Aburteilung von Drogenhandel als Heranwachsender: Zuständigkeit der Jugendkammer nach bereits erfolgter Verurteilung zu einer Jugendstrafe; Inhaltsanforderungen an ein freisprechendes Urteil
Gesetze: § 32 S 1 JGG, § 105 Abs 1 JGG, § 267 Abs 5 S 1 StPO, § 338 Nr 4 StPO, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG
Instanzenzug: LG Dresden Az: 14 KLs 421 Js 50982/20
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen für schuldig befunden. Es hat den Angeklagten A. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten und den Angeklagten H. zu einer solchen von drei Jahren verurteilt sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Von einem weiteren Tatvorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat es die Angeklagten freigesprochen.
2Gegen ihre Verurteilung wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Sachrüge gestützten Rechtsmitteln, der Angeklagte A. macht zudem verfahrensrechtliche Verstöße geltend; die unterbliebene Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt haben sie vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft richten sich mit der Sachrüge gegen die Teilfreisprüche und die Strafaussprüche.
A.
I.
3Das Landgericht hat zu den zur Verurteilung gelangten Fällen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
41. Die Angeklagten vereinbarten, sich durch den gewinnbringenden Weiterverkauf von Betäubungsmitteln eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Zu diesem Zweck erwarben sie mit der EncroChat-Technologie verschlüsselte Mobiltelefone, mit denen sie ihre Geschäfte abwickelten. Es kam zu zwei Taten:
5Am bestellte der Angeklagte A. bei dem EncroChat-Nutzer „d. “ zehn Kilogramm Marihuana mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 1,5 % THC. Dieser bestätigte am Folgetag das Geschäft zu einem Kaufpreis von 47.000 Euro. Am erhielt der Angeklagte H. gegen Zahlung von 22.600 Euro die Drogen, am nächsten Tag zahlte der Angeklagte A. an einen Mittelsmann des Verkäufers den Restbetrag von 24.400 Euro. Die Angeklagten veräußerten das Rauschgift zu unbekannt gebliebenen Preisen bis zum und teilten sich den Gewinn.
6Am oder kurz vor dem bestellte der Angeklagte A. erneut bei dem EncroChat-Nutzer „d. “ mindestens sechs Kilogramm Marihuana mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 1,5 % THC zum Preis von mindestens 27.650 Euro. Die Drogen wurden am an den Angeklagten H. geliefert, am gleichen Tag zahlte der Angeklagte A. 27.650 Euro an einen Mittelsmann des Verkäufers. Die Angeklagten veräußerten das Rauschgift bis zum und teilten sich den Gewinn.
72. Diese Taten hat das Landgericht jeweils als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 25 Abs. 2, § 53 StGB).
II.
8Nach der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift liegt den Angeklagten eine weitere Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last.
91. Danach soll der Angeklagte A. am oder davor beim EncroChat-Nutzer „d. “ für 32.200 Euro sieben Kilogramm Marihuana bestellt haben. Nachdem er am an einen unbekannten Geldkurier des Verkäufers 20.400 Euro übergeben habe, seien die Drogen vor dem an den Angeklagten H. geliefert worden; zur Leistung einer Restzahlung sei nichts bekannt geworden. Nachfolgend sollen die Angeklagten von der Gesamtmenge bis zum einem „D. “ drei Kilogramm für 15.600 Euro und danach den Rest von vier Kilogramm Marihuana an andere Abnehmer veräußert haben. Den Gewinn hätten sich beide geteilt.
102. Das Landgericht hat die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil sich ein Tatnachweis nicht ohne verbleibende Zweifel führen ließe. Die Chatnachrichten enthielten – anders als in den zur Verurteilung gelangten Fällen – keinen in sich „geschlossenen, widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Tatablauf“; es bleibe „insbesondere die konkrete Bestellhandlung“ offen.
B. Revisionen der Angeklagten
11Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet.
I.
12Die Verfahrensrügen des Angeklagten A. haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.
