Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in geringer Menge: Verfahrenseinstellung bei Eintritt der Verfolgungsverjährung und Zweifelsgrundsatz
Gesetze: § 78 StGB, §§ 78ff StGB, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG
Instanzenzug: LG Augsburg Az: 1 KLs 303 Js 137759/10
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 105 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verurteilt; zudem hat es gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 29.250 € angeordnet. Die gegen seine Verurteilung gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Das Verfahren ist wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung einzustellen (§ 206a Abs. 1 StPO, vgl. auch § 354 Abs. 1 Variante 2 StPO; § 78 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4, § 78a Satz 1, 2, § 78c Abs. 1, 3 Satz 2 StGB), soweit der Angeklagte wegen des Vergehens des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt worden ist.
3a) Der Generalbundesanwalt hat hierzu zutreffend ausgeführt:
ʺNach den getroffenen Feststellungen wurden sämtliche 105 Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (in geringer Menge) - jedenfalls - bis Ende Juli 2010 (vollständig) verübt (UA S. 9 und 12). Angesichts der Strafdrohung des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG, die von Geldstrafe bis zu Freiheitsstrafe von fünf Jahren reicht, betrug die Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre und im Falle ihrer Unterbrechung (§ 78c StGB) die absolute Grenze der Verjährung gemäß § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB zehn Jahre. Der für besonders schwere Fälle in § 29 Abs. 3 Satz 1 BtMG vorgesehene erhöhte Strafrahmen ist gemäß § 78 Abs. 4 StGB für die Bestimmung der Verjährungsfrist ohne Relevanz.
Die fünfjährige Verjährungsfrist der letzten der vorgenannten 105 Taten begann gemäß § 78a Satz 1 StGB (spätestens) am . Der Lauf der Frist für alle 105 Taten wurde einheitlich erstmals gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StGB durch den am gegen den Angeklagten erlassenen Haftbefehl (SA Bd. I Bl. 84 ff.) unterbrochen, sodass gemäß § 78c Abs. 3 Satz 1 StGB der Lauf der fünfjährigen Verjährungsfrist für alle 105 Taten an jenem Tag von neuem begann. Die nächste Unterbrechungshandlung erfolgte gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB am durch die gerichtliche Anordnung des dinglichen Arrestes [§ 111e StPO] gegen den Angeklagten (SA Bd. I. Bl. 117 f.), worauf die fünfjährige Verjährungsfrist nochmals von neuem begann. Eine weitere Unterbrechung im Sinne des § 78c Abs. 1 StGB erfolgte - erst - durch den Erlass des (neuen) Haftbefehls vom (SA Bd. II Bl. 237 ff.). Jene Unterbrechungshandlung ging indes ins Leere, weil die Verjährungsfrist bereits zuvor mit Ablauf des geendet hatte. Ruhenstatbestände im Sinne des § 78b StGB waren bis zu jenem Zeitpunkt nicht gegeben.ʺ
4Ungeachtet des Vorstehenden wäre auch absolute Strafverfolgungsverjährung eingetreten (§ 78c Abs. 3 Satz 2 StGB). Das Hauptverfahren ist erst am , mithin nach Ablauf der Höchstfrist von zehn Jahren, eröffnet worden; die Verjährung konnte daher durch den Eröffnungsbeschluss nicht zum Ruhen gebracht werden (§ 78b Abs. 4 StGB).
5b) Bezüglich einer möglichen Verfolgung der 105 Taten unter dem Gesichtspunkt eines Verbrechenstatbestandes (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 Variante 1 BtMG) hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:
ʺDie den Feststellungen im Tatkomplex B.I. der Urteilsgründe zu entnehmenden Anhaltspunkte für eine Zusammenfassung - jedenfalls - einzelner Absatzgeschäfte im Sinne einer tatbestandlichen Bewertungseinheit […] führen zu keinem abweichenden Ergebnis.
Eingedenk der durch Strafandrohung des § 29a Abs. 1 BtMG bedingten Verjährungsfrist von 20 Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB) wäre zwar im Falle der Zusammenfassung einzelner Absatzgeschäfte mit der Folge der Überschreitung der nicht geringen Menge eine Strafverfolgungsverjährung nicht eingetreten. Das Landgericht hat aber keine Feststellung getroffen, ausweislich derer einzelne Absatzgeschäfte unzweifelhaft Teil desselben Gütergeschäfts waren. Da insoweit mit Blick auf die bestreitende Einlassung des Angeklagten einerseits und das Versterben des einzigen Tatzeugen andererseits keine weiteren Feststellungen mehr getroffen werden konnten, käme lediglich über den Zweifelsgrundsatz die Annahme einer Bewertungseinheit in Betracht (vgl. -, juris Rn. 9 ff.; […]. Jener Grundsatz findet auch bei der Nichtaufklärbarkeit der für die Verjährung bedeutsamen Tatsachen Anwendung (vgl. Senat, Beschluss vom - 1 StR 240/14 -, juris Rn. 4 mwN). In diesem Kontext erweist es sich für den Angeklagten indes - aus den vorstehend […] ausgeführten Gründen - als günstig, eigenständige Absatzgeschäfte mit Betäubungsmitteln in geringer Menge (jeweils 5 oder 10 Gramm Heroin bei einer Wirkstoffkonzentration von 10 % Heroin-Hydrochlorid) der rechtlichen Bewertung zugrunde zu legen, weil deren Verfolgung der Eintritt der Verfolgungsverjährung entgegensteht.ʺ
62. Da, wie unter 1. b) angedeutet, nicht gänzlich auszuschließen ist, dass der Angeklagte die veräußerten Mengen von 25 Gramm Heroin und 30 Gramm Heroin einem einheitlichen Verkaufsvorrat entnahm (Bewertungseinheit; st. Rspr.; zuletzt Rn. 6 mwN), verschließt sich der Senat dem entsprechenden Antrag des Generalbundesanwalts nicht und ändert den Schuldspruch insoweit auf Tateinheit ab. Die Vorschrift des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil auszuschließen ist, dass sich der Angeklagte hiergegen wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
73. Die Verfahrensteileinstellung und die geänderte Beurteilung der Konkurrenzen in den Fällen unter B. I. der Urteilsgründe bedingen die Aufhebung der zugehörigen Einzelstrafen. Der Senat hebt auch die im Fall B. II. verhängte Einsatzfreiheitsstrafe auf, um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht nach deutlicher Abschwächung der vorangegangenen Tatserie eine in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen.
84. Die Verfahrensteileinstellung zieht die Abänderung der Einziehungsanordnung nach sich (zur zugehörigen Kostenentscheidung vgl. Rn. 18).
95. Die Feststellungen in den nicht eingestellten Fällen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und bleiben aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht darf seiner Strafzumessung weitere Feststellungen zugrunde legen, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen. Die für den unter B. I. der Urteilsgründe verbliebenen Fall festzusetzende Strafe darf die Summe aus den beiden bisherigen Einzelstrafen (ein Jahr zwei Monate Freiheitsstrafe und ein Jahr drei Monate Freiheitsstrafe) nicht überschreiten (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO). Dass der Generalbundesanwalt beantragt hat, die geringere der beiden Einzelfreiheitsstrafen entfallen zu lassen, hindert den Senat nicht an der Zurückverweisung der Sache zur umfassenden Neubemessung der Einzelstrafe im Fall B. I. der Urteilsgründe (§ 349 Abs. 2, 4 StPO; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 312/21 Rn. 15; vom – 1 StR 399/14, BGHSt 60, 266 Rn. 41; vom – 3 StR 96/09 Rn. 6 und vom – 4 StR 24/04 Rn. 7).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:050422B1STR72.22.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-21222