BFH Urteil v. - I R 11/04

Voraussetzungen für Sanierungsgewinn i. S. des § 3 Nr. 66 EStG a. F.

Gesetze: EStG § 3 Nr. 66

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über das Vorliegen der Voraussetzungen für einen steuerfreien Sanierungsgewinn.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, deren alleinige Gesellschafterin seit dem die X-Beteiligungsgesellschaft (X) war. Im Streitjahr (1996) hatte die Klägerin ein vom 1. Oktober bis zum 30. September laufendes Wirtschaftsjahr. Sie war an einer KG (Y-KG) beteiligt und hatte diese Beteiligung mit Darlehen von sieben Banken finanziert, die in ihrer Bilanz zum mit insgesamt 30 Mio. DM ausgewiesen waren. Ferner bestanden am weitere Darlehensverbindlichkeiten gegenüber drei Gläubigern. Am tilgte die Klägerin vermittels eines bei der Y-KG aufgenommenen Darlehens über 6 Mio. DM u.a. eine dieser letztgenannten Verbindlichkeiten sowie einen Teil der Bankschulden aus dem Beteiligungserwerb.

Ende 1995 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der Y-KG eröffnet. Daraufhin kam es im September 1996 zu einem Vergleich, durch den sich die Klägerin zur Zahlung von 1 Mio. DM in die Konkursmasse verpflichtete und ihr der restliche Darlehensbetrag von 5 Mio. DM erlassen wurde. Außerdem schloss die Klägerin am mit den sieben Gläubigerbanken gleich lautende Verträge, die als „Sanierungsvereinbarungen samt Erlassvertrag” bezeichnet waren und durch die der Klägerin 80 v.H. der jeweiligen Darlehensforderung sowie die rückständigen Zinsen erlassen wurden. In den Verträgen heißt es weiter, diese Maßnahme erfolge in der Absicht der Sanierung der Klägerin und sei „Bestandteil eines Gesamt-Sanierungskonzeptes”, nachdem die Beteiligung der Klägerin an der Y-KG wertlos geworden und der Klägerin hierdurch ein ihr Stammkapital übersteigender Vermögensverlust entstanden sei. Die Klägerin habe ein Interesse an der Fortführung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit und der Wiederherstellung ihrer Ertragskraft und werde hierbei von X unterstützt; X garantiere für die Verpflichtungen der Klägerin aus dem betreffenden Vertrag. Die beiden übrigen Darlehensgläubiger erließen der Klägerin 65 v.H. bzw. 75 v.H. der bestehenden Forderungen. X leistete in der Folge die vereinbarten Zahlungen an die verschiedenen Gläubiger sowie später weitere Einlagen, die die Klägerin zum Erwerb neuer Beteiligungen verwendete.

Die Klägerin sah den Gewinn, der sich aus den Vergleichen mit den verschiedenen Gläubigern einschließlich des Konkursverwalters der Y-KG ergab, als steuerfreien Sanierungsgewinn an. Dessen Höhe ermittelte sie, indem sie von dem erlassenen Gesamtbetrag 259 300 DM „Sanierungsberatungskosten” abzog, mit 29 816 870,04 DM. Dem folgte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) zunächst in einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Körperschaftsteuerbescheid für das Streitjahr. Später erließ er jedoch einen Änderungsbescheid, in dem er den Erlassgewinn als steuerpflichtig behandelte. Der dagegen gerichteten Klage hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dieses hat zwar zu Recht angenommen, dass die im April 1996 abgeschlossenen Vergleichsverträge für die Klägerin zu einem steuerfreien Sanierungsgewinn geführt haben. Anhand der von ihm getroffenen Feststellungen lässt sich jedoch nicht hinreichend sicher beurteilen, ob dasselbe im Hinblick auf denjenigen Gewinn gilt, den die Klägerin durch den Vergleich mit dem Konkursverwalter der Y-KG erzielt hat.

1. Nach § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG a.F.) waren Erhöhungen des Betriebsvermögens, die dadurch entstanden, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen wurden, von der Einkommensteuer befreit. Diese Steuerbefreiung galt gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) auch für Kapitalgesellschaften (Senatsurteil vom I R 135/97, BFH/NV 1999, 23, Abschn. 27 Abs. 1 Nr. 1 der Körperschaftsteuer-Richtlinien 1995KStR 1995—, BStBl I 1996, Sondernummer 1; Streck/Schwedhelm, Körperschaftsteuergesetz, 6. Aufl., § 8 Anm. 7; Rengers in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 8 KStG Rz. 45).

2. Unter einer Sanierung i.S. des § 3 Nr. 66 EStG a.F. sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) Maßnahmen zu verstehen, die geeignet sind, ein Unternehmen vor dem Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen. Dabei setzt die Steuerbefreiung voraus, dass das Unternehmen sanierungsbedürftig ist, die Gläubiger in Sanierungsabsicht handeln und die Maßnahme zur Sanierung geeignet ist. Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, so liegt ein steuerfreier Sanierungsgewinn nicht vor (Senatsurteil in BFH/NV 1999, 23; , BFHE 202, 452, BStBl II 2004, 9, m.w.N.).

