Leitsatz
[1] 1. Eine steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO besteht auch dann, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Angaben bei Abgabe der Steuererklärung nicht gekannt, aber billigend in Kauf genommen hat und er später zu der sicheren Erkenntnis gelangt ist, dass die Angaben unrichtig sind.
2. Die sich aus § 153 AO ergebende steuerrechtliche Pflicht zur Berichtigung von mit bedingtem Hinterziehungsvorsatz abgegebenen Erklärungen wird strafrechtlich erst mit der Bekanntgabe der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens suspendiert, das die unrichtigen Angaben erfasst (im Anschluss an BGHSt 47, 8, 14) .
Gesetze: AO § 153 Abs. 1; AO § 370 Abs. 1
Instanzenzug: LG Nürnberg-Fürth, vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer für das Jahr 2002 zu einer Geldstrafe von 270 Tagessätzen zu je 30,--Euro verurteilt. Vom Vorwurf, auch hinsichtlich des Jahres 2003 Umsatzsteuer hinterzogen zu haben, hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
1.
Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte seit dem Jahr 1979 Geschäftsführer der in Nürnberg ansässigen D. KG (nachfolgend: D. KG). Seit Mitte des Jahres 2001 entstanden in der Buchhaltung des Unternehmens Buchungsrückstände. Dies hatte zur Folge, dass die von der D. KG erzielten Umsätze und gezahlten Vorsteuerbeträge spätestens seit dem Jahr 2002 der EDV-Buchhaltung des Unternehmens nicht mehr entnommen werden konnten. Von Januar 2002 bis Mai 2003 wurden die beim Finanzamt einzureichenden Umsatzsteuervoranmeldungen daher von der angestellten Buchhaltungskraft anhand der vorliegenden Eingangs- und Ausgangsrechnungen manuell erstellt, wobei ihr allerdings schwerwiegende Fehler unterliefen. Für das Jahr 2002 wurden von den tatsächlich getätigten Umsätzen im Umfang von mehr als 12,8 Mio. Euro lediglich knapp 9,1 Mio. Euro erklärt. Zugleich wurden die Vorsteuern um etwa 62.000,-- Euro zu niedrig angegeben. Auch die für die Voranmeldungszeiträume des Jahres 2003 eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen waren unrichtig und enthielten zu geringe Umsatzsteuerbeträge. Der Angeklagte erfuhr spätestens im ersten Halbjahr 2002 von den Rückständen in der Buchhaltung. Auch wusste er, dass die Umsatzsteuervoranmeldungen manuell erstellt wurden. Gleichwohl überprüfte er die Voranmeldungen nicht.
Im Hinblick auf die manuelle Erstellung der Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 2003 ordnete das Finanzamt Nürnberg-Nord eine Umsatzsteuer-Nachschau an, die am in den Geschäftsräumen der D. KG durchgeführt wurde. Hierbei wurde sofort festgestellt, dass die für Februar bis Mai 2003 tatsächlich erzielten Umsätze weit über den vorangemeldeten Umsätzen lagen. Dies wurde noch am gleichen Tag dem Angeklagten mitgeteilt, der die bei der Umsatzsteuer-Nachschau festgestellten Beträge als richtig anerkannte.
Aufgrund der Mitteilung des Finanzamts rechnete der Angeklagte damit, dass auch die Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar bis Dezember 2002 unrichtig waren. Gleichwohl unterließ er die Abgabe einer richtigen Umsatzsteuerjahreserklärung, mit der er zugleich der sich aus § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO ergebenden Berichtigungspflicht hätte nachkommen können, die ihm bekannt war. Die Berichtigung wäre ihm auch ohne weiteres möglich gewesen, da die Buchhaltung zwischenzeitlich vervollständigt worden war, so dass dem Angeklagten die richtigen Umsatzzahlen zur Verfügung standen. Der Angeklagte unterließ sowohl die Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2002 als auch eine Berichtigung der unrichtigen Vorsteueranmeldungen, um sich die Steuervorteile, die die Gesellschaft durch die unrichtigen Voranmeldungen erzielt hatte, auf Dauer zu sichern.
2.
Aufgrund dieser Feststellungen hat das Landgericht den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung hinsichtlich des Jahres 2002 zu der Geldstrafe von 270 Tagessätzen verurteilt. Vom Vorwurf der Hinterziehung von Umsatzsteuer für das Jahr 2003 hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
II.
