Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Anforderungen an die Prognose eines hinreichend konkreten Therapieerfolgs
Gesetze: § 64 S 2 StGB, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Magdeburg Az: 25 KLs 34/20
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten L. wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Den Angeklagten S. hat es wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte unter Einbeziehung der Strafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und unter Anrechnung der isolierten Sperrfrist aus einer früheren Verurteilung eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von einem Jahr und sechs Monaten angeordnet. Hiergegen richten sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten. Das Rechtsmittel des Angeklagten L. hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet. Das Rechtsmittel des Angeklagten S. ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten L. in einer Entziehungsanstalt kann nicht bestehen bleiben, weil die Strafkammer bei der Bestimmung der Erfolgsaussicht gemäß § 64 Satz 2 StGB von einem unrichtigen Maßstab ausgegangen ist.
3a) Anordnung und Vollzug der Maßregel setzen die konkrete Aussicht voraus, die süchtige Person zu heilen und über eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall in den Rauschmittelkonsum zu bewahren. Erforderlich ist eine Prognose, dass bei erfolgreichem Verlauf die Gefährlichkeit aufgehoben oder deutlich herabgesetzt wird, und dass sich in Persönlichkeit und Lebensumständen des Täters konkrete Anhaltspunkte finden, die einen solchen Verlauf erwarten lassen (BGH, Beschlüsse vom ‒ 4 StR 54/18, juris, Rn. 17; vom - 4 StR 147/19, juris Rn. 3; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 64 Rn. 19 mwN). Die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung kann diese Prognose eines hinreichend konkreten Therapieerfolgs nicht stützen ( ‒ 1 StR 51/18, juris, Rn. 14 mwN). Notwendig, aber auch ausreichend ist eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs; einer sicheren oder unbedingten Gewähr bedarf es nicht (BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 104/21, juris, Rn. 19; vom - 4 StR 289/21, juris, Rn. 3 mwN).
4b) Diesen Maßstab hat die Strafkammer ihrer Entscheidung rechtsfehlerhaft nicht zugrunde gelegt. Sie hat sich lediglich den Erwägungen des Sachverständigen angeschlossen, die Erfolgsaussicht einer Behandlung erscheine „eher als gut“, weil es dem Angeklagten in der Vergangenheit zumindest gelungen sei, seinen multiplen Substanzgebrauch im Schwerpunkt auf den Alkoholkonsum einzuschränken. Damit ist die für die Anordnung erforderliche begründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs nicht belegt. Vielmehr hat die Strafkammer entgegen § 64 Satz 2 StGB schon eine nicht von vornherein bestehende Aussichtslosigkeit bzw. die geringe Wahrscheinlichkeit eines Therapieerfolges ausreichen lassen.
5c) Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung, bei der sich das neue Tatgericht wiederum sachverständiger Hilfe bedienen muss (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO). Sollte es ebenfalls zu dem Ergebnis kommen, dass die Voraussetzungen der Anordnung der Unterbringung vorliegen, wird es bei der Prüfung der Erfolgsaussichten im Sinne von § 64 StGB im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung auch die prognoseungünstigen Umstände zu bedenken haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 92/15, juris, Rn. 15; vom - 4 StR 289/21, juris, Rn. 6, jeweils mwN). Hierzu zählen neben dem fehlenden Antrieb zur Wahrnehmung bisheriger Therapieangebote und dem langjährigen Drogenkonsum des arbeitslosen und in einem verwahrlosten Umfeld lebenden Angeklagten auch die psychiatrische Diagnose des Sachverständigen, der ihm eine dissozial akzentuierte Persönlichkeitsstruktur bescheinigt hat.
62. Weitere Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten hat die Nachprüfung des Urteils nicht ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:110522B4STR478.21.0
Fundstelle(n):
GAAAJ-21320