Steuerfreiheit eines Sanierungsgewinns bei Gewährung eines teilweisen Schuldenerlasses durch Konkursverwalter
Leitsatz
(1) Für die Sanierungseignung eines Schuldenerlasses ist eine vollständige Entschuldung nicht Voraussetzung. Vielmehr kann eine Sanierung auch dann bejaht werden, wenn Schulden weiterhin bestehen, sie aber den Schuldner nicht belasten und beeinträchtigen, weil für ihre Tilgung dem Schuldner Vermögen zur Verfügung steht, so dass er die verbleibenden Schulden nicht als zusätzliche Last und Bedrohung empfinden muss. (2) Ein Schuldenerlass in Sanierungsabsicht kann auch vorliegen, wenn ein Konkursverwalter den größten Teil der Forderung eines Gläubigers erlässt, um den Konkurs des Schuldners zu vermeiden, damit dieser sich Mittel erwirtschaftet, mit denen er den nicht erlassenen Teil der Forderung des Gläubigers erfüllt. (3) Der Erlass einer nach der Betriebsaufgabe verbleibenden Schuld stellt ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar, welches zu einer Erhöhung des Betriebsaufgabegewinns führt. Dies gilt auch dann, wenn die Verbindlichkeiten auf üblichen Geschäftsvorfällen beruhen.
Gesetze: EStG § 3 Nr. 66, EStG § 16 Abs. 3, EStG § 34
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb bis zum Jahre 1991 in der Obst-, Gemüse- und Südfrüchtebranche ein Großhandelsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH (GmbH) und einen Einzelhandel als Einzelunternehmen, dessen Aufgabe er zum 1. Oktober des Streitjahres 1993 erklärte. Wegen ungünstiger Geschäftsentwicklung entstand bis zum Frühjahr 1991 in der Einzelfirma ein Verlust von über 1 Mio. DM. Die Einzelfirma war nicht mehr in der Lage, die aus Warenlieferungen entstandenen Forderungen der GmbH in Höhe von ca. 650 000 DM zu erfüllen. Über das Vermögen der GmbH wurde im Jahre 1991 das Konkursverfahren eröffnet. Im Rahmen eines zwischen dem Konkursverwalter und dem Kläger geführten Zivilrechtsstreits über die vom Konkursverwalter geltend gemachten Forderungen schlossen die Parteien im Mai 1993 einen Vergleich, in welchem sich der Kläger verpflichtete, an den Konkursverwalter bis zum 40 000 DM und bis zum weitere 30 000 DM zu zahlen; der Konkursverwalter verzichtete im Gegenzug auf die restlichen Forderungen gegen den Kläger. Ein weiterer Gläubiger verzichtete auf Forderungen in Höhe von 90 000 DM. In der Folgezeit war die steuerliche Behandlung des vom Konkursverwalter dem Kläger gewährten Schuldenerlasses zwischen dem Kläger und dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) streitig. Der Kläger meinte, dass der Forderungsverzicht zu einem nach § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung (EStG a.F.) steuerfreien Sanierungsgewinn geführt habe. Demgegenüber vertrat das FA nach einer Betriebsprüfung die Auffassung, dass durch den Forderungsverzicht des Konkursverwalters in Höhe von 738 182,65 DM eine Mehrung des Betriebsvermögens und damit ein höherer Gewinn in der Einzelfirma in Höhe von 652 507,15 DM entstanden seien. Dementsprechend änderte das FA die Veranlagung für das Kalenderjahr 1993.
Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1461 veröffentlichten Urteil abgewiesen. Es verneinte die Sanierungsabsicht des Konkursverwalters und die Eignung des Erlasses, den Kläger zu sanieren, weil der Hauptgläubiger des Klägers, eine Bank, seine Forderung in Höhe von ca. 1 Mio. DM nicht erlassen habe.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des materiellen Rechts und von Verfahrensrecht. Er bringt vor, das FG habe die Anforderungen an das Handeln in Sanierungsabsicht verkannt, wenn es einem Konkursverwalter von vornherein abspreche, in solcher Absicht handeln zu können. Es habe verfahrensfehlerhaft unterlassen, über die Motive des Konkursverwalters Beweis zu erheben. Weiter habe das FG verkannt, dass § 3 Abs. 66 EStG a.F. nicht den vollständigen Schuldenerlass durch alle Gläubiger verlange. Verbleibende Schulden seien unschädlich, wenn der Schuldner durch sie nicht mehr beeinträchtigt werde. Letzteres sei hinsichtlich der verbliebenen Bankschulden anzunehmen, weil er sie durch Immobilienverkäufe fast vollständig habe begleichen können; der Rest der Schulden sei dinglich abgesichert gewesen und habe durch abgetretene Mietforderungen getilgt werden können.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Zu Unrecht hat das FG allein aus dem Umstand, dass eine Bankforderung in Höhe von ca. 1 Mio. DM bestehen geblieben ist, gefolgert, dass der von zwei Gläubigern gewährte Schuldenerlass nicht geeignet gewesen sei, den Kläger zu sanieren. Entgegen seiner Ansicht kann allein aus der Tatsache, dass ein Konkursverwalter auf einen Teil der zur Konkursmasse gehörenden Forderungen verzichtet, nicht von vornherein auf das Fehlen der Sanierungsabsicht geschlossen werden. Verfahrensfehlerhaft hat das FG es infolgedessen unterlassen, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wie sich der gewährte Schuldenerlass auf die wirtschaftliche Situation des Klägers ausgewirkt hat und welche Gründe den Konkursverwalter dazu bewegt haben, dem Kläger den Großteil seiner Schulden gegenüber der GmbH zu erlassen. Diese Feststellung hat das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
2. Nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. waren Erhöhungen des Betriebsvermögens, die dadurch entstanden, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen wurden, von der Einkommensteuer befreit. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung sind unter einer Sanierung Maßnahmen zu verstehen, die geeignet sind, ein Unternehmen vor dem Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen. Die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns setzt danach im Einzelnen voraus, dass das Unternehmen sanierungsbedürftig ist, die Gläubiger in Sanierungsabsicht handeln und der Schuldenerlass sanierungsgeeignet ist. Fehlt nur eine dieser Voraussetzungen, ist das Vorliegen eines steuerfreien Sanierungsgewinns zu verneinen (vgl. z.B. , BFHE 199, 278, BStBl II 2002, 854, m.w.N., und vom IV R 63/01, BFHE 202, 452, BStBl II 2004, 9).
a) Die Annahme der Sanierungsbedürftigkeit des Einzelhandelsunternehmens des Klägers unterliegt angesichts dessen Überschuldung und Erfolglosigkeit keinem Zweifel.
b) Entgegen der Ansicht des FG erscheint es denkbar, die Sanierungseignung des vom Konkursverwalter gewährten Erlasses trotz der verbliebenden Bankschulden in Höhe von ca. 1 Mio. DM zu bejahen.
Die Rechtsprechung sieht das Tatbestandsmerkmal der Sanierungseignung i.S. des § 3 Nr. 66 EStG a.F. auch dann als erfüllt an, wenn der Einzelunternehmer durch den Forderungserlass in die Lage versetzt wird, das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne von weiter bestehenden Schulden beeinträchtigt zu sein. Denn Zweck der Steuerbefreiung ist, dass der Erlass von Forderungen, die nicht mehr vollwertig sind, deren Fortbestand den Schuldner jedoch in seiner Existenz bedroht, nicht an der Konsequenz einer höheren Einkommensteuer scheitern soll. Infolgedessen kann ein Sanierungsgewinn auch dann steuerfrei sein, wenn dem Schuldner durch den Erlass eine schuldenfreie Liquidierung seines Unternehmens und der Aufbau einer Existenz in selbständiger oder nichtselbständiger Position ermöglicht wird. Der BFH hat in den Urteilen vom I R 64/85 (BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810) und I R 106/85 (BFHE 161, 34, BStBl II 1990, 813) die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) zur unternehmerbezogenen Sanierung (vgl. Urteile vom VI A 725/36, RStBl 1937, 436, und vom VI 621/38, RStBl 1939, 86) bestätigt. Dieser Rechtsauffassung hat sich der erkennende Senat mit Urteil vom X R 129/87 (BFH/NV 1991, 372) angeschlossen.
