Anerkennung von Hochschulabschlüssen außerhalb der EG und Berücksichtigung von Diplomen, Prüfungszeugnissen, sonstigen Befähigungsnachweisen sowie einschlägigen Erfahrung des Betroffenen im Zulassungsverfahren zur Berufsausübung
Leitsatz
[1]Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) ist dahin auszulegen, dass, wenn ein Gemeinschaftsangehöriger in einem Fall, der nicht durch eine Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung der Diplome geregelt ist, die Zulassung zur Ausübung eines Berufes beantragt, dessen Aufnahme nach dem nationalen Recht vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation oder von Zeiten praktischer Erfahrung abhängt, die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats sämtliche Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise sowie die einschlägige Erfahrung des Betroffenen in der Weise berücksichtigen müssen, dass sie die durch diese Nachweise und diese Erfahrung belegten Fachkenntnisse mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten vergleichen.
Diese Auslegung bringt nur einen den Grundfreiheiten des Vertrages innewohnenden Grundsatz zum Ausdruck. Zwar ist dieser Grundsatz in Rechtssachen herangezogen worden, die Berufe betrafen, deren Ausübung seinerzeit nicht durch Harmonisierungs- oder Koordinierungsmaßnahmen geregelt war, doch kann ihm nicht dadurch ein Teil seiner rechtlichen Bedeutung genommen werden, dass Richtlinien über die gegenseitige Anerkennung von Diplomen erlassen werden. Solche Richtlinien sollen nämlich die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten erleichtern und damit die bereits bestehenden Möglichkeiten der Aufnahme dieser Tätigkeiten für die Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten verbessern.
Mit Richtlinien über die gemeinsamen Vorschriften und Kriterien für die gegenseitige Anerkennung der Diplome wird somit die Einführung eines Systems bezweckt, das die Mitgliedstaaten zur Anerkennung der Gleichwertigkeit bestimmter Diplome verpflichtet und ihnen untersagt, von den Betroffenen die Einhaltung anderer Bedingungen zu verlangen als die, die in den einschlägigen Richtlinien festgelegt sind, wobei eine solche Anerkennung den Rückgriff auf den genannten Grundsatz unnötig macht, wenn die in den Richtlinien aufgeführten Bedingungen erfuellt sind. Dieser Grundsatz behält jedoch seine Bedeutung für Sachverhalte, die nicht von solchen Richtlinien erfasst werden.
(vgl. Randnrn. 24, 31-34, 40 und Tenor)
Gesetze: EG-Vertrag Art. 52; EG-Vertrag Art. 57
Gründe
1 Das Tribunal administratif Châlons-en-Champagne hat mit Urteil vom , beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung des Artikels 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Hocsman und dem französischen Minister für Beschäftigung und Solidarität wegen dessen Entscheidung, Herrn Hocsman die Genehmigung für die Ausübung des Arztberufes in Frankreich zu versagen.
Das Gemeinschaftsrecht
3 Artikel 52 EG-Vertrag lautet:
"Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats werden während der Übergangszeit nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen schrittweise aufgehoben...
Die Niederlassungsfreiheit [umfasst] die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten... nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen."
4 Artikel 57 Absätze 1 und 3 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 47 Absätze 1 und 3 EG) bestimmt:
"(1) Um die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten zu erleichtern, erlässt der Rat nach dem Verfahren des Artikels 189b Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise.
...
(3) Die schrittweise Aufhebung der Beschränkungen für die ärztlichen, arztähnlichen und pharmazeutischen Berufe setzt die Koordinierung der Bedingungen für die Ausübung dieser Berufe in den einzelnen Mitgliedstaaten voraus."
5 Die Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise (ABl. L 165, S. 1) gilt nach ihrem Artikel 1 für die von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten ausgeübten Tätigkeiten des angestellten wie auch des freiberuflich tätigen Arztes.
