BFH Urteil v. - V R 34/03 BStBl 2007 II S. 66

Leitsatz

Die Zustimmung zur vorzeitigen Auflösung eines Beratervertrages gegen „Schadensersatz” kann eine sonstige Leistung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1993 sein.

Gesetze: UStG 1993 § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1UStG 1993 § 3 Abs. 9Richtlinie 77/388/EWG Art. 6 Abs. 1

Instanzenzug: (EFG 2003, 1421),

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt eine Anwaltssozietät in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Am schloss sie mit einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis einen Beratungsvertrag. Danach sollte die Klägerin die Gemeinschaftspraxis in sämtlichen den Geschäftsbetrieb betreffenden Rechtsangelegenheiten beraten. Als Honorar für diese Leistung wurde eine jährliche Pauschale von 250 000 DM, zahlbar in monatlichen Raten am Monatsende, vereinbart. Der Vertrag wurde fest abgeschlossen für die Dauer vom bis ; lediglich eine Kündigung aus wichtigem Grund blieb vorbehalten.

Da sich die Gemeinschaftspraxis wegen Differenzen zwischen ihren Gesellschaftern in 1993 auflösen wollte, eröffnete sie der Klägerin im Rahmen einer Zusammenkunft am , dass sie den Beratungsvertrag auflösen wolle und ihn vorzeitig kündige. Trotz des Hinweises der Vertreter der Klägerin auf mögliche rechtliche Konsequenzen, nämlich Klage auf Erfüllung oder Schadensersatz war die Ärztegemeinschaft nicht mehr bereit, mit der Klägerin zusammenzuarbeiten. Nachdem den Vertretern der Klägerin angedeutet worden war, dass ein Beharren auf dem Vertrag aufgrund einer dann beabsichtigten Bekanntmachung auf dem nur kleinen „ärztlichen Markt” für sie nachteilige Folgen haben werde, kam es nach schwierigen Verhandlungen schließlich am zu einer Auflösungsvereinbarung. Danach beendeten die Vertragsparteien „auf dringenden Wunsch der Gemeinschaftspraxis” den Beratungsvertrag einvernehmlich zum . Für „den entgangenen Gewinn aufgrund der Auflösung des Vertragsverhältnisses” erhielt die Klägerin vereinbarungsgemäß im September 1993 von der Gemeinschaftspraxis „als Schadensersatz” einen einmaligen Betrag in Höhe von 450 000 DM (Ziff. 2 der Auflösungsvereinbarung). Die Klägerin ließ den Betrag in der Annahme, es handele sich um nichtsteuerbaren Schadensersatz, in ihrer Umsatzsteuererklärung für 1993 unberücksichtigt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) folgte dem im Anschluss an eine Außenprüfung nicht. Es erließ am den angefochtenen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1993, mit dem es den Umsatz um 391 304 DM und die Umsatzsteuer um 58 695 DM erhöhte. Gleichzeitig setzte das FA Zinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) in Höhe von 8 974 DM fest.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Seine Entscheidung ist in „Entscheidungen der Finanzgerichte” 2003, 1421 veröffentlicht.

Das FG vertrat im Wesentlichen die Auffassung, der Beratervertrag sei nicht durch Kündigung beendet worden, weil ein wichtiger Grund nicht vorgelegen habe. Auch die Klägerin habe den Vertrag nicht gekündigt, obwohl ihr dies wegen der Weigerung der Ärztegemeinschaft möglich gewesen sei; deshalb handele es sich nicht —wie die Klägerin meine— um eine lediglich deklaratorische Auflösungsvereinbarung.

Eine Unterscheidung, die sich allein danach ausrichte, ob nach nationalem deutschen Zivilrecht Schadensersatz vorliege oder nicht, widerspreche den Zielen eines einheitlichen Mehrwertsteuersystems. Letztlich habe die Zahlung den entgangenen Gewinn abgelten sollen.

