Berufung - Einlegung als elektronisches Dokument - Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht bei führender Papierakte
Gesetze: § 46c Abs 1 ArbGG, § 64 Abs 6 ArbGG, § 2 Abs 1 ERVV
Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 11 Ca 162/21 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 6 Sa 1448/21 Beschluss
Gründe
1I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung.
2Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das am zugestellte Urteil hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am aus seinem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) mit einem elektronischen Dokument für den Kläger Berufung eingelegt.
3Die im PDF-Format eingegangene Berufungsschrift vom ist druckbar, aber nicht durchsuchbar oder kopierbar gewesen, zudem sind die verwendeten Schriftarten nicht im elektronischen Dokument eingebettet gewesen. Das Dokument wurde vom Landesarbeitsgericht ausgedruckt und zur Papierakte genommen. Diese hat der Kammervorsitzende am erstbearbeitet. In einem dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellten Hinweis ist diesem mitgeteilt worden, dass die Berufungsschrift im falschen Dateiformat eingegangen sei, der Mangel aber „nach § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO bzw. dem seit dem auch für das LAG anwendbaren § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG rückwirkend geheilt werden“ könne. Am hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Berufungsschrift erneut als PDF-Datei in einem durchsuchbaren sowie kopierbaren Format und mit eingebetteten Schriftarten eingereicht. Die nach § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG erforderliche Glaubhaftmachung war jedoch nicht beigefügt. Mit einem dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellten Schreiben hat der Kammervorsitzende darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen.
4Mit Schriftsatz vom hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Berufungsschrift erneut in einem durchsuchbaren sowie kopierbaren Format und mit eingebetteten Schriftarten eingereicht und „anwaltlich und gemäß § 156 StGB eidesstattlich versichert, dass der nunmehr eingereichte Schriftsatz mit dem zuvor eingereichten Schriftsatz identisch ist“.
5Am hat der Kläger - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf rechtzeitigen Antrag hin bis zum - die Berufung begründet.
6Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Revisionsbeschwerde des Klägers.
7II. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revisionsbeschwerde (§ 77 Satz 1 ArbGG) ist begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger am frist- und formgerecht Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt.
81. Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG ist die Berufung binnen einer Frist von einem Monat ab Zustellung des vollständig abgefassten Urteils einzulegen. Nach § 64 Abs. 6, § 46c Abs. 1 ArbGG in der vom bis geltenden Fassung (nachfolgend: ArbGG aF) konnte die Berufungsschrift als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht werden, sofern dieses für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet war (§ 64 Abs. 6, § 46c Abs. 2 Satz 1 ArbGG aF).
9a) Gemäß § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG aF bestimmte die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen. Nach § 2 Abs. 1 Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung vom (BGBl. I S. 3803, geändert durch Verordnung vom , BGBl. I S. 200; nachfolgend: ERVV aF) war das elektronische Dokument in druckbarer, kopierbarer und - soweit technisch möglich - durchsuchbarer Form im Dateiformat PDF zu übermitteln, unter bestimmten Voraussetzungen war auch eine Übermittlung im Format TIFF zulässig. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 ERVV aF mussten die Formate den nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV aF von der Bundesregierung bekanntgemachten Versionen entsprechen. Nach Nr. 1 Satz 1 Elektronischer-Rechtsverkehr-Bekanntmachung 2019 (BAnz. AT B3; nachfolgend: ERVB 2019) mussten alle für die Darstellung des Dokuments notwendigen Inhalte, insbesondere Grafiken und Schriftarten, in der Datei enthalten sein.
10b) Die Bestimmungen über die Anforderungen an elektronische Dokumente sind durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom (BGBl. I S. 4607; nachfolgend: Ausbaugesetz) mit Wirkung ab dem geändert worden. In der dazu ergangenen Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber nach seiner Ansicht „klargestellt“, dass der Eingang eines elektronischen Dokuments nur unwirksam sei, wenn es konkret nicht zu bearbeiten sei, es komme auf die „konkrete Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht an“ (BT-Drs. 19/28399 S. 33 f.). Das Gericht müsse das Dokument, soweit es konkret bearbeitet werden könne, zulassen, auch wenn die Standards nicht eingehalten seien (BT-Drs. 19/28399 S. 40).
112. Der Kläger hat am frist- und formgerecht Berufung eingelegt, ohne dass es auf die Heilungsmöglichkeit nach § 64 Abs. 6, § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG aF oder § 64 Abs. 6, § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG in der ab dem geltenden Fassung ankommt. Die am als PDF-Datei aus dem beA des Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangene Berufungsschrift ist zwar, anders als nach den bis zum geregelten technischen Rahmenbedingungen, weder durchsuchbar noch kopierbar gewesen, zudem sind die verwendeten Schriftarten nicht im elektronischen Dokument eingebettet gewesen. Diese von § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG aF iVm. § 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV aF, Nr. 1 Satz 1 ERVB 2019 verlangten technischen Anforderungen stellten aber bereits vor dem jedenfalls dann keine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einreichung eines elektronischen Dokuments dar, wenn - wie im Streitfall - weiterhin die Papierakte führte und der Schriftsatz druckbar war sowie ausgedruckt zur Papierakte genommen wurde. Dies gilt unabhängig davon, ob die Begründung des Ausbaugesetzes entsprechende Rückschlüsse auf die Rechtslage bereits vor dem erlaubt (vgl. dazu - Rn. 22 ff.).