Über die zum Nachteil des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die sich auch gegen den Teilfreispruch richtet, hat der Senat mit Urteil vom heutigen Tag entschieden. Die Revision des Angeklagten hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom keinen Erfolg. Ergänzend bemerkt der Senat zum Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen:
1.
Das Landgericht sieht den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO deswegen als erfüllt an, weil der Angeklagte seiner "Verpflichtung nach § 153 AO, unrichtige Voranmeldungen durch Abgabe einer richtigen Jahreserklärung zu berichtigen" (UA S. 11), nicht nachgekommen sei. Die darin zum Ausdruck kommende Auffassung, aus § 153 AO ergebe sich die Verpflichtung zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung, wenn zuvor unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben worden sind und der Steuerpflichtige nachträglich deren Unrichtigkeit erkannt hat, trifft nicht zu. Vielmehr handelt es sich bei der Pflicht zur Anzeige und Berichtigung unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen nach § 153 AO und der Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung nach § 18 Abs. 3 UStG um voneinander unabhängige Pflichten, die zudem unterschiedliche Voraussetzungen haben.
2.
Die Umsatzsteuer ist eine Jahressteuer. Gleichwohl hat der Unternehmer im Verfahren zur Umsatzbesteuerung bezogen auf jedes Kalenderjahr mehrere steuerliche Erklärungspflichten. Zum einen hat er beim Finanzamt bis zum zehnten Tag nach Ablauf jedes Voranmeldungszeitraums - in der Regel des Kalendermonats (vgl. § 18 Abs. 2 Satz 2 UStG) - eine Umsatzsteuervoranmeldung einzureichen, in der er die Steuer für den Voranmeldungszeitraum selbst zu berechnen hat (§ 18 Abs. 1 Satz 1 UStG). Zum anderen hat er für das Kalenderjahr - ebenfalls in Form einer Steueranmeldung - eine Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben, in der er die zu entrichtende Steuer oder den Überschuss, der sich zu seinen Gunsten ergibt, selbst zu berechnen hat (§ 18 Abs. 3 Satz 1 UStG). Bei der Pflicht zur Abgabe einer Jahreserklärung handelt es sich um eine gegenüber der Pflicht zur Einreichung von Voranmeldungen eigenständige Pflicht, deren Nichterfüllung einen selbstständigen Unrechtsgehalt besitzt (vgl. BGHSt 47, 8, 13 f. ; BGHR AO § 370 Abs. 1 Konkurrenzen 13).
Sind monatlich Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben, trifft den Unternehmer hinsichtlich der Umsatzsteuer bezogen auf das Kalenderjahr die Pflicht zur Abgabe von insgesamt dreizehn Steueranmeldungen, nämlich von zwölf Umsatzsteuervoranmeldungen und einer Umsatzsteuerjahreserklärung. Ist der Voranmeldungszeitraum das Vierteljahr (§ 18 Abs. 2 Satz 1 UStG), hat der Unternehmer insgesamt fünf Steueranmeldungen einzureichen.
Die Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung besteht auch dann, wenn einzelne oder alle Voranmeldungen für das jeweilige Kalenderjahr unrichtig sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt allerdings der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit (vgl. BVerfGE 109, 279, 324; 56, 37, 49) dazu, dass die fortbestehende steuerrechtliche Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung dann - strafrechtlich - suspendiert wird, wenn dem Erklärungspflichtigen bekannt gegeben wird, dass gegen ihn wegen der Verletzung seiner Pflicht zur Abgabe zutreffender Umsatzsteuervoranmeldungen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist (BGHSt 47, 8, 12 ff. ; vgl. auch die Nachweise bei Jäger NStZ 2005, 552, 556) .
3.
Von diesen Pflichten zu unterscheiden ist die sich aus § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ergebende steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht. Nach dieser Vorschrift ist der Steuerpflichtige zur unverzüglichen, d. h. ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB; Rolletschke in Rolletschke/ Kemper, Steuerverfehlungen, Stand 88. Ergänzungslieferung Dezember 2008, § 370 AO Rdn. 274) vorzunehmenden Anzeige und Richtigstellung gegenüber den Finanzbehörden verpflichtet, wenn er nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist.