3. Im Streitfall hat das FG in Übereinstimmung mit den Beteiligten angenommen, dass die Klägerin bei Abschluss der Vergleichsverträge mit ihren Gläubigern sanierungsbedürftig war. Dem ist beizupflichten, da nach den Feststellungen des FG durch die Entwertung der Beteiligung an der Y-KG ein Vermögensverlust eingetreten war, der zur Überschuldung der Klägerin geführt hatte. Diese Feststellung ist nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden und deshalb im Revisionsverfahren bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).

4. Die erforderliche Sanierungsabsicht der Gläubiger hat das FG, soweit es um die im April 1996 geschlossenen Verträge geht, zu Recht bejaht. Denn eine solche Absicht ist, wenn sich mehrere Gläubiger eines sanierungsbedürftigen Schuldners an einem Schuldenerlass beteiligen, grundsätzlich zu unterstellen. Das gilt auch dann, wenn die Gläubiger mit dieser Maßnahme zugleich eigennützige Interessen verfolgen. Deshalb schließt im Fall des konzertierten Schulderlasses durch mehrere Gläubiger insbesondere der Umstand, dass die Gläubiger unter anderem oder sogar vor allem einen Teil ihrer eigenen Forderungen retten wollen, die Vermutung der Sanierungsabsicht nicht aus. Schließlich bedarf es in einem solchen Fall für die Annahme des Handelns in Sanierungsabsicht keines schriftlichen Sanierungsplans (BFH-Urteil in BFHE 202, 452, BStBl II 2004, 9). Im Streitfall, in dem die Klägerin nach den Feststellungen des FG im April 1996 mit sieben Banken und zwei weiteren Gläubigern gleich lautende Erlassverträge geschlossen hat, ist hiernach von einer Sanierungsabsicht der Gläubiger auszugehen.

5. Schließlich hat das FG ohne Rechtsfehler angenommen, dass die im April 1996 getroffenen Vereinbarungen in hinreichender Weise geeignet waren, zur Sanierung der Klägerin beizutragen. Zwar wurde die Überschuldung der Klägerin durch sie allein nicht beseitigt; hierzu bedurfte es vielmehr, wovon auch das FG ausgegangen ist, einer zusätzlichen Kapitalzuführung durch die Gesellschafter der Klägerin. Das hindert jedoch die Anwendung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. nicht. Diese Vorschrift kann nämlich auch dann eingreifen, wenn ein Erlass von Schulden zwar nicht als solcher den Sanierungserfolg herbeiführen kann, wohl aber im Zusammenwirken mit weiteren Sanierungsmaßnahmen hierzu geeignet ist (, BFH/NV 1993, 536; vom IV R 19/95, BFHE 181, 447, BStBl II 1997, 234; Senatsbeschluss vom I B 139/96, BFH/NV 1997, 753). Eine solche Situation hat das FG im Streitfall deshalb als vorliegend angesehen, weil der Schuldenerlass Teil einer Gesamtmaßnahme gewesen sei, die eine realistische Chance zur Sanierung der Klägerin eröffnet habe. Diese Würdigung greift die Revision ohne Erfolg an.

a) Nach dem Wortlaut der im April 1996 abgeschlossenen Verträge dienten diese der Sanierung der Klägerin. Sie sind dort nicht nur als „Sanierungsvereinbarungen” bezeichnet; vielmehr heißt es in den Verträgen u.a., dass es sich um Bestandteile eines Sanierungs-Gesamtkonzepts handele, das vom Gesellschafter der Klägerin unterstützt werde und zur Wiederherstellung der Ertragsfähigkeit der Klägerin führen solle. Diese Formulierungen mögen für sich genommen nicht ausreichend sein, um das tatsächliche Bestehen des erwähnten „Sanierungs-Gesamtkonzepts” zu belegen. Jedoch sind in der Folgezeit weitere Maßnahmen getroffen worden, die unstreitig dazu geführt haben, dass die Klägerin nach wie vor am Wirtschaftsleben teilnimmt und Erträge erzielt. Wenn das FG aus dieser tatsächlichen Entwicklung der Verhältnisse geschlossen hat, dass das in den Vergleichsverträgen angesprochene „Gesamtkonzept” schon damals ernsthaft verfolgt wurde, so verstößt diese Würdigung weder gegen Denkgesetze noch gegen allgemeine Erfahrungssätze. Der Senat ist deshalb an sie gebunden mit der Folge, dass bei der Beurteilung der Sanierungseignung auch die später getroffenen Sanierungsmaßnahmen einzubeziehen sind. Unter Berücksichtigung dieser Maßnahmen konnte der Schuldenerlass durch die Darlehensgläubiger zur wirtschaftlichen Gesundung der Klägerin beitragen.

b) Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass nach der Rechtsprechung des BFH § 3 Nr. 66 EStG a.F. bei einer GmbH & Co. KG nur dann eingreifen kann, wenn die Gesellschaft „in zeitlichem Zusammenhang” mit dem Schuldenerlass ihre werbende Tätigkeit wieder aufgenommen hat (, BFHE 143, 420, BStBl II 1985, 501; vom IV R 177/83, BFHE 143, 531, BStBl II 1985, 504; vom IV R 84/89, BFH/NV 1991, 821). Dieser Grundsatz mag zwar insoweit auf die Verhältnisse bei einer Kapitalgesellschaft übertragbar sein, als dort ebenfalls nur die „unternehmensbezogene”, nicht aber die „unternehmerbezogene” Sanierung begünstigt wird. Das bedeutet aber nur, dass bei einer GmbH ebenso wie bei einer GmbH & Co. KG die Sanierungsmaßnahmen eine Fortsetzung der Unternehmenstätigkeit und nicht etwa nur deren schuldenfreie Beendigung ermöglichen müssen. Dass die Fortsetzung der Tätigkeit der zu beurteilenden Sanierungsmaßnahme zeitlich unmittelbar nachfolgt, verlangt § 3 Nr. 66 EStG a.F. nicht. Eine solche Forderung wäre schon deshalb nicht sachgerecht, weil die Umsetzung eines Sanierungskonzepts nicht selten umfangreiche und zeitaufwendige Zwischenschritte erfordert und schon aus diesem Grund eine kurzfristige Wiederaufnahme der Unternehmenstätigkeit nicht immer möglich ist.

c) Unerheblich ist, dass die Klägerin ursprünglich als Kommanditistin der Y-KG unternehmerisch tätig war, im Zuge der Sanierung jedoch möglicherweise nur Anteile an Kapitalgesellschaften erworben hat und nunmehr als Holdinggesellschaft fungiert. Denn § 3 Nr. 66 EStG a.F. setzt nicht voraus, dass das zu sanierende Unternehmen im Anschluss an die Sanierung in derselben Weise wie zuvor tätig wird oder werden soll. Eine solche Auslegung der Vorschrift wäre schon deshalb verfehlt, weil gerade in Sanierungsfällen eine Anpassung der Unternehmenstätigkeit an veränderte Marktverhältnisse oder sonstige wirtschaftliche Entwicklungen häufig erstrebenswert oder gar notwendig ist. Die Betätigung der Klägerin als Holdinggesellschaft steht der Anwendung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. schon deshalb nicht entgegen, weil sogar originäre Holdinggesellschaften dieser Vorschrift unterfallen (Senatsurteil in BFH/NV 1999, 23).

6. Im Ergebnis hält die Entscheidung des FG, dass der Schuldenerlass durch die im April 1996 abgeschlossenen Verträge zu einem nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. begünstigten Gewinn geführt habe, mithin den Angriffen der Revision stand. Dagegen beanstandet das FA zu Recht die weitere Annahme des FG, dass im Hinblick auf den im September 1996 geschlossenen Vertrag mit dem Konkursverwalter der Y-KG dasselbe gelte. Denn die bislang getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht den Schluss, dass auch der Konkursverwalter mit der für § 3 Nr. 66 EStG a.F. erforderlichen Sanierungsabsicht handelte.

Ausweislich des angefochtenen Urteils war dem Vergleich mit dem Konkursverwalter ein Streit darüber vorausgegangen, ob das der Klägerin von der Y-KG gewährte Darlehen durch zwischenzeitliche Zahlungen getilgt worden war. Nach dem Wortlaut des Vertrags mit dem Konkursverwalter, auf den das FG Bezug genommen hat und dessen Inhalt deshalb als von ihm festgestellt gilt, diente der im September 1996 geschlossene Vergleich der Beilegung dieses Streits. Die Vertragsurkunde enthält keinen Hinweis darauf, dass der Konkursverwalter bei Abschluss des Vergleichs in der Absicht gehandelt haben könnte, zur Sanierung der Klägerin beizutragen. Das wäre jedoch für die Anwendung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. auf den Gewinn aus diesem Vergleich erforderlich. Ein außerhalb eines Gläubigerakkords vereinbarter Vergleich, der nur der teilweisen Realisierung der angeblichen Forderung des einzelnen Gläubigers dient, führt nicht zu einem nach dieser Vorschrift steuerfreien Gewinn (, BFH/NV 1999, 21; Erhard in Blümich, a.a.O., § 3 EStG Rz. 841). Dass im Streitfall aus der Sicht der Klägerin der Vergleich die Umsetzung des Sanierungskonzepts gefördert haben mag, reicht für die Steuerbefreiung nicht aus.

Vor diesem Hintergrund könnte der Gewinn aus dem Vertrag mit dem Konkursverwalter nur dann § 3 Nr. 66 EStG a.F. unterfallen, wenn eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ergäbe, dass der Konkursverwalter der Y-KG ebenfalls die Sanierung der Klägerin beabsichtigte. Diese Sachverhaltsaufklärung kann jedoch im Revisionsverfahren nicht erfolgen, weshalb die Sache hierzu an das FG zurückverwiesen werden muss.