BFH Urteil v. - VIII R 22/15 BStBl 2019 II S. 576

Besteuerung von Stückzinsen nach Einführung der Abgeltungsteuer

Leitsatz

Die Übergangsregelung des § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 (nunmehr § 52 Abs. 28 Satz 16 Halbsatz 2 EStG) führt bei der Besteuerung von Stückzinsen im Veranlagungszeitraum 2010 nicht zu einer unechten Rückwirkung, da sie lediglich die bereits bestehende Rechtslage klarstellt (Anschluss an ).

Gesetze: EStG § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7; EStG § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 2 i.d.F. des JStG 2010;

Instanzenzug: (EFG 2015, 1367),

Tatbestand

I.

1 Streitig ist die Besteuerung von Stückzinsen aus der Veräußerung einer vor dem angeschafften Kapitalforderung.

2 Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und wurden im Streitjahr (2010) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger veräußerte im Streitjahr festverzinsliche Wertpapiere, die er im Jahr 2008 erworben hatte. Hieraus flossen ihm im Streitjahr offen ausgewiesene Stückzinsen in Höhe von 15.948,29 € zu. Kapitalertragsteuer wurde bei dem Verkauf nicht einbehalten. Im Einkommensteuerbescheid für 2010 unterwarf der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) die Stückzinsen und weitere Kapitalerträge dem Abgeltungsteuersatz gemäß § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG). Durch Bescheid vom änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzung für 2010 in hier nicht streitigen Punkten. Das Finanzgericht (FG) hat nach erfolglosem Einspruchsverfahren die hiergegen erhobene Klage mit Urteil vom  - 4 K 39/13 (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2015, 1367) abgewiesen.

3 Mit ihrer Revision machen die Kläger geltend, dass die Stückzinsen als Ertrag aus der Veräußerung von Wertpapieren, die vor dem angeschafft worden seien, nach § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 1 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 2009 vom (BGBl I 2008, 2794) nicht der Besteuerung unterliegen. Die durch das JStG 2010 vom (BGBl I 2010, 1768) eingeführte Ergänzung in § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 2 EStG führe zu einer verfassungswidrigen unechten Rückwirkung. Rechtfertigende Gründe für eine nachträgliche einkommensteuerliche Belastung lägen nicht vor.

4 Die Kläger beantragen,

die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2010 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahingehend zu ändern, dass Stückzinsen in Höhe von 15.948,29 € nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen besteuert werden und die Einkommensteuer entsprechend niedriger festzusetzen.

5 Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Gründe

II.

6 Während des Revisionsverfahrens ist aufgrund der Neufassung der Finanzämter-Zuständigkeitsverordnung des Landes Schleswig-Holstein das Finanzamt A aufgelöst und für dessen ehemaligen Zuständigkeitsbereich das neu errichtete Finanzamt B zuständig geworden. Es ist damit ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel auf der Beklagtenseite eingetreten. Das Rubrum des Verfahrens war entsprechend zu ändern (, BFH/NV 2015, 306, Rz 15).

III.

7 Die Revision ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die bei der Veräußerung der Wertpapiere im Streitjahr erzielten Stückzinsen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG i.V.m. § 52a Abs. 10 Satz 6 EStG der Besteuerung unterliegen (unten 1.). Dies gilt nach der Übergangsregelung des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2010 auch dann, wenn die veräußerte Forderung vor dem erworben wurde (unten 2.). Die Ergänzung der Übergangsvorschrift durch die Einfügung einer Rückausnahme für die Besteuerung von Stückzinsen in § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 2 EStG durch das JStG 2010 führt nicht zu einer verfassungswidrigen unechten Rückwirkung, sondern hat nur deklaratorischen Charakter (unten 3.).

8 1. Die streitgegenständlichen Stückzinsen sind im Streitjahr steuerbare Kapitaleinkünfte i.S. von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. § 52a Abs. 10 Satz 6 EStG.