Bei dieser Pflicht handelt es sich um eine weitere eigenständige - und zwar steuerrechtliche - Pflicht, die nicht stets, sondern nur dann entsteht, wenn die in § 153 AO genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Sie verpflichtet den Steuerpflichtigen nicht zur Abgabe einer Steuererklärung, sondern zur Berichtigung der als unrichtig erkannten Erklärungen. Deshalb ergibt sich aus § 153 AO bei nachträglichem Erkennen, dass eingereichte Umsatzsteuervoranmeldungen unrichtig waren, nicht die Pflicht zur Abgabe einer wahrheitsgemäßen Umsatzsteuerjahreserklärung. Vielmehr ist anzuzeigen, welche Umsatzsteuervoranmeldungen unrichtig sind; zudem sind diese zu berichtigen. Dies schließt freilich nicht aus, dass die Anzeige und Berichtigung der unrichtigen Voranmeldungen stillschweigend durch die Abgabe einer zutreffenden Umsatzsteuerjahreserklärung vorgenommen werden kann (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, AO Stand 118. Lfg. März 2009, § 153 Rdn. 15).
4.
Auch bei der Anzeige- und Berichtigungspflicht aus § 153 AO handelt es sich um eine Erklärungspflicht im Sinne des § 370 Abs. 1 AO, deren gänzliche Nichterfüllung ebenso strafbar ist (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) wie die nur scheinbare Berichtigung mit erneut falschen Angaben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO).
Die Frage, ob und gegebenenfalls wann nach Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung eine Berichtigungspflicht gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO entsteht, hängt maßgeblich davon ab, ob und gegebenenfalls wann der Steuerpflichtige von der Unrichtigkeit einer von ihm oder für ihn abgegebenen Erklärung Kenntnis erlangt. Denn ein nachträgliches "Erkennen" ist begrifflich nur möglich, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit zunächst nicht gekannt hat.
Eine Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO kommt daher nur dann in Betracht, wenn der Steuerpflichtige zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung keine Kenntnis von der Unrichtigkeit der Erklärung hatte. Eine solche Pflicht besteht somit dann nicht, wenn der Steuerpflichtige bereits bei der Abgabe der Erklärung deren Unrichtigkeit gekannt hat. Die Pflichten aus § 153 AO entstehen damit erst in dem Zeitpunkt, in dem der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit tatsächlich erkennt. Die bloße Möglichkeit, die Unrichtigkeit zu erkennen, genügt angesichts des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes nicht (vgl. Tipke aaO Rdn. 12).
5.
Für die Frage der Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) durch Nichterfüllung der Anzeige- und Berichtigungspflicht aus § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind nach der Einreichung unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen je nach Kenntnisstand des Steuerpflichtigen drei Fallgruppen zu unterscheiden:
a)
Kennt der Steuerpflichtige bei Abgabe einer Steuererklärung deren Unrichtigkeit nicht und nimmt er eine solche auch nicht billigend in Kauf, unterliegt er einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB). Er ist dann - insoweit - straflos. Hat er die Unrichtigkeit leichtfertig nicht erkannt, kommt das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit der leichtfertigen Steuerhinterziehung (§ 378 AO) in Betracht. Erlangt der Steuerpflichtige in einem solchen Fall nachträglich Kenntnis von der Unrichtigkeit der Angaben, trifft ihn die Anzeige- und Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Kommt er dieser Pflicht vorsätzlich nicht nach, ist er strafbar wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.
b)
Hat der Steuerpflichtige bewusst unrichtige Voranmeldungen abgegeben, besteht bereits keine steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO. Denn dann kennt er deren Unrichtigkeit von Anfang an. Ein nachträgliches Erkennen ist in solchen Fällen begrifflich ausgeschlossen. Freilich ist dann hinsichtlich der abgegebenen Steuererklärungen regelmäßig eine mit direktem Vorsatz durch aktives Tun begangene Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gegeben, sofern nicht der unwahrscheinliche Fall vorliegt, dass der Steuerpflichtige davon ausgegangen ist, seine falschen Angaben würden nicht zu einer Steuerverkürzung führen. In diesem Fall dürfte aber eine Steuerordnungswidrigkeit der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) gegeben sein.
c)
Ob eine steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO besteht, wenn der Steuerpflichtige erst nachträglich erfährt, dass er unrichtige Angaben gemacht hat, er aber bei Abgabe der Steuererklärung die Unrichtigkeit seiner Angaben in Kauf genommen und sich deshalb - durch die Abgabe der unrichtigen Steuererklärung - zugleich auch wegen bedingt vorsätzlich begangener Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) strafbar gemacht hat, ist im Schrifttum umstritten (bejahend: Heuermann in Hübschmann/Hepp/ Spitaler AO Stand 201. Lfg. Dezember 2008, § 153 Rdn. 12 f.; Klein/Brockmeyer AO 9. Aufl. § 153 Rdn. 4; verneinend: Tipke aaO Rdn. 11; Kohlmann, Steuerstrafrecht Stand 39. Lfg. Oktober 2008 § 370 AO Rdn. 332 m.w.N.; Joecks in Franzen/ Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 182; Rolletschke aaO Rdn. 273).