Die Zahlung unterliege jedoch nicht der Umsatzsteuer, denn der Annahme eines Leistungsaustausches stehe entgegen, dass dem Zahlenden durch den Verzicht auf die weitere Vertragsdurchführung kein verbrauchsfähiges Wirtschaftsgut zugewendet werde. Die Ärztegemeinschaft sei durch den Verzicht der Klägerin auf die weitere Vertragsdurchführung von ihrer eigenen Pflicht zur Zahlung der bis zum regulären Vertragsende monatlich zu zahlenden vollen Vergütung befreit worden. Dies sei für die Ärztegemeinschaft zwar vorteilhaft gewesen, weil ihr nun weitere Aufwendungen für die nicht mehr benötigte rechtliche Beratung erspart blieben. Dieser durch den Verzicht erlangte finanzielle Vorteil stelle aber kein verbrauchsfähiges Wirtschaftsgut dar, das —ähnlich wie ein Recht— an andere Teilnehmer des Rechtsverkehrs weitergegeben werden könne.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA.

Das FA ist der Auffassung, das FG berufe sich zu Unrecht auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom Rs. C-215/94 —Jürgen Mohr— (Slg. 1996, I-972, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 1996, 119). Für die Annahme eines Leistungsaustausches spreche vielmehr das —Lubbock Fine—, Slg. 1993, I-6665).

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

Schadensersatzzahlungen —wie hier— unterlägen nicht der Umsatzsteuer.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zu Unrecht eine Leistung gegen Entgelt verneint.

1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Besteuerung einer Lieferung oder sonstigen Leistung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG setzt das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenen Gegenwert voraus. Der Leistungsempfänger muss identifizierbar sein; er muss einen Vorteil erhalten, der zu einem Verbrauch im Sinn des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt (vgl. —Fillibeck—, Slg. 1997, I-5577, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht —UVR— 1997, 430; Jürgen Mohr in Slg. 1996, I-959, UR 1996, 119; vom Rs. C-384/95 —Landboden—, Slg. 1997, I-7387, UVR 1998, 51, und Bundesfinanzhof —BFH—, Urteil vom V R 40/02, BFHE 205, 535, BStBl II 2004, 854).

Diese Voraussetzungen liegen auch vor, wenn ein Steuerpflichtiger auf eine ihm, sei es auf gesetzlicher Grundlage oder vertraglicher Grundlage, zustehende Rechtsposition gegen Entgelt verzichtet. So ist z.B. der entgeltliche Verzicht, ganz oder teilweise eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit auszuüben, wie § 3a Abs. 4 Nr. 9 UStG belegt, eine sonstige Leistung (BFH-Urteile in BFHE 205, 535, BStBl II 2004, 854; vom V R 8/70, BFHE 107, 545, BStBl II 1973, 171; vgl. auch , BFHE 203, 540). Als steuerbarer (aber unter die Befreiungsvorschrift für Vermietungsleistungen fallender) Umsatz wird auch die vertragliche Auflösung eines Mietvertrages gegen Abfindung beurteilt (EuGH-Urteil Lubbock Fine in Slg. I-1993, 6665, RandNrn. 9 und 12; , BFH/NV 2002, 553). Im Urteil vom Rs. C-326/99 —Stichting Goed Wonen— (UR 2001, 484, BFH/NV Beilage 2001, 10, RandNr. 33 ff.) hat der EuGH entschieden, dass als „Lieferung von Gegenständen” die Begründung, die Übertragung oder die Änderung dinglicher Rechte an Grundstücken, sowie der Verzicht auf sie eingestuft werden könnte. Als steuerbare sonstige Leistung hat der erkennende Senat den entgeltlichen Verzicht eines auf Lebenszeit bestellten Testamentsvollstreckers auf die weitere Ausübung seines Testamentsvollstreckeramts beurteilt (BFH-Urteil in BFHE 205, 535, BStBl II 2004, 854).