6 Artikel 2 der Richtlinie 93/16 lautet:
"Jeder Mitgliedstaat erkennt die in Artikel 3 aufgeführten Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise, die die anderen Mitgliedstaaten den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten nach Artikel 23 ausstellen, an und verleiht ihnen in seinem Hoheitsgebiet die gleiche Wirkung in Bezug auf die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeiten des Arztes wie den von ihm ausgestellten Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen."
7 Die Artikel 23 und 24 in Titel III (Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsbestimmungen betreffend die Tätigkeit des Arztes) der Richtlinie 93/16 regeln die Voraussetzungen, die eine Ausbildung zum Arzt erfuellen muss, damit das Diplom, das Prüfungszeugnis oder der sonstige Befähigungsnachweis, die am Ende dieser Ausbildung erteilt werden, in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt wird. Artikel 23 der Richtlinie betrifft das Diplom, das Prüfungszeugnis oder den sonstigen Befähigungsnachweis, die am Ende der allgemeinen Ausbildung erteilt werden, während sich Artikel 24 dieser Richtlinie auf das Diplom, das Prüfungszeugnis oder den sonstigen Befähigungsnachweis eines Facharztes bezieht.
8 Artikel 23 der Richtlinie 93/16 bestimmt:
"(1) Die Mitgliedstaaten machen die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeiten des Arztes vom Besitz eines ärztlichen Diploms, Prüfungszeugnisses oder sonstigen ärztlichen Befähigungsnachweises im Sinne von Artikel 3 abhängig, das bzw. der garantiert, dass der Betreffende im Verlauf seiner gesamten Ausbildungszeit folgende Kenntnisse und Erfahrungen erworben hat:
a) angemessene Kenntnisse in den Wissenschaften, auf denen die Medizin beruht, und ein gutes Verständnis für die wissenschaftlichen Methoden einschließlich der Grundsätze der Messung biologischer Funktionen, der Bewertung wissenschaftlich evidenter Sachverhalte sowie der Analyse von Daten;
b) angemessene Kenntnisse in Bezug auf die Struktur, die Funktionen und das Verhalten gesunder und kranker Menschen sowie die Beziehungen zwischen dem Gesundheitszustand und der physischen Umgebung des Menschen;
c) angemessene Kenntnisse hinsichtlich der klinischen Sachgebiete und Praktiken, die ihm ein zusammenhängendes Bild von den geistigen und körperlichen Krankheiten, von der Medizin unter den Aspekten der Vorbeugung, der Diagnostik und der Therapeutik sowie von der menschlichen Fortpflanzung vermitteln;
d) angemessene klinische Erfahrung unter entsprechender Leitung in Krankenhäusern.
(2) Eine solche ärztliche Gesamtausbildung umfasst mindestens sechs Jahre oder 5 500 Stunden theoretischen und praktischen Unterrichts an einer Universität bzw. unter Aufsicht einer Universität.
(3) Der Zugang zu dieser Ausbildung setzt den Besitz eines Diploms oder eines Zeugnisses voraus, das in einem Mitgliedstaat für das betreffende Studium die Zulassung zu den Universitäten und Hochschulen ermöglicht.
(4) Bei Personen, die ihre Ausbildung vor dem begonnen haben, kann die in Absatz 2 genannte Ausbildung eine praktische Ausbildung von sechs Monaten auf Universitätsniveau umfassen, die als Vollzeitausbildung unter Aufsicht der zuständigen Behörden erfolgen muss.
(5) Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, den Inhabern von Diplomen, Prüfungszeugnissen oder sonstigen Befähigungsnachweisen, die nicht in einem Mitgliedstaat erworben wurden, die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeiten des Arztes in ihrem Hoheitsgebiet nach ihren innerstaatlichen Vorschriften zu gestatten."
