Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs bei unvorhersehbarer Urteilsbegr.; kein Vertrauensschutz wegen rückwirkender Verkürzung des Investitionszeitraums
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, §§ 76, 96; InvZulG § 3
Instanzenzug: FG des Landes Sachsen-Anhalt Urteil vom 1 K 396/99
Gründe
Von der Wiedergabe des Sachverhalts wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgesehen.
Die Beschwerde ist unzulässig.
Die Rüge des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger), das Finanzgericht (FG) habe das rechtliche Gehör verletzt, ist nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
a) Eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), § 76 Abs. 2 FGO und § 96 Abs. 2 FGO liegt vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2002, 947, m.w.N.).
Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG und die richterliche Hinweispflicht i.S. des § 76 Abs. 2 FGO verlangen jedoch nicht, dass das Gericht die maßgeblichen Rechtsfragen mit den Beteiligten umfassend erörtert. Das Gericht ist grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet. Auf nahe liegende rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte braucht es zumindest dann nicht ausdrücklich hinzuweisen, wenn die Beteiligten sachkundig vertreten sind (BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 947, m.w.N.).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger in seiner Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargetan, dass er mit der Entscheidung des FG, nach der der Kläger mit der Investition bereits im März 1994 begonnen und diese erst im Jahr 1997 abgeschlossen habe, nicht zu rechnen brauchte. Dies gilt schon deshalb, weil bereits der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) von einer verbindlichen Bestellung der Gerüstbauteile im März 1994 ausgegangen ist und demnach derselben Auffassung wie das FG war. Ist zwischen den Beteiligten streitig, wie ein Vertrag auszulegen ist, muss das FG vor seiner Entscheidung nicht darauf hinweisen, welcher von beiden Rechtsauffassungen oder Vertragsauslegungen es zu folgen gedenkt. Darüber hinaus hat das FG den Rechtsstreit ausweislich des Sitzungsprotokolls rechtlich und tatsächlich mit den Beteiligten besprochen.
c) Im Übrigen ist davon auszugehen, dass das Urteil auch dann nicht anders ausgefallen wäre, wenn das FG den Kläger in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hätte, es neige der Rechtsauffassung des FA zu.
Nach Auffassung des FG lag für den Kläger eine echte Rückwirkung vor, weil der Gesetzgeber durch die Änderung des § 3 Satz 1 Nr. 3 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1996 durch das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz (3.FinMFöG) vom (BGBl I 1998, 529, 566) das Datum des Investitionsabschlusses vom auf den vorgezogen habe. Diese echte Rückwirkung sei jedoch aus Gründen des Gemeinwohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet seien, geboten. Denn die Bundesrepublik Deutschland habe nur durch die Änderung des InvZulG 1996 vermeiden können, wegen Verletzung des Europäischen Gemeinschaftsrechts vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften verklagt zu werden.
Der Kläger könne nicht darauf vertraut haben, zumindest die Grundzulage in Höhe von 8 v.H. zu erlangen. Als er nämlich mit der Investition im Jahre 1994 begonnen habe, hätten auch nach dem ursprünglichen § 3 Satz 1 Nr. 3 InvZulG 1993 die Investitionen bereits vor dem abgeschlossen sein müssen. Mithin hatte die Vorschrift in derselben Fassung gegolten, in welcher sie aufgrund der Änderung durch das 3.FinMFöG wieder gegolten hat. Die Investitionsentscheidung des Klägers habe hierdurch nicht beeinflusst werden können.
Dagegen macht der Kläger mit der Beschwerdebegründung geltend, hätte ihn das FG darauf aufmerksam gemacht, dass es hinsichtlich der Vertragsauslegung der Auffassung des FA folge, hätte er vorgetragen, dass er auf den Abschluss der Investition insofern Einfluss gehabt hätte, als er den Liefertermin hätte frei wählen können.
Dieses Vorbringen hätte jedoch deshalb nicht zu einer anderen Entscheidung des FG führen können, weil sich der Kläger nach der Vertragsauslegung durch das FG bereits bei Investitionsbeginn —also dem — bindend festgelegt hatte, die Gerüstbauteile erst im Laufe des Jahres 1997 abzuberufen. Nach § 3 Satz 1 Nr. 3 InvZulG 1993, nach dem die Investitionen bereits vor dem abgeschlossen sein mussten, hätte der Kläger daher keine Investitionszulage beanspruchen können. Er kann daher auch nicht im Vertrauen auf die ursprüngliche Rechtslage seine Investitionsentscheidung getroffen haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 534
BFH/NV 2004 S. 534 Nr. 4
PAAAB-16060