Nach Ansicht des Senats gebieten Wortlaut, Sinn und Zweck der Vorschrift des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, eine steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht aus dieser Vorschrift auch dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Angaben bei Abgabe der Steuererklärung nicht gekannt, aber billigend in Kauf genommen hat, und er später zu der sicheren Erkenntnis gelangt ist, dass die Angaben unrichtig sind.
aa)
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO besteht auch in diesem Fall eine Berichtigungspflicht, weil auch derjenige, der zunächst mit der Unrichtigkeit der Angaben nur gerechnet, sie aber nicht sicher gekannt hat, die Unrichtigkeit "nachträglich erkennt", wenn er später positiv erfährt, dass seine Angaben tatsächlich unrichtig waren.
bb)
Auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift des § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO sollen Steuerpflichtige, die bereits bedingt vorsätzlich unrichtige Steuererklärungen abgegeben haben, von der steuerrechtlichen Anzeige- und Berichtigungspflicht nicht ausgenommen werden. Die Norm des § 153 AO ergänzt die §§ 149, 150 und 90 AO und dient der gesetzmäßigen Besteuerung (§ 85 AO), indem sie die in § 150 Abs. 2 AO und § 90 Abs. 1 Satz 2 AO konstituierte Wahrheitspflicht für Angaben in der Steuererklärung und in anderen Erklärungen auch nach deren Abgabe fortbestehen lässt (Heuermann aaO Rdn. 1a). Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass der Steuerpflichtige in der Regel über bessere Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich der ihn betreffenden steuerlich erheblichen Tatsachen verfügt als die Finanzverwaltung. Zudem soll sie gewährleisten, dass die Finanzbehörde von Besteuerungsgrundlagen Kenntnis erhält, die ihr bislang noch nicht bekannt waren (vgl. Heuermann aaO Rdn. 14). Die Vorschrift begründet eine gesetzliche Garantenpflicht, die ihre Rechtfertigung in dem Fehler verursachenden vorangegangenen Tun findet (vgl. Kohlmann, Steuerstrafrecht Stand 39. Lfg. Oktober 2008, § 370 AO Rdn. 329). Insoweit besteht zwischen dem bei Abgabe der Steuererklärung gutgläubigen und dem mit bedingtem Vorsatz handelnden Steuerpflichtigen kein rechtlich bedeutsamer Unterschied.
cc)
Die Verpflichtung zur Berichtigung nach bedingt vorsätzlicher Abgabe unrichtiger Steuererklärungen führt auch nicht dazu, dass die Steuerhinterziehung zu einem Dauerdelikt würde (so aber Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 182). Denn sie trifft den Steuerpflichtigen erst dann, wenn er von der Unrichtigkeit seiner Erklärung tatsächlich Kenntnis erlangt. Dann verwirklicht er aber nicht mehr den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, sondern aufgrund eines neuen Tatentschlusses den des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.
6.
Die Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch Nichtbeachtung der steuerrechtlichen Pflicht des § 153 AO ist grundsätzlich auch dann strafbewehrt, wenn der Steuerpflichtige mit der Berichtigung unrichtiger Steuervoranmeldungen bedingt vorsätzlich begangene Taten der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder Steuerordnungswidrigkeiten gemäß § 378 AO aufdeckt, die er bei der Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen begangen hat.
Der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ("nemo tenetur se ipsum accussare"; vgl. dazu BVerfGE 56, 37; BGHSt 47, 8) steht dem nicht entgegen (vgl. BVerfG wistra 1988, 302). Art. 2 Abs. 1 GG schreibt keinen lückenlosen Schutz gegen staatlichen Zwang zur Selbstbelastung vor ohne Rücksicht darauf, ob dadurch schutzwürdige Belange Dritter beeinträchtigt werden (vgl. zur Strafbarkeit wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort BVerfGE 16, 190 f.). Der Staat ist darauf angewiesen, die ihm gesetzlich zustehenden Steuereinnahmen tatsächlich zu erzielen, um seinen vielfältigen Aufgaben gerecht zu werden. Darüber hinaus ist die gleichmäßige Erfassung aller Steuerpflichten mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG geboten. Es ist daher sachlich gerechtfertigt, dem Steuerpflichtigen eine wahrheitsgemäße Auskunft auch dann abzuverlangen, wenn er damit eine Steuerstraftat oder eine Steuerordnungswidrigkeit offenbaren muss (BVerfG wistra 1988, 302).