9 Artikel 24 der Richtlinie 93/16 lautet:
"(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Weiterbildung, die zum Erwerb eines Diploms, Prüfungszeugnisses oder sonstigen Befähigungsnachweises eines Facharztes führt, mindestens die nachstehenden Bedingungen erfuellt:
a) Sie setzt voraus, dass ein sechsjähriges Studium im Rahmen der in Artikel 23 genannten Ausbildung abgeschlossen und als gültig anerkannt worden ist. Was die Ausbildung anbelangt, die zur Ausstellung eines Diploms, Prüfungszeugnisses oder sonstigen Befähigungsnachweisen eines Facharztes für Zahn-, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (Grundausbildung des Arztes und des Zahnarztes) führt, so wird dabei außerdem der Abschluss und die Anerkennung des Ausbildungsganges eines Zahnarztes gemäß Artikel 1 der Richtlinie 78/687/EWG des Rates vom zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten des Zahnarztes vorausgesetzt;
b) sie umfasst sowohl theoretischen Unterricht als auch eine praktische Ausbildung;
c) sie erfolgt als Vollzeitweiterbildung und unter der Aufsicht der zuständigen Behörden oder Stellen gemäß Nummer 1 des Anhangs I;
d) sie muss in einem Universitätszentrum, einer Universitätsklinik oder gegebenenfalls in einer hierzu von den zuständigen Behörden oder Stellen zugelassenen Einrichtung der ärztlichen Versorgung erfolgen;
e) die Facharztanwärter müssen in den betreffenden Abteilungen persönlich zur Mitarbeit herangezogen werden und Verantwortung übernehmen.
(2) Die Mitgliedstaaten machen die Ausstellung eines Diploms, Prüfungszeugnisses oder sonstigen Befähigungsnachweisen eines Facharztes vom Besitz eines der ärztlichen Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstigen ärztlichen Befähigungsnachweise im Sinne des Artikels 23 abhängig. Was die Ausstellung des Diploms, Prüfungszeugnisses oder sonstigen Befähigungsnachweisen des Facharztes für Zahn-, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (Grundausbildung des Arztes und des Zahnarztes) anbelangt, so wird sie außerdem vom Besitz eines der Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstigen Befähigungsnachweise eines Zahnarztes gemäß Artikel 1 der Richtlinie 78/687/EWG abhängig gemacht."
Das nationale Recht
10 Artikel L. 356 des Code de la santé publique (Gesetzbuch über das öffentliche Gesundheitswesen) lautet:
"Den Arzt-, Zahnarzt- oder Hebammenberuf darf in Frankreich nur ausüben, wer
1. im Besitz eines der in Artikel L. 356-2 aufgeführten Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstigen Befähigungsnachweise ist...
2. die französische Staatsangehörigkeit oder die Staatsangehörigkeit eines der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft oder eines der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzt..."
11 Nach Artikel L. 352-2 dieses Code handelt es sich bei den für die Ausübung des Arztberufes erforderlichen Diplomen, Prüfungszeugnissen oder sonstigen Befähigungsnachweisen um das Diplôme français d'État de docteur en médecine oder, wenn der Betroffene Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft oder eines der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ist, um die Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstigen Befähigungsnachweise für Ärzte, die von einem dieser Staaten ausgestellt wurden und in einer durch gemeinsame Verordnung des Gesundheitsministers und des für die Universitäten zuständigen Ministers entsprechend den Verpflichtungen aufgrund des Gemeinschaftsrechts oder des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum aufgestellten Liste aufgeführt sind.
Der Ausgangsrechtsstreit
12 Nach den Akten ist Herr Hocsman Inhaber eines 1976 von der Universität Buenos Aires (Argentinien) ausgestellten Diploms eines Doktors der Medizin und eines 1982 von der Universität Barcelona (Spanien) ausgestellten Diploms eines Facharztes für Urologie.
13 Der ursprünglich argentinische Staatsangehörige Hocsman erwarb 1986 die spanische Staatsangehörigkeit und ist seit 1998 französischer Staatsbürger.
14 1980 erkannten die spanischen Behörden das argentinische Diplom von Herrn Hocsman als dem spanischen Hochschulabschluss in Medizin und Chirurgie gleichwertig an und erlaubten ihm damit die Ausübung des Arztberufs in Spanien und die Aufnahme einer Facharztausbildung.
15 Da Herr Hocsman zum Zeitpunkt seiner Facharztausbildung nicht die spanische Staatsangehörigkeit besaß, diente der ihm 1982 verliehene Befähigungsnachweis eines Facharztes für Urologie akademischen Zwecken. Nach Erwerb der spanischen Staatsangehörigkeit erhielt Herr Hocsman 1986 die Genehmigung zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit eines Facharztes für Urologie in Spanien.
16 Wie sich aus den verschiedenen Bescheinigungen ergibt, arbeitete Herr Hocsman eine Reihe von Jahren in Spanien. Nach seiner Einreise nach Frankreich im Jahr 1990 nahm er als Mitarbeiter oder beigeordneter Assistent die Aufgaben eines Facharztes für urologische Chirurgie in verschiedenen französischen Krankenhäusern, u. a. seit November 1991 im Krankenhaus in Laon wahr.
17 Herr Hocsman wandte sich verschiedene Male an die französischen Behörden, um zum Zweck seiner Zulassung als Arzt in Frankreich seine Aufnahme in das Verzeichnis der nationalen ärztlichen Standesorganisation zu erreichen.
18 Mit Schreiben vom versagte das Ministerium für Beschäftigung und Solidarität Herrn Hocsman die Zulassung als Arzt in Frankreich mit der Begründung, dass er nicht die Voraussetzungen des Artikels L. 356 des Code de la santé publique erfuelle, weil sein argentinisches Diplom nicht zur Ausübung des Arztberufs in Frankreich berechtige.
19 Das mit der hiergegen erhobenen Nichtigkeitsklage befasste Tribunal administratif Châlons-en-Champagne ist der Ansicht, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhängt. Es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Muss die von einem Mitgliedstaat ausgesprochene Anerkennung der Gleichwertigkeit einen anderen Mitgliedstaat veranlassen, aufgrund von Artikel 52 des Vertrages von Rom zu prüfen, ob die durch die Anerkennung dieser Gleichwertigkeit bescheinigten Erfahrungen und Qualifikationen denjenigen entsprechen, die für nationale Diplome und Befähigungsnachweise verlangt werden, und zwar insbesondere dann, wenn der Betroffene, dessen Befähigungsnachweis als gleichwertig anerkannt worden ist, ein Diplom besitzt, das eine in einem Mitgliedstaat absolvierte Fachausbildung bescheinigt und in den Geltungsbereich einer Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung der Diplome fällt?
Zur Vorlagefrage
20 Herr Hocsman sieht einen Widerspruch darin, dass er seit Jahren legal als Facharzt für Urologie in verschiedenen Krankenhäusern in Frankreich tätig sei, sein Antrag auf Eintragung in das Verzeichnis der nationalen ärztlichen Standesorganisation aber gleichzeitig abgelehnt werde. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Artikel 52 EG-Vertrag, insbesondere die Urteile vom in der Rechtssache C-340/89 (Vlassopoulou, Slg. 1991, I-2357) und vom 9. Februar 1994 in der Rechtssache C-319/92 (Haim, Slg. 1994, I-425), macht er geltend, dass die Weigerung der französischen Behörden, sein argentinisches Arztdiplom anzuerkennen, sowohl gegen Sinn und Zweck als auch gegen den Wortlaut dieser Bestimmung verstoße.
