Verletzung rechtlichen Gehörs durch mangelnde Berücksichtigung von Schriftsätzen zu einem Wiedereinsetzungsantrag
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhob vor dem Finanzgericht (FG) Klage mit dem Antrag „die Steuerbescheide…in Gestalt der ablehnenden Einspruchsentscheidung…dahin gehend abzuändern, dass den Anträgen der Klägerin entsprochen wird”. Die Anträge selbst hat die Klägerin nicht bezeichnet. Nachdem die Klägerin zweimal vergeblich gebeten worden war, ihre Klage zu begründen, setzte die Vorsitzende am eine Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit der Aufforderung, bis zum den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Mit Schreiben vom , eingegangen beim FG am , begründete die Klägerin ihre Klage und beantragte nach § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Ihren Wiedereinsetzungsantrag begründete sie damit, dass eine geplante abschließende Besprechung ihres Prozessbevollmächtigten mit ihrem Geschäftsführer, dem Sohn des Prozessbevollmächtigten, wegen dessen kurzfristiger schwerer Erkrankung nicht habe stattfinden können. Der Krankheitszustand habe sich als unabweisbarer und sofort operationsbedürftiger Herzschaden erwiesen. Am Pfingstmontag, dem , sei dem Sohn des Prozessbevollmächtigten eine Herzklappe eingesetzt worden. Diese Ereignisse hätten die ganze Familie des Prozessbevollmächtigten und ihn selbst unter massiven seelischen Druck gesetzt.
Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin aufgefordert worden war, seinen Wiedereinsetzungsantrag schlüssig darzulegen, begründete die Klägerin ihren Wiedereinsetzungsantrag mit weiteren Schriftsätzen vom 25. Juni und und reichte in der mündlichen Verhandlung ärztliche Unterlagen ein.
Das FG wies die Klage ab, weil die Klägerin nicht innerhalb der ihr nach § 65 Abs. 2 FGO gesetzten Ausschlussfrist ihr Klagebegehren bezeichnet habe. Der Schriftsatz vom sei erst am und damit nach Ablauf der gesetzten Ausschlussfrist eingegangen. Der Klägerin sei nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da sie nicht binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses ihren Wiedereinsetzungsantrag schlüssig begründet habe. Auf die Glaubhaftmachung komme es danach nicht mehr an.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung rechtlichen Gehörs. Die Klägerin habe den Klagegegenstand hinreichend bezeichnet. Ferner habe das FG bei der Entscheidung über ihren Wiedereinsetzungsantrag zu Unrecht ihre Schriftsätze vom 25. Juni und vom sowie die beigefügten ärztlichen Atteste nicht berücksichtigt. Wäre dies geschehen, hätte ihr Wiedereinsetzung gewährt werden müssen. Darin liege ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
II. Die Beschwerde ist begründet. Das FG hat der Klägerin das rechtliche Gehör versagt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG—). Die Sache geht deshalb an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück (§ 119 Nr. 3, 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 116 Abs. 6 FGO).
1. Zutreffend hat das FG entschieden, dass die Klägerin in der Klageschrift nicht —wie nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO erforderlich— den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnet hat. Die Klägerin hatte in ihrer Klageschrift lediglich beantragt, die angefochtenen Bescheide dahin gehend zu ändern, dass ihren Anträgen entsprochen wird, ohne die Anträge indes selbst zu bezeichnen. Damit war nicht erkennbar, worin die Klägerin die sie betreffende Rechtsverletzung sieht (z.B. , BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99; , BFH/NV 2002, 1591).
2. Das FG hat aber zu Unrecht über den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin ohne Berücksichtigung der Schriftsätze ihres Prozessbevollmächtigten vom 25. Juni und , den weiteren Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung sowie den nachgereichten ärztlichen Attesten entschieden und damit den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
a) Wiedereinsetzung ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist verhindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). In formeller Hinsicht setzt die Wiedereinsetzung voraus, dass innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt wird (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO) und diejenigen Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll (z.B. , BFH/NV 1995, 989, m.w.N.). Das erfordert grundsätzlich eine in sich schlüssige Darstellung der für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen innerhalb dieser Frist. Es muss zumindest der Kern der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vorgebracht werden. Nach Ablauf der Frist können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben, sondern nur noch unklare und unvollständige Angaben erläutert oder ergänzt werden (BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 989, m.w.N.).
Das Recht der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dient allerdings in den Fällen des „ersten Zugangs” zum Gericht der Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, so dass bei der Anwendung des § 56 FGO die Anforderungen daran nicht überspannt werden dürfen, was der Betroffene veranlasst haben und vorbringen muss, um nach einer Fristversäumung Wiedereinsetzung zu erhalten (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts —BVerfG—, z.B. Entscheidung vom 1 BvR 1269/83, BVerfGE 67, 208).
b) Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Kern der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vorgetragen. Er hat geltend gemacht, die plötzliche schwere Erkrankung seines Sohnes, dem Geschäftsführer der Klägerin, unmittelbar vor Fristablauf habe ihn seelisch so belastet, dass er die Klagebegründung nicht habe fristgerecht einreichen können.
Dieser Vortrag als wahr unterstellt, kann, wenn er später hinreichend erläutert, ergänzt und glaubhaft gemacht wird, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen. Eine schwere seelische Belastung infolge des Todes oder einer schweren Erkrankung eines nahen Angehörigen kann dazu führen, dass ein Prozessbevollmächtigter seinen beruflichen Pflichten kurzfristig nicht mehr nachkommen kann (, BFH/NV 2001, 1418).
c) Es ist nicht auszuschließen, dass das FG über den Wiedereinsetzungsantrag anders entschieden hätte, wenn es auch das spätere Vorbringen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in seine Überlegungen einbezogen hätte.
Der Senat hält daher für angezeigt, die Vorentscheidung durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1591 Nr. 9
PAAAB-56927