Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: ArbG Nürnberg 2 Ca 6179/02 vom LAG Nürnberg 4 Sa 98/03 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob die Beklagte den Stundenlohn des Klägers entsprechend dem einschlägigen Lohntarifvertrag erhöhen musste.
Die Beklagte betreibt eine Druckerei mit zehn Arbeitnehmern. Der Kläger ist bei ihr seit 1964 als Drucker beschäftigt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag besteht nicht. Die Parteien sind nicht tarifgebunden. Ein Betriebsrat ist im Betrieb der Beklagten nicht gebildet.
Jedenfalls seit April 1991 zahlte die Beklagte dem Kläger einen Stundenlohn, der jeweils dem Lohn nach Lohngruppe V des Tarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Druckindustrie entsprach. Außerdem zahlte sie je Stunde eine übertarifliche Zulage, eine monatliche "freiwillige Leistungszulage" und vermögenswirksame Leistungen. In den "Lohndatenblättern" des Klägers, über die dieser jeweils unterrichtet wurde, ist durchgehend von "Lohngruppe V", "Tariflohn" bzw. "Tarifgruppe" und "übertariflicher Zulage" die Rede. Die Lohnabrechnungen weisen bis Mai 2002 "Tariflohn", "Übertarif", "Freiwillige Zulage" und "AG VL" aus.
Mit Wirkung vom wurde der tarifliche Stundenlohn der Lohngruppe V auf 14,50 Euro erhöht. Die Beklagte zahlte demgegenüber einen Stundenlohn in Höhe von 14,10 Euro, den sie in den Lohnabrechnungen ab Juni 2002 als "vereinbarten Lohn" bezeichnete. Zusätzlich leistete sie weiterhin eine übertarifliche Zulage von 2,19 Euro/Stunde.
Mit seiner Klage hat der Kläger verschiedene, inzwischen rechtskräftig abgewiesene Ansprüche geltend gemacht und die Differenz zwischen 14,10 Euro und 14,50 Euro für jeweils 161 Stunden der Monate April bis November 2002 verlangt. Aus den Abrechnungen der Beklagten ergebe sich, dass die Beklagte willentlich den "Tariflohn" gezahlt habe. Er habe darauf vertrauen können, dass die Beklagte jede Tariflohnerhöhung weitergebe.
Der Kläger hat, soweit in der Revision noch von Interesse, beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 515,20 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Vergütung habe sich in der Vergangenheit an den tariflichen Vorgaben gemäß dem Tarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Druckindustrie orientiert, ohne dass dieser Tarifvertrag ausdrücklich in Bezug genommen oder durchgängig angewendet worden sei. Es liege weder eine Vereinbarung noch ein schützenswertes Vertrauen des Klägers dahingehend vor, der jeweilige Tariflohn werde auch künftig automatisch bei jeder Tariflohnerhöhung beibehalten.
Die Vorinstanzen haben entsprechend dem Klageantrag entschieden. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung.
Gründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur vollständigen Abweisung der Klage.
I. Das Landesarbeitsgericht hat, teilweise unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts, ausgeführt, die Beklagte müsse den unstreitigen Tariflohn von 14,50 Euro/Stunde zahlen. Der Arbeitsvertrag der Parteien enthalte eine jedenfalls konkludente Bezugnahme auf die Lohngruppe V des einschlägigen Tarifvertrags der Druckindustrie. Das ergebe sich aus den vorgelegten Gehaltsmitteilungen und Lohndatenblättern. Der Kläger habe auf Grund der ausdrücklichen Bezeichnung "Tariflohn" und der Zahlung in Höhe der jeweils geltenden tariflichen Stundenlöhne davon ausgehen dürfen, die Beklagte nehme dynamisch auf die jeweilige Vergütung der Lohngruppe V Bezug. Die Beklagte habe zunächst auch selbst vorgetragen, der Kläger erhalte einen Stundenlohn gemäß Lohngruppe V. Darin liege ein gerichtliches Geständnis, das die Beklagte nicht wirksam widerrufen habe.
II. Die Auslegung des Arbeitsvertrags der Parteien durch das Landesarbeitsgericht hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Beklagte schuldete ab April 2002 nicht den erhöhten Tariflohn von 14,50 Euro/Stunde.
1. Der Kläger hat nicht vorgetragen, die Parteien hätten bei Beginn des Arbeitsverhältnisses im Jahre 1964 oder zu einem späteren Zeitpunkt durch ausdrückliche Willenserklärungen auf den jeweiligen Tariflohn Bezug genommen.
2. Die Beklagte hat unstreitig von April 1991 bis März 2002 einen Stundenlohn gezahlt, der jeweils dem Lohn der Lohngruppe V des Tarifvertrags der Druckindustrie entsprach. Ihr Vortrag, der Kläger habe einen Stundenlohn gemäß Lohngruppe V erhalten, sagt aber nur etwas über die Höhe der tatsächlichen Zahlung aus. Das Landesarbeitsgericht verletzt die Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB, wenn es hieraus folgert, die Beklagte sei selbst davon ausgegangen, dem Kläger habe eine Vergütung entsprechend dem jeweiligen Tariflohn zugestanden. Die Lohnabrechnungen und Lohnmitteilungen geben nur die Höhe der aktuellen Vergütung an. Sie dokumentieren lediglich den abgerechneten Lohn, bestimmen aber nicht den Anspruch. Ein Erklärungswert über künftige Ansprüche kommt ihnen allein auf Grund der Angaben "Tariflohn" und "Lohngruppe V" nicht zu. Dasselbe gilt für die Lohndatenblätter des Klägers. Der Arbeitgeber drückt hier keinesfalls aus, er wolle unabhängig von der jeweiligen Lohnhöhe auch künftig den Tariflohn aus der betreffenden Lohngruppe zahlen.