21 In Randnummer 16 des Urteils Vlassopoulou hat der Gerichtshof festgestellt, dass ein Mitgliedstaat, bei dem die Zulassung zu einem Beruf beantragt worden ist, dessen Aufnahme nach nationalem Recht vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation abhängt, die Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise, die der Betroffene erworben hat, um den gleichen Beruf in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, in der Weise zu berücksichtigen hat, dass er die durch diese Diplome bescheinigten Fachkenntnisse mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten vergleicht.
22 In Anwendung dieses Grundsatzes hat der Gerichtshof in Randnummer 28 des Urteils Haim ausgeführt, dass die zuständigen nationalen Stellen bei der Prüfung, ob die nach nationalem Recht bestehende Verpflichtung zur Ableistung einer Vorbereitungszeit erfuellt ist, die Berufserfahrung des Betroffenen einschließlich der in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Berufserfahrung berücksichtigen müssen.
23 Nach dieser nunmehr mehrfach bestätigten Rechtsprechung (vgl. zuletzt Urteil vom in der Rechtssache C-234/97, Fernández de Bobadilla, Slg. 1999, I-4773, Randnrn. 29 bis 31) müssen die Behörden eines Mitgliedstaats, die mit einem Antrag eines Gemeinschaftsangehörigen auf Zulassung zu einem Beruf befasst sind, dessen Aufnahme nach nationalem Recht vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation oder von Zeiten praktischer Erfahrungen abhängt, sämtliche Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstigen Befähigungsnachweise sowie die einschlägige Erfahrung des Betroffenen in der Weise berücksichtigen, dass sie die durch diese Nachweise und diese Erfahrung belegten Fachkenntnisse mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten vergleichen.
24 Zu beachten ist, dass diese Rechtsprechung nur einen den Grundfreiheiten des Vertrages innewohnenden Grundsatz zum Ausdruck bringt.
25 Die spanische und die italienische Regierung, die in der mündlichen Verhandlung von der französischen Regierung unterstützt worden sind, machen geltend, dass dieser Grundsatz auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Wenn nämlich eine Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung von Diplomen wie die Richtlinie 93/16 bestehe und der Befähigungsnachweis des Betroffenen nicht die dort festgelegten Voraussetzungen erfuelle, könne der Betroffene sich nicht unmittelbar auf die Bestimmungen des Vertrages über die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten berufen.
26 Aus der Tatsache, dass Artikel 57 Absatz 3 EG-Vertrag die Freizügigkeit für Personen, die ärztliche, arztähnliche und pharmazeutische Berufe ausüben, von bestimmten Bedingungen abhängig mache, die im abgeleiteten Recht geregelt seien, sei zu schließen, dass die Betroffenen von diesem Recht der Freizügigkeit nur nach dem Verfahren und den Modalitäten, die im abgeleiteten Recht vorgesehen seien, d. h. im Fall des Ausgangsverfahrens im Rahmen der Richtlinie 93/16, Gebrauch machen könnten.
27 Die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes betreffe Berufe wie die des Rechtsanwalts (um den es in der Rechtssache Vlassopoulou gegangen sei) oder des Immobilienmaklers (Urteil vom in der Rechtssache C-104/91, Aguirre Borrell u. a., Slg. 1992, I-3003), die zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Urteile nicht in einer Richtlinie über die Koordinierung oder die gegenseitige Anerkennung der Diplome geregelt gewesen seien. Diese Rechtsprechung sei folglich ohne Bedeutung für die Freizügigkeit der Ärzte, denn durch die Richtlinie 93/16 sei erschöpfend geregelt, wem diese zustehe und wem nicht.
28 Außerdem werde mit der Beschränkung, die Artikel 57 Absatz 3 für die ärztlichen, arztähnlichen und pharmazeutischen Berufe vorsehe, das Ziel verfolgt, ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu gewährleisten, das eines der Ziele sei, die der Gemeinschaft durch Artikel 3 Buchstabe o EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 3 Buchstabe p EG) ausdrücklich zugewiesen seien. Die Verwirklichung dieses Zieles würde gefährdet, wenn die ärztlichen und arztähnlichen Berufe unter Missachtung der in den einschlägigen Richtlinien vorgesehenen Bedingungen ausgeübt werden dürften.
