BFH Urteil v. - III R 83/04 BStBl 2006 II S. 511

Leitsatz

Bei der Ermittlung der positiven Summe der Einkünfte i.S. des § 24a Satz 1 EStG für die Höhe des Altersentlastungsbetrages sind im Veranlagungszeitraum 1999 die Vorschriften über den Verlustausgleich in § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/ 2000/2002 zu berücksichtigen.

Gesetze: EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 § 2 Abs. 3EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 § 24a

Instanzenzug: (EFG 2003, 699) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Der 1928 geborene Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wird zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten im Streitjahr 1999 Einkünfte in folgender Höhe:


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Kläger
Ehefrau
Einkünfte aus Gewerbebetrieb
15 316 DM
4 448 DM
Einkünfte aus selbständiger Arbeit
-24 687 DM
 
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Versorgungsbezüge)
  129 668 DM
 
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
  -27 035 DM
  -28 541 DM
Sonstige Einkünfte (Leibrenten)
8 852 DM
 

Nach dem Verlustausgleich gemäß § 2 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/ 2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) belief sich die Summe der Einkünfte auf 78 021 DM. Sie setzte sich zusammen aus Einkünften des Klägers aus Gewerbebetrieb in Höhe von 7 767 DM, aus nichtselbständiger Arbeit (Versorgungsbezüge) in Höhe von 65 764 DM und sonstigen Einkünften (Leibrenten) in Höhe von 4 490 DM. Ohne den Verlust aus den Einkünften der Ehefrau aus Vermietung und Verpachtung wären positive Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb in Höhe von 10 166 DM, Versorgungsbezüge in Höhe von 86 072 DM und Leibrenten in Höhe von 5 876 DM verblieben.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) setzte im Einkommensteuerbescheid 1999 keinen Altersentlastungsbetrag nach § 24a EStG an, weil nach Saldierung der positiven Einkünfte aus Gewerbebetrieb und der negativen Einkünfte aus selbständiger Arbeit sowie aus Vermietung und Verpachtung keine positiven Einkünfte des Klägers verblieben; die Versorgungsbezüge und Leibrenten seien nach § 24a Satz 2 EStG nicht zu berücksichtigen. Der Einspruch des Klägers, mit dem er einen Altersentlastungsbetrag begehrte, blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) setzte die Einkommensteuer unter Berücksichtigung eines Altersentlastungsbetrages von 3 720 DM herab. Es war der Auffassung, bei der Ermittlung der positiven Summe der Einkünfte i.S. von § 24a EStG seien im Veranlagungszeitraum 1999 die Vorschriften über den Verlustausgleich in § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG zu beachten. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 699 abgedruckt.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 2 Abs. 3 und § 24a EStG. Es führt aus:

§ 24a EStG gehe § 2 Abs. 3 EStG vor. Der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung des Verlustausgleichs in § 2 Abs. 3 EStG nicht auch § 24a EStG ändern wollen. Zudem könne er nicht gewollt haben, dass zur Ermittlung der positiven Summe der Einkünfte i.S. von § 24a EStG ein komplizierter und langwieriger Berechnungsvorgang erforderlich sei. Denn nach den Gesetzesmaterialien zu § 24a EStG (BTDrucks 7/1470, S. 279) habe die Vorschrift möglichst praktikabel zu handhaben sein sollen.

Das Urteil des FG widerspreche dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 und § 24a EStG. Für die Bemessungsgrundlage des Altersentlastungsbetrages stelle § 24a EStG auf den Arbeitslohn und die positive Summe der Einkünfte ab, die nicht solche aus nichtselbständiger Arbeit seien, mit Ausnahme der in Satz 2 genannten Einkünfte. Dadurch werde zum Ausdruck gebracht, dass diese übrigen Einkünfte nur berücksichtigt werden könnten, wenn ihr Saldo positiv sei. Die Ermittlung der positiven Summe der Einkünfte erfordere daher eine Saldierung aller Einkünfte ohne Anwendung der Regeln über die sog. Mindestbesteuerung. In § 2 Abs. 3 EStG finde sich der in § 24a EStG verwendete Begriff der „positiven Summe der Einkünfte” nicht. Die dort angesprochene „Summe der positiven Einkünfte” diene der Ermittlung der ausgleichsfähigen Verluste.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der im Revisionsverfahren nicht vertretene Kläger hat keinen Antrag gestellt.

II.

Die Revision ist unbegründet.

1. Nach § 2 Abs. 3 EStG errechnet sich der Gesamtbetrag der Einkünfte aus der Summe der Einkünfte, die u.a. um den Altersentlastungsbetrag zu vermindern ist.

Bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte sind im Streitjahr 1999 die in § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG enthaltenen Regeln der Mindestbesteuerung zu beachten. Für den Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkunftsarten sind danach —wie im Einkommensteuerbescheid 1999 geschehen— einkunftsartenbezogene Verhältnisrechnungen durchzuführen, da die auszugleichenden Verluste die positiven Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten in dem Verhältnis mindern, in dem diese zur Summe der positiven Einkünfte stehen (§ 2 Abs. 3 Satz 4 EStG). Gegen diese Verhältnisrechnung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken; Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung bestehen nur insoweit, als wegen der Begrenzung des Verlustausgleichs zwischen positiven und negativen Einkünften Einkommensteuer auch dann festzusetzen ist, wenn dem Steuerpflichtigen von seinem im Veranlagungszeitraum Erworbenen nicht einmal das Existenzminimum verbleibt (, BFHE 202, 147, BStBl II 2003, 523).

Altersentlastungsbetrag ist nach § 24a Satz 1 EStG ein Betrag von 40 v.H. des Arbeitslohns und der positiven Summe der Einkünfte, die nicht solche aus nichtselbständiger Arbeit sind, höchstens jedoch ein Betrag von 3 720 DM im Kalenderjahr. Nach Maßgabe des § 24a Satz 2 EStG bleiben bestimmte Versorgungsbezüge bzw. Alterseinkünfte bei der Bemessung des Betrages außer Betracht. Im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer ist diese Regelung gemäß § 24a Satz 4 EStG für jeden Ehegatten gesondert anzuwenden.

2. Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die positive Summe der Einkünfte i.S. von § 24a Satz 1 EStG unter Beachtung der durch das StEntlG 1999/2000/2002 eingeführten Regeln über den Verlustausgleich in § 2 Abs. 3 EStG zu ermitteln ist. Dies folgt aus Systematik und Wortlaut des EStG, entspricht dem Zweck des Altersentlastungsbetrages und ist, soweit ersichtlich, einhellige Auffassung in der Literatur (Siebenhüter in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 24a EStG Anm. 19; Blümich/Stuhrmann, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 24a EStG Rz. 16; Frenz in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 24a Rdnr. B19; Graf in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 24a EStG Rz. 22; Mellinghoff in Kirchhof, Einkommensteuergesetz-KompaktKommentar, 4. Aufl. 2004, § 24a Rz. 5; Tormöhlen in Korn, Einkommensteuergesetz, § 24a Rz. 6).

a) Der Altersentlastungsbetrag wird von der Summe der Einkünfte abgezogen, so dass bei der Veranlagung zunächst die Summe der Einkünfte zu ermitteln ist. Die in § 24a EStG vorgeschriebene Berechnung des Altersentlastungsbetrages beruht deshalb auf den Einkünften, die in die Summe der Einkünfte eingegangen sind, d.h. nach Anwendung der Regeln über die Mindestbesteuerung in § 2 Abs. 3 EStG.

b) § 24a Satz 1 EStG verwendet zur Beschreibung der Bemessungsgrundlage des Altersentlastungsbetrages den auch in § 2 Abs. 3 EStG enthaltenen Begriff „Summe der Einkünfte”. Deshalb sind beide auch übereinstimmend auszulegen.

Dem steht nicht entgegen, dass § 24a EStG von der „positiven Summe der Einkünfte” spricht und anordnet, dass bestimmte Einkunftsarten außer Betracht zu bleiben haben: Das Adjektiv „positive” bringt in diesem Zusammenhang lediglich zum Ausdruck, dass ein Altersentlastungsbetrag bei einer negativen Summe der Einkünfte nicht zu gewähren ist. Soweit Arbeitslohn und die in § 24a Satz 2 EStG genannten Einkünfte unberücksichtigt bleiben, sind sie aus der Summe der Einkünfte in der Höhe auszuscheiden, in der sie darin enthalten sind. Für die Auffassung des FA, § 24a EStG erfordere keine Modifizierung der —unter Berücksichtigung der Vorschriften über die Mindestbesteuerung ermittelten— Summe der Einkünfte i.S. von § 2 Abs. 3 EStG, sondern eine „schlichte” Saldierung der begünstigten Einkünfte „vor Verlustausgleich” und damit vor Ermittlung der Summe der Einkünfte, bietet der Wortlaut der Vorschrift keine Anhaltspunkte.