13Die Rüge nach § 338 Nr. 4 StPO ist jedenfalls unbegründet, weil mit der Strafkammer der zuständige Spruchkörper verhandelt hat. Entgegen der Ansicht der Revision führt die vorangegangene Verurteilung des Angeklagten zu einer Jugendstrafe nicht dazu, dass erneut eine Jugendkammer zur Entscheidung über die hier vor jenem Urteil liegenden Taten berufen ist, die der Angeklagte im Erwachsenenalter begangen haben soll. Insoweit scheidet eine entsprechende Anwendung von § 32 Satz 1 JGG aus (vgl. , BGHSt 64, 178, 185 f.; Urteil vom − 2 StR 378/15, NStZ 2016, 683, 684).
14Soweit der Verteidiger in der Hauptverhandlung zu der Rüge unterlassener Aktenbeiziehung ausgeführt hat, es bedürfe keines weiteren Vortrags zu seinen Bemühungen, den Akteninhalt in Erfahrung zu bringen, erweist sich diese Rechtsauffassung als unzutreffend (vgl. , NStZ 2010, 530, 531).
II.
15Die Überprüfung des Urteils auf die jeweils erhobene Sachrüge hat keinen die Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben.
16Bei der den Angeklagten A. betreffenden Strafzumessung bestand für das Landgericht kein Anlass, einen Härteausgleich zu erörtern. Zwar konnte es die mit Urteil des Landgerichts Dresden vom (rechtskräftig seit dem ) verhängte Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war, nicht nach § 55 StGB einbeziehen. Es droht aber im Hinblick auf die inmitten stehende Verurteilung kein auszugleichender Nachteil infolge eines zu erwartenden Widerrufs der Strafaussetzung (vgl. zu einem solchen Fall mwN). Denn die verfahrensgegenständlichen Taten hat der Angeklagte A. vor dem Urteil des Landgerichts Dresden begangen, sodass § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 StGB unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt anwendbar ist.
C. Revisionen der Staatsanwaltschaft
17Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg. Die Freisprüche und die Strafaussprüche können keinen Bestand haben.
I.
18Die Freisprüche sind durchgreifend rechtsfehlerhaft. Das Urteil des Landgerichts entspricht nicht den Anforderungen, die gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind.
19Wenn ein Tatgericht einen Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freispricht, muss es regelmäßig in einer geschlossenen Darstellung die als erwiesen angesehenen Tatsachen feststellen, bevor es in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Denn es ist Aufgabe der Urteilsgründe, dem Revisionsgericht auf diese Weise eine umfassende Nachprüfung der freisprechenden Entscheidung zu ermöglichen (st. Rspr.; vgl. ; vom – 5 StR 102/20; vom – 4 StR 457/20; vom – 4 StR 568/19, NStZ 2021, 121, 122).
20Schon diesen Mindestanforderungen wird das Urteil nicht gerecht, weil es keine Darstellung von Feststellungen enthält. Im Anschluss an die Wiederholung des Anklagesatzes folgt die Beweiswürdigung und es bleibt schon offen, welchen Sachverhalt das Landgericht festgestellt hat. Insbesondere verhalten sich die Ausführungen allein zu einem – nach Ansicht der Strafkammer – nicht feststellbaren Ankauf von Drogen. Es fehlt – unter Verletzung der aus § 264 Abs. 1 StPO folgenden Kognitionspflicht – an einer Auseinandersetzung mit dem ebenfalls von der Anklage umfassten Verkauf der Betäubungsmittel. Auf dieser Grundlage ist es dem Senat verwehrt, den Freispruch anhand der Urteilsgründe umfassend rechtlich nachzuprüfen. Eine Fallgestaltung, in der Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen in Gänze nicht möglich oder im Einzelfall nicht nötig gewesen wären (vgl. , BGHSt 63, 107, 109; vom – 5 StR 441/04; vom – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2325), liegt nicht vor.
II.