9 a) Stückzinsen sind das vom Erwerber an den Veräußerer der Kapitalforderung gezahlte Entgelt für die auf den Zeitraum bis zur Veräußerung entfallenden Zinsen des laufenden Zinszahlungszeitraums (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG i.d.F. des JStG 2007 vom , BGBl I 2006, 2878). Sie sind als Teil des Gewinns aus der Veräußerung sonstiger Kapitalforderungen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG steuerbar (BTDrucks 16/4841, 56; ganz herrschende Auffassung, vgl. , EFG 2012, 2284 Rz 20; , BStBl I 2016, 85, Rz 50; Jachmann/Lindenberg in Lademann, EStG, § 20 EStG Rz 401; Schmidt/Levedag, EStG, 38. Aufl., § 20 Rz 184; a.A. Harenberg/Zöller, Abgeltungsteuer 2010, 2. Aufl., S. 57). Da nach der Einführung der Abgeltungsteuer durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom (BGBl I 2007, 1912) die traditionelle quellentheoretische Trennung von Vermögens- und Ertragsebene für Einkünfte aus Kapitalvermögen aufgegeben wurde (vgl. Senatsurteil vom  - VIII R 13/15, BFHE 259, 535, Rz 11, m.w.N.), bedarf es keines Sondertatbestandes mehr für die Besteuerung der Stückzinsen. Diese fallen unter den Veräußerungstatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG.

10 b) Die Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG findet gemäß § 52a Abs. 10 Satz 6 EStG für alle nach dem zufließenden Kapitalerträge aus der Veräußerung sonstiger Kapitalforderungen Anwendung. Danach ist die Vorschrift für die im Streitjahr zugeflossenen Stückzinsen anwendbar.

11 2. Nach der Übergangsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 erfolgt die Besteuerung der Stückzinsen auch dann, wenn die veräußerte Forderung —wie im Streitfall— vor dem erworben wurde.

12 a) Zwar hat der Gesetzgeber in § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG die Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG für Kapitalerträge aus der Veräußerung von Kapitalforderungen, die vor dem erworben wurden, grundsätzlich ausgeschlossen. Mit Art. 1 Nr. 39 Buchst. b aa JStG 2010 hat er jedoch in § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 2 EStG eine Rückausnahme normiert, nach der für die bei der Veräußerung in Rechnung gestellten Stückzinsen Satz 6 der Vorschrift anzuwenden ist. Danach unterliegen alle nach dem zufließenden Stückzinsen der Besteuerung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG unabhängig davon, wann die Kapitalforderung erworben wurde.

13 b) Die Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG findet gemäß § 52a Abs. 10 Satz 6 EStG für alle nach dem zufließenden Kapitalerträge aus der Veräußerung sonstiger Kapitalforderungen Anwendung. Danach ist die Vorschrift auch für die im Streitjahr zugeflossenen Stückzinsen anwendbar.

14 3. Entgegen der Auffassung der Kläger führt die mit dem JStG 2010 normierte Rückausnahme in § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 nicht zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen unechten Rückwirkung. Die Änderung der Übergangsregelung hat, wie vom Gesetzgeber beabsichtigt (BTDrucks 17/2249, 64, und BTDrucks 17/3549, 6), lediglich deklaratorische Bedeutung, da Stückzinsen unabhängig davon, wann die veräußerte Kapitalforderung erworben wurde, stets der Besteuerung unterlagen. Die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Verbots rückwirkender Gesetze sind daher nicht anwendbar (vgl. , BVerfGE 135, 1, Rz 44 f.). Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Senatsurteil vom  - VIII R 31/15 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt) wird verwiesen.

15 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2019:U.070519.VIIIR22.15.0

Fundstelle(n):
BStBl 2019 II Seite 576
BB 2019 S. 2598 Nr. 44
BFH/NV 2019 S. 1269 Nr. 11
BFH/PR 2019 S. 321 Nr. 12
BStBl II 2019 S. 576 Nr. 16
DB 2019 S. 2057 Nr. 37
DStRE 2019 S. 1328 Nr. 21
EStB 2019 S. 393 Nr. 10
ErbStB 2020 S. 174 Nr. 6
ErbStB 2020 S. 3 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 39/2019 S. 2835
StB 2019 S. 283 Nr. 10
WPg 2019 S. 1060 Nr. 19
ZIP 2019 S. 73 Nr. 38
JAAAH-30128