Dies gilt auch für die Berichtigungspflicht nach vorangegangenem sanktionsbewehrtem Fehlverhalten. Denn durch eine Selbstanzeige kann der Steuerpflichtige regelmäßig Straf- bzw. Sanktionsfreiheit erlangen (§ 371, § 378 Abs. 3 AO). Er befindet sich dann nicht in einer unauflösbaren Konfliktlage, die im Hinblick auf den Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare" und das in § 393 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO normierte Zwangsmittelverbot der steuerrechtlichen Berichtigungspflicht entgegenstehen könnte. Von Bedeutung ist dabei, dass auch in der Einreichung einer wahrheitsgemäßen Umsatzsteuerjahreserklärung im Verhältnis zu den zuvor unterlassenen oder unzutreffenden Umsatzsteuervoranmeldungen eine Selbstanzeige liegen kann, ohne dass es ausdrücklich eines entsprechenden Hinweises bedarf (BGH wistra 1999, 27; 1991, 223, 225); die Abgabe getrennter Selbstanzeigen bezogen auf die von den Pflichtverstößen betroffenen Umsatzsteuervoranmeldungen ist nicht erforderlich (vgl. Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 371 AO Rdn. 69).
Soweit Fälle eines unzumutbaren Zwangs zur Selbstbelastung verbleiben, etwa weil wegen des Vorliegens eines Sperrgrundes (vgl. § 371 Abs. 2, § 378 Abs. 3 Satz 1 AO) eine wirksame Selbstanzeige ausgeschlossen ist, kann diesem Umstand bei einer vorangegangenen Steuerordnungswidrigkeit gemäß § 378 AO im Rahmen der Anwendung des § 47 OWiG Rechnung getragen werden (vgl. BVerfG wistra 1988, 302; vgl. auch OLG Hamm NJW 1959, 1504 ), bei einer (bedingt) vorsätzlich begangenen Steuerstraftat durch Annahme eines Beweismittelverwertungs- oder Verwendungsverbots (vgl. BVerfGE 56, 37; BGH wistra 2005, 148; vgl. auch die Regelung in § 97 Abs. 1 Satz 2 InsO).
Lediglich für den Fall, dass dem Täter einer Steuerhinterziehung im Hinblick auf die Umsatzsteuervoranmeldungen die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben worden ist, hat der Bundesgerichtshof bislang im Hinblick darauf, dass sich die Erklärungspflicht auf dieselbe Steuerart und denselben Besteuerungszeitraum bezieht, für die Dauer des Steuerstrafverfahrens eine Suspendierung der Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung angenommen (BGHSt 47, 8, 14 ; s. o. unter II.2.).
Für die sich aus § 153 AO ergebende Pflicht zur Berichtigung mit bedingtem Hinterziehungsvorsatz abgegebener Umsatzsteuervoranmeldungen gilt dies - bei dieser Fallgestaltung (Bekanntgabe der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens) - entsprechend. Ist eine wirksame Selbstanzeige aber lediglich deshalb nicht möglich, weil der Steuerpflichtige nicht in der Lage ist, die hinterzogenen Steuern innerhalb einer angemessenen Frist nachzuentrichten (§ 371 Abs. 3 AO; vgl. dazu BVerfG wistra 1988, 302), kommt eine derartige Suspendierung der Strafbewehrung der steuerlichen Berichtigungspflicht jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige bei pflichtgemäßer und rechtzeitiger Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten zur Zahlung noch in der Lage gewesen wäre. Denn der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit gebietet nicht, den Steuerhinterzieher gegenüber anderen Steuerpflichtigen besser zu stellen, nur weil er auch Steuerstraftäter ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Hinterziehung von Umsatzsteuer untreueähnlichen Charakter hat, weil der Unternehmer die Umsatzsteuer letztlich nur für den Steuerfiskus verwaltet.
7.
