Erstellung ärztlicher Rentengutachten nicht umsatzsteuerfrei
Leitsatz
Die Erstellung ärztlicher Gutachten, die der Vorbereitung der Entscheidung eines Versicherungsträgers über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit dienen sollen, ist auch dann nicht nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei, wenn in den Gutachten Möglichkeiten zur Rehabilitation geprüft werden.
Gesetze: UStG 1999 § 4 Nr. 14Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c
Instanzenzug: (EFG 2006, 1378)
Gründe
I.
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein Arzt, erstellte im September 2004 von einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung erbetene Gutachten über das Vorliegen, den Umfang und die Behandlungsmöglichkeiten von Erwerbsminderungen. Soweit diese Gutachten Grundlage für die Entscheidung des Versicherungsträgers über die Gewährung von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sein sollten (Rentengutachten), beurteilte sie der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) als umsatzsteuerpflichtig, während er Gutachten, die lediglich die medizinische oder berufliche Rehabilitation der Versicherten betrafen, als umsatzsteuerfrei ansah.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage gegen die Umsatzsteuerfestsetzung mit der Begründung ab, die Steuerbefreiung des richtlinienkonform auszulegenden § 4 Nr. 14 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) greife nicht ein. Der Hauptzweck der vom Kläger erstatteten Rentengutachten sei es gewesen, dem Rentenversicherungsträger eine Entscheidung darüber zu ermöglichen, ob die Versicherten Anspruch auf eine medizinische oder berufliche Rehabilitation oder auf eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung hätten. Der Kläger habe weder durch eigene Verordnung von Heil- oder Vorsorgemaßnahmen noch durch Empfehlung bestimmter derartiger Maßnahmen in die Heilbehandlung der Versicherten eingegriffen. Die Feststellungen zum positiven und negativen Leistungsbild hätten sich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bezogen; sie hätten nicht dem durch gesundheitliche Gründe veranlassten Schutz der Versicherten vor bestimmten Tätigkeiten, sondern nur der Entscheidungsfindung des Rentenversicherungsträgers gedient.
Ein Bezug zu einer steuerfreien Heilbehandlung ergebe sich auch nicht aus dem vom Kläger betonten rentenversicherungsrechtlichen Grundsatz Rehabilitation vor Rente. Bei diesem Grundsatz gehe es darum, einer Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Rehabilitationsmaßnahmen entgegenzuwirken und so (vorläufig) Rentenleistungen zu vermeiden. An dem Hauptzweck der Rentengutachten, die Entscheidung des Versicherungsträgers über die Bewilligung von Renten vorzubereiten, ändere sich dadurch nichts. Soweit das Gutachten einem Versicherten auf Verlangen ausgehändigt worden sei und dieser es einem behandelnden Arzt vorgelegt habe, hätten die darin enthaltenen Feststellungen zwar einer konkreten Heilbehandlung zugrunde gelegt werden können. Der Hauptzweck der Rentengutachten sei dadurch aber nicht berührt worden. Gleiches gelte auch, wenn einzelne Versicherte vor der Untersuchung durch den Kläger sich nicht bereits in einschlägiger ärztlicher Behandlung befunden haben sollten. Die ärztliche Behandlung der Versicherten durch den Kläger hätte auch in diesem Fall nicht im Vordergrund gestanden.
Der Kläger stützt seine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision auf Verfahrensmängel und grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet. Soweit der Kläger Gründe für eine Zulassung der Revision den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechend dargelegt hat, liegen sie nicht vor.
1. Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO)
a) Es liegt kein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO) vor. Wie sich aus dem Tatbestand und aus den Entscheidungsgründen der Vorentscheidung ergibt, hat das FG das Vorbringen des Klägers zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör wurde dadurch gewahrt. Dieser Anspruch verpflichtet das Gericht nur dazu, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht aber auch dazu, der Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch einen Beteiligten, wie der Kläger mit seiner Rüge, das FG hätte den „unmittelbaren” Krankheitsbezug würdigen sollen, meint, zu folgen (, BFH/NV 2006, 254).
b) Dass das FG seine richterliche Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) verletzt habe, hat der Kläger nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend dargelegt. Das Unterlassen richterlicher Hinweise stellt bei Beteiligten, die wie der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen fach- und sachkundigen Prozessbevollmächtigten, wie etwa einen Rechtsanwalt, vertreten werden, regelmäßig keine Verletzung der Pflichten aus § 76 Abs. 2 FGO dar, es sei denn, es würden besondere Umstände, die eine Ausnahme von dieser Regel erforderten, dargelegt (, BFH/NV 2006, 1507, m.w.N.). Solche besonderen Umstände hat der Kläger nicht vorgebracht. Das FG ist nicht verpflichtet, die Verfahrensbeteiligten über seine vorläufige Würdigung des Streitfalls zu unterrichten. Eine allgemeine Hinweispflicht besteht nämlich nicht (, BFH/NV 2005, 1596, m.w.N.).
2. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO)
Der Kläger sieht folgende Rechtsfrage als in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig an:
Sind § 4 Nr. 14 UStG und Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG —Richtlinie 77/388/EWG— (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 145, 1) so auszulegen, dass nur solche ärztliche Maßnahmen unter die Steuerbefreiung fallen, für die positiv feststeht, dass ihr Hauptziel der Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit ist, oder ist auch die Erstellung ärztlicher Gutachten in einem Rentenverfahren von der Umsatzsteuer befreit, wenn diese Gutachten auch die Prüfung etwaiger Rehabilitationsmöglichkeiten zum Gegenstand haben?
Diese Frage verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die für die Beurteilung maßgebenden Grundsätze sind in der Rechtsprechung bereits geklärt. Das FG hat diese Grundsätze auf den von ihm festgestellten Sachverhalt zutreffend angewendet.
a) Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG sind u.a. die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt von der Umsatzsteuer befreit. Diese Vorschrift ist richtlinienkonform unter Berücksichtigung des Befreiungszwecks auszulegen (, BFHE 210, 188, BStBl II 2005, 675, und vom V R 7/05, BFH/NV 2006, 2387). Steuerbefreit sind nur Tätigkeiten, die zum Zweck der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bei Menschen vorgenommen werden. Nicht befreit sind Leistungen, die sich nicht als „heilberufliche Tätigkeiten” qualifizieren lassen, auch wenn sie eine bestimmte heil- oder heilhilfsberufliche Ausbildung voraussetzen. Maßgebend ist daher das Ziel einer ärztlichen oder arztähnlichen Leistung. Wird eine solche Leistung in einem Zusammenhang erbracht, der die Feststellung zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit ist, findet die Befreiung keine Anwendung. Dass die betreffende Leistung von einer Person erbracht wird, die die für Heilbehandlungen erforderlichen beruflichen Voraussetzungen erfüllt, und dass die Person sich derselben Methoden wie bei Heilbehandlungen bedient, reicht ebenso wenig aus wie der Umstand, dass die mit einem anderen Hauptzweck vorgenommene Tätigkeit zugleich auch zum Schutz der Gesundheit des Betroffenen beitragen kann (BFH-Urteil in BFHE 210, 188, BStBl II 2005, 675).
b) Diese Rechtsprechung des BFH beruht auf der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG. Die in dieser Richtlinienbestimmung vorgesehene Steuerbefreiung ist eng auszulegen. Nicht sämtliche Leistungen, die im Rahmen der Ausübung ärztlicher oder arztähnlicher Berufe erbracht werden können, werden von der Steuer befreit, sondern nur die Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin. Vom Begriff der Heilbehandlungen nicht erfasst werden solche ärztliche Maßnahmen, die zu einem anderen Zweck als dem der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen vorgenommen werden.
Wird eine ärztliche Leistung in einem Zusammenhang erbracht, der die Feststellung zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit ist, sondern die Erstattung eines Gutachtens, das Voraussetzung einer Entscheidung ist, die Rechtswirkungen erzeugt, so findet die Steuerbefreiung auf diese Leistung keine Anwendung.
Die Vorentscheidung beruht auf diesen Grundsätzen. Die fraglichen Leistungen dienten der Erstellung von Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung. Der Rentenversicherungsträger entschied mit Hilfe dieser Gutachten darüber, ob die Versicherten Anspruch auf Rehabilitationsmaßnahmen oder auf Rente hatten.
Besteht die Leistung in der Erstellung eines ärztlichen Gutachtens dieser Art, ist das Hauptziel, auch wenn die Erbringung der Leistung Anforderungen an die medizinische Kompetenz des Erbringers stellt und für den Arztberuf typische Tätigkeiten wie die körperliche Untersuchung des Patienten oder die Prüfung seiner Krankheitsgeschichte umfassen kann, nicht der Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit der Person, über die das Gutachten erstellt wird. Das Gutachten soll vielmehr einem Dritten den Erlass einer Entscheidung ermöglichen, die gegenüber dem Betroffenen oder anderen Personen Rechtswirkungen erzeugt. Ein mittelbarer Beitrag zum Schutz der Gesundheit des Betroffenen, etwa indem ein neues gesundheitliches Problem entdeckt oder eine frühere Diagnose berichtigt wird, führt hierbei nicht zur Steuerbefreiung. Es bleibt nämlich auch in diesem Fall der Hauptzweck der Leistung, eine gesetzlich oder vertraglich vorgesehene Bedingung für die Entscheidungsfindung eines anderen zu erfüllen. Für eine solche Leistung gilt die Steuerbefreiung nicht.
Die Belastung mit Umsatzsteuer steht im Hinblick auf das Ziel dieser Leistungen nicht in Widerspruch zu dem Zweck, die Kosten ärztlicher Heilbehandlungen zu senken und den Einzelnen den Zugang zu diesen Leistungen zu erleichtern ( —Margarete Unterpertinger—, Slg. 2003, I-13859, BFH/NV Beilage 2004, 111 Rz 34 ff., und vom C-307/01 —Peter d' Ambrumenil—, Slg. 2003, I-13989, BFH/NV Beilage 2004, 115 Rz 52 ff.).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BStBl 2008 II Seite 35
BB 2007 S. 2053 Nr. 38
BFH/NV 2007 S. 2033 Nr. 10
BStBl II 2008 S. 35 Nr. 1
DB 2007 S. 2125 Nr. 39
DStRE 2008 S. 107 Nr. 2
DStZ 2007 S. 642 Nr. 20
GStB 2007 S. 39 Nr. 10
HFR 2007 S. 1138 Nr. 11
NWB-Eilnachricht Nr. 37/2007 S. 3220
StB 2007 S. 366 Nr. 10
StuB-Bilanzreport Nr. 19/2007 S. 750
UR 2007 S. 735 Nr. 19
UStB 2007 S. 277 Nr. 10
UVR 2007 S. 357 Nr. 12
CAAAC-54150