BGH Beschluss v. - 4 StR 227/22

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung: Wegfall der mit der Vorverurteilung verbundenen Zäsur bei vollständiger Erledigung einer Geldstrafe

Gesetze: § 55 Abs 1 StGB

Instanzenzug: LG Detmold Az: 23 KLs 22/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten „unter Einbeziehung des Urteils“ einer Berufungsstrafkammer wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung, Diebstahls, Sachbeschädigung und Beleidigung in neun Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Zudem hat es ihn wegen Missbrauchs von Notrufen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Das Rechtsmittel ist aufgrund der von der Strafkammer bewilligten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Revisionseinlegungsfrist als zulässig zu behandeln. Obgleich das Landgericht für diese Entscheidung gemäß § 46 Abs. 1 StPO nicht zuständig war, ist sie für das weitere Revisionsverfahren bindend (vgl. Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 46 Rn. 7 mwN).

32. Der Senat stellt das Verfahren wie vom Generalbundesanwalt beantragt gemäß § 206a Abs. 1 StPO in den Fällen II. 8. und 9. der Urteilsgründe ein, in denen der Angeklagte jeweils wegen Beleidigung verurteilt worden ist. Insoweit fehlt es bei den absoluten Antragsdelikten (§ 194 Abs. 1 Satz 1 StGB) an einem fristgerechten Strafantrag der Verletzten. Die teilweise Einstellung des Verfahrens wegen dieses Verfahrenshindernisses führt zur entsprechenden Änderung des Schuldspruchs.

43. Der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe hat keinen Bestand, ohne dass hierfür der Wegfall von zwei Einzelstrafen maßgebend wäre.

5Die Anwendung von § 55 Abs. 1 StGB in dem angefochtenen Urteil begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Urteilsgründe teilen den Vollstreckungsstand der einbezogenen Geldstrafe von 60 Tagessätzen aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Detmold vom nicht mit. Hierdurch vermag der Senat nicht zu überprüfen, ob die Strafkammer zu Recht von einer Zäsurwirkung dieses Urteils ausgegangen ist und daher eine Gesamtfreiheitsstrafe sowie eine weitere Freiheitsstrafe verhängen durfte. Denn bei einer vollständigen Erledigung der Geldstrafe entfiele die mit der Vorverurteilung verbundene Zäsur (vgl. Rn. 2 mwN; Beschluss vom - 2 StR 495/14 Rn. 5). Die Strafkammer wäre für diesen Fall gehalten gewesen, eine dem Angeklagten grundsätzlich vorteilhafte einheitliche Gesamtstrafe zu bestimmen.

64. Die weitere fünfmonatige Freiheitsstrafe wegen Missbrauchs von Notrufen, deren Vollstreckung die Strafkammer dem Angeklagten nicht zur Bewährung ausgesetzt hat, hält für sich betrachtet rechtlicher Nachprüfung stand.

75. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 3 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Amtsgericht Detmold zurück. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese den bisherigen nicht widersprechen, und wird insbesondere den Vollstreckungsstand der womöglich nach § 55 Abs. 1 StGB einbeziehungsfähigen Geldstrafe feststellen.

8Hierbei wird es zu beachten haben, dass für die Frage der (nachträglichen) Gesamtstrafenbildung der Vollstreckungsstand dieser Geldstrafe zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils maßgebend ist (vgl. Rn. 10; Beschluss vom - 3 StR 135/20 Rn. 13). Sollte danach die Gesamtstrafe aufgrund einer Erledigung der Geldstrafe nicht nach § 55 Abs. 1 StGB, sondern allein gemäß § 54 StGB unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe wegen Missbrauchs von Notrufen zu bilden sein, würde hierdurch die von der Teilaufhebung unberührte Entscheidung, dass die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt ist, gegenstandslos (vgl. § 58 StGB; s. auch Rn. 7 zu §§ 460, 462 StPO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:010922B4STR227.22.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-22435