29 Dagegen sind die finnische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Kommission der Ansicht, dass die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nach Artikel 52 EG-Vertrag zur gegenseitigen Anerkennung der Diplome unabhängig davon fortbestuenden, ob eine einschlägige Gemeinschaftsrichtlinie bestehe. Nach Meinung der Kommission wäre es paradox, wenn eine Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung der Diplome zu einer Einschränkung der Niederlassungsfreiheit führen würde, indem sie einem Gemeinschaftsangehörigen, der ein nicht den Bedingungen dieser Richtlinie entsprechendes Diplom besitze, die Möglichkeit nehme, sich auf den in den Randnummern 23 und 24 dieses Urteils angeführten Grundsatz zu berufen, während er dies zweifellos tun könnte, wenn es diese Richtlinie nicht gäbe.
30 Angesichts dieses Vorbringens ist der Anwendungsbereich des in den Randnummern 23 und 24 dieses Urteils angeführten Grundsatzes zu klären.
31 Zwar ist dieser Grundsatz in Rechtssachen herangezogen worden, die Berufe betrafen, deren Ausübung seinerzeit nicht durch Harmonisierungs- oder Koordinierungsmaßnahmen geregelt war, doch kann ihm nicht dadurch ein Teil seiner rechtlichen Bedeutung genommen werden, dass Richtlinien über die gegenseitige Anerkennung von Diplomen erlassen werden.
32 Solche Richtlinien sollen nämlich nach Artikel 57 Absatz 1 EG-Vertrag die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten erleichtern und damit die bereits bestehenden Möglichkeiten der Aufnahme dieser Tätigkeiten für die Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten verbessern. Aus dieser Sicht hat der Gerichtshof festgestellt, dass die tatsächliche Ausübung der in Artikel 52 EG-Vertrag vorgesehenen Niederlassungsfreiheit, wenn diese in einem Mitgliedstaat auf der Grundlage der geltenden Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder der Praxis der öffentlichen Verwaltung oder berufsständischer Organisationen gewährleistet werden kann, einer dem Gemeinschaftsrecht unterstehenden Person nicht allein deshalb verwehrt werden darf, weil die in Artikel 57 EG-Vertrag vorgesehenen Richtlinien für einen bestimmten Beruf noch nicht erlassen worden sind (Urteil vom in der Rechtssache 71/76, Thieffry, Slg. 1977, 765, Randnr. 17).
33 Mit Richtlinien über die gemeinsamen Vorschriften und Kriterien für die gegenseitige Anerkennung der Diplome wird somit die Einführung eines Systems bezweckt, das die Mitgliedstaaten zur Anerkennung der Gleichwertigkeit bestimmter Diplome verpflichtet und ihnen untersagt, von den Betroffenen die Einhaltung anderer Bedingungen zu verlangen als die, die in den einschlägigen Richtlinien festgelegt sind.
34 Eine solche gegenseitige Anerkennung dieser Diplome macht den Rückgriff auf den in den Randnummern 23 und 24 dieses Urteils genannten Grundsatz unnötig, wenn die Bedingungen, wie sie in der Richtlinie 93/16 aufgeführt sind, erfuellt sind. Der genannte Grundsatz behält jedoch seine Bedeutung für Sachverhalte, die wie der vorliegende Fall nicht von der Richtlinie erfasst werden.
35 In einem solchen Fall müssen, wie in Randnummer 23 festgestellt worden ist, die Behörden eines Mitgliedstaats, die mit einem Antrag eines Gemeinschaftsangehörigen auf Zulassung zu einem Beruf befasst sind, dessen Aufnahme nach nationalem Recht vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation oder von Zeiten praktischer Erfahrungen abhängt, sämtliche Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstigen Befähigungsnachweise sowie die einschlägige Erfahrung des Betroffenen in der Weise berücksichtigen, dass sie die durch diese Nachweise und diese Erfahrung belegten Fachkenntnisse mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten vergleichen.