Die Nichterfüllung der danach bestehenden Anzeige- und Berichtigungspflicht des § 153 AO ist als Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) zu bestrafen. Geht dieser Tat eine bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung durch aktives Tun voraus, weil der Täter bei der Abgabe der Ursprungserklärung die Unrichtigkeit seiner Angaben billigend in Kauf genommen hat, sind beide Gesetzesverstöße Teil derselben Tat im prozessualen Sinne gemäß § 264 StPO (vgl. auch BGH wistra 2005, 66, 67 ; 2008, 22, 25 f.). Ob - anders als im Verhältnis von unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldung und nicht abgegebener Umsatzsteuerjahreserklärung (vgl. dazu das Senatsurteil vom heutigen Tag im Verfahren 1 StR 627/08 m.w.N.) - die der Steuerhinterziehung durch aktives Tun nachfolgende Unterlassungstat eines Verstoßes gegen § 153 AO als mitbestrafte Nachtat zurücktritt oder - etwa wegen des in einem direkten Hinterziehungsvorsatz zum Ausdruck kommenden höheren Schuldgehalts - als eigenständige Tat im materiellen Sinn zur vorangegangenen Steuerhinterziehung in Tatmehrheit steht, braucht der Senat hier nicht zu entscheiden.
8.
Für den vorliegenden Fall gilt Folgendes:
a)
Die auf § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gestützte Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen hält bereits deswegen rechtlicher Nachprüfung stand, weil der Angeklagte pflichtwidrig für das Jahr 2002 schon keine Umsatzsteuerjahreserklärung abgegeben hat. Denn nach den Urteilsfeststellungen unterließ der Angeklagte die Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2002, um sich die durch die Erklärung zu niedriger Umsätze erzielten "Steuervorteile" auf Dauer zu sichern (UA S. 11). Der Frage, ob der Angeklagte die unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen gemäß § 153 AO zu berichtigen hatte, kommt daher für die Erfolgsaussichten seiner Revision keine Bedeutung mehr zu.
b)
Eine von der Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung unabhängige strafbewehrte Berichtigungspflicht gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO hätte freilich jedenfalls dann bestanden, wenn der Angeklagte - entgegen der Überzeugung der Strafkammer (UA S. 10, 14) - bereits bei Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 2002 billigend in Kauf genommen hätte, dass die Voranmeldungen unrichtig waren. Denn er hat die Unrichtigkeit nachträglich erkannt. Den Urteilsfeststellungen ist trotz missverständlicher Formulierungen noch mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass der Angeklagte jedenfalls dann, als er den Entschluss fasste, für das Jahr 2002 keine Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben, um sich die durch die Anmeldung zu niedriger Umsätze erzielten "Steuervorteile" auf Dauer zu sichern (UA S. 11), die Unrichtigkeit der Umsatzsteuervoranmeldungen erkannt hat.
Ohne Auswirkungen auf eine eventuelle Berichtigungspflicht des Angeklagten war auch der Umstand, dass von den Finanzbehörden im Hinblick auf das Jahr 2003 eine Umsatzsteuer-Nachschau und daran anschließend eine Außenprüfung durchgeführt wurde. Denn die Außenprüfung wurde erst mit Anordnung vom auf den Voranmeldungszeitraum 2002 erstreckt. Als der Angeklagte von der Unrichtigkeit der Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 2002 Kenntnis erlangte, hatten die Finanzbehörden noch keine Kenntnis von der Unrichtigkeit der für das Jahr 2002 eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen. Damit hätte für den Angeklagten - im Fall bedingt vorsätzlich abgegebener unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen - im Hinblick auf die Berichtigungspflichten keine rechtlich relevante Konfliktsituation bestanden, weil er mit der Berichtigung der unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 2002 jedenfalls gemäß § 371 AO auch Straffreiheit für die zuvor begangene Steuerhinterziehung hätte erlangen können. Die Umsatzsteuer-Nachschau im Sinne von § 27b UStG, die sich auf das Jahr 2003 bezog, stellte für den Besteuerungszeitraum 2002 bereits keine steuerliche Prüfung im Sinne von § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO dar (vgl. dazu auch Kemper in Rolletschke/Kemper aaO § 371 AO Rdn. 43d).
Fundstelle(n):
AO-StB 2009 S. 231 Nr. 8
BB 2009 S. 1903 Nr. 36
BFH/NV 2009 S. 1389 Nr. 8
BFH/NV 2009 S. 1391 Nr. 8
DB 2009 S. 1236 Nr. 23
KÖSDI 2009 S. 16676 Nr. 10
NWB-Eilnachricht Nr. 29/2009 S. 2225
StBp. 2011 S. 24 Nr. 1
wistra 2009 S. 312 Nr. 8
wistra 2009 S. 315 Nr. 8
VAAAD-22263
1Nachschlagewerk: ja