Das FG hat diese Rechtsgrundsätze außer Acht gelassen. Aus dem Umstand, dass die Bank ihre Forderungen in Höhe von mehr als 1 Mio. DM auch nicht teilweise erlassen hat, hat es die Entschuldung des Klägers verneint und dem Erlass des Konkursverwalters die Eignung abgesprochen, die Sanierung des Klägers zu bewirken. Diese Schlussfolgerung setzt in unzutreffender Weise für die Sanierungseignung eines Erlasses eine vollständige Entschuldung voraus und berücksichtigt nicht, dass eine Sanierung auch dann bejaht werden kann, wenn Schulden weiterhin bestehen, sie aber den Schuldner nicht belasten und beeinträchtigen (vgl. z.B. , BFH/NV 1993, 536), weil für ihre Tilgung dem Schuldner Vermögen zur Verfügung steht, so dass er die verbleibenden Schulden nicht als zusätzliche Last und Bedrohung empfinden muss.
c) „Zum Zweck der Sanierung” i.S. des § 3 Nr. 66 EStG a.F. wird eine Schuld in der Regel erlassen, wenn der Schuldner sanierungsbedürftig und der Erlass geeignet ist, die Sanierung herbeizuführen. Im Streitfall hat das FG die Sanierungsabsicht des Konkursverwalters schon an dessen Stellung im Konkursverfahren scheitern lassen. Seine Aufgabe bestehe darin, das Vermögen des Gemeinschuldners an dessen Gläubiger zu verteilen. Mit dieser Aufgabe sei es nach Auffassung des FG nicht vereinbar, wenn der Konkursverwalter einzelne Schuldner der GmbH zu Lasten der Gläubiger der GmbH bevorzuge. Der Erlass der Schuld durch den Konkursverwalter könne daher nur in der Absicht geschehen sein, wenigstens einen Teilbetrag der Forderung der GmbH schnell und einfach für deren Gläubiger zu realisieren. Da der Erlass im Verlauf des Rechtsstreits zwischen dem Kläger und dem Konkursverwalter vereinbart worden sei, habe er dem Konkursverwalter auch dazu gedient, diesen Rechtsstreit zu beenden.
Damit verkennt das FG, dass die ständige Rechtsprechung an das Vorliegen der Sanierungsabsicht keine strengen Anforderungen stellt (, BFHE 132, 72, BStBl II 1981, 181; vom VIII R 64/96, BFHE 186, 12, BStBl II 1998, 537, m.w.N.). In der Regel ist dann, wenn der Schuldner sanierungsbedürftig und der Erlass geeignet ist, die Sanierung herbeizuführen, davon auszugehen, dass eine Schuld „zum Zwecke der Sanierung” und somit in Sanierungsabsicht erlassen wird (BFH-Urteil in BFHE 199, 278, BStBl II 2002, 854). Es liegt auf der Hand, dass regelmäßig auch eigennützige Motive des Gläubigers bei dem Schuldenerlass eine Rolle spielen, wie etwa die Rettung eines Teils der Restforderung oder der Erhalt von Geschäftsverbindungen. Solche Erwägungen sind unschädlich, sofern die Sanierungsabsicht mitentscheidend ist (, BFHE 146, 549, BStBl II 1986, 672; vom III R 257/84, BFH/NV 1989, 436, und in BFH/NV 1993, 536). Hiervon abgesehen hat die Rechtsprechung das Vorliegen der Sanierungsabsicht unterstellt, wenn sich mehrere Gläubiger an einem Schuldenerlass beteiligen (u.a. BFH-Urteil in BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810). In einem solchen Fall kann davon ausgegangen werden, dass das gleichgerichtete Vorgehen mehrerer nicht allein von deren jeweiligen Interessen geleitet wird. Auf der anderen Seite ist aber auch im Falle des Erlasses durch nur einen Gläubiger nicht schlechthin ausgeschlossen, dass dieser in Sanierungsabsicht gehandelt hat. Es ist dann lediglich anhand anderer Indizien zu prüfen, ob dem Schuldenerlass die Absicht zugrunde gelegen hat, den Schuldner vor dem Zusammenbruch zu bewahren (BFH-Urteil in BFHE 132, 72, BStBl II 1981, 181). Der erkennende Senat hält diese Aussagen für zutreffend.