3. Danach ist die Annahme eines gerichtlichen Geständnisses durch das Landesarbeitsgericht ebenfalls fehlerhaft. Die Beklagte hat keine solche Erklärung abgegeben.
4. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts haben die Parteien eine dynamische Bezugnahme auf die Vergütung der Tariflohngruppe V nicht dadurch vertraglich vereinbart, dass der Kläger die mehrjährige tatsächliche Handhabung der Beklagten akzeptiert hat. In der wiederholten Lohnerhöhung durch die Beklagte liegt schon nicht der vom Landesarbeitsgericht angenommene Erklärungswert. Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, dass ein Arbeitnehmer die Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung durch einen nicht tarifgebundenen Arbeitgeber nur bei zusätzlichen deutlichen Anhaltspunkten in dessen Verhalten dahin verstehen darf, der Arbeitgeber wolle auch die künftig von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen übernehmen. Denn ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber will sich grundsätzlich nicht für die Zukunft der Regelungsmacht der Verbände unterwerfen. Dies ist gerade Sinn des nicht erfolgten Beitritts in einen Arbeitgeberverband. Die fehlende Tarifbindung verdeutlicht den Willen des Arbeitgebers, die Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung jedenfalls nicht ohne nähere Prüfung vorzunehmen. Die nicht vorhersehbare Dynamik der Lohnentwicklung und die hierdurch verursachten Personalkosten sprechen grundsätzlich gegen einen objektiv erkennbaren rechtsgeschäftlichen Willen des Arbeitgebers zu einer dauerhaften Entgeltanhebung entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet. Mit den in Anlehnung an eine Tariflohnerhöhung erfolgenden freiwilligen Lohnsteigerungen entsteht lediglich ein Anspruch der Arbeitnehmer auf Fortzahlung dieses erhöhten Lohns, nicht aber zugleich eine Verpflichtung des Arbeitgebers, auch künftige Tariferhöhungen weiterzugeben. Der nicht tarifgebundene Arbeitgeber will seine Entscheidungsfreiheit über die künftige Lohn- und Gehaltsentwicklung behalten. Darin unterscheidet sich dieser Sachverhalt von der betrieblichen Übung bei der Gewährung von Zulagen oder Jahressonderzahlungen. Hierbei entstehen zwar auch weitere Kosten. Diese sind aber statisch und damit vorhersehbar und nicht unüberschaubar dynamisch ausgestaltet ( - AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 56 = EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 37, zu I 2 der Gründe; - 5 AZR 755/00 - EzA ZPO § 259 Nr. 1, zu II 2 der Gründe, jeweils mwN).
5. Eine betriebliche Übung gerichtet auf die zukünftige Anpassung der Vergütung entsprechend dem Tariflohn ist nicht entstanden (vgl. aaO, zu I der Gründe). Die regelmäßigen Gehaltserhöhungen entsprechend der Tarifentwicklung haben kein Vertrauen dahingehend geschaffen, die Beklagte werde auch künftig weiter so verfahren. Sie beziehen sich jeweils nur auf den konkreten Fall. Der Kläger musste jedes Mal auch ohne besonderen Hinweis davon ausgehen, die Beklagte habe sich nach Prüfung aller Umstände (auch diesmal wieder) für eine "Übernahme" entschieden. Es hätte zusätzlicher Anhaltspunkte neben den regelmäßigen Erhöhungen bedurft, um eine betriebliche Übung annehmen zu können. Das Landesarbeitsgericht hat derartige Umstände nicht festgestellt.
Es kommt hinzu, dass der tarifgebundene Arbeitgeber durch Austritt aus dem tarifschließenden Verband die Anwendbarkeit künftiger Tariflohnerhöhungen vermeiden kann (§ 3 Abs. 3 TVG). Eine betriebliche Übung wird bei Tarifbindung des Arbeitgebers allein auf Grund regelmäßiger Erhöhungen nicht entstehen können; denn es ist anzunehmen, der Arbeitgeber wolle nur den gesetzlichen Verpflichtungen des Tarifvertragsgesetzes Rechnung tragen und seine Arbeitnehmer gleich behandeln. Der nicht tarifgebundene Arbeitgeber, der sich (zeitweise) wie ein tarifgebundener Arbeitgeber verhält, darf deswegen nicht schlechter stehen als dieser, nämlich auf Dauer ohne Austrittsmöglichkeit (vertraglich) gebunden sein. Das muss der Arbeitnehmer erkennen, falls die Frage der Tarifbindung seines Arbeitgebers überhaupt eine Rolle für ihn spielt. Deshalb darf er in keinem Falle von einer dauerhaften Bindung des Arbeitgebers ausgehen.
III. Der Kläger hat gem. § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DB 2005 S. 892 Nr. 16
RAAAB-94383
1Für die Amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein