Divergenzanfrage des I. Senats beim VII. Senat, ob Erstattungsansprüche, die ohne Änderung einer Steuerfestsetzung entstehen, nicht nach § 236 AO zu verzinsen sind
Gesetze: FGO § 11; AO § 236; EStG §§ 20, 36
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Beteiligten stritten ursprünglich darüber, ob der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, im Streitjahr 1990 die Gewinnausschüttung einer Tochtergesellschaft, ebenfalls einer GmbH, zuzurechnen war. Das wurde vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) wegen der Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs (§ 42 der Abgabenordnung —AO 1977—) verneint, jedoch vom Senat durch Urteil vom I R 48/97 (BFHE 196, 128) bejaht. Dementsprechend wurden der ausgeschüttete Gewinnanteil sowie die darauf entfallende anzurechnende Körperschaftsteuer gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3 des Einkommensteuergesetzes —EStG 1990— (i.V.m. § 8 Abs. 1, § 49 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes —KStG 1984—) als Einnahmen der Klägerin erfasst und die Körperschaftsteuer nach einem zu versteuernden Einkommen von 284 055 DM und einer Tarifbelastung von 142 027 DM festgesetzt. Infolge der Anrechnung der Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 und 3 EStG 1990 errechnete sich ein Erstattungsanspruch in Höhe von insgesamt 817 436,59 €, auf die gemäß § 233a AO 1977 Erstattungszinsen für die Zeit vom bis zum in Höhe von 196 176 € festgesetzt wurden.
Die Klägerin beantragte, den Erstattungsbetrag zusätzlich für die Zeit vom bis zum gemäß § 236 AO 1977 zu verzinsen. Das FA lehnte das ab. Durch das Senatsurteil in BFHE 196, 128 sei die Körperschaftsteuer 1990 von bisher 0 DM auf 142 027 DM heraufgesetzt worden. Nur durch die erstmalige Anrechnung der Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer habe sich eine Steuererstattung ergeben. Die Anrechnung sei nicht im Rahmen der Steuerfestsetzung erfolgt, sondern durch einen sonstigen Verwaltungsakt außerhalb der Steuerfestsetzung. Eine Verzinsung des Erstattungsbetrages werde deswegen nicht ausgelöst.
Das Finanzgericht (FG) Münster gab dem FA durch Urteil vom 9 K 2742/02 S recht. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2004, 1742 abgedruckt.
Ihre Revision stützt die Klägerin auf Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und auf den im Körperschaftsteuerbescheid 1990 festgesetzten Körperschaftsteuer- und Kapitalertragsteuervergütungsbetrag in Höhe von 817 400 € unter Anrechnung der nach § 233a AO 1977 festgesetzten Zinsen ab dem bis zum Prozesszinsen festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Der Senat hält die Revision der Klägerin für begründet. Er beabsichtigt, seine Entscheidung auf folgende Überlegungen zu stützen:
1. Wird durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt, so ist der zu erstattende oder zu vergütende Betrag nach § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 —von dem hier nicht einschlägigen Vorbehalt des § 236 Abs. 3 AO 1977 abgesehen— vom Tag der Rechtshängigkeit bis zum Tag der Auszahlung zu verzinsen. Zweck des § 236 AO 1977 ist es, dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung zu gewähren (vgl. Senatsurteil vom I R 38/93, BFHE 175, 496, BStBl II 1995, 37; Bundesfinanzhof —BFH—, Urteil vom XI R 31/00, BFHE 196, 1, BStBl II 2002, 119). Zwar kann nicht von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz auf (angemessene) Verzinsung rückständiger Staatsleistungen ausgegangen werden; das Gesetz kennt nur die Verzinsung nach Maßgabe genau umschriebener Tatbestände (, BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476; vom X R 48/01, BFHE 204, 1, BStBl II 2004, 169). Daran hat der BFH auch nach Einführung der Vollverzinsung für die Auslegung des § 236 AO 1977 festgehalten (BFH-Urteil in BFHE 204, 1, BStBl II 2004, 169; , BFH/NV 1999, 1055).
2. Im Streitfall wird den tatbestandlichen Anforderungen des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 jedoch unter den hier zu beurteilenden Gegebenheiten in der zweiten Regelungsalternative genügt.
a) Nach ihr reicht es aus, wenn die festgesetzte Steuer „auf Grund” einer gerichtlichen Entscheidung herabgesetzt wird. Dass dies durch Änderung des angefochtenen Festsetzungsbescheides selbst geschehen müsste, lässt sich dem Regelungswortlaut nicht entnehmen. Der Begriff des Herabsetzens ist mehrdeutig. Er mag im Regelfall mit einer Änderung der Steuerfestsetzung auf Grund der gerichtlichen Entscheidung einhergehen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, ihn „wirtschaftlich” mit Blick auf das angestrebte und erzielte Ergebnis der Steuerminderung zu verstehen. Eine formal-rechtliche Verknüpfung zwischen der Steuerfestsetzung und dem Herabsetzen ist nach dem Regelungstext des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nicht zwangsläufig (vgl. insoweit bereits Senatsurteil vom I R 350/83, BFHE 152, 401, BStBl II 1988, 600, 601; anders aber die herrschende Meinung, vgl. z.B. Koenig in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, § 236 Rz. 13; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 236 AO Rz. 12 ff., 15; Kruse/Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 236 AO Tz. 6; , BFHE 150, 298, BStBl II 1987, 702; vom VII R 97/87, BFHE 153, 490, BStBl II 1988, 865; auch in BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476).