2. Im Streitfall hat die Klägerin mit dem entgeltlichen Verzicht auf ihre Rechte aus dem Anwaltsvertrag eine steuerbare sonstige Leistung erbracht.

a) Insoweit geht das FG zu Recht davon aus, dass für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung die von den Beteiligten verwendete Bezeichnung —hier „Schadensersatz"— nicht entscheidend ist. Ob die angeführten Voraussetzungen für einen Leistungsaustausch vorliegen, ist vielmehr allein nach umsatzsteuerrechtlichen Maßstäben zu beurteilen (vgl. z.B. , BFHE 183, 288, BStBl II 1997, 707; in BFHE 205, 535, BStBl II 2004, 854).

b) Zu Unrecht hat das FG aber eine steuerbare sonstige Leistung verneint.

Bei Leistungen aufgrund eines gegenseitigen Vertrages (vgl. §§ 320 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches), durch den sich eine Vertragspartei zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen und die andere sich hierfür zur Zahlung einer Gegenleistung verpflichtet, sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 UStG regelmäßig erfüllt, falls der leistende Vertragspartner Unternehmer ist. Zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenden Gegenwert besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. Der Leistungsempfänger steht aufgrund der vertraglichen Beziehungen zwischen dem leistenden Unternehmer und dem Leistungsempfänger fest. Die versprochene Leistung ist der Vorteil, den der Leistungsempfänger erhält. Bei Leistungen, zu deren Ausführung sich die Vertragsparteien in gegenseitigen Verträgen verpflichtet haben, liegt der erforderliche Leistungsverbrauch grundsätzlich vor; das versprochene Tun, Dulden oder Unterlassen ist der Vorteil, den der Leistungsempfänger erhält (Senatsurteil vom V R 17/02, BFH/NV 2005, 1394). Ob der Leistungsempfänger die Leistung tatsächlich verwendet oder ggf. zu welchem Zweck, ist grundsätzlich unerheblich (EuGH-Urteil Landboden in Slg. 1997, I-7387, UVR 1998, 51, RandNr. 20).

Das Urteil des FG, das von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war daher aufzuheben.

c) Im Streitfall sind die Voraussetzungen einer Leistung gegen Entgelt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 UStG erfüllt. Das FG geht bei seiner Entscheidung davon aus, dass der Beratervertrag nicht durch eine außerordentliche Kündigung, sondern durch dessen einvernehmliche Aufhebung beendet worden ist und die Vertragsbeteiligten sich über die Höhe des für die Bereitschaft hierzu zu zahlenden Entgelts geeinigt haben. Danach hat die Klägerin eine aufgrund ihrer vorausgehenden wirtschaftlichen Tätigkeit erworbene Rechtsposition und die rechtliche Möglichkeit, darüber zu disponieren, zum Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages mit einem identifizierbaren Verbraucher gemacht.

Die Ärztegemeinschaft hat durch die Leistung der Klägerin auch einen Vorteil erlangt, da sie dadurch ohne weitere Streitigkeiten vorzeitig aus dem bis zum fest abgeschlossenen Beratervertrag entlassen worden ist. Das genügt.

Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 66
BB 2005 S. 2286 Nr. 42
BFH/NV 2005 S. 2138 Nr. 11
BStBl II 2007 S. 66 Nr. 3
DB 2005 S. 2393 Nr. 44
DStR 2005 S. 1730 Nr. 41
DStRE 2005 S. 1239 Nr. 20
GStB 2005 S. 42 Nr. 11
HFR 2005 S. 1203 Nr. 12
INF 2005 S. 850 Nr. 22
KÖSDI 2005 S. 14851 Nr. 11
NWB-Eilnachricht Nr. 41/2005 S. 3428
StB 2005 S. 404 Nr. 11
UR 2005 S. 663 Nr. 12
UStB 2005 S. 329 Nr. 11
UVR 2006 S. 3 Nr. 1
WPg 2005 S. 1299 Nr. 23
UAAAB-66615