BFH Beschluss v. - XI B 46/02

Verletzung des Rechts auf Gehör durch zu Unrecht ergangenes Prozessurt.

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) lehnte nach einer Außenprüfung den Abzug einer Vielzahl einzelner Betriebsausgaben ab und unterstellte der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) einen Eigenverbrauch in Höhe von pauschal 10 % der geltend gemachten Betriebsausgaben (im Betrag von 24 698 DM). Im Einspruchsverfahren wurde der Eigenverbrauch auf 5 % abgesenkt und eine geringfügige Betriebsausgabe anerkannt.

Der mit Schreiben vom erhobenen Klage waren Ablichtungen des angegriffenen Bescheides sowie der Einspruchsentscheidung vom beigefügt. Der Senatsvorsitzende beim Finanzgericht (FG) gab dem Prozessvertreter mit Verfügung vom gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf, den Gegenstand des Klageverfahrens und das mit der Klage angestrebte Ziel zu bezeichnen sowie gemäß § 79b Abs. 1 FGO die Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung sich die Klägerin beschwert fühle. Ferner enthielt die Verfügung den Hinweis auf die ausschließende Wirkung der gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzten Frist.

Noch innerhalb der Frist ging am ein Schreiben des Prozessbevollmächtigten beim FG ein, in dem es hieß: „Die Klägerin begehrt mit der Klage, den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den mit einem höheren Betrag gesondert festzustellen, als ihn der Beklagte im Ausgangsbescheid vom und in der Einspruchsentscheidung vom festgestellt hat. Der höher festzustellende vortragsfähige Gewerbeverlust beruht unter anderem darauf, dass der Beklagte einen zu hohen Eigenverbrauch berücksichtigt und Betriebsausgaben unberücksichtigt gelassen hat.” Gleichzeitig wurde um Verlängerung der Frist zur Angabe der Tatsachen gebeten, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung sich die Klägerin beschwert fühle.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Die Klägerin habe den Gegenstand des Klagebegehrens nicht bezeichnet. Das Gericht müsse erkennen können, inwiefern die Klägerin glaube, in ihren Rechten verletzt zu sein und inwieweit eine Änderung des angegriffenen Bescheides begehrt werde. Es hätte ausgereicht, auf die Einspruchsentscheidung Bezug zu nehmen und die Rückgängigmachung der dort aufgeführten Abweichungen als Klageziel zu bezeichnen. Das aber sei nicht geschehen.

Die Klägerin begehrt die Zulassung der Revision, weil die Entscheidung des FG auf einem Verfahrensmangel beruhe bzw. die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordere. Das FG habe die Klageschrift und den Schriftsatz vom fehlerhaft ausgelegt. Die beigefügte und vom FG heranzuziehende Einspruchsentscheidung habe eine konkrete Aufstellung über die streitigen Punkte enthalten, nämlich die Abzugsfähigkeit bestimmter Ausgaben und die Höhe des Eigenverbrauchs. Wenn die Klägerin in dem Schriftsatz geltend mache, dass sie mit der Klage einen höheren vortragsfähigen Gewerbeverlust festzustellen begehre und dieser u.a. darauf beruhe, dass „der Beklagte einen zu hohen Eigenverbrauch berücksichtigt und Betriebsausgaben unberücksichtigt gelassen hat”, so sei damit der Bezug zur Einspruchsentscheidung hinreichend dargelegt.

Soweit das FG der Auffassung sein sollte, es hätte dargelegt werden müssen, welche der im Einspruchsverfahren streitigen Punkte weiterverfolgt werden sollten, habe das FG § 65 FGO fehlerhaft interpretiert. Denn zur Klärung dieser Frage sei eigens die Vorschrift des § 79b FGO geschaffen worden. Die vom FG verlangte weitere Substantiierung gehöre nicht zur Erfüllung des Muss-Inhalts des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO, sondern bleibe der Klagebegründung vorbehalten.

Das FG weiche damit von dem (BFHE 182, 273, BStBl II 1997, 462) ab, dem ein insoweit vergleichbarer Sachverhalt zugrunde liege, als in beiden Verfahren innerhalb der Ausschlussfrist offengeblieben sei, welche Streitpunkte des vorangegangenen Einspruchsverfahrens im Klageverfahren aufrecht erhalten werden sollten.