36 Führt diese vergleichende Prüfung der Diplome und der entsprechenden Berufserfahrung zu der Feststellung, dass die durch das im Ausland ausgestellte Diplom bescheinigten Kenntnisse und Fähigkeiten den nach den nationalen Rechtsvorschriften verlangten entsprechen, so haben die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats anzuerkennen, dass dieses Diplom und eventuell die entsprechende Berufserfahrung die in diesen Vorschriften aufgestellten Voraussetzungen erfuellen. Ergibt der Vergleich dagegen, dass diese Kenntnisse und Fähigkeiten einander nur teilweise entsprechen, so können die zuständigen Behörden von dem Betroffenen den Nachweis verlangen, dass er die nicht belegten Kenntnisse und Fähigkeiten tatsächlich erworben hat (vgl. in diesem Sinne Urteile Vlassopoulou, Randnrn. 19 und 20, und Fernández de Bobadilla, Randnrn. 32 und 33).
37 Im Ausgangsverfahren geht es um einen Arzt, dessen argentinisches allgemeines Arztdiplom als dem in einem Mitgliedstaat erworbenen nationalen Diplom gleichwertig anerkannt worden ist, wodurch er in diesem Staat seine Ausbildung als Facharzt für Urologie absolvieren und dort das Diplom eines Facharztes für Urologie erwerben konnte, das nach den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen aufgrund des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten als gleichwertig anerkannt worden wäre, wenn das allgemeine Diplom ebenfalls in einem Mitgliedstaat verliehen worden wäre.
38 Später hat der Betroffene auch mehrere Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat legal die Facharzttätigkeit ausgeübt, die er in Zukunft dort freiberuflich ausüben will, was seine Eintragung in das Verzeichnis der nationalen ärztlichen Standesorganisation des Aufnahmemitgliedstaats und damit den Besitz eines allgemeinen Arztdiploms voraussetzt, das entweder von den zuständigen nationalen Behörden verliehen oder als Letzterem gleichwertig anerkannt worden ist.
39 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts und gegebenenfalls der zuständigen nationalen Behörden, unter Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts und der vorstehenden Erwägungen zu beurteilen, ob das Diplom von Herrn Hocsman als dem entsprechenden französischen Diplom gleichwertig anzuerkennen ist. Insbesondere wird zu prüfen sein, ob die Anerkennung des argentinischen Diploms von Herrn Hocsman in Spanien als dem spanischen Hochschulabschluss in Medizin und Chirurgie gleichwertig auf der Grundlage von Kriterien erfolgt ist, die denjenigen vergleichbar sind, die im Rahmen der Richtlinie 93/16 den Mitgliedstaaten gewährleisten sollen, dass sie auf die Qualität der von anderen Mitgliedstaaten erteilten Arztdiplome vertrauen können.
40 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage wie folgt zu antworten: Artikel 52 EG-Vertrag ist dahin auszulegen, dass, wenn ein Gemeinschaftsangehöriger in einem Fall, der nicht durch eine Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung der Diplome geregelt ist, die Zulassung zur Ausübung eines Berufes beantragt, dessen Aufnahme nach dem nationalen Recht vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation oder von Zeiten praktischer Erfahrung abhängt, die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats sämtliche Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise sowie die einschlägige Erfahrung des Betroffenen in der Weise berücksichtigen müssen, dass sie die durch diese Nachweise und diese Erfahrung belegten Fachkenntnisse mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten vergleichen.
Kostenentscheidung:
Kosten
41 Die Auslagen der französischen, der spanischen, der italienischen, der niederländischen und der finnischen Regierung sowie der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Fundstelle(n):
MAAAB-72671
1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg