Anwendung des § 1 Absatz 2c GrEStG
1. Allgemeines
Mit dem Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) vom (BGBl I S. 986) wurde in Ergänzung zu § 1 Absatz 2a und Absatz 2b GrEStG die Vorschrift des § 1 Absatz 2c GrEStG (sogenannte Börsenklausel) eingeführt. Danach bleiben bei der Ermittlung des Vomhundertsatzes im Sinne von § 1 Absatz 2a Satz 1 und Absatz 2b Satz 1 GrEStG Übergänge von Anteilen an Kapitalgesellschaften außer Betracht, wenn
die Anteile zum Handel an einem organisierten Markt nach § 2 Absatz 11 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) (vgl. Tz 3.3) oder an einem als gleichwertig anerkannten Drittlandhandelsplatz zugelassen sind (vgl. Tz 3.4) und
der Anteilsübergang auf Grund eines Geschäfts über einen begünstigten Wertpapierhandelsplatz erfolgt (vgl. Tz 3.6).
2. § 1 Absatz 2a oder Absatz 2b GrEStG
Bei der Prüfung der relevanten mittelbaren Gesellschafterwechsel im Sinne des § 1 Absatz 2a GrEStG oder bei der Prüfung der relevanten unmittelbaren und mittelbaren Gesellschafterwechsel im Sinne des § 1 Absatz 2b GrEStG ist für die Ermittlung des Vomhundertsatzes § 1 Absatz 2c GrEStG zu beachten.
3. Voraussetzungen des § 1 Absatz 2c GrEStG
Die Vorschrift des § 1 Absatz 2c GrEStG kommt in Betracht, wenn
Anteile an einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft unmittelbar übergehen (§ 1 Absatz 2b Satz 1 GrEStG) oder
Anteile an einer Kapitalgesellschaft übergehen, die an einer grundbesitzenden Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist (§ 1 Absatz 2a Satz 3 bis 5 oder § 1 Absatz 2b Satz 3 bis 5 GrEStG).
3.1 Anteile an Kapitalgesellschaften
Unter § 1 Absatz 2c GrEStG fallende Kapitalgesellschaften sind Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und vergleichbare ausländische Kapitalgesellschaften, deren Anteile an Wertpapierhandelsplätzen zugelassen werden können. Bei diesen Anteilen handelt es sich regelmäßig um Aktien (vgl. beispielweise §§ 8 ff. Aktiengesetz).
Keine Anteile im Sinne des § 1 Absatz 2c GrEStG sind Wertpapiere, die sich lediglich auf die Anteile an einer Kapitalgesellschaft beziehen ohne das Eigentum an diesen Anteilen zu vermitteln. Hierzu gehören beispielsweise American Depositary Receipts (ADR).
3.2 Zum Handel zugelassene Anteile
Von § 1 Absatz 2c GrEStG werden nur solche Anteile an Kapitalgesellschaften erfasst, die zugelassen sind zum Handel an einem
organisierten Markt nach § 2 Absatz 11 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) oder
einem gleichwertigen Drittlandhandelsplatz.
Der Umfang von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die zum Handel zugelassen sind, hängt von der Entscheidung der Kapitalgesellschaft ab sowie vom Recht, das für den Wertpapierhandelsplatz maßgebend ist. Zum Handel zugelassene Anteile lassen sich über die Wertpapierhandelsplätze, an denen eine Zulassung erfolgt ist, identifizieren.
Anteile einer Kapitalgesellschaft können dabei an verschiedenen Wertpapierhandelsplätzen gehandelt werden. § 1 Absatz 2c GrEStG greift jedoch nur dann, wenn die Anteile an mindestens einem Wertpapierhandelsplatz zum Handel zugelassen wurden.
3.3 Organisierter Markt nach § 2 Absatz 11 WpHG
Organisierter Markt ist ein im Inland, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum betriebenes oder verwaltetes, durch staatliche Stellen genehmigtes, geregeltes und überwachtes multilaterales (mehrseitiges) System, das die Interessen einer Vielzahl von Personen am Kauf und Verkauf von dort zum Handel zugelassenen Finanzinstrumenten innerhalb des Systems und nach nicht diskretionären (nicht dem Ermessen des Agierenden überlassenen) Bestimmungen in einer Weise zusammenbringt oder das Zusammenbringen fördert, die zu einem Vertrag über den Kauf dieser Finanzinstrumente führt.
In Deutschland stellt der regulierte Markt an einer Börse einen organisierten Markt nach § 2 Absatz 11 WpHG dar. Die wichtigste Wertpapierbörse in Deutschland befindet sich in Frankfurt am Main. Weitere regionale Wertpapierbörsen existieren in Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, München und Stuttgart.
Keine organisierten Märkte nach § 2 Absatz 11 WpHG stellen multilaterale Handelssysteme (MTF) im Sinne des Artikel 2 Absatz 1 Nummer 14 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 dar. MTF unterscheiden sich von organisierten Märkten formal dadurch, dass sie nicht als organisierter Markt öffentlich-rechtlich genehmigt, geregelt und überwacht werden. In Deutschland stellt der Freiverkehr (§ 48 des Börsengesetzes) ein MTF dar, an dem Wertpapiere nicht öffentlich-rechtlich zum Handel zugelassen, sondern auf privatrechtlicher Grundlage einbezogen werden.