21Die Strafaussprüche halten auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabes (vgl. Rn. 54; vom – 5 StR 387/15, NStZ-RR 2016, 105, 106) aus mehreren Gründen rechtlicher Überprüfung nicht stand. Im Einzelnen:
221. Das Landgericht hat zwar rechtsfehlerfrei das Vorliegen minder schwerer Fälle nach § 29a Abs. 2 BtMG abgelehnt und jeweils den Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG zur Anwendung gebracht. Indes hat es zugunsten beider Angeklagten bei der Bestimmung sowohl der Einzel- als auch der Gesamtstrafen zu Unrecht strafmildernd eingestellt, dass die Tathandlungen unter „staatlicher Abhörkontrolle“ durch die französischen Ermittlungsbehörden stattfanden.
23Zwar kann eine engmaschige und lückenlose polizeiliche Überwachung eines Betäubungsmittelgeschäfts ein bestimmender Strafzumessungsgrund zugunsten des Angeklagten sein, dem neben einer Sicherstellung der Drogen eigenes Gewicht zukommt, wenn durch die Überwachungsmaßnahmen eine tatsächliche Gefährdung durch das Rauschgift ausgeschlossen war (; vom – 5 StR 2/21, NStZ-RR 2022, 140, 141; Beschluss vom – 2 StR 257/20, NStZ 2021, 54, 55 mwN). Hier sind die Betäubungsmittel aber in den Verkehr gelangt, sodass sich die Gefahr für das durch die Straftatbestände des BtMG geschützte Rechtsgut realisiert hat. Ein Anspruch des Straftäters darauf, dass die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen ihn einschreiten, besteht nicht (vgl. aaO; vom – 5 StR 542/20, NJW 2022, 1826, 1827 Rn. 118).
242. Ferner erweist sich die Schätzung zu den Wirkstoffgehalten der gehandelten Drogen als rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat diesen bestimmenden Strafzumessungsgrund mit 1,5 % THC-Gehalt festgestellt, ohne die Grundlage seiner Schätzung mitzuteilen (vgl. zur Methodik Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 309 ff.; Patzak/Dahlenburg, NStZ 2022, 146 ff.). Soweit es im Übrigen gemeint hat, es habe keine „Beweise bzw. Indizien [gegeben], die für die Feststellung deren Qualität“ hätten herangezogen werden können, hat es übersehen, dass der Angeklagte A. die Qualität gegenüber dem Lieferanten als „super“ bezeichnete und er diesem im Vorfeld der Tat 2 eine weitere Bestellung mit den Worten ankündigte: „Wenn es ware gibt kannst du mir 15 Kilo schicken? … oder 20 … das Geld ist an eine Tag drinnen, die Leute drehen durch“.
25Der Rechtsfehler hat die Aufhebung der Feststellung des Wirkstoffgehalts zur Folge. Der Schuldspruch bleibt hiervon unbeeinflusst, weil angesichts der Handelsmengen auszuschließen ist, dass das neue Tatgericht keine nicht geringe Menge der jeweils gehandelten Betäubungsmittel feststellen wird.
263. Zudem hat die Strafkammer im Fall 1 lediglich eine rechnerisch unzutreffende Wirkstoffmenge von 105 Gramm THC berücksichtigt. Diese beträgt bei einer Handelsmenge von 10 kg und dem angenommenen Wirkstoffgehalt 150 Gramm THC; das Landgericht hat seiner Strafbemessung mithin rechtsfehlerhaft lediglich 70 % der von ihm angenommenen Wirkstoffmenge zu Grunde gelegt.
274. Nach alledem kommt es nicht mehr darauf an, ob ein weiterer Rechtsfehler für sich genommen schon darin liegt, dass die Strafkammer den Zeitraum von eineinhalb Jahren zwischen Tatbegehung und Urteil als „länger zurückliegende Tatzeit“ strafmildernd bewertet hat.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:060722U5STR170.22.0
Fundstelle(n):
DAAAJ-21334