Im Streitfall hat neben dem Konkursverwalter der GmbH mindestens ein weiterer Gläubiger auf jedenfalls einen Teil seiner Forderung verzichtet. Das macht es erforderlich, nach den Gründen zu fragen, die den Konkursverwalter zum Erlass des größten Teils der Forderung der GmbH veranlasst haben (vgl. , BFH/NV 2005, 1027, und vom VIII R 20/96, BFH/NV 1998, 1073). Ein denkbarer Grund kann die Überlegung sein, den Konkurs des Klägers zu vermeiden, damit dieser sich Mittel erwirtschaftet, mit denen er den nicht erlassenen Teil der Forderung der GmbH erfüllt. Ein so begründeter Schuldenerlass durch einen Konkursverwalter widerspricht nicht seiner Verpflichtung, die Interessen aller Gläubiger des Gemeinschuldners wahrzunehmen, sie kann sich im Gegenteil als durch deren Interessen geboten erweisen. Der hier zu beurteilende Sachverhalt schließt mithin die Annahme einer Sanierungsabsicht nicht aus. Die diesbezüglichen Feststellungen können jedoch im Revisionsverfahren nicht getroffen werden. Auch deshalb muss die Sache an das FG zurückverwiesen werden.
3. Bejaht das FG im zweiten Rechtsgang einen steuerfreien Sanierungsgewinn, wird es dem klägerischen (Haupt-)Begehren zu entsprechen haben.
Sollte das FG hingegen weiterhin einen steuerfreien Sanierungsgewinn verneinen, so wird es dem Hilfsantrag des Klägers, die durch den Schulderlass bewirkte Vermögensmehrung dem begünstigten Betriebsaufgabegewinn i.S. der §§ 16 Abs. 3, 34 EStG zuzuordnen, stattzugeben haben. Wie der III. Senat des BFH in einem vergleichbaren Fall zutreffend ausgeführt hat, treten die Rechtswirkungen des Schulderlasses nicht bereits bei Abschluss der Vereinbarung (hier: im Mai 1993), sondern erst im Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung der in dem Vertrag enthaltenen Bedingungen durch den Kläger ein (Urteil in BFH/NV 1989, 436, unter 5. der Gründe), im vorliegenden Streitfall also erst bei Leistung der letzten, bis zum zu erbringenden Teilzahlung in Höhe von 30 000 DM. Mit dieser Entscheidung weicht der erkennende Senat nicht von dem (BFHE 78, 325, BStBl III 1964, 128) ab, weil es sich dort um die mit dem hier vorliegenden Streitfall nicht vergleichbare besondere Konstellation eines Vergleichsverfahrens zur Abwendung des Konkurses handelte, bei dem es „auf den mehr oder minder zufälligen Zeitpunkt der Beendigung des Vergleichsverfahrens” (BFH-Urteil in BFHE 78, 325, BStBl III 1964, 128) nicht ankam.
Folglich führte erst die spätere —letzte— Teilzahlung in Höhe von 30 000 DM zum Erlass der nach der Betriebsaufgabe verbliebenen Schuld. Der Erlass einer nach der Betriebsaufgabe verbleibenden Schuld stellt nach der Rechtsprechung des BFH ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) dar, welches zu einer Erhöhung des Betriebsaufgabegewinns führt (vgl. , BFHE 183, 78, BStBl II 1997, 509, H 139 Abs. 9 der Einkommensteuer-Richtlinien unter „Verbindlichkeiten”). Dies gilt entgegen der vom FG vertretenen Ansicht auch dann, wenn die Verbindlichkeiten auf üblichen Geschäftsvorfällen beruhen. Unzutreffend hat das FG den Gewinn aus einem solchen Erlass mit den Gewinnen gleichgesetzt, die aus laufenden Geschäften hervorgegangen sind, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Betriebsaufgabe getätigt wurden und die nach den vom FG zitierten BFH-Urteilen vom IV 350/64 (BFHE 99, 479, BStBl II 1970, 719) und vom X R 76-77/92 (BFHE 176, 426, BStBl II 1995, 388) als laufender Gewinn zu behandeln sind.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 713 Nr. 4
HFR 2006 S. 348 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 28/2006 S. 6
WAAAB-76596