b) So gesehen schadet es also nicht, dass die gegen die Klägerin festgesetzte Steuer durch den Senat im angefochtenen Umfang gerade nicht herabgesetzt, vielmehr —nach vorheriger Erfassung der anzurechnenden Körperschaftsteuer als Einnahmen aus Kapitalvermögen— zu Lasten der Klägerin heraufgesetzt wurde. Zwar erging die Anrechnung formal-rechtlich unabhängig von der zu Lasten der Klägerin geänderten Feststellung des Einkommens und Festsetzung der Körperschaftsteuer. Erst die Einbeziehung der Gewinnausschüttung und der anzurechnenden Körperschaftsteuer „auf Grund” des Senatsurteils in BFHE 196, 128 ermöglichte jedoch die anschließende (korrespondierende) Anrechnung sowohl der Körperschaftsteuer als auch der Kapitalertragsteuer (vgl. auch Senatsurteil vom I R 29/97, BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527, dort unter B.I.2. der Entscheidungsgründe). Durch das Zusammenwirken der Regelungen in § 20 Abs. 1 Nr. 3 und § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG 1990 (i.V.m. § 8 Abs. 1, § 49 Abs. 1 KStG 1984) wird materiell-rechtlich eine systematische Verknüpfung zwischen der Änderung der Steuerfestsetzung und der anschließenden Anrechnung als eigentliches Ziel des Rechtsschutzbegehrens bewirkt.
c) Allerdings hat der Senat in seinem erwähnten Urteil in BFHE 152, 401, BStBl II 1988, 600, 601 die Auffassung vertreten, eine Steuer werde nur dann „auf Grund” einer gerichtlichen Entscheidung herabgesetzt, wenn die Finanzbehörde die Steuer nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides durch das Gericht gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) weisungsgemäß festsetzt. Der Senat verlangt also die Rechtshängigkeit des betreffenden Steuererstattungsanspruchs im Festsetzungsverfahren. Er hat dies darauf gestützt, dass andernfalls die ausdrückliche Regelung betreffend die Änderung von Folgebescheiden in § 236 Abs. 2 Nr. 2 (Buchst. a) AO 1977 entbehrlich werde. Danach ist § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 entsprechend anzuwenden, wenn eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder ein unanfechtbarer Verwaltungsakt, durch den sich der Rechtsstreit erledigt hat, zur Herabsetzung der in einem Folgebescheid festgesetzten Steuer führt. Daraus hat der Senat geschlossen, dass der Gesetzgeber mit der 2. Alternative des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 jene Fälle gerade nicht erfassen wollte, in denen die Erstattung lediglich mittelbare Folge einer gerichtlichen Entscheidung sei. Für die im Streitfall zu beurteilende Verfahrenskonstellation ist dieser Tatbestand jedoch nicht einschlägig.
Denn bei der hier in Rede stehenden Anrechnung der Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer handelt es sich nicht um einen Folgebescheid zu der Körperschaftsteuerfestsetzung. Der Regelungsbereich des § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 bleibt also auch dann unberührt und in Einklang mit dem Regelungswortlaut widerspruchsfrei erhalten, wenn die in § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 enthaltene Sachverhaltsalternative der Steuerherabsetzung auf Grund eines Gerichtsurteils in dem vorstehenden Sinne wirtschaftlich verstanden wird. § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 erweitert die Zinspflicht lediglich für jenen Fall, dass sich die Steuerherabsetzung (erst) aus einem als solchen selbständigen Folgebescheid ergibt, auch wenn jener nicht rechtshängig gewesen ist. Der Regelungsgehalt dieser Vorschrift erstreckt sich jedoch nicht auf sämtliche mittelbaren Erstattungswirkungen; ein im Hinblick darauf abschließender Charakter lässt sich ihr nicht entnehmen. Soweit dem Senatsurteil in BFHE 152, 401, BStBl II 1988, 600, 601 ein anderes Ergebnis zu entnehmen wäre (vgl. Senatsbeschluss vom I B 70/03, juris), wird dieses nunmehr jedenfalls für die Anrechnung von Körperschaftsteuer gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990 einerseits und § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG 1990 andererseits und der hierbei bestehenden systematischen Verknüpfung eingeschränkt (vgl. auch zu § 111 FGO a.F. und in diesem Zusammenhang zur Verzinsung von Erstattungsbeträgen auf Grund von Abkommensrecht , BFHE 134, 242, BStBl II 1982, 104; I R 89/80, BFHE 134, 245, BStBl II 1982, 150).
d) Der Senat weicht mit seiner beabsichtigten Entscheidung nicht von dem BFH-Urteil in BFHE 204, 1, BStBl II 2004, 169 ab. In dem dort zugrunde liegenden Sachverhalt war die Herabsetzung der (Einkommen-)Steuer —abweichend vom Streitfall— weder unmittelbar noch mittelbar auf die prozessuale Erledigung einer Klage zurückzuführen. Auch in dem BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1055 ging es nicht um einen mit dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalt, sondern um eine Steuerherabsetzung infolge Billigkeitserweises.
III. Es ist indes nicht auszuschließen, dass der Senat mit seiner beabsichtigten Entscheidung von der Rechtsprechung des VII. Senats in dessen Urteilen in BFHE 150, 298, BStBl II 1987, 702, in BFHE 153, 490, BStBl II 1988, 865 und in BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476 abweichen würde. Zwar lagen auch diesen Urteilen nicht die Besonderheiten des körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungsverfahrens zugrunde, die infolge ihrer materiell-rechtlichen Verknüpfung u.U. eine abgrenzende Entscheidung ermöglichen könnten. Dennoch decken sich die zu beurteilenden Grundfragen, so dass der I. Senat gemäß § 11 Abs. 3 FGO beim VII. Senat anfragt, ob dieser einer Abweichung von seiner Rechtsprechung durch die beabsichtigte Entscheidung des I. Senats unter den gegebenen Umständen des Streitfalles zustimmt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1481 Nr. 9
HAAAB-57770