12a) Bei führender Papierakte ist ein elektronisch eingereichtes Dokument auch schon iSv. § 46c Abs. 2 Satz 1 ArbGG aF zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet gewesen, wenn es druckbar war und gem. § 298 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Papierakte genommen wurde. Soweit nach § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG aF iVm. § 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV aF, Nr. 1 Satz 1 ERVB 2019 darüber hinaus verlangt war, dass es durchsuchbar und kopierbar sein musste sowie die verwendeten Schriftarten im Dokument eingebettet, handelte es sich nach Sinn und Zweck der Ermächtigung in § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG aF, die Lesbarkeit und Bearbeitungsfähigkeit elektronisch eingereichter Dokumente für das Gericht zu gewährleisten (BT-Drs. 17/12634 S. 25, 37), jedenfalls dann nicht um zwingende Wirksamkeitsvoraussetzungen, wenn weiterhin die Papierakte führte und das Dokument druckbar war und gem. § 298 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Papierakte genommen wurde. Die Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht ist in diesem Fall ausreichend dadurch gewährleistet, dass das Dokument in Form eines Papierausdrucks unveränderlicher Aktenbestandteil ist. Das elektronische Dokument kann dann nach Ablauf von sechs Monaten gelöscht werden (§ 298 Abs. 4 ZPO). Es stellte in dieser Konstellation eine reine Förmelei dar, die Formwirksamkeit des elektronisch eingereichten Schriftsatzes von seiner Durchsuchbarkeit und Kopierbarkeit sowie der Einbettung der verwendeten Schriftarten im elektronischen Dokument abhängig zu machen (zu § 130a ZPO vgl. - Rn. 20 f.). Dies bestätigt auch vorliegend der Umstand, dass die Erstbearbeitung der Berufung durch den Kammervorsitzenden ohne Weiteres anhand der Papierakte möglich war.
13b) Der erkennende Senat setzt sich mit dieser Auffassung nicht in Widerspruch zur Entscheidung des Sechsten Senats vom (- 6 AZM 1/20 -). Zwar betrifft die dort erfolgte Auslegung von § 130a Abs. 2 ZPO eine mit § 46c Abs. 2 ArbGG aF wortgleiche Bestimmung. Der Sechste Senat hat angenommen, ein elektronisches Dokument, das nicht iSv. § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV aF durchsuchbar sei, sei nicht iSd. § 130a Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet. Im entschiedenen Fall war aber nicht festgestellt, dass die fraglichen elektronischen Dokumente druckbar und zur Papierakte genommen worden waren. Daher kann dahinstehen, ob und ggf. mit welchen rechtlichen Folgen die vom Gesetzgeber im Ausbaugesetz vorgenommene „Klarstellung“, wonach „rein formale Verstöße gegen die ERVV dann nicht zur Formunwirksamkeit des Eingangs [führen], wenn das Gericht das elektronische Dokument gleichwohl bearbeiten kann“ (BT-Drs. 19/28399 S. 33) bereits für den Zeitraum nach Inkrafttreten des Gesetzes am zu einer geänderten Rechtslage geführt hat, nach der eine auf § 45 Abs. 2 ArbGG gestützte Vorlage an den Großen Senat als unzulässig anzusehen wäre.
14c) Danach hat der Kläger die Berufung form- und fristgerecht eingelegt.
15aa) In der hessischen Arbeitsgerichtsbarkeit wurden und werden die Akten bislang nicht nach § 298a Abs. 1 ZPO elektronisch, sondern weiterhin als Papierakten geführt. Gemäß § 31 Nr. 1 Hessische Justizdelegationsverordnung vom wurde dem Minister/der Ministerin zwar die Ermächtigung übertragen, die Rechtsverordnung nach § 298a Abs. 1 Satz 2 ZPO zu erlassen (GVBl. 2016 S. 2). In der Anlage zu der auf dieser Grundlage erlassenen Justiz-Informationstechnik-VO vom (GVBl. S. 415) ist das Hessische Landesarbeitsgericht aber nicht aufgeführt (vgl. auch - Rn. 17).
16bb) Die im PDF-Format über das beA seines Prozessbevollmächtigen am eingereichte Berufungsschrift des Klägers war iSv. § 64 Abs. 6, § 46c Abs. 2 Satz 1 ArbGG aF zur Bearbeitung durch das Landesarbeitsgericht geeignet. Sie ist druckbar gewesen, ausgedruckt zur Papierakte genommen und anhand der Papierakte vom Kammervorsitzenden bearbeitet worden.
17cc) Die Einhaltung der weiteren technischen Rahmenbedingungen gem. § 64 Abs. 6, § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG aF iVm. § 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV aF, Nr. 1 Satz 1 ERVB 2019 ist unter diesen Umständen keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die elektronisch eingereichte Berufungsschrift gewesen. Ob und inwiefern für sie überhaupt wirksame Rechtsgrundlagen bestanden (für die ERVB 2019 verneinend - Rn. 29 ff.), bedarf daher keiner Entscheidung.
18III. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 77 Satz 4 ArbGG iVm. § 577 Abs. 3 ZPO). Die Berufung ist, soweit nach den bisherigen Feststellungen ersichtlich, nicht aus anderen Gründen unzulässig. Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2022:010822.B.2AZB6.22.0
Fundstelle(n):
BB 2022 S. 2227 Nr. 39
DB 2022 S. 2861 Nr. 48
DB 2022 S. 2861 Nr. 48
WAAAJ-21400