BFH Urteil v. - VI R 19/03 BStBl 2006 II S. 832

Leitsatz

1. Durch das Dienstverhältnis veranlasste Leistungen des Arbeitgebers sind auch dann Arbeitslohn, wenn es an einem Rechtsgrund fehlt.

2. Zurückgezahlter Arbeitslohn ist erst im Zeitpunkt des Abflusses steuermindernd zu berücksichtigen.

Gesetze: EStG § 11EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I.

Streitig ist die steuerliche Behandlung von überzahlten Krankenbezügen durch den Arbeitgeber.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 1995 und 1996 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielte bis zum als Sozialarbeiter Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Aufgrund von Arbeitsunfähigkeit erhielt er ab Krankenbezüge im Rahmen der Lohnfortzahlung durch die Stadt X (Arbeitgeber) gemäß § 71 des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT). Rückwirkend bezog der Kläger ab Berufsunfähigkeitsrente und ab Erwerbsunfähigkeitsrente. Die vom Arbeitgeber in der Zeit vom bis zum geleisteten Krankenbezüge bzw. Urlaubsvergütungen beliefen sich auf 23 617,50 DM. Im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs vom vor dem Arbeitsgericht vereinbarte der Kläger mit dem Arbeitgeber die Rückzahlung überzahlter Krankenbezüge in Höhe von 7 248,29 DM. Von der Rückforderung der in der Zeit vom bis gezahlten Krankenbezüge sah der Arbeitgeber gemäß § 71 Abs. 2 BAT ab und verzichtete insoweit auf eine Erstattung. Der Kläger zahlte den genannten Betrag im Jahr 1997 an den Arbeitgeber zurück.

Im Februar 1999 beantragte der Kläger, die Rückzahlung in den Streitjahren 1995 und 1996 steuermindernd zu berücksichtigen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) lehnte —unter Berücksichtigung der Rückzahlung im Jahr 1997— die Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für diese Jahre ab. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage insoweit statt. Das FG vertrat die Auffassung, die strittigen Zahlungen stellten, da irrtümlich geleistet, keinen Arbeitslohn dar. Die bestandskräftigen Bescheide seien gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) antragsgemäß zu ändern.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) alle „Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden”. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Leistung besteht oder nicht (, BFHE 180, 441, BStBl II 1996, 545). Der BFH definiert den Begriff des Arbeitslohns in ständiger Rechtsprechung als jedweden geldwerten Vorteil, der durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst ist (Urteil vom VI R 29/00, BFHE 208, 104, BStBl II 2005, 367). Eine solche Veranlassung liegt vor, wenn der Vorteil nur gewährt wird, weil der Zuwendungsempfänger Arbeitnehmer des Arbeitgebers ist, der Vorteil also mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis eingeräumt wird, und wenn sich die Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (, BFHE 203, 53, BStBl II 2003, 886). Dabei genügt die tatsächliche Veranlassung der Einnahmen durch das Dienstverhältnis (, BFHE 115, 251, BStBl II 1975, 520; Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach —HHR—, § 19 EStG Anm. 340). Arbeitslohn liegt u.a. dann nicht vor, wenn die Zuwendungen wegen anderer Rechtsbeziehungen oder wegen sonstiger, nicht auf dem Dienstverhältnis beruhender Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gewährt werden (, BFHE 143, 544, BStBl II 1985, 529).

Nach diesen Grundsätzen hat die Vorinstanz die Zahlung des Krankengelds zu Unrecht nicht als Arbeitslohn angesehen. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber bildet Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (Schmidt/ Drenseck, EStG, 25. Aufl., § 19 Rz. 50 „Lohnfortzahlung im Krankheitsfall"; HHR/Pflüger, § 19 EStG Anm. 600 „Lohnfortzahlung"; Küttner/Thomas, Personalbuch 2006, Stichwort Krankengeld, Rz. 6). Der Arbeitgeber erfüllt damit im Fall der Arbeitsunfähigkeit den arbeitsrechtlichen Lohnzahlungsanspruch des Arbeitnehmers. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist auch der hier strittige Krankenbezug gemäß § 71 BAT.

Entgegen der Auffassung des FG sind im Streitfall die Krankenbezüge auch insoweit Arbeitslohn, als die tarifrechtlichen Voraussetzungen nicht vorlagen und der Arbeitgeber insoweit ohne Rechtsgrund gezahlt hat und somit von einer Überzahlung auszugehen ist. Es besteht ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen den Einnahmen und dem Dienstverhältnis. Dieser objektive Veranlassungszusammenhang, der für das Vorliegen von Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ausreicht, wird nicht dadurch aufgelöst, dass der Arbeitgeber überzahlten Arbeitslohn zurückfordert. Ob Zahlungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer bei diesem verbleiben können, ist für die Frage des Zuflusses von Arbeitslohn unerheblich (, BFH/NV 2002, 1430). Arbeitslohn liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer Geld oder geldwerte Güter für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst zugeflossen sind. Zugeflossen ist eine Einnahme dann, wenn der Empfänger die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die in Geld oder Geldeswert bestehenden Güter erlangt hat (, BFHE 188, 334, BStBl II 2000, 406). Einnahmen sind innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG). Ausgaben sind für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet werden (§ 11 Abs. 2 Satz 1 EStG). Zurückgezahlte Einnahmen sind erst im Zeitpunkt des Abflusses steuermindernd zu berücksichtigen (, BFHE 191, 274, BStBl II 2000, 396), im Streitfall also erst 1997. Entgegen der Auffassung des FG ist die Rückerstattung des überzahlten Betrags kein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 1430, m.w.N.).

Fundstelle(n):
BStBl 2006 II Seite 832
BBK-Kurznachricht Nr. 15/2006 S. 805
BFH/NV 2006 S. 1577 Nr. 8
BStBl II 2006 S. 832 Nr. 19
DB 2006 S. 1471 Nr. 27
DStRE 2006 S. 909 Nr. 15
DStZ 2006 S. 499 Nr. 15
DStZ 2006 S. 560 Nr. 16
EStB 2006 S. 280 Nr. 8
FR 2006 S. 781 Nr. 17
GStB 2006 S. 30 Nr. 8
HFR 2006 S. 878 Nr. 9
INF 2006 S. 525 Nr. 14
NJW 2006 S. 2576 Nr. 35
NWB-Eilnachricht Nr. 27/2006 S. 2240
SJ 2006 S. 7 Nr. 16
StB 2006 S. 283 Nr. 8
StBW 2006 S. 3 Nr. 14
StuB-Bilanzreport Nr. 14/2006 S. 563
b&b 2006 S. 407 Nr. 11
RAAAB-88804