II. 1. Die Beschwerde ist begründet. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegen vor. Das FG hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, indem es die Klage als unzulässig abgewiesen hat.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes stellt es einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (BFH-Beschlüsse vom V B 75/96, BFH/NV 1997, 415; vom III B 29/98, BFH/NV 1999, 1109; vom VII B 196/03, BFH/NV 2003, 1007, jeweils m.w.N.).

b) Wie weit das Klagebegehren einer Klage im Einzelnen zu substantiieren ist, hängt von den Umständen des Falles ab, insbesondere von dem Inhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes, der Steuerart und der Klageart. Entscheidend ist, ob das Gericht durch die Angaben des Klägers in die Lage versetzt wird, zu erkennen, worin die den Kläger treffende Rechtsverletzung nach dessen Ansicht liegt (BFH-Beschlüsse vom VII B 325/00, BFH/NV 2001, 1227; vom VI B 114/01, BFHE 198, 1, BStBl II 2002, 306). Der Gegenstand des Klagebegehrens kann auch im Wege der Auslegung und unter Rückgriff auf die Steuerakten festgestellt werden (, BFH/NV 2003, 190, m.w.N.). Bei der Auslegung einer beim FG erhobenen Klage sind sämtliche diesem und der Finanzbehörde erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen (vgl. , BFH/NV 2001, 170, m.w.N.). Nur diese Auslegung des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO trägt dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften (Art. 19 Abs. 4 des GrundgesetzesGG—) Rechnung (, BFH/NV 1997, 232; in BFHE 182, 273, BStBl II 1997, 462).

c) Das FG hat die Klage danach zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Mit seiner Auslegung des als sog. Muss-Voraussetzung in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO enthaltenen Begriffs „Gegenstand des Klagebegehrens” verlangt das FG im Ergebnis eine Klagebegründung. Diese gehört nach § 65 Abs. 1 Satz 3 FGO nur zu den Soll-Voraussetzungen der Klage.

Aus dem Schreiben vom und der der Klageschrift beigefügten Einspruchsentscheidung ergab sich mit ausreichender Klarheit, dass Gegenstand des Klageverfahrens —nur— die auf Grund der abgekürzten Außenprüfung in dem angefochtenen Bescheid erfolgte Nichtberücksichtigung bestimmter einzelner Betriebsausgaben sowie der unterstellte Eigenverbrauch der Klägerin in Höhe von 5 % sein sollte. Damit hatte die Klägerin hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es im Klageverfahren um die im Einspruchsverfahren geltend gemachten Streitpunkte gehen solle, und damit war in der nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO erforderlichen Weise der Streitpunkt von anderen denkbaren Streitpunkten abgegrenzt (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 170, m.w.N.). Ausführungen dazu, warum die einzelnen Ausgabeposten betrieblich veranlasst und der Eigenverbrauch niedriger als vom FA veranschlagt anzusetzen seien, sind nicht zur Bezeichnung des Gegenstandes des Klageverfahrens i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO erforderlich; sie gehören vielmehr zur Klagebegründung gemäß § 65 Abs. 1 Satz 3 FGO, die nicht zum sog. Muss-Inhalt einer Klage gehört.

Wenn das FG zutreffend ausführt, dass erfahrungsgemäß die Streitpunkte im Klageverfahren häufig reduziert würden, so folgt daraus nicht, dass eine entsprechende Eingrenzung bereits zur Bezeichnung des Klagebegehrens erforderlich sei. Die Begrenzung auf bestimmte Positionen ist bis zum Ende der mündlichen Verhandlung möglich und daher für die Zulässigkeit der Klage unerheblich. Aus dem Schriftsatz vom in Verbindung mit der der Klageschrift beigefügten Einspruchsentscheidung ergab sich jedenfalls, dass andere Punkte als die Nichtberücksichtigung der in der Einspruchsentscheidung genannten einzelnen Betriebsausgaben und des dort unterstellten Eigenverbrauchs der Klägerin nicht Gegenstand des Klageverfahrens sein sollten; die vom FG angesprochene Grenze, wonach das Gericht nicht über das Klagebegehren hinaus gehen darf, war also klar erkennbar.

Soweit das FG anführt, die Steuerakten hätten ihm erst am vorgelegen, hat der BFH entschieden, dass § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Kläger keine zusätzlichen, weitergehenden Obliegenheiten auferlegt als § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO und keinen Anspruch des FG begründet, dass ihm eine ohne Hinzuziehung noch nicht vorliegender Steuerakten aus sich heraus verständliche Darstellung des nach Ansicht des Klägers maßgeblichen steuerlichen Sachverhalts vorgelegt wird (, BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483).

2. Die Aufhebung des FG-Urteils und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung beruhen auf § 116 Abs. 6 FGO; die Sache ist nicht entscheidungsreif.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 1417
BFH/NV 2004 S. 1417 Nr. 10
CAAAB-25466