Anfechtungsklagen. Die ordnungsgemäße Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens nach § 65 Abs. 1 Halbsatz 1 FGO gilt aber auch für Verpflichtungsklagen. Hat die Behörde es abgelehnt, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen, gehört zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Klagegegenstands auch bei der Verpflichtungsklage, dass der Ablehnungsbescheid und die Entscheidung über den Einspruch benannt werden (vgl. Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 65 FGO Rz. 83).
Handelt es sich um eine Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO, sind der Ablehnungsbescheid und der Einspruch zu bezeichnen, über den die Behörde nicht in angemessener Frist entschieden hat. Ist kein Einspruch möglich, weil das Finanzamt über den Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts nicht entscheidet, muss der Kläger darlegen, dass er einen sog. Untätigkeitseinspruch gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) erhoben hat, der für die Zulässigkeit der Verpflichtungsklage Voraussetzung ist (vgl. z.B. Senatsurteil vom III R 36/02, BFH/NV 2004, 1655). Die Angabe, die Behörde habe in zahlreichen Bescheiden konkludent den Anspruch abgelehnt, reicht nicht aus, zumal der Kläger anscheinend erstmals im finanzgerichtlichen Verfahren die Berücksichtigung von G als Zählkind beantragt hat. Die Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 99, 300, auf die sich der Kläger stets berufen hatte, betraf die Angemessenheit der Besoldung für kinderbezogene Gehaltsbestandteile (Bemessung des zusätzlichen Bedarfs für das dritte und jedes weitere Kind), nicht aber die Frage, ob bei dem anderen Elternteil lebende Kinder bei der Ermittlung der Höhe des Kindergeldes als Zählkinder zu berücksichtigen sind.
Im Übrigen führt ein Verfahrensfehler nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nur dann zur Zulassung, wenn die Entscheidung des FG auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Da das FG die Abweisung der Klage ergänzend damit begründet hat, dass dem Kläger das begehrte Kindergeld für G nicht zustehe und deshalb die Klage auch unbegründet wäre, kann der Verfahrensfehler für die Abweisung der Klage nicht ursächlich sein (, BFH/NV 1992, 613).
2. Die Rüge des Klägers, die Entscheidung beruhe auf einem Verfahrensfehler, weil die Entscheidungsgründe zu seinem Verpflichtungsbegehren fehlten (§ 119 Nr. 6 FGO), rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht.
Eine Entscheidung ist nur dann i.S. von § 119 Nr. 6 FGO „nicht mit Gründen versehen”, wenn die Gründe überhaupt fehlen oder aus dem Urteil die wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend waren (§ 96 Abs. 1 Sätze 1 und 3 FGO), nicht erkennbar sind, so dass die Beteiligten die Entscheidung nicht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen können (, BFH/NV 1999, 1106) oder wenn das Urteil einen wesentlichen Streitpunkt nicht behandelt (, BFH/NV 2004, 457, m.w.N.).
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall ersichtlich nicht vor. Der durch einen Rechtsanwalt vertretene Kläger hat in der mündlichen Verhandlung seinen Antrag als Anfechtungsantrag formuliert (Aufhebung „etwaiger entgegenstehender Bescheide” und Gewährung von Kindergeld für G). Dieses Begehren hielt das FG unter Berufung auf § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO mangels Angabe der ablehnenden Bescheide und außergerichtlichen Rechtsbehelfe für nicht ausreichend bezeichnet. Es hat damit seine Entscheidung begründet.
Im Übrigen gelten die Gründe des FG für die Unzulässigkeit der Klage —wie oben dargelegt— der Sache nach ebenso für den Fall, dass der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag als Verpflichtungsantrag auszulegen ist (zum Antrag auf Festsetzung von Kindergeld als Verpflichtungsantrag vgl. Senatsurteil vom III R 66/04, BFHE 210, 265, BStBl II 2006, 184).
Den im Schriftsatz vom hilfsweise gestellten Antrag, die Beklagte zu verurteilen, einen Bescheid über Kindergeldansprüche für das Kind G ab 1996 zu erlassen, hat der durch einen Rechtsanwalt vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrecht erhalten. Einer Entscheidung über einen solchen Antrag bedurfte es daher nicht.
Hat das Gericht einen Sachantrag (Klageantrag) überhaupt nicht beschieden, fehlt es im Übrigen nicht an der Begründung, sondern an der Entscheidung selbst. Das Übergehen eines Sachantrags kann daher nicht mit der Rüge nach § 119 Nr. 6 FGO, sondern nur mit dem Antrag nach § 109 FGO auf Ergänzung des Urteils geltend gemacht werden (, BFH/NV 1996, 840, m.w.N.).
3. Die vom Kläger behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen.
Hat das FG sein Urteil auf mehrere Begründungen gestützt, von denen jede für sich das Entscheidungsergebnis trägt, muss hinsichtlich jeder Begründung ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden und vorliegen (, BFH/NV 2005, 835, m.w.N.). Das gilt auch bei Abweisung der Klage als unzulässig und hilfsweise als unbegründet (BFH-Beschlüsse vom VIII B 15/96, BFH/NV 1997, 500, und vom VI B 132/98, BFH/NV 1999, 208).
Da das FG die Klage als unzulässig abgewiesen hat und insoweit kein Zulassungsgrund gegeben ist, kommt eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, soweit das FG die Klage als unbegründet abgewiesen hat, nicht in Betracht.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 2101 Nr. 11
EAAAB-97189