c) Dies entspricht auch dem Zweck des Altersentlastungsbetrages, diejenigen der Besteuerung zugrunde gelegten Einkünfte zu begünstigen, welche nicht wie Versorgungsbezüge (§ 19 Abs. 2 EStG), Leibrenten (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG) oder Versorgungsbezüge der Abgeordneten (§ 22 Nr. 4 Satz 4 Buchst. b EStG) bereits anderweitig begünstigt sind (Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 24. Aufl., § 24a Rz. 1).

Die in § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG geregelte Verrechnungsbeschränkung für Verluste wirkt sich auf die Summe der Einkünfte aus. So beeinflusst die nach § 2 Abs. 3 Satz 4 EStG vorzunehmende Verhältnisrechnung die Zusammensetzung der Summe der Einkünfte, indem Verluste auch zum Ausgleich von Einkünften herangezogen werden, die —wie im Streitfall die Versorgungsbezüge und Leibrenten des Klägers— für den Altersentlastungsbetrag unberücksichtigt bleiben. Liegen damit der Besteuerung vermehrt durch § 24a EStG begünstigte Einkünfte zugrunde, so widerspräche es dem Zweck der Vorschrift, die Förderung mit der Begründung zu versagen, dass nach dem in den Vorjahren geltenden Recht eine andersartige Saldierung der Verluste geboten gewesen wäre, aus der sich ein niedrigerer Altersentlastungsbetrag ergeben hätte.

d) Die Ergänzung des § 2 Abs. 3 EStG durch das StEntlG 1999/ 2000/2002 hat nicht den § 24a EStG geändert, sondern lediglich die Bemessungsgrundlage für den Altersentlastungsbetrag. Dass der Gesetzgeber bei der Änderung des § 2 Abs. 3 EStG die Folgen für den Altersentlastungsbetrag möglicherweise nicht erkannt und nicht gewollt hatte, ist unerheblich. Denn die Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten können nur insoweit berücksichtigt werden, als sie aus dem Gesetz selbst erkennbar sind (Senatsurteil vom III R 37/01, BFHE 200, 168, BStBl II 2003, 772, unter II. 2. e aa, m.w.N.).

Die Auffassung des FA, dem Gesetzgeber sei es bei § 24a EStG um Praktikabilität gegangen, so dass ein komplizierter Berechnungsmodus ausscheide, überzeugt nicht. Denn die Verlustverrechnung des § 2 Abs. 3 EStG wird ohnehin im Einkommensteuerbescheid ausgewiesen. Soweit es gemäß § 24a Satz 3 EStG bei der Zusammenveranlagung auf die Verhältnisse des einzelnen Ehegatten ankommt, bedarf es nur einer entsprechenden Programmierung der Rechner der Steuerverwaltung. Im Übrigen sind komplizierte Berechnungen von Besteuerungsgrundlagen (z.B. Vorsorgeaufwendungen und zumutbare Belastungen) wie auch der Einkommensteuer selbst (Formeltarif, Progressionsvorbehalt) dem Einkommensteuerrecht nicht fremd.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BStBl 2006 II Seite 511
BB 2006 S. 866 Nr. 16
BFH/NV 2006 S. 999 Nr. 5
BStBl II 2006 S. 511 Nr. 11
DB 2006 S. 818 Nr. 15
DStRE 2006 S. 598 Nr. 10
DStZ 2006 S. 282 Nr. 9
EStB 2006 S. 177 Nr. 5
FR 2006 S. 552 Nr. 12
HFR 2006 S. 579 Nr. 6
INF 2006 S. 365 Nr. 10
NWB-Eilnachricht Nr. 15/2006 S. 1187
NWB-Eilnachricht Nr. 7/2008 S. 522
SJ 2006 S. 7 Nr. 10
StB 2006 S. 162 Nr. 5
StBW 2006 S. 3 Nr. 8
StuB-Bilanzreport Nr. 8/2006 S. 320
HAAAB-81279