3.4 Gleichwertiger Drittlandhandelsplatz
Drittlandhandelsplätze können von der Europäischen Kommission als gleichwertig erklärt werden (vgl. die auf der Grundlage des Artikel 25 Absatz 4 Buchstabe a der Richtlinie 2014/65/EU erlassenen Durchführungsbeschlüsse). Bisher sind nur geregelte Märkte mit Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika (EU 2017/2320), Hongkong (EU 2017/2319) und Australien (EU 2017/2318) anerkannt.
Die Entscheidungen der Europäischen Kommission können sich ändern und sind daher im Besteuerungszeitpunkt auf den aktuellen Stand zu prüfen.
3.5 Handelsplätze in der Schweiz und im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland
Die Schweiz und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sind keine Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums.
Die Börsen in der Schweiz und im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland sind derzeit nicht als gleichwertiger Drittlandhandelsplatz anerkannt.
Der jeweilige Status kann sich ändern und ist daher im Besteuerungszeitpunkt auf den aktuellen Stand zu prüfen.
3.6 Geschäft an einem Markt nach § 1 Absatz 2c GrEStG
Der Anteilsübergang muss erfolgen auf Grund eines Geschäfts über
einen organisierten Markt,
einen gleichwertigen Drittlandhandelsplatz oder
ein MTF.
Käufer und Verkäufer müssen über einen solchen Wertpapierhandelsplatz in einer Weise zusammengebracht werden, die zu einem Vertrag über den Kauf der Anteile an einer Kapitalgesellschaft führt.
Nicht auf Grund eines Geschäfts über einen organisierten Markt, einen gleichwertigen Drittlandhandelsplatz oder ein MTF erfolgen in der Regel u.a.:
die erstmalige Ausgabe von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft bei Börsengang („initial public offering“ (IPO));
die Ausgabe neuer Anteile an einer Kapitalgesellschaft in Folge einer Kapitalerhöhung;
die Wertpapierleihe bzw. das Wertpapierdarlehen oder das Wertpapierpensionsgeschäft.
4. Anzeigepflicht
Gemäß § 19 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3a und Nummer 3b GrEStG sind von der grundbesitzenden Personengesellschaft bzw. Kapitalgesellschaft alle Rechtsvorgänge anzuzeigen, die zur Verwirklichung des Tatbestands des § 1 Absatz 2a bzw. Absatz 2b GrEStG geführt haben. Die Anzeigepflicht besteht bei Tatbestandsverwirklichung. Anteilsübergänge im Sinne des § 1 Absatz 2c GrEStG unterliegen dabei nicht der Anzeigepflicht, da sie bei der Ermittlung des Vomhundertsatzes nicht zu berücksichtigen sind.
Führt die Nichtberücksichtigung von Anteilsübergängen nach § 1 Absatz 2c GrEStG dazu, dass das erforderliche Quantum von 90 % der Anteile nicht erreicht wird, besteht mangels Tatbestandsverwirklichung des § 1 Absatz 2a bzw. Absatz 2b GrEStG keine Anzeigepflicht.
5. Zeitlicher Anwendungsbereich
Dieser Erlass ist auf alle offenen Fälle anzuwenden.
Inhaltlich gleichlautend
Oberste Finanzbehörden der
Länder v. - S 4501
Ministerium für Finanzen
Baden-Württemberg - FM3 - S
4501-1/4
Bayerisches Staatsministerium der Finanzen
und für Heimat - 34 - S
4501-1/41
Senatsverwaltung für Finanzen
Berlin - S 4501 -
2/2022-1
Ministerium der Finanzen des Landes
Brandenburg - 31 - S
4501/22#01#04
Der Senator für Finanzen der Freien
Hansestadt Bremen - S
4501-1/2014-7/2021-13-5
Finanzbehörde der Freien und Hansestadt
Hamburg - S 4501 -
2022/009-53
Hessisches Ministerium der
Finanzen - S 4500
A-095-II6
Finanzministerium
Mecklenburg-Vorpommern - IV - S
4501-00000-2013/008-027
Niedersächsisches
Finanzministerium - S
4501-125-351
Ministerium der Finanzen des Landes
Nordrhein-Westfalen - S
4501-6/200-3402-V A 6
Ministerium der Finanzen
Rheinland-Pfalz - S
4501#2021/0018 - 0401 446
Ministerium für Finanzen und Europa
Saarland - S
4501-12#001
Sächsisches Staatsministerium der
Finanzen - 35 - S
4501/52/17-2022/65538
Ministerium der Finanzen des Landes
Sachsen-Anhalt - 43 - S 4501 -
92
Finanzministerium des Landes
Schleswig-Holstein - VI 355 - S
4501-068
Thüringer
Finanzministerium - 1040 - 22 - S
4501/39-1
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2022 I Seite 1451
OAAAJ-25921