Leitsatz
[1] Ein Rechtsanwalt kann die einfach zu erledigende Aufgabe der Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Telefax seinem geschulten und zuverlässig arbeitenden Büropersonal überlassen. Er braucht die Ausführung der erteilten Weisung nicht konkret zu überwachen oder zu kontrollieren.
Gesetze: ZPO § 85 Abs. 2; ZPO § 233 Fd
Instanzenzug: LG Hamburg, 312 O 934/05 vom OLG Hamburg, 5 U 118/06 vom
Gründe
I. Das Landgericht hat die auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichtete Klage mit dem am verkündeten Urteil abgewiesen. Gegen das ihr am zugestellte Urteil hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom , der am im Original bei der Gemeinsamen Annahmestelle beim Amtsgericht Hamburg eingegangen ist, Berufung eingelegt. Im Adressfeld trägt der Schriftsatz den fettgedruckten Zusatz "Vorab per Telefax: 040 ... ". Nach Darstellung der Klägerin ist eine Vorabversendung der Berufungsschrift per Telefax an das Berufungsgericht nicht erfolgt. Obwohl ein Sendebericht hinsichtlich der Versendung der Berufungsschrift an das Berufungsgericht nicht vorlag, wurde die Berufungsfrist im Fristenkalender von der für die Fristenkontrolle zuständigen Rechtsanwaltsfachangestellten des Prozessbevollmächtigten gestrichen.
Die Klägerin hat am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, die unterbliebene Vorabversendung der Berufungsschrift beruhe weder auf einem eigenen noch auf einem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten, sondern auf einem individuellen Fehler einer ansonsten zuverlässigen Rechtsanwaltsfachangestellten. Diese habe die Berufungsschrift versehentlich nicht vorab per Telefax an das Berufungsgericht gesandt. Entgegen der allgemeinen Kanzleianweisung habe sie vor Streichung der Berufungsfrist auch keinen Abgleich mit einem Faxprotokoll vorgenommen.
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses erstrebt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt.
II. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung abgelehnt, im Rahmen einer ordnungsgemäßen Kanzleiorganisation müsse sichergestellt werden, dass die angeordnete Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax auch tatsächlich ausgeführt werde. Denkbar sei eine Anweisung des Prozessbevollmächtigten, dass Faxprotokolle über die erfolgte Versendung fristwahrender Schriftsätze ihm stets persönlich vorgelegt werden müssten. Daran fehle es in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Die weitergehende Kontrolle durch den Prozessbevollmächtigten einer Partei müsste zumindest dann gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - der fristwahrende Schriftsatz erst am letzten Tag der Notfrist erstellt und an einen anderen Ort in Deutschland versandt werden solle.
III. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde haben Erfolg.
1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) geboten. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip), und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf der Zugang zu einer in der Verfahrensordnung vorgesehenen Instanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (, NJW-RR 2002, 1004; BGHZ 151, 221, 227; , FamRZ 2006, 192). Dies bedeutet, dass einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden darf, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen er auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Spruchkörpers nicht rechnen musste (BVerfG NJW-RR 2002, 1004).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geltenden Anforderungen an die anwaltliche Organisationspflicht in Bezug auf fristgebundene Schriftsätze überspannt.
a) Die Einhaltung der Berufungsfrist war an sich nicht gefährdet. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hatte den Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und dessen Übermittlung per Fax mittels einer allgemeinen Kanzleianweisung verfügt. Die einfach zu erledigende Aufgabe einer Telefaxübermittlung kann der Rechtsanwalt seinem Personal überlassen (, NJW-RR 2003, 935, 936; Beschl. v. - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368). Er braucht die Ausführung der erteilten Weisung nicht konkret zu überwachen oder zu kontrollieren (BGH NJW 2004, 367, 368).
Werden in dieser konkreten Situation weitere Sicherungsvorkehrungen von dem Prozessbevollmächtigten verlangt, führt dies zu einer Überspannung der gebotenen Sorgfaltsanforderungen. Denn solche Maßnahmen könnten nur in einer Beaufsichtigung des Übermittlungsvorgangs selbst oder in einer sofortigen Kontrolle unmittelbar nach Durchführung der Weisung bestehen. Dies kann allenfalls ganz ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. , NJW 2000, 3006), wenn ein geordneter Geschäftsbetrieb infolge besonderer Umstände nicht mehr gewährleistet ist (BGH NJW 2004, 367, 368). Solche Umstände hat das Berufungsgericht aber nicht festgestellt.
b) Ebenso wenig beruht die Streichung der Berufungsfrist im Fristenkalender auf einem der Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbaren Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten. Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Klägerin besteht in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten die allgemeine Anweisung, alle fristwahrenden Schriftsätze nach ihrer Unterzeichnung vorab per Telefax an das jeweils zuständige Gericht zu schicken. Anhand des Sendeberichtes ist dann zu prüfen, ob die Sendung vollständig beim richtigen Empfänger angekommen ist. Erst nach einer Kontrolle des Faxprotokolls darf die Frist im Fristenkalender gelöscht werden. Damit haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen, dass Fristen im Fristenkalender erst dann gestrichen oder mit einem Erledigungsvermerk versehen werden, wenn die fristwahrende Handlung auch tatsächlich erfolgt ist (vgl. , NJW 2006, 1519; Beschl. v. - XII ZB 32/07, NJW 2007, 2778 Tz. 6 m.w.N.). Die weisungswidrige Außerachtlassung der maßgeblichen Anordnungen durch eine bis dahin beanstandungsfrei arbeitende Rechtsanwaltsfachangestellte braucht sich die Klägerin nicht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO als Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen zu lassen.
c) Der Umstand, dass der fristwahrende Schriftsatz erst am letzten Tag der Berufungsfrist erstellt wurde, rechtfertigt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vorliegenden Fall ebenfalls keine andere Beurteilung. Ein Rechtsanwalt, der die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels bis zum letzten Tag ausschöpft, hat zwar wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (, NJW 1998, 2677, 2678; Beschl. v. - IV ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1502; Beschl. v. - XI ZB 45/04, NJW 2006, 2637 Tz. 8). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt daher nicht in Betracht, wenn von dem Rechtsanwalt nicht alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen wurden, die unter normalen Umständen zur Fristwahrung geführt hätten (BGH NJW 2006, 2637 Tz. 8). Die bei Ausnutzung einer Frist bis zum Ablauf des letzten Tages aufzuwendende erhöhte Sorgfalt geht aber nicht so weit, dass die Partei bzw. ihr Prozessbevollmächtigter damit rechnen muss, dass eine den Anforderungen genügende allgemeine Weisung von einer bis dahin zuverlässig arbeitenden Rechtsanwaltsfachangestellten weisungswidrig nicht ausgeführt wird.
d) Der Umstand, dass die auf dem Berufungsschriftsatz vermerkte Telefaxnummer des Berufungsgerichts unrichtig ist, ändert an der Beurteilung nichts. Denn es ist davon auszugehen, dass die Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten der Klägerin - wenn sie den Berufungsschriftsatz per Telefax übermittelt hätte - auf den Fehler aufmerksam geworden wäre. Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Klägerin sind die Kanzleimitarbeiter ihrer Prozessbevollmächtigten angewiesen, die Telefaxnummer anhand einer Liste abzugleichen, auf der die zutreffenden Nummern vermerkt sind. Auch insoweit sind die organisatorischen Vorkehrungen mithin ausreichend.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 324 Nr. 4
NJW-RR 2008 S. 1288 Nr. 18
StuB-Bilanzreport Nr. 19/2008 S. 773
JAAAC-79817
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja