BGH Beschluss v. - 4 StR 214/21

Jugendstrafe: Anwendbarkeit der sog. Vollstreckungslösung zur Kompensation überlanger Verfahrensdauer

Gesetze: Art 6 Abs 1 S 1 MRK, § 17 JGG

Instanzenzug: LG Bochum Az: 5 KLs 8/19

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Köperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Revision, mit der der Angeklagte allgemein die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, erzielt lediglich wegen einer nach Erlass des angefochtenen Urteils eingetretenen Verfahrensverzögerung den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.

21. Die nicht ausgeführte Verfahrensrüge genügt nicht den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 StPO und ist daher unzulässig.

32. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils lässt zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.

43. Von der verhängten Jugendstrafe sind indes drei Monate für vollstreckt zu erklären, weil das Verfahren nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist wegen des Verlusts der Originalakten unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK um etwa eineinhalb Jahre verzögert worden ist.

5a) Das Verfahren ist dadurch in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden, dass die nach Übermittlung an die Staatsanwaltschaft am in Verlust geratenen Originalakten erst ab Mai 2021 teilweise rekonstruiert und die Ersatzakten dem Generalbundesanwalt am vorgelegt worden sind. Nachdem auf Veranlassung des Generalbundesanwalts weitere, für die Durchführung des Revisionsverfahrens notwendige Unterlagen beim Landgericht und bei der Staatsanwaltschaft beschafft worden waren, sind die am dem Generalbundesanwalt vorgelegten teilrekonstruierten Akten am beim Bundesgerichtshof eingegangen. Am sind die Ende September 2021 aufgefundenen Originalakten dem Bundesgerichtshof vorgelegt worden. Insgesamt hat sich nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist dadurch eine Verzögerung von etwa eineinhalb Jahren ergeben, die auf die Sachrüge hin von Amts wegen zu berücksichtigen ist (st. Rspr.; vgl. nur , BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 20 mwN; Beschluss vom - 4 StR 391/14).

6b) Auch bei Verzögerungen im Jugendstrafverfahren ist eine Kompensation bei Verstößen gegen den Beschleunigungsgrundsatz jedenfalls für die - hier vorliegende - sowohl auf schädliche Neigungen als auch auf die Schwere der Schuld gestützte Jugendstrafe in der Weise zu gewähren, einen bestimmten Teil der Strafe für bereits vollstreckt zu erklären, wenn ein solcher über die Feststellung der Verzögerung hinausgehender Ausgleich geboten ist (vgl. ). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Kompensation nicht mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen, sondern hat nach den Umständen des Einzelfalles grundsätzlich einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu betragen (vgl. nur Senatsbeschluss vom - 4 StR 643/10, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 41 mwN).

7c) Im vorliegenden Fall erscheint dem Senat eine Kompensation von drei Monaten angesichts der insgesamt eingetretenen Verzögerung von etwa eineinhalb Jahren als angemessen. Diese Kompensation kann der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO selbst aussprechen (vgl. , NStZ-RR 2008, 208, 209; Beschluss vom - 2 StR 302/11, NStZ 2012, 320, 321).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:271021B4STR214.21.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-21138