Umgekehrte Familienheimfahrten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung
Leitsatz
Tritt der den doppelten Haushalt führende Ehegatte die wöchentliche Familienheimfahrt aus privaten Gründen nicht an, sind die Aufwendungen für die stattdessen durchgeführte Besuchsfahrt des anderen Ehegatten zum Beschäftigungsort keine Werbungskosten.
Gesetze: GG Art. 6EStG § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 5
Instanzenzug: (EFG 2010, 1683) (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
I.
1Streitig ist, ob Werbungskosten auch dann vorliegen, wenn der am Familienwohnsitz lebende Ehegatte zu der im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung unterhaltenen Wohnung des anderen Ehegatten reist.
2Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), Eheleute, leben in A und wurden in den Streitjahren (2003 und 2004) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist in A selbständig tätig. Die Klägerin, für die vom Versorgungsamt ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt ist, war als leitende Angestellte bei der X-Versicherung in B nichtselbständig beschäftigt. Sie bewohnte in B eine Eigentumswohnung. An den Wochenenden reiste die Klägerin entweder mit dem Kfz oder dem Flugzeug nach A. Der Kläger besuchte die Klägerin ebenfalls mehrfach in B.
3In den Streitjahren machte die Klägerin Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung in B geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte die Aufwendungen für Unterkunfts-, Fahrt- und Flugkosten der Klägerin. Es erkannte allerdings die als Werbungskosten geltend gemachten Aufwendungen des Klägers für dessen Reisen nach B nicht an. Der Einspruch blieb erfolglos.
4Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1683 veröffentlichten Gründen ab.
5Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
6Sie beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 2003 vom in der Form der Einspruchsentscheidung vom und den Einkommensteuerbescheid 2004 vom in der Form der Einspruchsentscheidung vom dergestalt zu ändern, dass weitere Werbungskosten für 2003 in Höhe von 5.438,79 € und für 2004 in Höhe von 1.094,33 € berücksichtigt werden.
7Das FA beantragt,
die Revision gegen das zurückzuweisen.
II.
8Der Senat entscheidet gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss. Er hält die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind vorher darüber unterrichtet worden; sie hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
9Das FG hat zutreffend die Besuchsfahrten des Klägers zum Beschäftigungsort der Klägerin nicht als Werbungskosten zum Abzug zugelassen.
10a) Nach der Rechtsprechung des Senats sind Werbungskosten sämtliche Aufwendungen, die durch den Beruf des Steuerpflichtigen veranlasst sind (z.B. Urteil vom VI R 175/99, BFHE 195, 225, BStBl II 2001, 585, m.w.N.). Eine solche Veranlassung liegt vor, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und wenn die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden (, BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407, m.w.N.). Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören zu den Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird. Aufwendungen für die Wege vom Beschäftigungsort zum Ort des eigenen Hausstandes und zurück (Familienheimfahrten) können jeweils nur für eine Familienheimfahrt wöchentlich abgezogen werden (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG).
11b) Nach diesen Grundsätzen ist das FG im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin keine Werbungskosten durch die Besuche ihres Ehemannes in B entstanden sind.
12aa) Die Reisen des Klägers sind keine Familienheimfahrten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG. Der Wortlaut der Norm erfasst nicht den Fall der Besuchsreise des Klägers vom Familienwohnsitz an den Beschäftigungsort der Klägerin.
13bb) Die Aufwendungen des Klägers für Reisen nach B sind auch keine Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Denn sie sind nicht beruflich veranlasst. Das FG hat festgestellt, dass die Klägerin die Familienheimfahrten aus privaten Gründen nicht angetreten hat. An diese Feststellungen ist der Senat gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Aufgrund dessen kann der Senat dahinstehen lassen, ob dann, wenn der den zweiten Haushalt führende Ehegatte aus beruflichen Gründen die wöchentliche Familienheimfahrt nicht antreten kann, die Fahrtkosten des Besuchenden beruflich veranlasste Aufwendungen des Besuchten sind (vgl. bisherige , BFHE 137, 496, BStBl II 1983, 313; vom VI 14/65 U, BFHE 84, 207, BStBl III 1966, 75; vom VI R 201/72, BFHE 113, 444, BStBl II 1975, 64).
14cc) Etwas anders gebietet auch nicht der Schutz der Ehe aus Art. 6 des Grundgesetzes (GG). Danach hat der Gesetzgeber Regelungen zu unterlassen, die geeignet sind, in die freie Entscheidung der Ehegatten über ihre Aufgabenverteilung in der Ehe einzugreifen (, BVerfGE 66, 84). Art. 6 GG erfordert, Aufwendungen im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung bei der Bemessung der finanziellen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen, soweit es sich dabei um notwendigen Mehraufwand beiderseits berufstätiger Ehegatten handelt, der dadurch entsteht, dass ein gemeinsamer Wohnsitz an dem Beschäftigungsort des einen Ehegatten besteht und daneben ein weiterer Wohnsitz wegen der Berufstätigkeit des anderen Ehegatten unterhalten wird (, BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534). Der Gesetzgeber darf daher notwendigem Mehraufwand nicht wegen einer privaten Mitveranlassung den Abzug versagen. Anders als reine private Aufwendungen sind derartige, durch die Berufstätigkeit des Ehegatten veranlasste Aufwendungen für die Eheleute nicht frei disponibel (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534).
15Der Gesetzgeber hat dem Schutz der Ehe mit der bestehenden Regelung ausreichend Rechnung getragen. Seine Entscheidung, dass nur die Fahrten vom Beschäftigungsort zum Lebensmittelpunkt (Familienheimfahrten) Werbungskosten sind, verletzt nicht Art. 6 GG. Denn es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG nur die Fahrten zu diesem Lebensmittelpunkt, dem gemeinsamen Familienwohnsitz, als den beiderseits berufstätigen Ehegatten notwendig entstanden beurteilt. Eine Reise an den Beschäftigungsort des Ehegatten ist ungeachtet der doppelten Haushaltsführung eine private Wochenendreise.
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Fundstelle(n):
BStBl 2011 II Seite 456
BB 2011 S. 789 Nr. 13
BBK-Kurznachricht Nr. 10/2011 S. 461
BFH/NV 2011 S. 903 Nr. 5
BFH/PR 2011 S. 215 Nr. 6
BStBl II 2011 S. 456 Nr. 9
DB 2011 S. 23 Nr. 12
DB 2011 S. 6 Nr. 12
DB 2011 S. 687 Nr. 12
DStR 2011 S. 562 Nr. 12
DStR 2011 S. 8 Nr. 12
DStRE 2011 S. 460 Nr. 7
DStZ 2011 S. 302 Nr. 9
EStB 2011 S. 137 Nr. 4
FR 2011 S. 619 Nr. 13
HFR 2011 S. 540 Nr. 5
KÖSDI 2011 S. 17379 Nr. 4
NJW 2011 S. 1839 Nr. 25
NJW 2011 S. 8 Nr. 20
NWB-Eilnachricht Nr. 13/2011 S. 1032
StB 2011 S. 138 Nr. 5
StBW 2011 S. 291 Nr. 7
StC 2011 S. 7 Nr. 6
StuB-Bilanzreport Nr. 8/2011 S. 317
BAAAD-78888