BFH Beschluss v. - VIII B 37/05

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist nicht begründet und war deshalb zurückzuweisen.

1. Das Verfahren war nicht gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen.

a) Zwar ist durch die Vorläufigkeitserklärung der angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide 1995 bis 1997 im Klageverfahren das Rechtsschutzinteresse für dieses Klageverfahren und damit auch für eine Aussetzung dieses Verfahrens nicht entfallen (vgl. , BFHE 176, 435, BStBl II 1995, 415; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 74 Rz. 12, m.w.N.).

b) Das Verfahren war jedoch nicht gemäß § 74 FGO bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über das Verfahren 1 BvL 2/04 auszusetzen. Selbst wenn das BVerfG die Gewerbeertragsteuer für verfassungswidrig halten sollte, erscheint es ausgeschlossen, dass die betreffende Entscheidung entscheidungserhebliche Auswirkungen auf das vorliegende Verfahren haben könnte. Denn es ist allenfalls mit einer Unvereinbarkeitserklärung oder einer Änderungsverpflichtung des Gesetzgebers für die Zukunft zu rechnen (im Einzelnen , BFHE 209, 128, BStBl II 2005, 647, unter 1.b der Gründe, m.w.N.).

c) Das Verfahren war auch nicht bis zur Entscheidung des BVerfG in der Sache 2 BvR 2194/99 auszusetzen. Dieses Verfahren betrifft eine Verfassungsbeschwerde gegen das , BFHE 189, 413, BStBl II 1999, 771), mit dem eine Bindung nach § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) an den im Leitsatz 3 des Vermögensteuerbeschlusses des (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655) erwähnten sog. Halbteilungsgrundsatz verneint und eine Belastung mit Einkommen und Gewerbeertragsteuer von insgesamt 60 v.H. des zu versteuernden Einkommens als nicht verfassungswidrig erklärt wurde. Selbst wenn der Halbteilungsgrundsatz unmittelbare Einwirkung auf die Festsetzung von Ertragsteuern haben sollte und das BVerfG der Verfassungsbeschwerde stattgeben sollte, könnte dies auf die im vorliegenden Verfahren streitigen Gewerbesteuermessbescheide keine Auswirkung haben. Denn einerseits ist die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) eine Personengesellschaft und damit Steuersubjekt hinsichtlich der Gewerbesteuer, nicht aber hinsichtlich der Einkommensteuer. Zum anderen kann ein Gewerbesteuermessbescheid niemals zu einer verfassungswidrigen Überbesteuerung führen, da seine Regelungswirkung auf die Festsetzung des Steuermessbetrags beschränkt ist (§ 14 Satz 1 des GewerbesteuergesetzesGewStG—). Die tatsächliche Steuerbelastung ergibt sich aus dem Gewerbesteuerbescheid (vgl. im Einzelnen BFH-Beschluss in BFHE 209, 128, BStBl II 2005, 647, unter 2. der Gründe).

2. Die Anregung des Berichterstatters, die Bescheide mit einem Vorläufigkeitsvermerk zu versehen, stellt keinen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens vor den Finanzgerichten (FG) dar. Vielmehr kann sich eine etwaige Rechtsverletzung lediglich aus den entsprechenden Vorläufigkeitsvermerken ergeben.

Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass die Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO 1977), insbesondere die erforderliche Zustimmung der Klägerin, für die nachträgliche Hinzufügung eines Vorläufigkeitsvermerkes durch den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) nicht vorgelegen haben, macht sie keinen die Revisionszulassung rechtfertigenden Grund i.S. von § 115 Abs. 2 FGO geltend. Vielmehr beruft sie sich lediglich auf die Rechtswidrigkeit der finanzgerichtlichen Entscheidung (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 76, m.w.N.).

3. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—, § 96 Abs. 2 FGO) liegt nicht vor, insbesondere keine unzulässige Überraschungsentscheidung, da das Gericht seine Entscheidung nicht auf einen Gesichtspunkt gestützt hat, mit dem auch ein kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung vertretbarer Rechtsauffassungen nicht rechnen musste (, BVerfGE 84, 188; BFH-Beschlüsse vom I B 107/01, BFH/NV 2003, 68; vom XI B 4/02, BFH/NV 2003, 802, m.w.N.; , BFH/NV 2003, 173). Denn die Frage, ob eine Aussetzung des Klageverfahrens ausgeschlossen ist, wenn die Finanzbehörde den angefochtenen Steuerbescheid im Laufe des Klageverfahrens für vorläufig erklärt, ist streitig (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 74 Rz. 12, m.w.N.). In einem solchen Fall muss ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen etwaigen Vortrag darauf einrichten (, BFHE 185, 422, BStBl II 1998, 383, m.w.N.). Im Übrigen erfordert eine schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn sie wie vorliegend auf einzelne rechtliche Gesichtspunkte des vorinstanzlichen Urteils bezogen wird (vgl. Beschluss des Großen Senats des , BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802), dass die Klägerin im Einzelnen substantiiert darlegt, was sie bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (BFH-Beschlüsse vom VII B 21/99, BFH/NV 2000, 1335; vom III B 57/99, BFH/NV 2000, 861) und dass bei Berücksichtigung dieses zusätzlichen Vortrags —auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG— eine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre (vgl. BFH-Beschlüsse vom X B 46/03, BFH/NV 2004, 80; vom IV B 214/01, BFH/NV 2004, 56). Daran fehlt es hier. Im Übrigen stützt sich das FG bei der Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO nur kumulativ neben der Ablehnung einer Vorgreiflichkeit der von der Klägerin genannten Verfahren 2 BvR 2194/99 und 1 BvL 2/04 auf die Vorläufigkeit der Bescheide. Hat das FG sein Urteil aber kumulativ auf mehrere, jeweils tragende Gründe gestützt, so müsste hinsichtlich jeder Begründung ein Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 FGO geltend gemacht sein und vorliegen (vgl. , BFHE 112, 337, BStBl II 1974, 524). Im Streitfall fehlt es an einem Zulassungsgrund jedenfalls hinsichtlich der Verfahren 2 BvR 2194/99 und 1 BvL 2/04 (s. oben 1.b und c).

4. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts ist nicht erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Alternative 1 FGO). Die in der Beschwerde herausgearbeitete Rechtsfrage, ob § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 auch auf Fälle des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 anzuwenden ist, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich, da angesichts der fehlenden Vorgreiflichkeit der Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer sowie Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes (s. oben 1.b und c) für das Einspruchsverfahren die Voraussetzungen von § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 nicht erfüllt waren.

5. Eine Entscheidung des BFH ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO). Das FG-Urteil stellt keinen von dem BVerfG-Beschluss in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 abweichenden Rechtssatz auf. Es setzt sich, wie auch die Klägerin rügt, mit dem sog. Halbteilungsgrundsatz nicht auseinander. Insoweit macht die Klägerin lediglich nach Art einer Revisionsbegründung die materielle Unrichtigkeit der finanzgerichtlichen Entscheidung geltend. Dies rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1154 Nr. 6
XAAAB-81735